Patricia

… und der Versuch, etwas über meine Erkrankung zu erfahren

Wenn es um die Frage geht, ob ich meine Anliegen medizinischer Natur vertrauensvoll zu ÄrztInnen trage, oder mich doch lieber auf mich selbst und diverse Internet-Recherchen verlasse, bin ich ein ums andere Mal vollkommen hin und hergerissen.

Früher, als noch alles gut und sowieso mehr Lametta war, wäre es mir gar nicht in den Sinn gekommen, meine eigenen Symptome zu recherchieren – auch dann nicht, als das Googeln schon erfunden war. Ich fand, damit mache man sich erstens bestenfalls selbst verrückt, und zweitens sei Medizin ja nicht ohne Grund ein Hochschulstudium.

Und eigentlich finde ich das immer noch. Ich möchte das finden: Ich wünsche mir eine Medizin, die nicht nur auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse arbeitet, sondern außerdem Fach-oder gar Nischen-Expertise mit einem ganzheitlichen Ansatz vereint. Für die interdisziplinäre Arbeit eine Selbstverständlichkeit ist. Die bei aller Wissenschaftlichkeit den Menschen nicht aus dem Auge verliert.
Kurz: Die eierlegende Wollmilchsau.

Solange ich an solchen Beschwerden und Erkrankungen gelitten habe, die unkompliziert zu diagnostizieren und zu behandeln waren, hat mein Bedauern über das offensichtliche Fehlen eines solchen Wundertieres sich in Grenzen gehalten – es handelte sich um ein sogenanntes PAL („Problem anderer Leute“ – Näheres hierzu ist in Douglas Adams‘ „Per Anhalter durch die Galaxis“ nachzulesen). Wenn ich auch einräumen muss, dass die Endometriose, der Glomustumor und die Makuladegeneration geringfügig flotter hätten diagnostiziert werden können (siehe: Blindfisch) …

Sei’s drum … so richtig blöd ist es erst geworden, als die Symptome so gar nicht mehr greifbar waren, als alle Zeichen auf „psychosomatisch!“ zu stehen schienen.
In dieser Phase war schon der „Zwischenstop“ bei Borreliose eine ungeheure Erleichterung: Endlich gab es eine Diagnose, die sich ohne Wenn und Aber an den Blutwerten ablesen ließ!
Und es gab eine Therapie!
Nur: Die Symptome blieben …

Borreliose ist in Frankreich nicht als chronische Erkrankung anerkannt – ob dieses Krankheitsbild überhaupt existiert, ist meines Wissens auch in Deutschland umstritten.
Also war ich, was die heißersehnte Diagnose betraf, einerseits austherapiert, und nahm andererseits wieder an der „Verlosung“ teil.

An diesem Punkt habe ich entschieden, mein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.
Ich habe recherchiert, gegoogelt, mich Gruppen und Foren angeschlossen … immer auf der Suche nach Möglichkeiten, mir selbst zu helfen (mehr dazu hier).
Darein habe ich eine Menge Zeit und durchaus auch Geld investiert – leider ohne dass allzu viel dabei herausgekommen wäre.

Es ist, wenn man so will, dem französischen Gesundheitssystem zu verdanken, dass meine Bemühungen, mir selbst zu helfen, nicht ganz und gar ungebremst in Richtung Borreliose davongaloppierten: Die Suche ging ja weiter.
Und führte ins noch unerschlossene Land der Fibromyalgie …

Remember? Fibromyalgie war der erste Treffer meiner ersten Google-Suche bezüglich meiner Symptome …
Weil es sich aber um eine Ausschlussdiagnose handelt, habe ich mich nicht im Detail damit beschäftigt. Ich glaube immer noch, dass die Gefahr, Symptome bei sich selbst zu entdecken, umso höher ist, je mehr man sich mit einzelnen Krankheitsbildern befasst …

Aber hier war sie nun, die Diagnose. Und so war ich ganz entzückt, just in diesem Moment über einen kostenlosen Online-Kongress zum Thema Fibromyalgie zu stolpern!
Kongress klang gut! Wissenschaftlich irgendwie … und seriös … geballte Information aus verschiedenen Fachgebieten. Tolle Sache!
Sogleich habe ich mich dafür angemeldet.
Kaum war das erledigt, erreichte mich auch schon eine Mail, die sich versichern wollte, dass ich mein „Geschenk“ (irgendeine pdf) tatsächlich erhalten hätte.
Jo, hatte ich, also habe ich den Erhalt bestätigt.
Und habe damit sozusagen die Büchse des Kongresses geöffnet.

