#metoo

Den folgenden Text hatte ich lediglich auf meiner Facebook-Seite veröffentlichen wollen, weil er mir zwar ein großes Anliegen ist, aber nicht wirklich etwas mit dem Thema des Blogs zu tun hat.
Dann jedoch bin ich gebeten worden, meine Überlegungen auch außerhalb von Facebook zugänglich zu machen.
Und wer weiß, ob all das tatsächlich ohne Folgen geblieben ist …

Diesen Text habe ich aus ichweißnichtmehrwelchem Grund im Frühjahr 2019 zu schreiben begonnen, ihn dann aber aus dem Auge verloren.
Er ist mir wieder eingefallen, weil neuerdings diskutiert wird, ob #metoo am Ende ist, weil ein einziger Mann vor Gericht Recht bekommen hat.
Ich gebe ihn einfach mal so wieder, wie ich ihn seinerzeit geschrieben habe.

„Ich weiß gar nicht mehr, seit wann ich schon regelmäßig über #metoo stolpere …
Aber ich kann mich noch sehr genau daran erinnern, was ich dachte, als ich den Hashtag zum ersten Mal gesehen habe:
„Das betrifft mich nicht, ich bin ja nie vergewaltigt worden. Nur ganz normal sexuell belästigt.“.
Es hat tatsächlich einen ganzen Tag gedauert, bis ich selber begriffen habe, was ich da gedacht habe:
„Nur.“
„ganz normal“
„sexuell belästigt“
Da habe ich mich angeschlossen, einfach mit dem Hinweis „metoo“.
Ich fand nicht, dass ich deswegen gleich meine Lebensgeschichte erzählen muss.
Aber vielleicht ist das doch sinnvoll. Um mal ein paar Missverständnisse zu klären.

Ich war neun Jahre alt, als ich mit einer Freundin eine Radtour gemacht habe. Auf einem Feldweg hat uns ein Mann aufgehalten indem er sein Fahrrad vor uns quer stellte. Da drüben im Wald, sagte er, würden zwei was machen (wir hatten nicht recht eine Vorstellung, was eigentlich) und unbedingt sollten wir mitkommen und uns das anschauen! Wir wussten sehr genau, dass wir auf gar keinen Fall mit fremden Männern mitgehen durften, aber was wir in diesem Moment hätten tun können, wussten wir nicht. Wir hatten Glück: Es näherten sich Leute und der Mann ist geflüchtet. Wir auch.
Nachdem ich das daheim erzählt hatte, haben meine Eltern umgehend Anzeige erstattet und wir mussten bei der Polizei eine Aussage machen. Wir waren wohl nicht die einzigen. Danach hatte ich lange Zeit Angst, dass der Mann wiederkommt und mich holt.

Ich war zwölf Jahre alt, als der Stiefvater meiner besten Freundin versucht hat, mich zu küssen und mir seine Zunge in den Mund zu schieben. Es war Karneval, er war betrunken. Ich hab ihm in die Zunge gebissen. Meinen Eltern hab ich nichts davon erzählt, sie hätten womöglich den Kontakt zu meiner Freundin unterbunden.

Ich war vierzehn und pferdeverrückt wie fast alle Mädchen in diesem Alter. Es gab da einen Mann auf dem Reiterhof, der konnte die Finger nicht bei sich behalten. Wir wussten das alle: Geriet man mit dem allein in eine Box, versuchte er, einen zu begrapschen. Dann galt es, schnell zu sein!
Wir waren schnell. Ich habe bis heute keine Ahnung, ob die anderen Erwachsenen davon wussten.

Während der Lehre gab es einen Mitarbeiter, der immer viel zu dicht neben mir saß, wenn er mir etwas erklärte. Der immer nach etwas auf meiner anderen Seite greifen musste und mir damit noch näher rückte. Der, als ich einen Stapel Papier lochen wollte, plötzlich seine Hände auf meine legte, um mir beim Drücken zu helfen. Immer mit einem tiefen Blick in meine Augen.
Darüber habe ich mich damals tatsächlich ganz impulsiv bei unserem Vorgesetzten beschwert und hatte das unfassbare Glück, Gehör zu finden (das war damals ganz sicher nicht generell üblich). Ich musste nie wieder mit diesem Menschen arbeiten. Überflüssig zu sagen, dass diese Beschwerde mein berufliches Fortkommen dennoch nicht gerade erleichtert hat.

Und so weiter und so weiter.
Während des Studiums, als der Handlungsspielraum … sagen wir … etwas größer war, habe ich einmal jemandem Prügel angedroht, falls er mich noch einmal anfassen sollte.

Danach dann, im „Arbeitsleben“, habe ich vieles einfach abperlen lassen. Oder war im Zweifel nicht um eine verbale, aber kernige Antwort verlegen. Diejenigen von Euch, die mich persönlich kennen, wissen das.

Einmal hat mir ein Nachbar sturzbesoffen in den Schritt gegriffen, während mein Ehemann daneben stand.
Bei ersten Mal habe ich nicht reagiert, weil ich viel zu überrascht war: Damit hatte ich nicht gerechnet!
Mit einer verbalen Ansage wäre ich schwerlich zu ihm durchgedrungen, aber in seinem Zustand hätte ich ihn problemlos aus den Schuhen hauen können, obwohl das eigentlich nicht meine Art ist. Ich hab den Selbstverteidigungskurs, den ich immer machen wollte, auch nie in Angriff genommen: Ich weiß nicht, wie man einen Menschen schlägt. Bei ihm hätte wahrscheinlich umschubsen gereicht. Aber seine Ehefrau stand ebenfalls dabei und ich hatte das ungute Gefühl, dass sie es ausbaden würde, wenn ich mich jetzt wehre.
Also habe ich getan, als sei nichts. Es hat ja nicht wehgetan und ich war nicht in Gefahr. Es war nur unfassbar widerlich und entwürdigend. Am meisten vermutlich für seine Frau.

