traumhaft

Jeden Morgen bzw. jeden Tag – sowie es mir halt gelungen ist, das Bett zu verlassen – trotte ich zu meinem Rechner, notiere, wie es mir geht, vermerke Schmerzen auf einer Skala von 1 bis 10 und schreibe auf, was ich geträumt habe. Das mach ich schon seit Jahren so.
Manchmal sind es nur Stichworte – für Träume, an die ich mich detailliert erinnere, gibt es ein eigenes Dokument.

Über Jahre haben an den meisten Tagen Stichworte gereicht, weil meine Träume sich kaum verändert haben, jetzt werden die Beschreibungen lang und immer länger.
Zum Einen ist das natürlich Übungssache: Noch im Halbschlaf lasse ich den Traum der letzten Nacht Revue passieren und merke mir die wichtigsten Stichpunkte. Die Details fallen mir beim Aufschreiben von selbst wieder ein. Ich bin verblüfft, wie viele Motive regelmäßig wiederkehren!
Zum Anderen reagiert mein Traumgeschehen ganz offensichtlich auf die Therapie: Als endlich jemand zuhört, werden bestimmte Themen nicht mehr stereotyp wiederholt, sondern mehr und mehr aufgedröselt.

Wie um alles in der Welt erklär ich das?
Vielleicht ist das am ehesten wie bei einem Menschen, der zunächst nur „Hallo? Hallo!“ ruft, und dann vielleicht „ich brauche Hilfe!“. Wenn darauf niemand adäquat reagiert, bleibt es dabei: „Hallo?“
„Hilfe!“
Wenn nun aber jemand die Sprache versteht und die richtigen Fragen stellt – zum Beispiel „was genau ist ihr Problem?“, „wo befinden sie sich?“, „wie kann ich ihnen helfen?“, dann werden auch die Antworten ausführlicher.

Die Erkenntnisse aus den Gesprächen mit der weisen Hebamme, fließen in zukünftige Träume ein, die „Drehbücher“ verändern sich. Fragen, die wir im Gespräch nicht zu lösen vermögen, werden in folgenden Träumen aufgegriffen.
Das ist, als würde sie via Flaschenpost mit meinem Unbewussten kommunizieren.

Hin und wieder bekommen wir dabei Besuch. Nicht nur von Aglaia, sondern auch von den anderen – dann kann es passieren, dass ich unbewusst auf meinem Sessel zur Seite rücke, um Platz zu machen. Sie sagen nichts, aber sie hören sehr aufmerksam zu!


Neulich hat sich ein Kind nach vorn gewagt und war beim anschließenden Einkauf im Supermarkt immer noch da. Nein, ich habe weder die Spielzeugabteilung gestürmt, noch die mit den Süßwaren! Aber es gab eine unübersehbare Faszination für Glitter, welche ich normalerweise nicht teile …
Im Nachhinein bedaure ich, dass ich dennoch versucht habe, mich wie eine disziplinierte Erwachsene zu verhalten. Es wäre Zeit genug gewesen, dem Kind seinen Spaß zu lassen!

Einige Tage später, beim Besuch eines Museums zur Geschichte der Cévennen, habe ich die Chance genutzt: Hugenotten? Camisarden? Gepfiffen!
Wir sind dann schon mal zu den ausgestopften Tieren vorgelaufen, haben zutiefst bedauert, niemandem erzählen zu können, dass wir eine Ginsterkatze mal „in echt!“ gesehen haben (die anderen haben sich tatsächlich immer noch mit den historischen Dokumenten beschäftigt), mit offenem Mund das aufgezäumte Maultier bestaunt (und uns mit Mühe daran erinnert, dass wir da nicht „Ei machen“ dürfen), sind dem Zwitschern der Vögel und dem „Mäh!“ der Schafe hinterhergetollt, mussten fast weinen beim Anblick der stachelbewehrten Halsbänder für die Herdenschutzhunde und haben fein aufgepasst, dass wir weder die Exponate anfassen, noch uns die Nase an den Glasscheiben stoßen. Ich hab es genossen!

Normalerweise bin ich nach einem solchen Ausmaß an Reizen fix und fertig, diesmal hätte ich anschließend sehr gerne noch ein großes Eis gehabt. Und habe keins gekriegt, weil die Erwachsenen Kaffee trinken wollten und Kaffee und Eis übertrieben fanden.
An meinem Umgang mit den Kindern muss ich noch arbeiten …

Volare

Ein Ort in meinem Körper, an dem mich mich meistens wohlfühle, ist meine Schädeldecke. Schmerzen empfinde ich hier nur dann, wenn ich wieder einmal die Höhe eines cévenolen Kellereinganges falsch eingeschätzt habe: Dann allerdings schmerzt es enorm! Und eine Beule bildet sich auch.
Ansonsten fühle ich meinen Scheitel. Es ist kühl, angenehm und prickelt ein bisschen.

Der Mann im weißen Kittel möchte wissen, wie genau diese Stelle sich anfühlt.
Nun … rund und flach … wir reden schließlich von meiner Schädeldecke.
Hart … weich … was weiß denn ich?
Aber wenn er schon unbedingt wissen will, welche Farbe dieser Ort hat, dann ist das Ding grün!

Ich bin genervt. Die Führung durch die Hypnose stört mich mehr, als sie hilft: Schon bevor ich mit Hypnose angefangen habe, habe ich einen fächerförmigen Bodyscan vom Kopf beginnend geübt – er dagegen scheucht mich von den Füßen zum Kopf hin. Und er redet mir zu viel. Wie um alles in der Welt soll ich mich dabei konzentrieren?

Den „Wohlfühlort“ oben auf dem Kopf zu verorten, ist praktisch: Von da aus kann ich das Gefühl einfach „am Körper herab fließen lassen“. Wasser allerdings fließt zu schnell, besser sind zähflüssige Dinge wie Honig oder Sirup.
Da passt nun aber die Farbe nicht: Schließlich hab ich mich ja auf „grün“ festgelegt …
Als ich ein Kind war, gab es „Slime“: Einen giftgrünen, ekligen Glibber, dessen einziger Nutzen darin bestand, giftgrün und eklig zu sein, und zu tun, was Glibber so zu tun pflegt – der Schwerkraft folgend herumzuglibbern.
Ich kippe mir also beherzt einen Becher „Slime“ über den Kopf. Autosuggestion ist alles: Was da an mir herabrinnt, ist kühl. erinnert an Meerwasser und prickelt angenehm auf der Haut!
Das klappt recht gut bis der Mann im weißen Kittel die Anweisung gibt, einer meiner Arme – rechts oder links – möge leichter werden.

Dabei ist der Schleim gerade mal an meinen Schultern angekommen!

Nun gut … eigentlich ist meine linke Körperhälfte diejenige, die gut „ansprechbar“ ist.
Ich „steuere“ also meinen linken Arm an und frage nach „Leichtigkeit“. Die Antwort – in ihrer höflichsten Übersetzung – lautet „Geh weg!“ …
So wird das nichts. Ich disponiere um und ersetze herunter rinnenden Schleim durch aufsteigendes Wasser.
Das funktioniert!
Ich stelle mir vor, wie der Wasserspiegel steigt,meine Arme allmählich anhebt und schließlich meinen ganzen Körper trägt. Ich schwimme unheimlich gern und natürlich kann ich mit dem „toten Mann“ etwas anfangen!

Er seinerseits blättert in seinen Unterlagen. Ist dem langweilig???
Ich versuche, meine Gesichtszüge unter Kontrolle zu behalten, ruhig zu atmen und die Erfahrung unter „Hypnose unter erschwerten Bedingungen“ zu verbuchen.

