Übungssache

Es heiße Achtsamkeitsübung, habe ich mir gemerkt, weil ich Achtsamkeit üben soll. Regelmäßig und unverzagt – von „Hinkriegen“ war nie die Rede …

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Ein Bloggerkollege beschreibt sehr schön, dass sein Atem jedes Mal, wenn er diesen beobachten will, ganz tief und gleichmäßig wird – weil er es einfach nicht hinkriegt, zu beobachten ohne zu kontrollieren.
Geht mir genauso.
Es sei denn, ich soll mich eigentlich auf mein linkes Knie konzentrieren – dann bemerke ich gelegentlich, dass mein Atem viel leichter und flacher geht. Und versuche, meine Aufmerksamkeit gelassen und freundlich auf mein Knie zurückzulenken.
Seit der Bodyscan allmählich zur Routine wird, scheint mein Körper eine Art vorauseilenden Gehorsams zu entwickeln: Ich versuche, mich darauf zu konzentrieren, wie ich daliege und *fump* werden meine Gliedmaßen schwer. Sekunden später registriert (obwohl „konzentrieren Sie sich auf ihren Atem“ noch gar nicht dran ist) mein linkes Nasenloch kühlen Luftzug. Fast zeitgleich beginnt mein linker Ballen durch eifriges Kribbeln zu „melden“.
Ich übe mich in Nachsicht und tue mein Bestes, der Routine zu folgen.

Mein Körper dagegen scheint regelmäßig andere Pläne zu haben …
Noch bevor ich selber recht bemerke, dass meine Stimmung instabil ist, stelle ich fest, dass diverse Körperteile sich via Kribbeln, Ziehen, Druck oder auch Schmerz bemerkbar machen, bevor ich eine Chance habe, meine Aufmerksamkeit auf sie zu richten.
Wenn Schultern und Nacken sich verkrampfen und regelrecht von der Matratze abzuheben scheinen, obwohl ich doch weiß, dass ich entspannt auf dem Rücken liege, darf ich davon ausgehen, dass ich einen schwierigen Tag vor mir habe.
Es fühlt sich an, als würden Teile meines Körpers an manchen Tagen nach Aufmerksamkeit schreien und nicht warten können, bis sie nach den Spielregeln des Bodyscans „dran“ sind.
Ulkigerweise hat das nichts mit tatsächlichen körperlichen Beschwerden zu tun.
Lange bevor ich morgens wach genug für einen Bodyscan bin, vollzieht sich ein „Check“ anderer Art: Ich bin nicht mehr die Jüngste und meine Wirbelsäule ist ziemlich im Eimer. Kann ich also den Kopf bewegen? Sind die Hände taub? Schmerzen die Ellbogen? Krämpfe irgendwo? Wo tut es heute am wehesten?
Man sollte meinen, dass eine konzentrierte und kleinteilige Betrachtung noch weit mehr Baustellen und Wehwehchen zutage fördert. Tatsächlich wird – zumindest was mich betrifft – umgekehrt ein Schuh daraus.

Schmerzen, die ich vorher durchaus habe, machen sich während des Bodyscans gar nicht und anschließend weniger bemerkbar. Als sei es nur darum gegangen, meine Aufmerksamkeit zu bekommen …

Ein wenig enttäuschend, vor allem aber lästig finde ich den Umstand, dass, seit meine Gedanken nicht mehr damit befasst sind, den Ablauf der Übung zu rekapitulieren, diese munter Bocksprünge vollführen.
Es sei ganz normal, dass immer mal wieder Gedanken oder auch Tagträume aufkämen, das habe ich verstanden. Momentan kommt es mir allerdings vor, als sei in meinem (Unter)bewußtsein ein verrückt gewordener Hund unterwegs, der wie besessen buddelt und alles, was er findet, wahllos in die Höhe schleudert. Gefühlt verbringe ich drei Viertel des Bodyscans ausschließlich damit, freundlich und ohne Ärger zum eigentlichen Gegenstand meiner Konzentration zurückkehren zu wollen.
Bedeutungslose Erinnerungsfetzen, Momentaufnahmen von Menschen und Situationen, die ich ganz sicher nicht kenne, Kränkungen, die Handlung irgendeines Krimis, Kochrezepte, schmerzliche Erinnerungen undundund wirbeln kunterbunt und absolut sinnfrei durcheinander.
Tage, an denen das in extremer Weise der Fall ist, pflegen ebenfalls keine meiner allerbesten zu sein …