Umgehend wurde ich von meiner Ansprechpartnerin für den Kongress … nennen wir sie Patricia … überschwänglich begrüßt. Sie ließ mich außerdem wissen, dass ich die Kongressinhalte gerne gegen Entgelt erwerben könne. Was ich … nun ja … ein wenig übereilt fand, hatte der Kongress doch noch gar nicht begonnen. Aber offenbar ist Patricia ein außerordentlich zugewandter und fürsorglicher Mensch: Seitdem vergeht kein Tag mehr ohne sie und ihre Mails.

Mit Beginn des Kongresses entpuppte sich Patricia dann auch als dessen Moderatorin, die die Interviews mit den SpezialistInnen führte. Sie ist selbst Ärztin uuuuuuuund: Betroffene!
Honi soit, wer jetzt an gewisse eierlegende Säugetiere denken muss.

Die Aufnahmen von ihr wirkten, als säße sie an ihrem Schreibtisch, halte ihr Smartphone entspannt in den Händen und plaudere hinein … auf charmante Weise unprofessionell. Und vermutlich ganz professionell genau so gewollt: Denn auch wenn Patricia beständig den Eindruck zu vermitteln bemüht ist, sie habe diesen Kongress ganz allein aus dem Boden gestampft, weil das Thema ihr so sehr am Herzen liegt – dahinter steht ein ganzes Unternehmen.
Wie auch immer … vermutlich lag es an der verzerrten Perspektive, dass ihr breites Dauerlächeln wirkte, als habe sie mindestens 20 Zähne mehr, als andere Menschen. Dazu beseelt strahlende Augen und eine liebevoll-heitere Stimme. Verzückung pur.
„Es ist einfach wundervoll, mit unseren SpezialistInnen für Fibromyalgie sprechen zu dürfen!“ trällerte, ach was, jubilierte dies Gesamtkunstwerk unermüdlich, „sie haben wundervolle Erkenntnisse und noch wundervollere Behandlungsvorschläge!“.
Ich gebe zu: an diesem Punkt bin ich innerlich ausgestiegen.

Ich verstehe die Intention: Menschen, die, ebenso wie ich selbst, eine ganze Odyssee an Arztterminen hinter sich haben, die womöglich als HypochonderInnen belächelt und in die Psycho-Ecke gestellt wurden, die schon gar keine Lust mehr haben, sich noch ein weiteres Mal zu erklären, und die Hoffnung auf Linderung ihrer Symptome schon so gut wie verloren haben … solchen Menschen ist es Balsam auf ihre Seelen, endlich einmal liebevoll und voller Optimismus empfangen zu werden.
Wenn ich es mir so recht überlege, möchte ich das auch. Aber nicht von einem Online-Gesamtkunstwerk.

Zu Beginn des Kongresses habe ich mir einzelne Vorträge herausgepickt, die mir interessant erschienen, aber – sorry, Patricia! – bei den meisten bin ich über die Anmoderation nicht herausgekommen. Kaum begannen Deine Augen vor Begeisterung zu rollen, hab ich schaudernd vorspulen müssen und wusste den folgenden Vortrag gleich nicht mehr so recht zu würdigen.
Dein Hinweis in einem der Videos, der nun folgende Experte betreibe eine eigene Fachklinik, in der man sich (eine private Krankenversicherung vorausgesetzt) auch selbst behandeln lassen könne – Du habest es schon ausprobiert und es sei SO wundervoll gewesen! – hat es ehrlich gesagt auch nicht besser gemacht.
Überhaupt befremdet es mich, wenn der eingeladene Experte das Heilmittel, über welches er referiert, auch gleich selbst vertreibt. Im konkreten Fall hab ich das mir noch unbekannte Produkt aus schierer Neugierde gegoogelt: Ein Mittel gegen Husten – oder war’s Halsweh? – welches ganz hervorragend gegen Fibromyalgie wirkt, wenn diese Wirkung auch – leiderleider – bislang nicht nachzuweisen war.
Und so weiter und so fort …
Dass ich einen Teil der angepriesenen Präparate und Nahrungsergänzungsmittel (ulkig, was nicht alles gegen Fibromyalgie und Borreliose hilft!) gleich auf der Kongress-Website hätte bestellen können, hab ich noch zur Kenntnis genommen – ernsthaft beschäftigt hab ich mich nicht mehr damit.