Als ich gerade Wellenbewegungen „zuschalte“ und beginne, mich so richtig wohlzufühlen, bringt der Mann im weißen Kittel die Paraglider ins Rennen …
Die habe ich selbst als Symbol für „Leichtigkeit“ ausgewählt.
Allerdings liege ich gerade auf dem Rücken … das tun Paraglider nicht.
Ich wälze also das Bild meiner selbst mit der gebotenen Vorsicht herum und gleite nunmehr durch die Luft. Das klappt insofern ziemlich gut, als ich den Aussichtspunkt, von dem aus die Paraglider in der Realität starten, sehr gut kenne. Der Blick nach unten ist mir vertraut, auch wenn ich nie selbst geflogen bin.

Jetzt ist er um den Schreibtisch herum gegangen und tippt auf seiner Tastatur. Was denkt der sich eigentlich??? Gut, dass ich die Augen geschlossen habe – so sieht man nicht, wenn ich sie rolle.
Erstaunlich, dass ich trotz meiner Erbitterung immer noch schwebe!

Aber es ist doof, ein Gleitschirm zu sein! Auch wenn er grün ist …
Ich lade Aglaia ein, mitzufliegen.
Ihr Symbol ist der Rabe. Ganz sicher vermag das Schwarz ihrer Federn in Grün zu changieren!
Sie breitet ihre Schwingen aus und ich kann den Luftzug darunter spüren.
Ich kreise über dem Gipfel, dann steuere ich solche an, die schneebedeckt sind. Ich genieße die eisige Kälte!
Dann jedoch lasse ich mich zu Tal tragen, falte meine Schwingen.
Als der Mann im weißen Kittel mich ins „Hier und Jetzt“ zurückführt, bin ich längst dort angekommen.
Besser ist das: Mitten im Flug meine Füße auf dem Boden zu spüren, hätte mich vermutlich in Schwierigkeiten gebracht.

Erst auf dem Heimweg wird mir klar, dass ich diesmal keine Angst bekommen habe. Nicht einmal dann, als ich so tief in Trance war, dass ich meine Arme sanft davon abhalten musste, sich tatsächlich auszubreiten: Durch das Geraschel und Getippsel wusste ich die ganze Zeit, wo der Mann im Raum! ist und was er gerade tut.

Sonnenfinsternis

Bei unserer nächsten Begegnung führt der Mann im weißen Kittel mich erneut in meinen safe room und leitet dort einen Bodyscan an. Ich selbst nehme mir gewöhnlich mehr Zeit dafür, aber ich habe geübt: Mittlerweile produziere ich vermutlich schon Alphawellen, sowie ich mich aus der tatsächlichen Welt verabschiede.

Nun soll ich in mich hinein fühlen: Wo in meinem Körper fühle ich mich besonders wohl?
Das geht dich einen Sch****dreck an!“
Hoppla! Gut, dass ich das nicht laut gesagt habe …

Ich einige mich mit mir darauf, dass er von der Sonne in meinem Bauch, die ich während der Meditation dort verortet habe, wissen darf.
Ja, ich weiß, welche Form sie hat.
Und ja, auch, welche Farbe!
Als ich sie berühren soll, muss ich kurz nachdenken: Sonnen sind sehr sehr heiß!
Aber es ist meine Sonne – ich werde mich nicht verbrennen.

Alles weitere erinnert sehr an die Anleitungen der weisen Meditierenden: Ich lasse das Licht meiner Sonne den ganzen Körper durchströmen.
In einem sicheren Raum funktioniert das ungleich besser: Mein Körper entspannt sich, während er sich gleichzeitig aufrichtet. Ich beginne zu lächeln.

Bist du irre? Der Typ sitzt direkt neben dir und du bist völlig weggetreten!“
Laut teile ich mit, dass ich Angst bekomme.
Der Versuch, mich in meinen sicheren Raum zurückzuführen scheitert: Ich bin angespannt wie eine Bogensehne und bitte, die Hypnose zu beenden.
So viel self care immerhin ist mir möglich.

Der Mann im weißen Kittel erklärt mir, dass er da ist, um meine Sicherheit während der Hypnose zu gewährleisten.
Ich meinerseits versuche zu erklären, dass ich das im Kopf völlig klar habe, dass aber jemand durchaus anderer Meinung ist.
Keine Ahnung, ob er das nachvollziehen kann …
Auf mich wirkt er eher, als nehme er das persönlich.

Egal. Normalerweise übe ich ja allein.
Und zunächst klappt das sehr gut! Dann jedoch beginnt die Sonne in meinem Bauch sich zu verändern. Sie wird schwarz und es gelingt mir nicht, sie wieder leuchten zu lassen.
Zunächst fühle ich mich an eine Sonnenfinsternis erinnert und ich versuche, zumindest den Strahlenkranz leuchten zu lassen. Später allerdings kommt meine Sonne mir eher wie ein schwarzes Loch vor. Beides scheinen mir mächtige Symbole zu sein.

Ein schwarzes Loch saugt alle Energie in sich hinein … und Energie ist genau das, was mir fehlt!
Ob ich sie wohl entfesseln kann?
Ich beschließe, offen zu sein, zu experimentieren … kann ich anstelle von Licht auch Kraft durch meinen Körper strömen lassen?
Ich kann! Aber das Ergebnis ist nicht angenehm. Ich fühle mich unwohl und habe einige Mühe, in meinen safe room und von da aus in die Wirklichkeit zurückzufinden.

Ich bitte eine liebe Freundin um ihren Rat. Wir kennen einander aus meiner ersten Therapie – also sozusagen schon ewig – sie ist heute Psychologin und setzt ebenfalls Hypnose ein.

Sie rät mir, meinen sicheren Raum noch weiter abzusichern. Das hatte ich intuitiv schon recht gut gelöst, die Details aber „geschlabbert“ als mit der Suche nach einem „Wohlfühl-Bereich“ und dessen Ausdehnung eine weitere Aufgabe hinzukam.

Die Details eines solchen sicheren Raumes faszinieren mich sehr.
Die ursprüngliche Anleitung lautete „was ist rechts von mir, was geradeaus und was links?“, „was kann ich hören, was riechen?“.
Da mein sicherer Raum tatsächlich existiert und mir sehr vertraut ist, kann ich ihn ganz detailliert vor meinem inneren Auge erstehen lassen, aber nicht jedes Detail ist gleich wichtig und es kommen – so wie im Falle des zartgelben Kissens – auch solche hinzu, die eine wichtige Rolle spielen, ohne tatsächlich existent zu sein. Andere – wie ein Kruzifix in der Zimmerecke – sind zwar da, haben aber eine ungute Wirkung, weswegen ich sie lieber nicht anschaue.
Bunte Perlen in der Nähe des Fensters, die das Sonnenlicht einfangen, kann ich nutzen, um Licht in die Dunkelheit zu bringen, eine Patchwork-Decke hilft mir, meinen Körper zu fühlen. Von anderen Details weiß ich noch nicht, wie sie mir helfen können.

Klingt wie eine Mischung aus „Monkey island“ und „Der Herr der Ringe“.
Scheint aber zu funktionieren.

