Ein süßes Getränk und ein paar bittere Worte

Schon vor geraumer Zeit habe ich auf der Suche nach dem „warum?“ solcher Tage, an denen ich mich morgens unter einer bleiernen Bettdecke wiederfinde, eine Tabelle angelegt, in der ich neben meiner Stimmung an dem betreffenden Tag alles notiere, was diese beeinflusst haben könnte.
Besondere Vorkommnisse, Konflikte, Schmerzen, aber auch die Mondphasen (man weiß ja nie …).
Gleichzeitig dient sie als Traum-Tagebuch.
Ich bin zwar keine große Traumdeuterin, aber ich glaube schon, dass sich wiederholende Motive eine Bedeutung haben (hierzu ein andermal mehr). An bleiernen Tagen wache ich meist aus zutiefst bedrückenden Träumen auf – wobei ich natürlich nicht wissen kann, ob die Träume das Tief aulösen, oder das Tief die Träume …

Als ich im letzten Herbst eine Ausschlussdiät begonnen habe, bot es sich an, das, was ich gegessen und getrunken hatte, auch gleich hier einzutragen. Eine Angewohnheit, die ich beibehalten habe, da ich zwar unterdessen weiss, dass es ein paar Dinge gibt, die ich nicht oder nur in Maßen essen sollte, aber nicht „sauber“ genug ausgeschlossen habe, um ganz sicher zu sein.

Weil es so praktisch ist (und ich – falls das bisher nicht aufgefallen sein sollte – echt einen Spleen mit Tabellen habe), trage ich mittlerweile auch Geburten und Todesfälle der Weidetiere hier ein.
Aber das nur am Rande …

Als die Tabelle immer größer und unübersichtlicher wurde, kam die Idee auf, Farbmarkierungen zu nutzen. Okay … ich hab nen Knall mit Tabellen …
Depressive Tage erkennt man – wenig originell – an verschiedenen Grauschattierungen. Wut ist rot, Angst violett. Große Weinerlichkeit blau – des Wassers wegen. Instabilität und Reizbarkeit sind gelb bis orange. Und *Tusch!* grün steht für „okay“!
Spannend ist das im Rück- und Überblick: Wenn es mir schlecht geht, kommt es mir immer gleich vor, als sei das der Dauerzustand – ich habe bis heute nicht wirklich gelernt, mir zu sagen „okay, das ist jetzt mal ein blöder Tag …“. Früher war das auch nicht so, da hatte ich graue Phasen, keine Tage. Und so fühlt es sich häufig immer noch an. An der Tabelle kann ich jedoch ablesen, dass es häufig tatsächlich nur einzelne Tage sind.
Rückblickend fällt mir dann auch auf, dass ich manchmal tage- und wochenlang „keine Meinung“ hatte, da waren meine Tage dann weder bemerkenswert gut, noch sonderlich schlecht, sondern einfach normal. So normal, dass ich mich glatt mal nicht mit meiner Befindlichkeit beschäftigt habe. Auch schön!

Dass es einen Zusammenhang zwischen einer längeren „normalen“ Phase und einem Getränk geben könnte, ist mir eher zufällig aufgefallen. Und nein: Damit meine ich kein Pils!
Während meiner Ausschlußdiät, obwohl diese ja recht turbulent begonnen hatte, war ich offenbar recht stabil und guter Dinge: Wenige Kommentare, viele ungefärbte Tabellenkästchen …
In dieser Zeit hatte ich, da es gut für die Verdauung sein soll (und – um ehrlich zu sein – weil das Rezept so lecker klang!) auch eine Kur mit Curcuma in Form von so genannter „goldener Milch“ begonnen. Nach deren Ende mehrten sich die farbigen Kästchen wieder. Grün waren sie eher selten …
Natürlich könnte es auch an der Diät gelegen haben!
Vor die Wahl gestellt, ob ich jetzt entweder wieder jeden Tag einen Becher leckere heiße Milch trinke, oder erneut mit dem Verzicht auf Lebensmittel beginne, die ich gerne esse, hab ich mir halt die Freiheit genommen, mit der lustvolleren Variante anzufangen.
Sollte diese sich als wirkungslos erweisen, kann ich die Diät ja immer noch wieder aufnehmen.
Das scheint aber gar nicht nötig zu sein:
Wenn meine Tabelle nicht lügt und die Götter des Placebo mir kein Bein gestellt haben, trägt Curcuma bei mir zu einer Stabilisierung meiner Stimmung bei.
Eine bahnbrechende Entdeckung ist das nicht: Man sagt Curcuma nach, dass es unter anderem gegen Depressionen helfen soll. Allerdings ist das auf den selben Websites nachzulesen, nach denen auch Achtzigjährige ihren Krebs mit Kokosöl besiegen. Und alle Speckröllchen sich in Wohlgefallen auflösen, wenn man folgende 5 Lebensmittel meidet …
Kurz: Ich bin da eine große Skeptikerin. Und bei Ratschlägen des Tenors „Ach, du hast Depressionen? Da musst du doch nur …!“ prinzipiell bockig.
Sagen wir, bei mir scheint die „goldene Milch“ in meiner jetzigen Lebenssituation eine positive Wirkung zu haben, obwohl ich sie ja anfangs gar nicht deswegen zu mir genommen habe.
Mich freut das sehr und ich genieße jeden „normalen“ Tag! …