Exkurs
Nur falls das irgendjemand nicht gemerkt haben sollte: Ich lasse hier verbale Übergriffe aus! Und zwar nicht, weil es keine gegeben hätte, sondern weil ich nicht den Ehrgeiz habe, einen Roman zu schreiben!

Nee. Als Opfer hab ich mich nie gesehen. Es war doch „nur“ die „ganz normale“ sexuelle Belästigung! Schon mit neun Jahren habe ich Wege gefunden, mich davor zu schützen – es ist uns ja nichts passiert damals. Ich habe immer Wege gefunden, auch wenn ich dabei beinahe mal einen arglosen Jogger umgenietet hätte, der nachts unverhofft von hinten auf mich zurannte.

Auf die #metoo-Frage „bist Du schon einmal sexuell belästigt worden?“ mit „ja“ zu antworten, macht mich verdammtnochmal! nicht zu einem Opfer!
Opfer geworden bin ich jedes Mal, wenn mir das zugestoßen ist. Weil mir das zugestoßen ist. Wie wenn man Opfer eines Verkehrsunfalles oder einer Naturkatastrophe geworden ist. Das passiert ja auch nicht dann, wenn man es feststellt, sondern dann, wenn es einem passiert!

#Metoo also, weil es mir auch passiert ist. Punkt.
Ich hab nie gefunden, dass DAS mein Leben zu etwas Besonderem macht. Im Gegenteil, das war halt so. Das war normal! Das kannten wir alle. Für ein ganzes Frauenleben war es nicht einmal besonders viel. Traumatisiert oder verletzt hat mich das nicht. Es hat mich auch nicht ängstlich, humorlos, verklemmt, frigide, oder gar männerfeindlich gemacht. Und nein, ich bin auch nicht deswegen Feministin geworden. Die Geschichte erzähle ich vielleicht ein andermal …

Wenn das für mich alles so normal war und mir auch gar nicht geschadet hat, warum reite ich dann so auf dem Thema herum?

Weil es so verdammt allgegenwärtig ist!

Kürzlich las ich eine Geschichte, die das sehr schön illustriert.
Eine Professorin bittet ihre männlichen Studenten, einmal alles zu nennen, was sie in ihrem Alltag tun, um sich vor sexuellen Übergriffen zu schützen.
Die Studenten gehen gründlich in sich, aber es will ihnen nicht recht etwas einfallen.
Dann bittet sie ihre Studentinnen, das selbe zu tun. Die Hände fliegen hoch:

  • „Mein Getränk immer im Auge behalten, damit niemand etwas hineinschütten kann!“
  • „Keine Kleidung tragen, die aufreizend wirken könnte!“
  • „Keine Unterwäsche tragen, die aufreizend wirken könnte!“
  • „Immer nur ganz wenig, oder besser gar keinen Alkohol trinken!“
  • „Nachts nicht die U-Bahn, sondern lieber ein Taxi nehmen!“
  • „Im Taxi hinten sitzen!“
  • „Immer auf den Rücksitz schauen, bevor ich in mein Auto steige!“
  • „Immer eine Taschenlampe dabeihaben, damit ich auch im Dunkeln auf den Rücksitz schauen kann!“
  • „Beim Joggen keine Kopfhörer tragen!“

Die Liste wird sehr sehr lang.

Und das ist meines Erachtens ein ganz wichtiger Punkt!
Ja, Männer werden ebenfalls diskriminiert! Sie erfahren Gewalt!
Und ja: Auch sexuelle Gewalt!
Und das ist furchtbar und darf nicht sein! Aber es bestimmt offensichtlich nicht ihren Alltag.“

Was mir Stand heute dazu einfällt: Dass mir immer noch etwas dazu einfällt. Das Thema hat nichts an Aktualität verloren.

Ich bin nach wie vor in der glücklichen Lage, nie Opfer brachialer sexualisierter Gewalt geworden zu sein. Aber ich habe angefangen, über konsensualen Sex nachzudenken. Den es nicht gibt: Sex ohne Konsens ist Vergewaltigung.
Ich denke über den „semi-konsensualen Sex“ nach, den ich gelegentlich hatte.
„Abwägungs-Sex“ sozusagen: Fang ich jetzt ne Diskussion an, dass und warum ich keinen Bock habe, oder hab ich das Elend schneller hinter mir, wenn ich ihn einfach machen lasse?
Gruselig, nicht wahr?

Ich denke über solche Situationen nach, nach denen ich mir Vorwürfe gemacht habe, dass ich „ES“ nicht habe kommen sehen. Nicht etwa dem Mann, von dem der Übergriff ausging.

Für mich waren (und sind) sexualisierte Übergriffe so etwas wie Risiken im Straßenverkehr: Gibt’s! Musste halt aufpassen!
DAS finde ich gruselig!

Der Krieg – auch in mir

Mit Beginn des Krieges in der Ukraine bekommt das Stichwort „transgenerationales Trauma“ eine vollkommen neue Bedeutung für mich.
Im ersten Moment muss ich mich um ein Haar übergeben.
Dann werde von dem Gefühl überwältigt, dass mir DAS! WIEDER! passiert.

Wie bei einem déjà-vu, nur dass es nicht mit einem kurzen „mir ist, als hätte ich das schon einmal erlebt“ Moment getan ist. Es ist grauenvoll. Und es hört nicht auf!
Nach zwei Tagen voller Panik, während derer ich wieder und wieder in Tränen ausbreche, tritt Aglaia nach vorn und bekämpft Feuer mit Feuer: Ich bekomme höllische Schmerzen.
Das funktioniert: Ich kann nicht gleichzeitig Schmerzen und Panik haben.

Obwohl ich meine Anteile noch gar nicht kenne – habe ich doch gerade erst verstanden, dass ich überhaupt Anteile habe – spüre ich, dass sie zu helfen versuchen.
Aber mit Fortdauern des Krieges werden alle anderen – selbst T. – sehr still.
So still, dass ich anfange, sie zu vermissen.