Trauma-Yoga

… ist eine Yoga-Praxis, die auf die Bedürfnisse traumatisierter Menschen abgestimmt wurde.
Das interessiert mich natürlich! Ich habe mich über Jahre außerordentlich wohlgefühlt mit meinen Übungen, hatte immer den Eindruck sie tun mir gut … bis sie mir plötzlich nicht mehr gut taten.
Die weise Yogini hat mir geraten, zu pausieren und stattdessen zu gehen – was ich auch tue.
Aber lieber noch möchte in meine Yoga-Praxis in einer Form wieder aufnehmen, die zu meiner derzeitigen Verfassung passt.

Obwohl es eigentlich nur die Übungen sind, die mich interessieren, schaffe ich es nicht, die Einleitung zu überspringen. Dabei weiß ich längst, wie Traumata sich auf den Körper auswirken und dass Yoga dabei hilft, diese zu bewältigen! Schließlich bin ich auf Trauma-Yoga überhaupt nur gekommen, weil ich „Verkörperter Schrecken“* gelesen habe!
Und so erfahre ich tatsächlich nicht viel Neues, aber ich werde ganz zappelig vor Widerwillen, muss immer wieder Pausen machen, weil mir das Atmen schwerfällt.
Irgendwann wird die Stimme laut und deutlich:
„Das ist etwas wirklich Schlimmes! Das hast du nicht! DU stellst Dich nur an!“

(„Verkörperter Schrecken“ habe ich – wie alles, was triggern könnte – auf dem Klo gelesen, also regelmäßig, aber immer nur sehr kurze Passagen. „Trauma-Yoga“ auf dem Sofa, weil ich begierig war, mit den Übungen anzufangen.)

Ich quäle mich weiter und erfahre, dass „normale“ Yoga-Kurse traumatisierte Menschen häufig komplett überfordern, weil schon die Anweisung, etwas zu tun, zu viel sein kann, unterstützend gemeinte Berührungen unerträglich sind und sie – sofern sie überhaupt so weit kommen – bei eher dynamischen Formen wie Vinyasa-Yoga „einfach“ dissoziieren.
„Prima“ denke ich mir „da war ich in meinem Hatha Yoga Kurs unter der einfühlsamen Leitung der weisen Yogini ja schon richtig gut aufgehoben!“
War ich auch! Abgesehen von der Klitzekleinigkeit, dass ich all die Jahre lang nicht bemerkt habe, welche Teile meiner Muskulatur sich dabei niemals auch nur andeutungsweise entspannt haben.
Ich wusste nicht einmal, dass die angespannt waren. Schlimmer noch: Ich muss andere Menschen fragen, wie das bei ihnen eigentlich ist, weil ich keine Ahnung habe, wie sich bestimmte Muskelpartien normalerweise anfühlen.
Es ist die weise Hebamme, die mich auf den Gedanken bringt, dass ich bei meinem bisherigen Training möglicherweise nicht immer dabei war.
Na toll.

Endlich zu den Übungen vorgedrungen, bin ich … erschüttert, tief enttäuscht.
Ich hatte mir großartige Erkenntnisse erhofft, aber was mir hier geboten wird, ist … minimalistisch.
Im Vergleich dazu ist das bisherige Hatha Yoga für Senior:innen Hochleistungssport!
Das ist kein Yoga! Das ist Pillepalle!“
Nun … ja.

Zunächst suche ich mein Heil darin, meine gewohnten Übungen um ein paar traumasensible Gimmicks zu erweitern, aber dann rufe ich mir in Erinnerung, dass ich bisher vermutlich dissoziiert habe und mir keinen Gefallen tue, wenn ich so weitermache.
Ich beschließe, einen Monat lang wirklich nur die Übungen aus dem Buch zu absolvieren.
Schadt ja nicht. Und dann guck ich, ob’s was genutzt hat.
Das fällt schwerer, als gedacht! Immer wieder habe ich die Idee, welche kleine Übung ich noch einbauen könnte. Oder ich könnte einmal pro Woche richtiges Yoga machen!
Dabei ist der Monat noch nicht einmal zur Hälfte vorbei …

Gleichzeitig empfinde ich die pillepalle Übungen als durchaus anstrengend – vermutlich, weil ich erst jetzt wirklich erforsche, was sie bewirken.
Ich lausche dem Knirschen, das entsteht, wenn ich meinen vornüber gebeugten Kopf vorsichtig hin und her rolle. Meine Schulterkreise holpern und rütteln auf eine Art und Weise, dass ich mich zu fragen beginne, ob es sich dabei wirklich um Kugelgelenke handeln kann. Am liebsten mag ich die Übung, bei der ich mich – mit gebeugten Knien wohlgemerkt! – einfach vornüber beuge: Die gehört für mich seit Jahren zur Trainingsroutine, aber jetzt erst geben meine Muskeln nach und ich bin völlig überrascht, wie anders sich das anfühlt.
Je weniger ich versuche, eine Übung „korrekt“ auszuführen, desto mehr kann ich mein Augenmerk darauf richten, was im „Rest“ meines Körpers passiert: Da entspannen sich plötzlich Muskeln, von denen ich nicht einmal wusste, dass ich sie habe!

Zum Teil hätte ich mir eine detailliertere Beschreibung der Übungen gewünscht; andererseits könnte ich mir vorstellen, dass Menschen, für die Yoga ein Wagnis ist, das sie erst einmal in Angriff nehmen müssen, von wortreichen Anleitungen eher abgeschreckt werden.
Außerdem – und das ist den Autor:innen außerordentlich wichtig – geht es nicht darum, die Übungen korrekt auszuführen, sondern Menschen zu ermutigen, mit ihnen zu experimentieren.
Für völlig Ungeübte allerdings wäre wenigstens ein Tip schön, wie sie aus der Rückenlage in die Sitzhaltung kommen, ohne sich weh zu tun.

Hin und wieder dauert es mich, dass das Bisschen mühsam aufgebauter Muskelkraft und Gelenkigkeit nun vermutlich wieder schwinden wird, aber als der Monat endlich überstanden ist und ich wieder richtig Yoga machen könnte, merke ich, dass ich beim Pillepalle bleiben mag.
Mehr noch: Ich mache mittlerweile Pausen zwischen den einzelnen Übungen und manchmal sogar zwischen einzelnen Übungsschritten: Weil ich zum Beispiel gemerkt habe, dass meine Schultermuskulatur zwischendurch zu „zappeln“ beginnt. Jetzt warte ich, bis das vorbei ist – früher wäre es mir gar nicht erst aufgefallen.
Klar: Wenn mich der Hafer sticht, mache ich all die schönen Übungen, die ich in den letzten Jahren erlernt habe! Aber ansonsten mag ich erst einmal in meinem Körper ankommen.

Der dritte und letzte Teil des Buches richtet sich an Therapeut:innen und Yoga-Lehrer:innen. Ich lese auch den: Weil es mir schwer fällt, Bücher beiseite zu legen, ohne sie zu Ende gelesen zu haben, aber auch, weil ich mir weitere hilfreiche Informationen erhoffe.
Und tatsächlich werde ich nicht enttäuscht.
Die Vorstellung, meine eigene Therapeutin, meine eigene Yoga-Lehrerin zu sein, hilft mir, zu tun, was mir ansonsten oft schwer fällt: Für mich zu sorgen.
Eine unangenehme oder schmerzhafte Übung einfach mal abzubrechen; nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, dass mir kalt oder zu warm wird, sondern etwas daran zu ändern – und zwar sofort und nicht erst, wenn ich eine Übungssequenz komplett absolviert habe. Pausen zu machen!