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… Dennoch schreibe ich diesen Text mit einem gewissen Unbehagen. Curcuma scheint mir zu helfen. Mir. Jetzt. Auf keinen Fall möchte ich als Ratgeberin der Kategorie „wie Du mit einem einfachen Hausmittel Deine Depressionen besiegen kannst“ mißverstanden werden.
Und ich möchte alle, die erst seit Kurzem mitlesen, sehr eindringlich um etwas bitten:
Wenn Ihr in nächster Zeit einem depressiven Menschen begegnet, fallt bitte nicht mit der Tür ins Haus und ratet ihm zu Curcuma, weil Ihr gelesen habt, dass es Depressionen zu lindern vermag!
Möglicherweise verbringen depressive Menschen mehr Zeit als Ihr in den Wartezimmern von Ärzten, wo man beim Blättern in den Zeitschriften Ratschläge wie diesen in großer Zahl finden kann. Mit einiger Sicherheit ist ihnen bekannt, dass es neben der Schulmedizin alternative Therapieformen gibt. Sie sind in der Lage, zu recherchieren, wenn sie etwas in Erfahrung bringen möchten. Etliche konsultieren sicher nicht nur ÄrztInnen und TherapeutInnen, sondern ziehen auch HeilpraktikerInnen hinzu. Womöglich studieren sie auch Fachbücher und -artikel, die sich mit ihrer Erkrankung befassen.
Vielleicht auch nicht.
Vielleicht ist ihre Erkrankung noch ganz neu für sie und sie müssen erst einmal mit der Tatsache klarkommen, dass in ihrem Kopf etwas nicht stimmt.
Oder sie gehören zu denjenigen, die mit der Erkenntnis zu leben lernen müssen, dass ihre Form der Depression nicht heilbar ist, sondern für immer ein Teil ihres Lebens sein wird.
Aber ganz egal, welcher Typ Depri gerade vor Euch steht: Was lässt Euch glauben, dass Ihr die ersten seid, die mit genau diesem Tip um die Ecke kommen? Ausdauersporthaustierentspannungstraininglichttherapiejohanniskrautnahrungsergänzungsmittelheißesbadbeikerzenscheincurcuma …
Wir haben das alles schon gehört. Ichzichmal. Versprochen!

Ja, Ihr meint es gut!
Und das wäre vollkommen in Ordnung, wenn wir über eine Erkältung oder Dünnpfiff reden würden. Da rät man reflexhaft zu Dampfbädern, Pfefferminzöl, Kamillentee, Flohsamenschalen, Coca Cola und Salzstangen und niemand denkt sich etwas dabei.
Würde Euer Gegenüber Euch erzählen, es leide an Diabetes, Multipler Sklerose oder womöglich Krebs, würdet Ihr dagegen den Teufel tun, zu irgendwelchen Hausmitteln zu raten, selbst wenn Ihr gelesen habt, dass Kokosöl gegen Krebs wirkt.
Denn DAS sind ja richtig ernsthafte Erkrankungen! … klingelt’s?
Depressionen sind ernsthafte Erkrankungen. Unbehandelt können sie durchaus tödlich verlaufen.
Wenn Ihr hier mit sorgenvoller Miene feststellt, dass Psychopharmaka ja abhängig machen (was a. durchaus nicht alle tun und b. bei akuter Suizidgefahr auch nicht das dringlichste aller Probleme ist), sondern stattdessen zitiert, was die Zeitschrift im Wartezimmer Eures Arztes für diesen Fall rät, dann sprecht Ihr uns genau das ab: Dass wir an einer ernsthaften Erkrankung leiden.
Und nicht nur das: Ihr sprecht uns auch schuldig.
Solange wir nicht den letzten Schnickschnack abseits der Schulmedizin ausprobiert haben, sind wir doch selber schuld daran, dass es uns immer noch schlecht geht …
Neeschonklar, so ist das nicht gemeint! Aber genau so kommt es an.

Ich bin selbst ein wenig verwundert darüber, wie bitter mich das immer noch werden lässt …
Oder anders: Es macht mich jetzt bitter. Früher hab ich derlei „Hilfe“ einfach abtropfen lassen und so schnell wie möglich zu vergessen versucht. Heute habe ich die Kapazitäten frei, mich darüber zu ärgern.
Da ich sie aber lieber anders nutzen würde:
Wenn Ihr erfahrt, dass ein Mensch in Eurem Freundes- oder Bekanntenkreis an Depressionen leidet, dann klemmt Euch doch einfach sämtliche tollen Ratschläge und fragt stattdessen, was Ihr tun könnt, wenn es ihm richtig scheiße geht. Und wenn Ihr nichts tun könnt, dann tut halt nichts. Haltet die Normalität aufrecht. Seid da!