Ich hatte gerade begonnen, sie wahrzunehmen, habe mich bemüht, ihnen zuzuhören, zu vermitteln wenn sie unterschiedliche Bedürfnisse hatten … jetzt komme ich mir vor, als müsse ich meine gesamte Energie darauf verwenden, nicht einfach auseinanderzufallen.

Morgens liege ich im Bett und schaue meinen Schmerzen beim Wandern zu – eine Art umgekehrter Bodyscan.
Ressourcen wie Humor und Kreativität, die – vermute ich – von mehreren Anteilen genutzt werden, liegen brach und ich quäle mich durch die Tage. Mag den Hof nicht verlassen: Mir ist alles zu viel.

Glücklicherweise scheine ich beim Yoga vom „Tun“ ins „Sein“ übergegangen zu sein … das ist sehr viel weniger überkandidelt, als es klingt:
Etwas zu tun (oder zu lassen), muss ich jeden Tag auf’s Neue entscheiden, etwas zu sein, nicht.
Es ist ein Unterschied, ob ich entscheide, heute mal nicht zu rauchen, oder heute auf Fleisch zu verzichten, oder ob ich Nichtraucherin oder Vegetarierin bin. Dann nämlich ist die Entscheidung ein für alle Mal getroffen, ich denke nicht mehr darüber nach.
Ich bin eine Yogini, ein Mensch, der Yoga praktiziert, und lande, ohne mich oder einen inneren Schweinehund groß überwinden zu müssen, so ziemlich jeden Tag auf meiner Matte.
Ganz gleich, wie es mir geht, es fühlt sich richtig an!

Für die, die mich / uns noch nicht kennen und um Missverständnissen vorzubeugen: Yoga, wie ich es praktiziere, hat äußerst wenig mit Sport oder Gymnastik, aber eine Menge mit innerer Arbeit zu tun. Das kann von außen durchaus so aussehen, als läge ich – wenn auch ein wenig verdreht – einfach nur da. Sportlichen Ehrgeiz entwickle ich zwar durchaus auch, aber nur, wenn ich mal einen richtig guten Tag habe.

Beim Meditieren dagegen bin ich deutlich noch im „Tun“ und ohne Anleitung fällt es mir zur Zeit noch schwer. Aber es ist mir gelungen, die Götter des Internet gnädig zu stimmen und kann immerhin regelmäßig am Online-Kurs teilnehmen.
Außerdem ist mir die traditionelle cevenole Schlendermeditation wieder eingefallen!

Dass unser Badezimmer nicht im Haus, sondern ein eigenes Häuschen ist, zu dem wir ein paar Schritte laufen, hab ich sicher mal erzählt!
Mindestens einmal am Tag laufe ich auf dem Rückweg um die Hofgebäude herum – „take the long way home“ sozusagen …
Und gebe dabei acht: Betrachte den Boden, registriere all die winzigen Pflanzen und Insekten, die Düfte, spüre Sonne und Wind, schnuppere, spitze meine Ohren.
Seit ich mich habe aufraffen können, ein wenig zu gärtnern besuche ich auch regelmäßig „meine“ Pflänzchen und schaue ihnen beim Wachsen zu.
Dann gelingt es mir, einen Moment lang, einfach zu tun, was ich tue.

Ein kleiner Waldmeister

Die Weisheit des Mönches

Ein Mönch wurde gefragt, warum er trotz seiner vielen Aufgaben immer so gesammelt sein könne: „Wie gestaltest du denn dein Leben, dass du so bist, wie du bist, so gelassen und so in dir ruhend?“ Der Mönch sprach:
„Wenn ich stehe, dann stehe ich; wenn ich gehe, dann gehe ich;
wenn ich sitze, dann sitze ich; wenn ich schlafe, dann schlafe ich;
wenn ich esse, dann esse ich; wenn ich trinke, dann trinke ich;
wenn ich schweige, dann schweige ich; wenn ich schaue, dann schaue ich;
wenn ich lese, dann lese ich; wenn ich arbeite, dann arbeite ich;
wenn ich bete, dann bete ich.“

Da fielen ihm die Fragenden ins Wort:
„Das tun wir doch auch. Aber was machst du noch, was ist das Geheimnis deines Mensch-seins?“

Der Mönch antwortete erneut in gleicher Weise.

Da warfen die Fragenden ein:
„Das wissen wir jetzt. Das tun wir alles auch!“

Der Mönch aber widersprach:
„Nein, eben das tut ihr nicht:
Wenn ihr steht, dann lauft ihr schon; wenn ihr geht, seid ihr schon angekommen;
wenn ihr sitzt, dann strebt ihr schon weiter;
wenn ihr schlaft, dann seid ihr schon beim Erwachen;
wenn ihr. esst, dann seid ihr schon fertig;
wenn ihr trinkt, dann kostet ihr nicht genug;
wenn ihr sprecht, dann antwortet ihr schon auf Einwände;
wenn ihr schweigt, dann seid ihr nicht gesammelt genug;
wenn ihr schaut, dann vergleicht ihr alles mit allem;
wenn ihr hört, überlegt ihr euch schon wieder Fragen;
wenn ihr lest, wollt ihr andauernd wissen;
wenn ihr arbeitet, dann sorgt ihr euch ängstlich;
wenn ihr betet, dann seid ihr von Gott weit weg.“

Überliefert. Quelle unbekannt

Spinne, Rabe, Känguru

Mir schwant nichts Gutes, als am Tag des Online-Workshops zur Einführung in die Arbeit mit inneren Anteilen böiger Wind aufkommt …
Unser Tun und Lassen wird weit über landwirtschaftliche Belange hinaus vom Wetter bestimmt: Bei Gewitter ist stets mit Stromausfällen zu rechnen, bei starkem Wind bläst es uns das Internet weg …
In der Küche ist eingeheizt, Yogamatte und Kuscheldecke einerseits, Papier und Stifte andererseits liegen bereit … und ich komme nicht über die Einleitung hinaus, erfahre gerade eben, was ich erfahren würde, wenn ich denn online bliebe
Das erinnert schon ein bisschen an die Zeiten, als Funksprüche auf die Informationen zwischen all dem „rrrrks“ und „knacks“ abgehört wurden …