Für mich sind das keine Selbstverständlichkeiten.
Genau genommen war für mich nichts von dem, was ich bei der Lektüre von Trauma-Yoga für mich entdeckt habe, eine Selbstverständlichkeit.
Ich würde mir sehr wünschen, dass das Buch für andere Betroffene ebenso hilfreich ist!

* „Verkörperter Schrecken“, Bessel van der Kolk, ISBN 978-3-944476-13-1

Mein Freund der Baum

Als die weise Meditierende bei unserem vorerst letzten Treffen zur gemeinsamen Achtsamkeitspraxis ein Experiment vorschlägt, spüre ich, dass einige Angst bekommen, lasse mich aber darauf ein, weil ich andererseits auch neugierig bin und nichts verpassen möchte.
Aglaia ist sofort bei mir – sie wirkt alarmiert.

Aber es beginnt ganz harmlos: Wir sind eingeladen, uns einen Baum vorzustellen. Es kann ein Baum sein, den wir kennen, oder einer, den wir in unserer Phantasie erstehen lassen. Ich muss spontan an die große Steineiche denken, den schönsten Baum des Hofes. Andererseits sind dort die Hunde begraben … ob das eine gute Idee ist? Birken mag ich auch! Vielleicht lieber eine Birke?

Das Bild der Steineiche schiebt sich immer wieder in den Vordergrund. Nun denn … immerhin kann ich diesen Baum deutlich vor mir sehen.

Es ist eine kontemplative Übung, eine Betrachtung.
Wir beginnen damit, die Wurzeln des Baumes zu betrachten, die ihm Halt und Sicherheit geben, aus denen er seine Kraft zieht, und stellen uns die Frage, was unsere eigenen Wurzeln sind.
Unsere Familie vielleicht, oder die Kultur, in der wir aufgewachsen sind.
Über meine familiären Wurzeln möchte ich lieber nicht nachdenken, so viel ist sicher!
Kultur? Seit ich im Ausland lebe, weiß ich, dass ich sehr viel deutscher bin, als ich immer dachte – aber grad ist das auch keine Hilfe.
Steineichen wurzeln tief, denn der Boden, in welchem sie gedeihen, ist karg und trocken. Sonderlich nährend kommt mir das jetzt auch nicht vor.
Mir wird bewusst, dass Traumata den Betroffenen all das nehmen: Das Gefühl, verwurzelt zu sein und Halt zu finden. In Sicherheit zu sein. Kein Wunder, dass ich mit dem Bild nicht klarkomme!
Die Erkenntnis tut weh und Aglaia macht sich bemerkbar: Dunkelheit breitet sich aus und ich bekomme Schmerzen. Ich versichere ihr, dass ich vorsichtig sein werde.
Wenn ich keine Wurzeln habe, dann will ich mich jetzt und hier in diesem Boden verwurzeln, mich mit dem Stück Land verbinden, auf welchem ich im Laufe der letzten Jahre Halt und Sicherheit gefunden habe!

Der Stamm steht für unsere Fähigkeiten, unsere Ressourcen.
Schreiben! Schreiben, gar keine Frage, ist eine meiner wichtigsten Ressourcen! Kreativität überhaupt. Und ich habe Humor. Der hilft – auch wenn er zur Not schwarz ist.
Nun hat so eine alte Steineiche einen ziemlich mächtigen Stamm … vielleicht hätte ich mir lieber einen Schößling ausdenken sollen.

Die Äste sind unsere Visionen und Wünsche.
Die Blätter Menschen, die uns etwas bedeuten, oder bedeutet haben. Die wir, oder die uns geliebt haben.
Und die Früchte Geschenke, die wir erhalten oder gemacht haben.
Ach herrje … was das betrifft hätte ich ein Gewächs vom Format einer Wünschelrute gerade so eben bewältigt.
Dieser prachtvollen Baumkrone mit den silbrig schimmernden Blättern, die im Wind rauschen, aus der es Unmengen von Eicheln regnet, werde ich nicht im Ansatz gerecht.
Mein selbstgewähltes Eremitinnendasein kommt mir plötzlich verarmt und traurig vor.

Die Schmerzen werden immer heftiger und ich erwäge, die Übung abzubrechen.
Andererseits weiß ich aus der Yoga-Praxis, dass solche Abbrüche sehr irritierend wirken können – es ist sinnvoll, sich sowohl für den Ein- als auch für den Ausstieg Zeit zu nehmen.
Also beschließe ich, der Baum zu sein!
Meine Füße sind fest in diesem kargen Boden verwurzelt, meine Wurzeln erstrecken sich durch das ganze Gelände! Mein Stamm ist stark, meine Arme sind erhoben und meine Hände berühren den Himmel! Die Hunde schlafen zu meinen Füßen und ich umspanne den Hof und alle, die ihn bewohnen!

Dieser Kraftakt erschöpft mich ganz und gar und ich warte verzweifelt auf das Ende der Meditation.
Es kommt in Form der Metta-Sätze.
„Echt jetzt? Das AUCH noch?“
Das klingt nach „T“ und ihren despektierlichen Bemerkungen, aber ausnahmsweise verstehe ich sie. Ich kann nicht mehr!
Wir einigen uns darauf, mit halbem Ohr zuzuhören und uns einfach dem Ende der Veranstaltung entgegentreiben zu lassen.

Ich bin zutiefst dankbar für diese Erfahrung: Für die Erfahrung, dass es in der Achtsamkeitspraxis möglich ist, schmerzhafte und verstörende Empfindungen wahrzunehmen und anschließend weiterzugehen.
Wie erschöpft ich bin, merke ich, als ich kurz darauf versuche, eine Treppe hochzusteigen: Mir zittern die Knie.

Turbulenzen

Ich habe damit gerechnet, eines Tages während der Physiotherapie die Fassung zu verlieren, aber als es dann passiert, bin ich dennoch überrascht.
Es gibt da eine Blockade auf Höhe meines Zwerchfelles, die mich daran hindert, frei zu atmen.
Ich glaube, dass der Mann mit den heilenden Händen das schon seit langer Zeit weiß, aber jetzt sieht er offenbar den Moment gekommen, diese zu lösen.
Und es hätte vielleicht auch funktioniert, wenn ich ihn einfach nur hätte machen lassen müssen: Ich kann allen, die das ängstigt, beruhigend zureden und wenn es ganz arg wird, selbst einen Schritt beiseite treten.
Aber ich soll gegen seine Hände einatmen, die auf Brustbein und Bauch liegen, beim Ausatmen ihrem Druck folgen! Ich soll konzentriert dabei sein. Das kann ich nicht!

Die Tränen laufen, ich beginne, nach Luft zu schnappen.
Ich weiß, dass er mir zu helfen versucht, aber das GEHT NICHT!
Ich versuche, mich zu fügen. Ich vertraue ihm, er weiß, was er tut.
Und frage mich im nächsten Moment, was ich hier eigentlich tue: Ich will das nicht!
Ich verfluche meine mangelnden Französischkenntnisse.
Immerhin gelingt es mir, mitzuteilen, dass mir lieber wäre, wenn er sich mit meinen Schultern beschäftigt.