Wenn Ihr an die Wirkung von goldener Milch glaubt, dann kocht welche! Trinkt sie gemeinsam!
Aber quatscht keine Opern …

Veröffentlicht von

dieschattentaucherin

Schreibwütige Depressive auf ihrem Weg ins Sonnenlicht

16 Gedanken zu „Ein süßes Getränk und ein paar bittere Worte“

  1. Deine Tabelle finde ich super – solche Rückblicke sorgen oft für Klarheit. Ich bewerte auch jeden Tag meine Stimmung und stelle ähnliches fest, wie du – es sind meist noch einzelne graue Tage. Das würde ich ohne dieses Festhalten der Stimmung nicht bemerken, denke ich.
    Und von Curcuma bei Depression wusste ich noch gar nichts.
    Darf ich fragen, ob du zusätzlich auch ein Antidepressivum nimmst?
    Liebste Grüße!

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    1. Ich nehme seit über drei Jahren keine Antidepressiva mehr.
      Allerdings musste ich dafür mein Leben weitgehend umkrempeln – in meinem alten Leben wäre ich ohne nicht klargekommen.
      Jetzt halte ich mich mit Yoga und Achtsamkeitsübungen – und halt neuerdings Curcuma – ganz gut über Wasser.
      Dafür hätte ich früher die Kapazitäten gar nicht gehabt …

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  2. Stimmt, die ganzen Tipps hat man schon tausendfach gehört … Wobei es drauf ankommt, von wem sie kommen. Wenn ein Beteoffener sagt, was ihm geholfen hat, kann ich das gut annehmen, wenn jemand selbst keine Ahnung hat und es verharmlosend klingt nicht.

    Mir geht es inzwischen die meiste Zeit recht gut. Habe auch eine Zeit lang Antidepressiva genommen, inzwischen komme ich ohne zurecht.

    Die gelbe Milch teste ich sicher auch mal 🙂

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  3. Ich experimentiere übrigens auch gerade mit Kurkuma, es geht mir auch gerade einigermaßen ok, wobei das natürlich auch daran liegen kann, dass ich A) aus der Tagesklinik raus bin, die mich eher belastet als entlastet hat B) der Frühling begonnen hat und C) ich exzessive Achtsamkeitsspaziergänge mit meinem Fotoapparat unternehme, die mir nachweislich helfen (Stimmung mies vorher, besser hinterher).
    Was diese „Hausmittelchen“ betrifft, bin ich ebenso skeptisch wie Du und ich ärgere mich auch immer über das „tu dies“, „tu das“, besonders von Leuten, die die Sonne scheinbar in die Wiege gelegt bekommen haben. Zum Thema Kurkuma habe ich einiges gelesen und auch für die Zukunft mal einen eigenen Beitrag geplant – es gibt viele positive Berichte, ja, allerdings sind die bisherigen Wirksamkeitsstudien nicht ganz methodisch sauber durchgeführt. Allerdings schien es mir dennoch ein Strohhalm, nach dem ich zu greifen probieren könnte.
    Hm … lange Rede – kurzer Sinn: ich kann mich vielem, was Du hier geschrieben kannst, gerne anschließen.
    Liebe Grüße
    Agnes

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    1. Ich find’s auch immer schwierig, zu sagen, was GENAU jetzt geholfen hat – bei mir kommen ja ebenfalls Yoga, Achtsamkeitsübungen und die enorme Ruhe hier dazu …
      Ein Vorteil der goldenen Milch scheint mir zu sein, dass man sich damit (soweit ich bisher rausgefunden habe) immerhin nicht schaden kann. Außerdem ist sie nicht allzu teuer und echt lecker! 😀

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  4. Ja, verdammt! Ich werde auch gerade schon wieder mit solchen Ratschlägen überschwemmt: „Hast du schonmal Yoga ausprobiert?“ „Schlaf dich einfach mal aus!“ „Du schläfst viel zu viel!“ „Geh doch mal joggen!“
    Mittlerweile reagiere ich mit Sarkasmus … was soll man sonst tun?
    Aber Curcuma … einen Versuch ist es wert. Ich geh mal auf Rezeptsuche.

    Dir alles Liebe,
    Friede

    PS: Tabellen sind cool!

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  5. „Allerdings ist das auf den selben Websites nachzulesen, nach denen auch Achtzigjährige ihren Krebs mit Kokosöl besiegen.“ HIHI, eine äußerst prägnante Beschreibung solcher Ratgeberseiten.
    Listen und Tabellen mag ich auch, doch , doch, sehr sogar. Ich bin mir allerdings ziemlich sicher, dass sie mir nicht sooo viel bringen. Ich produziere sie einfach gerne 🙂

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