Gasthaus“ schnappe ich auf, „Anteile treffen“ … „drei auswählen“ …
Bei angeleiteten Meditationen gibt es immer wieder Pausen des Schweigens – die Meditierenden sollen sich ja auf ein Bild, eine Frage oder dergleichen fokussieren und nicht einfach zugeschwallt werden. Ich versuche, die Länge der Pausen einzuschätzen und spinkse hin und wieder zur Kamera und ihrem Lämpchen:
Grün … grün … aus!
Dann wechsle ich von der Yogamatte auf den Küchenstuhl und versuche, die Götter des Internets gnädig zu stimmen. So kann ich nicht meditieren!

Manchmal bleibt die Verbindung zwar erhalten, aber das Bild friert ein und ich höre nichts. Es gelingt mir, Bröckchen des Theorieteils zu erhaschen. Aber den größten Teil der Zeit sitze ich einfach frustriert und gelangweilt vor dem Rechner.

Einem Teil meiner Anteile bin ich ja schon begegnet … zur Not kann ich sicher drei aussuchen, mit denen ich später arbeiten möchte.
„Nicht ausgerechnet gleich die schwierigsten“ … soviel immerhin habe ich mitbekommen. Aber so oft ich im Hundetraining auch gepredigt habe, dass wir immer vom Leichten zum Schwierigen trainieren: Ich konnte mich noch nie an meine eigenen Ratschläge halten.

„Du bist einfach nur faul und undiszipliniert!“ habe ich unterdessen an anderer Stelle gelernt, ist womöglich die Stimme eines täternahen, täterloyalen Anteils, oder ein sogenanntes Täterintrojekt. Das Wort „Täter“ ist, finde ich, an dieser Stelle missverständlich, weil zumindest ich an „Täter“ im Sinne von „Straftäter“, „Gewalttäter“ denken muss, was so aber gar nicht zwingend gemeint ist. „Täter“ können zum Beispiel auch einfach Elternteile sein, die ihrerseits instabil, nicht zuverlässig ansprechbar und schützend sind. „Auslöser“ oder „Verursacher“ wäre vielleicht passender.
Mein allererster Therapeut hat mir mal erklärt, man spreche in der Therapie nicht von Schuld, sondern von ursächlicher Beteiligung. Irgendwie so …

Ein solcher Anteil wertet nicht, sondern hält dem ursächlich beteiligten Menschen die Treue, beschützt ihn und generiert so Nähe und Sicherheit. Täternahe Anteile verzeihen dem Täter – allerdings nicht aus einer friedfertigen, heilenden Haltung heraus:
(„Ein kleiner Klaps hat noch niemandem geschadet!“ wäre ein ganz typischer Ausspruch eines solchen Anteiles).
Es sind außerordentlich starke Anteile, deren Entstehen dem Überleben dient: Sie sind hart gegen „sich“ selbst und verhindern den Zusammenbruch des Systems, indem sie schwächere, verletzbare Anteile beschützen.

Das Thema windet sich wie ein Aal, so richtig bekomme ich es noch nicht zu fassen* – ähnlich wie bei „Dissoziation“ und „Glaubenssatz“, werde ich wohl einfach warten müssen, bis mein Verstand die Information in einer Form vorfindet, die er für „verdaulich“ hält.
Aber gestolpert bin ich nun einmal darüber und das Detail „hat dem Täter verziehen“ hat mich kurzerhand von den Füßen geholt.

* Eine recht gute Erklärung findet sich hier: https://www.youtube.com/watch?v=mhVt3r_7aWc

Im Hier und Jetzt sitze ich immer noch vor dem Rechner. Nichts tut sich.
„Täterintrojekt“ sinniere ich … „TI“ … „T“!
T ist eine von Taras Persönlichkeiten in „Taras Welten“, sie trägt ein „T.“ Tattoo auf dem Po.
Mein Blick fällt auf die bereitgelegten Stifte.
Ich beginne, ein pinkfarbenes T zu zeichnen.
Seit Jahren habe ich nicht zu zeichnen versucht: Durch die Makuladegeneration verschwindet alles, was ich direkt anschaue, hinter einer grauen Fläche und auch mit meiner Feinmotorik steht es grad nicht zum Besten.

Dementsprechend krakelig fällt mein T aus. Trotzdem habe ich Lust, aus dem Punkt ein Herzchen zu machen und das T selbst auch noch mit Lila zu dekorieren.

Mit meiner Angst sollte ich vielleicht auch einmal ein Wörtchen reden …
Es gibt eine Sorte Spinnen, die ich für mich „Eckenspinnen“ nenne, weil sie gern in Ecken sitzen. Sie bestehen fast nur aus Beinen und sind so hauchzart, dass man sie kaum sieht. Erschrecken sie, beginnt der ganze Körper zu beben. Bei Gefahr rennen sie eilig davon.
Beim Staubsaugen achte ich immer sehr darauf, ihnen reichlich Vorsprung zu lassen, damit ich sie nicht versehentlich aufsauge.

Die Eckenspinne gelingt schon besser.