Das tut er und er bleibt freundlich, gelassen und liebevoll. Aber er erklärt mir auch, dass es wichtig ist, diese Blockade zu lösen, und wir es weiter versuchen sollten. Damit hat er sicher Recht.
Dass die weise Yogini jahrelang vergeblich versucht hat, mir die Atemübungen des Pranayama schmackhaft zu machen, die Körper und Geist zusammenführen sollen, kann er ja nicht wissen. Nicht, dass ich mich nicht bemüht hätte, aber es war und blieb eine einzige Quälerei.
Vielleicht funktioniert es so herum – über die Einwirkung auf den Körper – besser, aber ich weiß nicht, wovor ich mehr Angst haben soll: Vor seinen Bemühungen, oder vor deren Gelingen …

Bei der Achtsamkeitspraxis leitet die weise Meditierende eine Mettā -Meditation an, bei der es um gute Wünsche für sich selbst, aber auch für andere geht.
Die mag ich sehr, deshalb lade ich zu Beginn alle ein, mir dabei Gesellschaft zu leisten.

Aglaia (Aglaia, Achtsamkeit mit Hindern … Aglaia) ist sofort da: links von mir wird es schwarz und ich spüre ihr Gewicht auf meiner Schulter. Ich bin mir nicht sicher, ob sie die Achtsamkeitsübungen mag, oder gekommen ist, um aufzupassen. Vielleicht auch beides.
Zunächst sprechen wir die guten Wünsche für uns selbst aus „Möge ich glücklich und zufrieden sein“ zum Beispiel. Die Vorstellung, glücklich und zufrieden sein zu dürfen, bringt jemanden völlig aus der Fassung: Ich beginne zu weinen. Eine Weile lasse ich einfach die Tränen laufen, dann macht Aglaia sich bemerkbar und obwohl ich bequem liege beginnt mein Nacken zu schmerzen. Links … natürlich …
Das ist, soweit ich sagen kann, eine ihrer Aufgaben: Wenn es zu beängstigend, zu schmerzlich wird, bekämpft sie Feuer mit Feuer und sorgt für körperliche Schmerzen, die mich wirkungsvoll ins Hier und Jetzt zurückholen. Wenn ich genug gesehen habe, ist sie es, die „das Licht ausmacht“.
Aglaia ist eine Beschützerin. Darüber hinaus weiß ich nicht viel über sie.

Die guten Wünsche für einen nahestehenden Menschen richte ich an eine liebe Freundin, der ich von Herzen wünsche, dass sie leicht und unbeschwert durchs Leben gehen, gesund sein möge.

Als nächstes bin ich eingeladen, meine Gedanken auf einen Menschen zu richten, der gerade eine schwere Zeit durchlebt. Als ich das versuche, meldet sich eine leise, aber penetrant sarkastische Stimme, die all das für großen Blödsinn hält. Das klingt nach T.
„T.“ steht zwar für „Täter:innen-Introjekt“, aber tatsächlich bin ich mir nicht sicher, wer oder was sie ist. Sie ist eine Stimme, die ich manchmal laut hören kann. T. steht für Härte gegen sich selbst, findet die Rücksichtnahme auf eigene Bedürfnisse schlicht albern und ist generell der Ansicht, dass ich mich „einfach nur anstelle“. Einmal habe ich in einer Meditation jemanden gesehen, der T. gewesen sein könnte, oder jedenfalls die selben Ansichten vertrat: Alles Blödsinn!
Ich versuche, meinen Blickwinkel zu ändern: Auch T. möchte glücklich und zufrieden sein, sich geborgen fühlen, leicht und unbeschwert durchs Leben gehen, gesund sein!
Das verblüfft sie so sehr, dass sie schweigt.

Zum Ende der Achtsamkeitspraxis suche ich einen Ort auf, an dem ich mich sicher fühle, mich erholen kann. Den safe room aus der Hypnose möchte ich nicht nutzen, also stelle ich mir die Terrasse vor, auf der ich bei gutem Wetter Yoga mache. Ruckzuck liegt der Kater laut schnurrend neben meiner rechten Schulter. Der Hund lässt sich zu meiner Linken nieder. Es ist Major, unser Herdenschutzhund. Oskar, mein verstorbener Seelenhund, findet seinen Platz an meinem rechten Bein. Er schläft tief und fest. Seine Präsenz ist so weiß, wie Aglaias schwarz ist.

Wir sind eingeladen, uns an eine schwierige (nicht zu schwierige) Situation zu erinnern, um sie (und uns selbst) gelassen und ohne Wertung zu betrachten. Dann fragen wir uns, was wir in diesem Moment gebraucht, was wir uns gewünscht hätten.

Ich denke an meine Panikattacke bei der Physiotherapie, komme dann aber nicht recht weiter. Was hätte ich gebraucht? Was hätte geholfen?

Und sehe eine Frau. Sie nähert sich von links, hat in etwa mein Alter, gehört aber einer anderen Generation an: Ihre Haare sind ordentlich gelegt. Kräftig sieht sie aus,resolut, zupackend. Und sie streckt jemandem die Zunge heraus! Die freche Frau trägt eine orchideenfarbene, metallisch funkelnde Steppjacke. Ihr folgen weitere Frauen, die ähnlich gekleidet sind: Es wirkt, als würde sie eine Demonstration anführen.

„Genug gesehen!“ findet Aglaia und breitet eine schwarze Schwinge aus.

Aber ich kann das Funkeln weiterhin sehen: Es legt sich wie eine Decke über mich.

Selbstversuche

In meinen Zwanzigern habe ich einmal, in einer Art Varieté-Zelt, dem Auftritt eines Hypnotiseurs beigewohnt. Ich habe mich sogar gemeldet, als Freiwillige für die Bühne gesucht wurden!
Heute erinnere ich mich nur noch, dass ich, als er „Ihre Arme werden ganz leicht!“ gesagt hat, dachte „Is klar! Jetzt heben wir alle die Arme hoch …“ und einigermaßen befremdet war, als meine Arme tatsächlich in die Höhe strebten.
Beim „in den Pfirsich beißen“ allerdings bin ich rausgeflogen: Unverkennbar handelte es sich bei dem „Pfirsich“ um eine Zitrone!
So wurden nach und nach die Kandidat:innen aussortiert bis nur noch eine einzige Frau übrigblieb, die – und das hat mich damals schon beeindruckt! – schließlich auf zwei Stühlen lag, die Schultern auf dem einen, die Unterschenkel auf dem anderen, während der Hypnotiseur mit Anlauf auf ihren Bauch sprang. Sie verzog keine Miene, lag da wie ein Brett

Als ich mich um einen Hypnose-Termin in der Schmerzabteilung der Universitätsklinik bemühe, ist mir bewusst, dass mich jetzt garantiert kein Bühnenzauber erwartet, aber ein bisschen ängstlich bin ich schon! Was, wenn ich in der Hypnose die peinlichsten Geschichten meines Lebens erzähle? Oder irgendetwas Hochnotpeinliches tue?
Der Arzt (immer dran denken: er ist Arzt, kein Entertainer!) beruhigt mich: Nicht er wird mich hypnotisieren, sondern ich werde das selbst tun. Er wird mir nur dabei helfen, das zu lernen!
So weit verstehe ich ihn, aber dann gerate ich ins Schwimmen:
Entgegen meiner Hoffnung spricht er ausschließlich Französisch und ich habe ihm gesagt, dass ich ihm folgen könne sofern er langsam spräche.
Nun … wenn das langsam ist, möchte ich schnell nicht erleben …

Es passiert mir nicht zum ersten Mal, dass mir in besagter Klinik versichert wird: Doch, doch! Keine Sorge! Die Spezialist:innen sprächen Deutsch oder zumindest Englisch!
Beim ersten Mal hab ich das tatsächlich geglaubt.
Da bin ich auf Alzheimer getestet worden. Wer den Test kennt, weiß, dass es dabei unter anderem darum geht, sich Wörter zu merken und Gegenstände und Zusammenhänge korrekt benennen zu können. Natürlich weiß ich, wie das Tier mit dem Horn auf der Nase heißt! Nur nicht auf Französisch … Und klar: Was eine Armbanduhr und ein Lineal gemeinsam haben, ist das Messen von Einheiten! Sofern bekannt ist, was „Armbanduhr“, „Lineal“ und „messen“ auf Französisch heißt … Wir gestikulieren was das Zeug hält! Ich fokussiere mich auf den Umstand, dass die schiere Absurdität der Situation durchaus einen gewissen Unterhaltungswert hat, bin anschließend aber so erschöpft, dass ich kaum noch gehen kann.
Die gute Nachricht: Alzheimer habe ich nicht. Und ich sei gut organisiert, heißt es. Immerhin!