Faszinierend finde ich allerdings, dass ich mitkriege, wie die Gedanken auftauchen. Und spurlos wieder verschwinden, wenn ich mich nicht mit ihnen befasse.
Während meiner schlimmsten depressiven Phasen hatte ich oft das Gefühl, von selbstquälerischen Gedanken geradezu überrannt zu werden und ich habe eine Menge Energie in den Versuch investiert, diese Gedanken abzublocken oder durch andere, angenehmere zu ersetzen.
Jetzt kommt es mir vor, als tauchten sie „unter anderem“ auf: Unter all den anderen Ideen, Erinnerungen, Bildern und gelegentlichen Absurditäten, die beim Buddeln in die Höhe fliegen.
Und wenn es mir gelingt, sie nicht aufzufangen, verschwinden sie ebenso, wie der ganze Rest.

Die eigenen Gedanken zu beobachten, ist ein Übungsziel, von dem mich noch das eine oder andere Lichtjahr entfernt, vermute ich.
Eigentlich bemühe ich mich, meine Aufmerksamkeit konzentriert auf meinen Körper zu richten. Im Hier und Jetzt zu sein und nicht in meinem Kopf …
Aber hej, es war nie die Rede davon, etwas Bestimmtes hinzukriegen! Remember?

Für mich ist die – wenn auch noch recht verschwommene – Erkenntnis, dass ich es bin, die durch ihre Aufmerksamkeit entscheidet, welcher der ausgebuddelten Brocken heute meine Welt darstellt, ein enormer Gewinn!

Veröffentlicht von

dieschattentaucherin

Schreibwütige Depressive auf ihrem Weg ins Sonnenlicht

6 Gedanken zu „Übungssache“

  1. als sei in meinem (Unter)bewußtsein ein verrückt gewordener Hund unterwegs, der wie besessen buddelt und alles, was er findet, wahllos in die Höhe schleudert.

    Ist gar kein Hund. Das bist du selber 😀
    Bei mir ist es ja mehr so der staubige Dachboden, die Luke öffnet sich quietschend, es gibt kein Licht, aber irgendwo ist ein Fenster. Staub und Spinnweben und überall steht dieses Gerümpel rum. Jetzt nirgendwo vorrumpeln – schwierig 😀

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  2. Der Hund heißt Achtsamkeit, und hat seine eigenen Vorstellungen von Wichtigkeiten als dein Gehirn. Willst du ihn erziehen, oder willst du mit ihm rumschnüffeln gehen? Erziehung wäre doch nur sinnvoll, wenn der Erzieher weiß, was er will. Also lass doch deinem Instinkt sein Näschen, und folge ihm mit dem Bewusstsein. Eventuell verschwinden die aufdringlichen Trüffel, wenn sie genügend Aufmerksamkeit erhalten haben.

    LG
    gann

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    1. So kann man das natürlich auch sehen! 😀
      Ich hab nicht vor, an dem kleinen Hund herumzuerziehen (er scheint mir Ähnlichkeit mit einem Jack Russel zu haben), wüßte auch gar nicht, wie ich das anfangen sollte.
      Meine Idee war, mir die interessantesten Gedanken zu merken und mich später konzentriert mit ihnen zu beschäftigen.
      Mal gucken, was draus wird …

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  3. Gedanke 1: Absolut spannend, wie Du die Aktionen Deines Körpers beschreibst. Auf der einen Seite die Routine („kenn ich schon, kriege ich hin“), auf der anderen Seite das klare (Schmerz-)Signal, dass etwas nicht stimmt noch bevor Dir richtig bewusst ist, was es ist. Sich überhaupt so wahrzunehmen, schafft lange nicht jede/r.
    Gedanke 2: Absolut spannend, die Erkenntnis zum Schluss. Auf Hawaii (jaja genau, die Sache mit den Palmen, Drinks, Delfinen…..und Schamanen) kennt man genau dies HUNA-Weisheit: „IKE – Die Welt ist so, wie Du sie siehst.“ Hey, und Du bist ganz allein draufgekommen!

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