Ganz ehrlich?
Ich finde Menschen, die stets und ständig alles positiv sehen, in allererster Linie nervig!
Und ihre Haltung nicht ganz ungefährlich:
An einem Missstand, der nicht klipp und klar als solcher benannt wird, wird sich schwerlich etwas ändern.
Und – let’s face it! – manchmal ist das Leben hart aber ungerecht.
Nützt nix, sich das dann schönreden zu wollen.
Aber ich könnte ja auch klein anfangen und jeden Tag für etwas dankbar sein, für eine Kleinigkeit halt … obwohl Dankbarkeit für mein Gefühl ein ziemlich großes Wort ist.
Den Gegenstand meiner Dankbarkeit auf einen Zettel schreiben, die Zettel in einem Glas sammeln und dann, wenn’s mir mal richtig dreckig geht … Ihr wisst schon …
Und hej, ich hab das versucht!
Ich bin total dankbar für jeden Tag, an dem die Schmerzen auszuhalten sind!
Ich bin dankbar, wenn ich normal gehen kann – womöglich sogar zügig!
Ich bin dankbar für jedes Bisschen Normalität!
Nur wenn ich mir dann die Zettel in meinem Glas vorstelle, dann finde ich das … nun ja … langweilig …
Zumal ich ja mitbekomme, was für eine großartige „OMG was mir heute wieder Wunderbares passiert ist!“ Challenge man daraus machen kann, wenn man denn meint …
Nee. Das ist nicht meins.
Stattdessen hab ich sozusagen aus Versehen angefangen, „positiv zu sehen“ …
Ein Kommentar zum „Schweigen der Taucherin“ lautete „Schreib: wie lebst du?“.
Und so habe ich – wenn auch an ganz anderer Stelle – begonnen, Geschichten aus meinem Alltag auf einem Bauernhof zu erzählen. Weil es mir seinerzeit – zu Beginn der Pandemie – ein Anliegen war, ein Gegengewicht zu all den beunruhigenden, verstörenden Nachrichten zu schaffen, die mich erreichten.
Ich hatte bemerkt, wie gut es mir getan hat, die Berichte anderer Menschen zu verfolgen … von ihren Bemühungen, Sauerteig heranzuzüchten, zum Beispiel, oder Hefe, von ihren Schafen, ihren Blumen …
Also habe ich angefangen, vor meiner Nase nach Dingen Ausschau zu halten, die erzählenswert waren: Originell, erfolgreich, Glück im Unglück, trotz allem witzig, immerhin grandios gescheitert …
Und ich hab meinen Ehrgeiz darein gesetzt, sie so zu erzählen, dass das Lesen Freude machte.
Überflüssig zu erwähnen, dass das Leben auf dem Land nicht immer eitel Sonnenschein ist. Aber es gibt sie, die Momente, in denen kurz mal das Herz aufgeht! Es gibt sie auch.
Mein Blick ist aufmerksamer, aber auch liebevoller geworden: Ausgebüxte Ponies zum Hof zurückzubringen, ist ein zeitraubender Latsch, oder aber ein kontemplativer Spaziergang. Und was für ein Luxus, gemütlich mit ihnen dahinzuzuckeln und zuzuschauen, mit welch heiligem Ernst Pferde sich wälzen und an Bäumen schubbern können!
Jawohl, für diesen Luxus werde ich büßen: es bleibt ja Arbeit liegen, während ich so durch die Gegend schlendere … die werde ich nachholen müssen. Aber in diesem Moment ist die Welt einfach in Ordnung!
„Et kütt wie et kütt“ wie es das rheinische Grundgesetz so weise formuliert, ob ich aber diesen Moment genieße, oder mich schon vorab über den Stress gräme, den er nach sich ziehen wird, ist meine Entscheidung.
Ich bin am Ende des Tages nicht dankbar dafür, dass ich auch heute wieder die Ponies einsammeln durfte (das wär nun wirklich zuviel verlangt!), aber ich kann auf einen schönen Moment zurückblicken.
Und tatsächlich scheint ein solcher Blick mit der Zeit zur Gewohnheit zu werden.
Neulich hörte ich, dass wir uns mindestens 30 Sekunden lang mit einer Sache beschäftigen müssen, damit sie in unserem Gedächtnis gespeichert wird.
Das erklärt einiges, finde ich!
Horizont – traumhafter Himmel, Ponyschnute – samtweich, Hundeblick – herzzerreißend, Kater spielt in der Sonne – entzückend, Sonne auf der Haut – brennt angenehm … und PUFF! … weg!
Mit Dingen, die mich ärgern, beschäftige ich mich sehr viel länger.
Kein Wunder, dass, wenn die Gedanken schweifen, Erinnerungen auftauchen, so viele kränkende und verletzende dabei sind!
Seit ich das verstanden habe, versuche ich, mir die 30 Sekunden Zeit einfach zu nehmen.
Es sind nur! 30! Sekunden!
Und ich spar mir das Papier für die Zettel.

Mit der Zeit bin ich grundsätzlich zufriedener geworden, kann ungute Gefühle etwas besser gehen lassen und bin – damit hatte ich nicht gerechnet – nachsichtiger mit mir selbst.
Klar … was bei mir Tagewerk ist, erledigen andere nebenbei in ihrer Freizeit, aber ich habe ein Tagewerk! Ich wache morgens auf und habe Lust, Dinge zu tun.
Essig ansetzen, Senf herstellen, die erste Tarte tatin meines Lebens backen …
Hin und wieder habe ich mehr Ideen, als ich umsetzen kann, verzettele mich heillos und richte ein großes Chaos in der Küche an.
Ich seh das positiv: mit der zähen Antriebslosigkeit und dem niederschmetternden Eindruck, nichts habe irgendeinen Sinn, die mit Depression einhergehen, hat dieses Tohuwabohu nun gar keine Ähnlichkeit.
***
Den kompletten Kommentar zum Schweigen der Taucherin, für den ich gann uma tatsächlich dankbar bin, möchte ich Euch nicht vorenthalten:
Schreib:
wer bist du?
was willst du?
wie lebst du?
Krankheiten? Einschränkungen? bestimmen dich nicht.