Beim zweiten Termin zeigt sich, dass ich die Aufgaben, die ich bis dahin hätte erledigen sollen, nicht vollständig verstanden habe. Also wird mir ein weiteres Mal – diesmal sehr langsam – erklärt, was ich tun soll.
Und: Zu meiner großen Erleichterung spricht der Arzt dann doch ein bisschen Englisch!

Heute lerne ich stattdessen, mir einen sicheren Raum vorzustellen.
Das kenne ich schon und habe, da der betreffende Raum tatsächlich existiert und ich ihn sehr gut kenne, keinerlei Schwierigkeiten, ihn vor meinem inneren Auge erstehen zu lassen. Und natürlich weiß ich, welche Geräusche ich höre und wie es dort riecht!
Neu ist, dass es explizit mein Körper sein soll, der dort in Sicherheit ist. Der Arzt führt mich durch eine Art Bodyscan (siehe: Wellness mit Schattenseiten) in meinem safe room.
Ich habe kein Problem, ihm zu folgen, merke aber bei dieser Gelegenheit, wie schwer es mir fällt, die Augen tatsächlich fest zu schließen. Ein winziger Spalt bleibt immer offen … nur für den Fall.
Und ich finde es extrem gruselig, mit geschlossenen Augen neben einem fremden Mann zu sitzen, der mir zuflüstert, wie sicher mein Körper gerade ist!
Das ist insofern nicht so schlimm, als ich ab jetzt alleine üben soll: jeden Tag 10 Minuten.


Zunächst kommt es hin und wieder vor, dass dabei plötzlich alles schwarz wird. Da ich diese Schwärze schon aus der Meditation kenne, macht sie mir keine Angst – aber ich weiß nicht recht, was ich tun soll: Hineinsehen und gucken, was passiert? Oder mich weiter auf meinen sicheren Raum konzentrieren?
Ich entscheide mich für Letzteres, aber es gelingt mir nicht, das „Licht wieder einzuschalten“.
Am Ende der Hypnose soll ich ein Geschenk aus meinem sicheren Raum mitnehmen und sorgsam verwahren. Ich stelle mir mein Vertiko vor (ein Familienerbstück), in welchem eine Holzschatulle mit Schnitzereien steht, die meiner Mutter gehört hat. Dort verstaue ich mein Geschenk.
Bei einer Gelegenheit ist das Vertiko mit Schwärze angefüllt und die Schatulle ist voll von etwas, das ich ganz sicher nicht sehen möchte. Es sieht aus wie Blut.
Ich werfe mein Geschenk hinein und schließe eilig die Tür.
Ein anderes Mal springt mich etwas an, als ich das Vertiko öffne.
Ich werde mir einen anderen Aufbewahrungsort suchen müssen – offenbar haben Familienerbstücke so ihre Tücken …

Der Arzt hat mir gesagt, dass es nicht jeden Tag gleich gut klappen wird.
Aber mit zunehmender Übung merke ich, dass ich mich mehr und mehr entspanne, kurz davor bin, einzuschlafen.
Gleichzeitig habe ich den Eindruck, dass ich weniger dazu neige meinen Kopf ein- und die Schultern hochzuziehen. Das tue ich sonst sogar im Schlaf: Mein Kopf ruht nie ganz entspannt auf dem Kissen, ein Ohr ist immer gespitzt, so, als könnte ich jeden Moment angegriffen werden. Kein Wunder, dass ich Verspannungen habe! Die schmerzen, hab ich mal gehört, am meisten, wenn sie sich lösen. Kommt mir auch so vor!
Und selbst als die Schmerzen allmählich nachlassen fühle ich mich immer noch, als hätte ich mich körperlich völlig verausgabt.
Dennoch: Ich genieße das Gefühl, mit dem mein Kopf ganz schwer in ein Kissen sinkt!
In meinem safe room ist es (warum auch immer) zartgelb und herrlich weich. Ich nutze die täglichen 10 Minuten, um meinen Kopf wieder und wieder hineinsinken zu lassen, den Nacken zu strecken und die Schultern zu entspannen.
Mein Körper ist hier sicher!

Volles Programm

Der Frühling hat es in sich!

Die weise Hebamme unterstützt mich weiter darin, meine Träume zu interpretieren (siehe: Traumfrau), und es ist nicht ungewöhnlich, dass eine solche Sitzung drei Tage dauert. Jedenfalls für mich: Am Vortag übersetze ich Träume und/oder Überlegungen dazu ins Französische und bekomme erste Angstsymptome. Am Tag X selbst bin ich vor dem Termin aufgeregt bis panisch und danach fix und fertig: Dann muss ich erst einmal ins Bett. Am Tag darauf fühle ich mich, als hätte ich eine Mischung aus Ironwoman und Everest-Besteigung hinter mir.

Die Weise Meditierende (siehe: Drei weise Frauen) bietet einen weiteren Workshop an und ich stelle fest, dass ich diesmal, obwohl der Inhalt sich nicht allzu sehr verändert hat, die Meditation ganz anders erlebe, ganz neue Erkenntnisse daraus ziehe. Überflüssig zu erwähnen, dass ich am Tag nach dem mehrstündigen Auftakt, das Bett gehütet habe …

Meine Yoga-Praxis habe ich, nach einer Phase, in welcher sie mir nicht gut getan hat, auf traumasensibles Yoga umgestellt. Damit bin ich sehr zufrieden!
Obwohl ich seit über sechs Jahren mehr oder weniger stets die selben Übungen gemacht und sie immer als wohltuend und entspannend empfunden hatte, habe ich mich in der letzten Zeit gefühlt, als sei mein Körper anschließend sehr aufgeregt, als stünde ich unter Strom. Angenehm war das nicht!
Die traumasensiblen Übungen sind noch kleinteiliger als die, die ich bisher kannte, wirken wie Vorbereitungen auf das, was mir eh schon wie Yoga für Alte und Gebrechliche vorgekommen war. Und sie tun mir gut!
Die Lektüre des entsprechenden Buches allerdings hat mich an meine Grenzen gebracht – dazu ein andermal mehr.

Last not least lerne ich, mich selbst zu hypnotisieren!
Es war – und damit schließt sich sozusagen der Kreis – die weise Hebamme, die mir den Tip gegeben hat, dass die Schmerzabteilung der nächstgelegenen Universitätsklinik Hypnose anbietet.
An dieser Stelle kann ich – trotz aller Bemühungen um eine positive Weltsicht – ein gewisses Maß an Frust und Verbitterung nicht leugnen: Dass ich unter chronischen Schmerzen leide, ist durchaus keine Neuigkeit und ich hatte in besagter Klinik schon mehr als einen Termin!
Warum um alles in der Welt hat mich vorher niemand an diese Abteilung verwiesen?
Aber sei’s drum: Jetzt jedenfalls habe ich den Fuß in der Tür!