Außerdem, fiel mir auf, weiß ich gar nicht, wer Aglaia eigentlich ist …
Für sie möchte ich einen Raben zeichnen.
Um Raben ranken sich zahlreiche Mythen – sie gelten als Unglücks- oder gar Todesboten, ursprünglich aber auch als Bringer des Lichts.
Der germanische Gott Odin führte stets zwei Raben, Munin und Hugin, mit sich, die er jeden Tag ausschickte, um zu erfahren, was in der Welt Wichtiges geschah.Im Mittelalter galten Raben als Begleiter von Hexen.
Schon als Kind habe ich mir einen zahmen Raben erträumt und der Anblick „unserer Raben“ weckt, wenn sie über dem Hof kreisen, immer mal wieder eine gewisse Begehrlichkeit.
Als ich versuche, einen Raben zu „sehen“ (man kann nicht zeichnen, wovon man keine genaue Vorstellung hat) fällt mir Wilhelm Buschs Hans Huckebein ein, seine Vorliebe für Alkohol und sein unwürdiges Ende …

Zurück zum Bild eines beeindruckenden Rabenvogels!
Leider gelingt mir lediglich eine schwarze Friedenstaube mit großem Schnabel …

Zu meinem Selbst will mir zunächst so gar nichts einfallen, also schreibe ich einfach ein dünnes „Selbst“ auf das entsprechende Blatt.
Wie sich zeigt, habe ich trotz der „Funkstille“ alles richtig gemacht: Wir hätten den Namen oder ein Stichwort für den jeweiligen Anteil auf ein Blatt schreiben sollen, Zeichnungen werden normalerweise später angefertigt.
Die Blätter werden auf dem Fußboden ausgelegt: Auf dem „Selbst“ stehen wir, die Anteile liegen vor uns. Ganz kurz höre ich eine Stimme aus dem OFF, die das extrem albern findet.
In (oder eben auf) unserem Selbst können wir uns verankern: Sollte der Kontakt mit einem der Anteile schwierig werden, können wir zu uns selbst zurückkehren.
Ich stehe stabil, ganz leicht im Knie und erinnere mich an einen Ratschlag, den ich einmal gelesen habe: Stell dir vor, du hättest einen langen, muskulösen Schwanz, mit dem du dich zusätzlich auf dem Boden abstützen kannst.
Und mir wird klar: Ein Känguru!
Das Bild für mein Selbst ist ein Känguru. Und es trägt Boxhandschuhe.

Nun sind wir eingeladen, uns „auf“ den Anteil zu stellen, mit dem wir in Kontakt treten möchten.

Ich hatte mit T beginnen wollen, bekomme aber plötzlich solche Angst, dass ich es sinnvoller finde, mich zuerst auf die Eckenspinne zu stellen. Kaum dort angekommen, beginne ich zu weinen. Es ist ein Weinen, das ich von mir gar nicht kenne: Ich selbst verkrampfe mich dabei, ziehe die Schultern hoch, halte die Luft an – hier weint jemand ganz entspannt.
Und rät mir, einmal zu schauen, ob meine Höhenangst womöglich etwas damit zu tun hat, dass ich nicht „zu hoch hinaus wollen“ darf.

Nach einer Verschnaufpause bei mir selbst, versuche ich, Kontakt zu T aufzunehmen.
Im ersten Moment habe ich das Gefühl, mich übergeben zu müssen.
Dann: Nichts. Keine Reaktion.
Erst als ich zu meinem Selbst zurückkehre, spüre ich einen deutlichen Schub von hinten, als solle ich wieder zu T hin …
Das wird – wenn auch nicht jetzt sofort – mit Sicherheit passieren.
„Vielleicht“, schießt mir durch den Kopf, „freut sie sich für’s Erste einfach, dass ich ihr ein Bild gemalt habe.“.

Nun zu Aglaia.
Ich bekomme sofort heftige Schmerzen in der linken Körperhälfte. Vom Kopf bis zu den Füßen – sogar die Zähne tun weh. Ansonsten schweigt sie.
Der größte Teil der Anleitung zum Umgang mit meinen Anteilen, ist leider an mir vorbeigerauscht – da war was, aber ich erinnere mich nicht …
Nur daran, dass ich meinen Anteilen einen guten Wunsch senden kann.
Aglaia, von der ich glaube, dass mit ihr auch die bleierne Schwere einhergeht, die es mir manchmal unmöglich macht, mich auch nur im Bett aufzusetzen, wünsche ich, dass ihr Flug gelingen möge.

Flöhe hüten

Die letzten Tage waren alles andere als einfach.
Die Ataxie nach einer entzückenden Romanfigur „Laufente Lisbeth“ zu nennen, kommt meiner Neigung, die Dinge möglichst von der heiteren Seite zu nehmen, entgegen, aber ganz so lustig, wie es klingt, ist es nicht, wenn man tatsächlich Bewegungs- und Koordinationsstörungen hat.
Ich muss höllisch aufpassen, nicht zu stürzen, hebe Tassen und Gläser vorsichtshalber mit beiden Händen zum Mund und übe mich in Gelassenheit, wenn mir der Käse zum dritten Mal vom Brot fällt.

Meine Anteile beginnen sich zu zeigen – nicht nur, wenn sie in der Meditation dazu eingeladen sind, sondern bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit.
Natürlich materialisieren die sich nicht einfach. Und ich höre auch keine Stimmen … jedenfalls nicht wirklich.
Eigentlich – vermute ich jedenfalls – wissen wir alle, wie das ist : „Ich habe auch eine sehr fürsorgliche Seite“, „ich habe eine kreative Ader“ und ähnliche Beschreibungen klingen ja – ebenso wie die „zwei Seelen, ach!“ – nicht unvertraut. Und wir erinnern uns manchmal so lebhaft an die Worte einer Lehrerin oder unseres Großvaters, dass wir sie regelrecht hören können.
Wer alt genug ist, sich noch an das „Lenor-Gewissen“ zu erinnern, weiß, mit welcher Selbstverständlichkeit dieses Bild verstanden wurde und wird.
Meine Anteile scheinen halt … sagen wir … besonders eigenständig unterwegs zu sein.

Nachdem ich bereits verstanden habe, dass, wenn „produktiv“ und „kreativ“ sich verabredet haben, die Ärmel hochzukrempeln und gemeinsam ein Chaos in der Küche zu veranstalten, jemand, dem genau das nicht geheuer ist, sich nicht anders zu helfen weiß, als meinen Blutdruck in die Höhe zu jagen, bemühe ich mich, Ausgleich zu schaffen.
Wir nehmen mal eines der fünf Projekte in Angriff, wir machen das ganz in Ruhe und wir hören dabei einen Krimi (etwas vorgelesen bekommen mögen alle, Krimis die meisten und „das Kind in mir will achtsam morden“ passt einfach wie die Faust auf’s Auge). Das funktioniert.