Unterdessen sandte Patricia mir unverdrossen täglich eine Mail. Mindestens eine.
Stets mit dem Hinweis, ich könne das Kongresspaket käuflich erwerben – jetzt noch für NUR X Euro, danach dann für Y! Jeden Tag auf’s Neue. Falls mir das von gestern auf heute entfallen sein sollte …

Zwar hab ich nicht ein einziges Mal versucht, mir die für jeweils 24 Stunden freigeschalteten Videos alle anzuschauen, aber ich vermute, ein Mensch, der noch in der Lage ist, zu arbeiten, hat so viel Zeit nicht zur Verfügung, wer arbeitsunfähig krank ist, bringt die nötige Konzentration womöglich nicht auf.
Wer alle Videos sehen möchte, kommt also nicht umhin, diese zu kaufen.

Nach Ende des Kongresses, nahm ich an, werde die E-Mail-Flut abnehmen … aber weit gefehlt!
Ein Bonus-Tag jagte den anderen, stets mit dem Hinweis, ich könne das Kongress-Paket jetzt noch zum Preise von …
Mich hat das an den Fischverkauf auf Wochenmärkten erinnert, wenn der Marktschreier gegen Ende des Marktes immer noch und noch einen Fisch drauflegt …
Und es nahm kein Ende!

Patricia hat nämlich – Ihr glaubt es nicht! – ein E-Book zum Thema veröffentlicht!
Mein absolutes Highlight war diejenige ihrer Mails, in welcher ich klipp und klar gefragt wurde, was mich eigentlich noch hindert, dieses ver****** E-Book zu bestellen …
Und es hört nicht auf: Ich kriege immer noch Mails.
Klar, ich könnte die abbestellen. Aber ich wollte mal gucken, wie lange diese virtuelle Kaffeefahrt, die die Verzweiflung chronisch kranker Menschen für ihre Zwecke ausnützt, wohl noch andauert.


Sowohl Fibromyalgie als auch chronische Borreliose zählen zu den sogenannten unsichtbaren Erkrankungen, denen Menschen, die nicht betroffen sind, oft mit einer gehörigen Portion Skepsis gegenüberstehen („Wie, du bist krank? Du siehst total gesund aus! Reiß dich mal zusammen!“). Nach wie vor gibt es auch MedizinerInnen, die ihre Existenz schlichtweg bestreiten. Die Symptome sind vielfältig und schränken die Lebensqualität der Erkrankten extrem ein. Beide sind nicht heilbar und die Symptome lassen sich nur bedingt behandeln. Immerhin verlaufen sie nicht tödlich, was möglicherweise eine Erklärung dafür ist, dass Medizin und Forschung nicht alles unternehmen, um ein Heilmittel dafür zu finden. Medizinische Forschung ist teuer und augenscheinlich gibt es Erkrankungen, deren Erforschung lohnender erscheint. Das hat eine gewisse Logik, ist aber schwer einzusehen, wenn man selbst darunter leidet.

An diesem Punkt – wenn die böse Schulmedizin die Menschen „mal wieder“ im Stich lässt – tritt die gute Alternativmedizin zu deren Rettung an.
Mal abgesehen davon, dass der Begriff „Schulmedizin“ aus dem Nationalsozialismus stammt … wenn ich einmal annehme, dass die Pharmaindustrie ausschließlich an Gewinnen interessiert ist, an Fibromyalgie-Erkrankten jedoch nichts verdient, weil die Krankheit als nicht heilbar gilt, es aber HeilpraktikerInnen gibt, die sie dennoch zumindest zu lindern vermögen, indem sie solche Präparate verkaufen, die die selbe geschmähte Pharmaindustrie produziert … halt nur nicht auf Rezept … merkt Ihr selber, gelle!
All die gepriesenen Diäten, Behandlungen und Präparate haben eines gemeinsam: Ihre Wirksamkeit ist nicht nachgewiesen.
Mit ein paar Ausnahmen: Bleichmittel, Terpentin und Wurmkuren haben natürlich nachgewiesenermaßen eine Wirkung. Hier halt nur nicht die erhoffte.

Bin ich also eine gläubige Jüngerin der Schulmedizin?
Ich würde sagen: Nein.
Eher würde ich mich als Rundum-Agnostikerin bezeichnen.

Soll ich Euch mal ein Geheim verraten?
Wisst Ihr, was prima gegen Insektenstiche und die Quaddeln von Brennnesseln hilft?
Draufpinkeln! Ich schwör!
Das wüsste ich nicht, wenn ich nicht bereit gewesen wäre, es mal auszuprobieren.
Nicht alles, was hilft, muss unbedingt aus einem Medikamentenschächtelchen kommen!
Aber ich lasse mir nicht gerne mit windigen Versprechungen das Geld aus der Tasche ziehen. Schon gar nicht mit einer solchen Penetranz.

Veröffentlicht von

dieschattentaucherin

Schreibwütige Depressive auf ihrem Weg ins Sonnenlicht

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