Bleibt nur noch, meine diversen Termine so zu koordinieren, dass ich mich vom letzten halbwegs erholen kann, bevor ich Angst vor dem nächsten bekomme …

gereizt!

Als ich meine allerersten Hitzewallungen hatte, dachte ich „Aha! Die Wechseljahre!“.
Und habe amüsiert vermerkt, wie oft ich morgens im T-Shirt aus dem Haus gestürmt bin, um ein bis zwei Stunden später zu realisieren, dass ich für Temperaturen nahe null Grad nicht passend angezogen war.


In diesen Phasen habe ich mir abends zwei bis drei frische T-Shirts neben’s Bett gelegt, um ein nassgeschwitztes ohne großen Aufwand austauschen zu können. Das schien mir damals am schwierigsten: Aus der Feststellung „mir ist kalt!“ im Halbschlaf die richtigen Schlüsse zu ziehen – „ich bin klatschnass!“ – und dann auch noch das Richtige zu tun: „umziehen!“.
Weiter habe ich mir über das Phänomen keine Gedanken gemacht.

Meine „Wechseljahre“ kamen und gingen.
Die finale Bestätigung, das endgültige Ausbleiben der Menstruation, konnte ich nicht zu Rate ziehen: Seit meine Gebärmutter wegen schwerer Endometriose entfernt wurde, blute ich nicht mehr.
Und unter uns: Ich habe jahrzehntelang versucht, meinen Körper mit all seinen Funktionen anzunehmen, Mein Frau-Sein zu akzeptieren!
Die Entfernung meiner Gebärmutter hatte – wegen Zysten und Myomen – schon lange zur Debatte gestanden. Ich hab das – auch ohne ausgeprägten Kinderwunsch – immer abgelehnt.
Meine Gebärmutter war schließlich ein Teil von mir! Mein Zyklus war Teil meines Lebens!
Trotzdem ist mir der Abschied letztendlich leicht gefallen: Aus dem „gebärfähigen Alter“ war ich deutlich raus, ich hatte alles getan, mich mit meiner „Weiblichkeit“ zu arrangieren …
Es war okay, ab jetzt getrennte Wege zu gehen!
Und so habe ich Abschied genommen: Meiner Gebärmutter erklärt, dass ich sie sehr zu schätzen gewusst, mich aufrichtig bemüht habe, mit ihr und ihren Funktionen zu leben, dass es nun aber an der Zeit sei, sich zu trennen.
Und tatsächlich: Ich habe diesen Aspekt meines Frau-Seins keine Sekunde lang vermisst!

Aber ich benötige nun Blutuntersuchungen, um zu wissen, ob „es“ soweit ist.
Der aktuelle Stand: Mein Körper, der in so vieler Hinsicht nicht so funktioniert, wie er soll, kriegt das immer noch hin!
Der letzte Scan meines Unterleibes zeigt einen Eisprung.
Dennoch: Es wird passieren!
Und mir ist durchaus bewusst, wie erschreckend wenig ich über diesen Lebensabschnitt weiß.

Hitzewallungen, ja. Depressionen auch – aber warum eigentlich?
Ich habe keine Lust, mich damit zu beschäftigen, merke aber auf, als ich über „die gereizte Frau“ stolpere.
Ein Buch, welches mir nicht dabei helfen möchte, diesen Lebensabschnitt zu ertragen, sondern mich ermutigt, gereizt zu sein. Definitiv: Mein’s!

Gereizt zu sein, gehört nämlich ohne Wenn und Aber ebenfalls zur Perimenopause dazu, der Übergangszeit zwischen … ja, was eigentlich? Fruchtbarkeit und … was?
Definiert Weiblichkeit sich über Fruchtbarkeit und der Vorstellung jugendlicher Schönheit?
Und wenn nicht … worüber dann?

Ich erfahre, dass viele Symptome, die ich bisher meiner Erkrankung zugeordnet habe, auch dem Umstand geschuldet sein können, dass ich „in den Wechseljahren“ bin. Und, dass der Ausdruck Wechseljahre tatsächlich bedeuten kann, dass die Symptome 10 bis 15 Jahre lang andauern.
Bei mit passt alles: Was ich erlebe, könnten Begleiterscheinungen der Perimenopause sein, Symptome meiner chronischen Erkrankung, oder aber Nebenwirkungen der Medikamente, die ich nehme. Oder alles zusammen.
So weit, so nice … aber warum hat mir das nie jemand gesagt?
Konkrete Tips kann ich dem Buch daher nicht entnehmen: Zu viele Unbekannte.
Aber ich habe einen Riesenspaß beim Lesen!

Miriam Stein schreibt nicht einfach einen Ratgeber, sie erzählt, wie sie selbst die „Wechseljahre“ erlebt. Und sie tut das mit einem Ausmaß an Selbstironie und Humor, dass ich mich stellenweise vor Vergnügen nass machen möchte. Apropos Inkontinenz …
Ansonsten listet sie auf, was alles Frauen tun können, um diesen Lebensabschnitt nicht einfach zu ertragen, sondern zu gestalten.
Manches davon befremdet mich.
Ich habe „vulvovaginale Atrophie“ so lange langsam auszusprechen geübt, bis es mir halbwegs geschmeidig über die Lippen kommt. Aber ich glaube nicht, dass ich mir in diesem Leben die Vagina werde lasern lassen. Gleiches gilt für Facelifting und Fettabsaugung.
Und warum um alles in der Welt hätte ich meine Eizellen einfrieren lassen sollen, um wirklich jederzeit schwanger werden zu können? Jederzeit schwanger werden zu können war schlimm genug, als es noch ohne technologische Unterstützung möglich war …
Die Hitzewallungen – erwähnte ich die Hitzewallungen? – könnte ich durchaus missen, aber ansonsten bin ich bereit, einfach alt zu werden – mit allem was dazugehört.

Die Autorin selbst ist „gut situiert“, erfolgreich im Beruf.
Ich rechne ihr an, dass sie gelegentlich anmerkt, arme Frauen, Frauen in armen Ländern, hätten zu dem Großteil der Möglichkeiten, die sie beschreibt, keinen Zugang.
Dennoch möchte ich ihr hin und wieder zurufen „Gute Frau, in dieser Situation sind Klimakteriumsbeschwerden wirklich das kleinste aller Probleme!“.
Aber gut: Sie erzählt ihre Geschichte. Und sie listet auf, was geht. Wenn es denn geht.
Nicht ihre Schuld, dass meine Welt(sicht) eine ganz andere ist.

Gegen Ende des Buches sammelt Miriam Stein mich denn auch wieder ein:
Sie guckt auf ganz andere Weise über den Tellerrand, als ich das erwartet hätte, und erzählt zum Beispiel von Sheela- na-gig, einer Figur, die sich an den Fassaden mittelalterlicher Kirchen in Großbritannien und Irland findet. Die kleine, haarlose (gealterte?) Frau präsentiert ihre weit geöffnete Vulva und gilt heute als Schutzheilige irischer Feministinnen. Sie könnte eine kulturelle Bedeutung der Vulva transportieren, die nichts mit Sex oder Fruchtbarkeit zu tun hat, sondern – ähnlich wie der Phallus – eine Machtposition symbolisiert.
Weiter richtet sie ihren Blick nach Asien und berichtet von einem buddhistischen Ritual, welches Frauen den Übergang in die Menopause erleichtern soll, und sie gleichzeitig in der religiösen Gesellschaftsordnung aufsteigen lässt. Sie werden in die Schwesternschaft „Peng“ aufgenommen, deren Angehörige tief miteinander verbunden sind, sich austauschen und in der Gemeinschaft Halt finden.