Aber es ist auch wahnsinnig anstrengend!
Ich kann schließlich nicht jedes Mal, wenn jemandem – Entschuldigung! – ein Pups quer sitzt, eine halbe Stunde lang meditieren, ich muss das irgendwie on the fly koordiniert kriegen.
Und es sind ja nicht nur diese drei: Nach dem Motto „Wehe wenn sie losgelassen“ machen sich potentielle Anteile, Erinnerungen und Glaubenssätze in einem kunterbunten Durcheinander bemerkbar. Zuweilen ist es, als wären die Teile mehrerer Puzzles in eine Schachtel geraten.
Kein Wunder eigentlich, dass in solchen Momenten die (Fein)motorik leidet – das stockt und ruckelt dann wie bei einem Fuhrwerk, in dem jedes Pferd in eine andere Richtung losrennen will.

Immerhin: Es geht voran!
Mit dem Stichwort „Glaubenssatz“ ging es mir sehr ähnlich, wie mit „Dissoziation“ auch: Die Botschaft hörte ich wohl, allein sie kam nicht an … Da musste erst der erwähnte Krimi kommen, der die Information quasi nebenbei einsickern ließ:
Glaubenssätze entwickeln wir in der frühen Kindheit, wenn wir noch ganz und gar abhängig von unseren Eltern sind. Sie erklären uns entweder, warum unsere Bedürfnisse nicht erfüllt wurden („ich bin schlecht, ich habe das nicht verdient“), oder aber, was wir tun müssen, um vor den Augen unserer Eltern zu bestehen.
Da wir diese Sätze tief verinnerlicht haben, handeln wir danach, ohne uns dessen bewusst zu sein.

Neulich hab ich beim Anblick der Wasserflasche auf dem Küchentisch bemerkt, wie durstig ich bin, gleichzeitig aber gesehen, dass die Spülmaschine zu Ende gelaufen war. Und wie selbstverständlich wollte ich diese erst einmal ausräumen, bevor ich etwas trinke.
„Was zur Hölle? Ich hab Durst! Was macht es schon, wenn ich zuerst etwas trinke?“

Ab diesem Moment habe ich angefangen, darauf zu achten, wie ich mit meinen eigenen Bedürfnissen umgehe. Und tatsächlich: Bevor ich mir eines erfülle, erledige ich stets erst irgend etwas anderes.
Kurz darauf hab ich die Worte dann auch klar und deutlich hören können: „Nicht immer alles sofort!“.
Wieder in einer Situation, in der ich Durst hatte. Diesmal allerdings angesichts einer gut gekühlten Flasche köstlichen Wasserkefirs.
Der musste – zugegeben – sehr vorsichtig geöffnet werden, ergo „Nicht immer alles sofort – du kannst Wasser trinken, wenn du jetzt Durst hast!“.
Ich war so empört, dass ich laut geantwortet habe: „Lass das doch mal! Wenn ich verdammt nochmal jetzt Wasserkefir trinken will, dann darf ich das auch!“.

Gesagt, getan.
Okay … die Flasche zu öffnen, war ein riskantes Unterfangen und ist schiefgegangen – gegen Wasserkefir ist selbst gut geschüttelter Champagner ein Niemand. Was sich nicht in der Küche verteilt hat, war dann aber wirklich lecker!
Explosiver noch war die Reaktion meines Körpers: Ich hatte das Gefühl darin regelrecht umhergeschleudert zu werden. Konfrontationskurs scheint als Taktik nur semi-geeignet zu sein …

Also hab ich zu überlegen begonnen, wann dieser Satz hilfreich für mich ist.
Er macht es mir leicht, zwischen den Mahlzeiten nicht zu naschen – darum mag der eine oder die andere mich durchaus beneiden.
Er bewahrt mich vor Spontankäufen: Bei teuren Wünschen kriege ich es mitunter fertig, über Jahre abzuwarten, ob ich etwas wirklich haben möchte. Manche Begehrlichkeit gerät darüber sicher in Vergessenheit, aber mit den Dingen, die ich letztlich tatsächlich kaufe, bin ich dann meist auch hochzufrieden.
Hier habe ich sozusagen Verhandlungsspielraum: Grundbedürfnisse werden zukünftig unverzüglich erfüllt, bei kostspieligen Wünschen soll und darf der Satz geschätzter Ratgeber bleiben.

Was ich gegen das innerliche Zittern, das Gefühl des umhergeschleudert Werdens tun kann, lehrt mich die weise Meditierende: Körperübungen wie Schütteln oder Klopfen geben mir das Gefühl zurück, in meine Haut hineinzupassen.

Dann allerdings, als ich gerade zu hoffen beginne, mit meinen Bemühungen auf einem richtig guten Weg zu sein, meldet sich ein Teil von mir zu Wort, den ich zwar nur zu gut kenne, aber so wenig leiden kann, dass ich ihn beim Einrichten meines Gasthauses sogar dann noch ignoriert habe, als er höchstpersönlich erschienen ist. Soviel zum Thema „ich mag meine Anteile willkommen heißen“ …

Es ist der Teil, der mich undiszipliniert und faul findet. Schon immer fand. Der den ganzen Quatsch mit Depression und Angststörung nie geglaubt hat. Der sich ganz sicher ist, dass ich mir meine Schmerzen lediglich einbilde, die neurologischen Erscheinungen simuliere. Und jetzt auch noch Persönlichkeitsanteile: Is klar!
Dieser Teil findet mich nicht undiszipliniert und faul, er weiß das! Und brüllt mit diesem Wissen alles nieder, bis ich keinen klaren Gedanken mehr fassen kann.