Miriam Stein nimmt Sheela-na-gig und die Schwesternschaft Peng zum Anlass, eine feministische Utopie zu skizzieren, eine ganz eigene Vorstellung davon, wie eine Welt aussehen könnte, in der Frauen heranreifen, statt lediglich zu altern. In der sie in Verbindung gehen und sich ihrer Kraft bewusst werden.

Das klingt nach Aufbruch. Meins!

Traumfrau

Die weise Hebamme aka Psychotherapeutin im Nachbarort hat mir vorgeschlagen, über meine Träume zu sprechen.
Zwar glaube ich durchaus, dass manche unserer Träume uns etwas sagen wollen, und ich schreibe sie schon seit vielen Jahren auf, aber jetzt bin ich skeptisch.
Traumdeutung? Ich weiß ja nicht …
Andererseits: Warum nicht? Ein Versuch kann ja nicht schaden!

Ich übersetze einen meiner Träume, der mir interessant erscheint, ins Französische und drucke den Text aus. Um meinen Traum zu erzählen, müsste ich nicht nur die neuen Vokabeln pauken, sondern mir auch diverse grammatische Verwicklungen merken. Ich müsste den Text quasi auswendig lernen.
So geht es schneller.

Das Gespräch führen wir nach wie vor hauptsächlich auf Englisch. Das ist mühsam, weil wir dann beide nicht unsere Muttersprache nutzen und immer wieder durch Rückfragen klären müssen, ob wir einander richtig verstanden haben. Aber ich bin schon froh, dass wir überhaupt eine gemeinsame Sprache sprechen!

Der weitere Verlauf ist völlig anders, als ich mir das vorgestellt hatte.
Ich hatte irgendetwas in Richtung „Wenn Sie von einem weißen Pferd träumen, dann bedeutet das, dass sie ein problematisches Verhältnis zu ihrem Vater haben!“ erwartet; in etwa das, was in Zeitschriften gleich links von den Horoskopen zu lesen ist.
Unterdessen beschämt mich mein mangelndes Zutrauen in ihre Fähigkeiten.

Wir gehen den Traum ganz langsam, Schritt für Schritt durch und sie stellt mir Fragen dazu:
Erkenne ich Personen oder Orte wieder? Kann ich sie beschreiben? Habe ich eine solche Situation schon einmal erlebt? Was fällt mir ein, wenn ich an ein bestimmtes Detail denke?
Es ist sozusagen freies Assoziieren entlang des roten Fadens meines Traumes und ich bin überrascht, wie viele Erinnerungen dabei auftauchen.

Je intensiver ich mich mit meinen Träumen beschäftige, desto detaillierter wird meine Erinnerung daran. Dass ich sich wiederholende Träume habe, weiß ich schon lange, aber erst jetzt fällt mir auf, wie viele Details immer wieder auftauchen. Gleichzeitig beobachte ich, dass die regelmäßig wiederkehrenden Träume jetzt andere Verläufe nehmen – ganz so, als würde mein Handlungsspielraum sich vergrößern.

Unsere Gespräche über diesen Traum, die sich über mehrere Sitzungen hinziehen, sind eher unterhaltsam, als schmerzlich. Oft muss ich selbst im Englischen Hände und Füße zur Hilfe nehmen, um mich verständlich zu machen. Wir lachen viel.
Ich mag die weise Hebamme gut leiden und fühle mich sicher bei ihr.
Dennoch bekomme ich mit der Zeit mehr und mehr Angst vor unseren Treffen.

Bei einem der letzten Termine schaffe ich es gerade so eben, Contenance zu wahren, solange ich im Wartebereich sitze. Kaum schließt sich die Tür hinter mir, bekomme ich eine der heftigsten Panikattacken meines Lebens.
Sie rät mir, loszulassen, der Attacke ihren Lauf zu lassen.
Und ich antworte „Wenn ich das tue, bricht alles auseinander. Dann werde ich verschwinden.“

Nach meinen Treffen mit der weisen Hebamme suche ich stets einen weisen Mann auf: Es ist der Physiotherapeut, dessen Behandlungsräume gleich neben ihrem liegen.
Ich kenne ihn schon seit einigen Jahren. Er spricht ausschließlich Französisch, ist aber in der Lage, meine Beschwerden mit seinen Händen zu orten, selbst wenn ich sie nicht beschreiben, sondern nur mit dem Finger dahin deuten kann, wo es wehtut.
Er ist „eingeweiht“: Er weiß, dass ich gerade aus der Psychotherapie komme und unter Umständen in schlechter Verfassung bin.

Manchmal „berührt“ er das Trauma in meinem Körper, dann bekomme ich Angst, mir wird übel, oder ich beginne zu dissoziieren. Die weise Hebamme hat ihm erklärt, dass das passieren kann.
In solchen Momenten rede ich mir selbst gut zu: Dass wir diesen Mann schon lange kennen. Dass er weiß, was er tut, und wir ihm vertrauen können. Das hilft.

An diesem Tag bitte ich ihn, einfach irgendetwas zu tun, damit ich ruhiger werde.
Er hilft mir, entspannt und tief zu atmen.
An besseren Tagen übt er während der Behandlung Französisch mit mir.

Überflüssig zu erwähnen, dass ich nicht mehr selbst Auto fahre: Ich muss mich fahren lassen.

Über die Zeit lässt die Angst vor den Therapiesitzungen nach und ich sehe meinem nächsten Termin geradewegs gelassen entgegen.
Abgesehen davon allerdings, dass es mir gelingt, mich so geschickt im der genauen Uhrzeit zu irren, dass es mir um ein Haar gelungen wäre, nur zur Physiotherapie zu müssen.

Eine halbe Stunde immerhin haben wir noch!
Die weise Hebamme beginnt, mir ihre Interpretation meines Traumes zu schildern.
Dann geht alles ganz schnell: Tränenausbruch, Schnappatmung, der Tinnitus kreischt in meinen Ohren, so dass ich sie kaum noch hören kann. Ich bekomme einen Tunnelblick, an den Seiten wird es schwarz. Und ich spüre, wie ich neben meinen Körper trete. Ungefähr so, als sei ich mein eigenes Lenorgewissen, allerdings habe ich Sorge, dabei vom Stuhl zu fallen.

„Loslassen“ kann ich das nicht, aber ich bemühe mich, nicht die Luft anzuhalten, sondern wenigstens in Bruchstücken rauszuquetschen, was mir passiert.

Mir kommen in diesem Moment keine Erinnerungen ins Bewusstsein, es überwältigen mich keine Emotionen … ich bin nur Körper. Und – als die Attacke abklingt – absolut ratlos.
Ich begreife überhaupt nicht, was mir da passiert ist!

Traumata vererben sich über mehrere Generationen.
An vieles habe ich keine Erinnerung, aber sie steckt in meinem Körper.
Insofern scheint es mir folgerichtig, dass die „Aufarbeitung“ ebenfalls in meinem Körper vonstatten geht.
Danach fühle ich mich sehr ruhig. Und ich bin unglaublich müde.
So müde, dass ich auf der Liege des Physiotherapeuten beinahe einschlafe.

Das, was wir bis zu diesem Moment besprochen haben, war übrigens lediglich der Beginn eines langen, detailreichen Traumes.
Der Beginn einer Mischung aus Geister- und Achterbahnfahrt.