Bei meinem nächsten Gespräch mit der weisen Hebamme breche ich in Tränen aus, kaum dass ich „Bonjour“ gesagt habe.
Ich bemühe mich, hervorzuwürgen, was mir widerfahren ist. Es ist mühselig und frustrierend, das nicht in meiner Muttersprache tun zu können – stattdessen wechseln wir ständig zwischen Französisch und Englisch, je nachdem, wo wir uns gerade beide des Vokabulars sicher sind – aber es verschafft mir auch ein wenig Distanz, so dass es mir leichter fällt, mich zu beruhigen.
Auch der Umstand, dass sie mir ganz und gar unaufgeregt und entspannt zuhört, tut mir gut.

Dafür, dass ich in der Meditation Dinge sehe, meint sie, seien zwei Gründe denkbar: Es könne sich um Erinnerungen aus meiner Familiengeschichte handeln, oder aber – ähnlich wie in Träumen – um Botschaften meines Unterbewusstseins.
Bezüglich der Stimme, die mir erklärt, undiszipliniert und faul zu sein, schlägt sie vor, diese nicht als Teil meiner selbst zu sehen, sondern als Teil meiner Erkrankung, eine Energie, die – einstmals überlebensnotwendig – aus der Vergangenheit bis in meine Gegenwart hinein gewirkt hat, und nun ihre eigene Daseinsberechtigung, ihr eigenes Überleben gefährdet sieht. Und deswegen mit aller Gewalt um sich schlägt.

Auch dieser Teil ist zu jemandes Schutz entstanden, denke ich mir, wenn auch nicht zu meinem: Scheint, ich habe ihn geerbt …
Und ich bin mir durchaus nicht sicher, ob dieses Erbe mir ausschließlich zum Nachteil gereicht: Es könnte ja durchaus dieser Anteil sein, der mich in Krisensituationen völlig gelassen bleiben lässt, der mich befähigt, durchzuziehen, was ich einmal angefangen habe. Der Teil von mir, den andere „mutig“ finden, wenn ich nur tue, was mir unvermeidbar scheint.

Ich sollte ihm danken, finde ich.
Ich erweitere mein Gasthaus um eine Veranda, auf welcher eine alte Dame auf einem Schaukelstuhl sitzend und Erbsen pulend die Abendsonne genießen kann – yup! Rita Mae Brown lässt grüßen! „Jacke wie Hose“ um genau zu sein …
Vielleicht kann dieser Teil von mir sich nach und nach mit der Idee anfreunden, in den Ruhestand zu gehen. Im Fall der Fälle kann er ja immer noch die Ritterrüstung aus dem Schrank holen.

Versuch’s doch mal mit Yoga!

Dieser Text ist einer lieben Freundin gewidmet, der Yoga schon so oft empfohlen wurde, dass sich ihr Nackenfell bereits bei „Yo …“ zu sträuben beginnt.

„Versuch’s doch mal mit Yoga!“ kommt gleich nach „Ausdauersport ist gut gegen Depressionen!“ und „sorg mal ein bisschen für dich, sei nett zu dir selbst: wie wäre es mit einem schönen, duftenden Schaumbad?“ …
Ausdauersport, vulgo „Joggen“ – das habe ich bestimmt mal erzählt – ist bei mir schon daran gescheitert, dass ich beim Anziehen der Socken in ein Dimensionstor geraten bin: Eine halbe Stunde nach dem Entschluss, mich anzuziehen, war Socke Nummer eins immer noch nicht am Fuß. Das Schicksal von Socke Nummer zwei liegt bis heute im Dunklen …

Aber die Nummer mit dem Schaumbad hab ich ausprobiert!
Das volle Programm: Brühheißes Wasser, reichlich duftender Schaum, Kerzen auf dem Wannenrand, eine Handvoll auf Vorrat gedrehter Zigaretten (da hab ich noch geraucht), ein heiterer Roman (Bridget Jones – damals bin ich wirklich vor nichts zurückgeschreckt) und – aber echt nur ganz ausnahmsweise! – ein Fingerbreit Whisky (Sekt war aus).
Hat’s nicht gebracht.

In die Sonne, oder eben in die Badewanne gehen, Sport treiben etc. ist natürlich auch für solche Menschen gut, die zu Depressionen und Ängsten neigen. Mit der Betonung auf neigen: Während einer Depression kann es schon eine erhebliche sportliche Herausforderung sein, das Bett zu verlassen, sich anzuziehen und sich einigermaßen regelmäßig zu waschen. Und tatsächlich gibt es Formen der Depression, bei denen all das nicht hilft. Wirklich nicht. Überhaupt gar kein Bisschen. Trotzdem ständig dazu aufgefordert zu werden, womöglich mit vorwurfsvollem Unterton („wenn du das nicht machen willst, bist du ja schon irgendwie selbst schuld …“) macht es nicht besser.


Warum ich dennoch Yoga praktiziere

Vor einigen Jahren habe ich begonnen, mich mit dem Thema „Achtsamkeit“ bzw. „MBCT – Mindfulness Based Cognitive Therapy (achtsamkeitsbasierte Verhaltenstherapie) zu befassen, wozu ein allmorgendlicher Bodyscan gehörte.

Rückblickend denke ich, zumindest für den Bodyscan war es noch zu früh: Ich habe die lebhafte Reaktion meines Körpers auf meine Versuche, seiner gewahr zu sein, zwar zur Kenntnis genommen, konnte aber nichts damit anfangen.
Zur Unterstützung der Übungen wurde Yoga empfohlen, genau gesagt: bestimmte Yoga Übungen.

Als kurz darauf im Dorf ein Yoga-Kurs angeboten wurde, hab ich nicht lange gefackelt.
Nicht, weil ich das unbedingt gewollt hätte. Ich fand, das sei Kismet: Der maximal unwahrscheinliche Umstand, dass irgendwo im Nirgendwo just dann ein Yogakurs angeboten wurde, als ich darüber nachdachte, einen zu besuchen. Sowas verpflichtet …
Und das Universum war mit mir: Wie der Zufall es wollte – aber das ist mir erst sehr viel später klargeworden – wurden dort genau die Übungen unterrichtet, die ich brauchte.
Heute weiß ich, dass es sich bei dem, was ich gelernt habe und immer noch lerne, um traditionelles und sehr kleinschrittig aufgebautes Hatha-Yoga handelt, damals war mir das – ehrlich gesagt – vollkommen schnuppe, da hatte ich ganz andere Sorgen.

Den Hof zu verlassen um ganz allein unter lauter fremden Menschen, deren Sprache ich nicht beherrschte, an ganz egal was teilzunehmen, hat mir anfangs solche Angst eingejagt, dass ich mit nichts anderem beschäftigt war. Trotzdem war es nicht einfach Erleichterung, was ich empfunden habe, wenn ich das Training wieder einmal überstanden hatte, sondern ich habe mich leicht und fröhlich gefühlt. Irgendetwas hat Yoga bewirkt, soviel war klar.
Und irgendetwas ist auch passiert, wenn ich das Training – zum Beispiel während der Schulferien, wenn der Kurs nicht stattfand – „geschlabbert“ habe. Dann bin ich regelmäßig in die Depression abgerutscht.
Gleichwohl war nicht alles eitel Sonnenschein, nicht alle Erfahrungen leicht und fröhlich: Yoga kann alte Emotionen berühren und aktivieren, die wir zwar aus unserem Bewusstsein eliminiert haben, die der Körper aber dennoch in Erinnerung behält. Die Tränenausbrüche und Panikattacken, die das Training auf diese Weise auszulösen vermag, fühlen sich höchst gegenwärtig an – ganz egal, wie alt die Erinnerungen auch sein mögen.
Bei mir war es insbesondere eine bestimmte Übung, die aus just diesem Grunde bis heute die „tränenreiche Torsion“ heißt – auch wenn sie unterdessen zu meinen liebsten Routinen zählt.

Anfangs also war Yoga ein Mittel im Kampf gegen meine Angst, später dann gegen die Depression. Als ich zunehmend unter Schmerzen zu leiden begann, habe ich die Übungen genutzt, um diese ertragen zu lernen: Selbst wenn es mir die Tränen in die Augen getrieben hat – es war immer noch möglich, zu atmen und mich zu entspannen, es gab immer noch etwas jenseits der Schmerzen.
Mittlerweile sind die Übungen fester Bestandteil meines Alltags und seit ich die passenden Medikamente bekomme, mache ich tatsächlich auch Fortschritte.

Mit den anmutigen Flows, die ich – zugegeben – hin und wieder selbst gerne bei Youtube bestaune, hat mein Tun dennoch nicht mehr gemeinsam, als dass beides auf einer Matte stattfindet.
Die Arbeit – die weise Yogini spricht tatsächlich von travail – findet in der Haupsache im Körper statt, mit viel hinein atmen, sich Millimeter für Millimeter in eine Haltung hinein entspannen, in sich hinein fühlen. Wenn die angestrebte posture dabei zunächst nur angedeutet wird, ist auch das in Ordnung und falls selbst das nicht möglich sein sollte, kann die Übung immer noch mental ausgeführt werden.
Gelegentlich ist mir schon der Verdacht gekommen, dass das der Grund ist, warum beim Training die Augen geschlossen werden: Damit ich nicht sehen muss, dass die Kniekehlen meiner gefühlt durchgestreckten Beine immer noch eine Handbreit vom Boden entfernt sind …
Andererseits schaffe ich es mittlerweile, Positionen zu halten, aus denen ich anfangs wie ein nasser Sack herausgeplumpst bin.

Als ich nun erfahre, dass Hatha-Yoga insbesondere in der Trauma-Therapie empfohlen wird, bitte ich die weise Yogini, mich bei meinen Bemühungen diesbezüglich zu unterstützen.
Außerdem hat mich dann doch ein gewisser Ehrgeiz gepackt: Ich hab versucht, mir selbst ein paar weitere Asanas beizubringen und möchte, dass sie draufschaut, ob ich alles richtig mache.

Ihr Gesichtsausdruck, als ich erzähle, dass ich Youtube-Videos anschaue, um mehr über Yoga zu lernen, ist schwer zu deuten, entspannt sich aber, bilde ich mir ein, als ich versichere, die Flows wirklich nur anzugucken
Sie hört sich geduldig an, was ich an Anregungen im Internet und in meinem dicken Yoga-Buch gefunden habe und lässt mich mehr als einmal wissen „Wenn du das Prinzip verstanden hast, kannst du das so machen! Dann kannst du alles so machen, wie du möchtest!“ …
Dann fragt sie, wo genau ich eigentlich die meisten Schmerzen habe und bittet mich, ihr zwei ganz unspektakuläre Übungen, die zu den absoluten Basics gehören, einmal vorzuführen.
Was es bedeutet, Wirbel für Wirbel abzurollen, habe ich schon im Schulsport gelernt – heute lerne ich, wie es ist, wenn jemand guckt, ob wirklich jeder einzelne Wirbel tut, was er soll …
Und siehe da: Das sind nicht nur die Stellen, die wehtun, sondern auch die, die ich beim Bodyscan nicht erreichen kann. Die Platte an der Stelle, wo mein Dekolletee sein sollte zum Beispiel.
Da rollt genau gar nix …

Während ich mich mit vor Anstrengung zitternden Muskeln bemühe, meine Rückenwirbel durchzuzählen, lösen sich meine Ambitionen, grazile Asanas einzunehmen, dezent in Luft auf: Ich möchte, dass die weise Yogini nach und nach alles, was ich bereits zu können geglaubt habe, noch einmal genau in Augenschein nimmt.

Der Moment der Wahrheit kommt, als sie mich fragt, ob ich auch Pranayama, die Atemübungen, praktiziere.
Ähm … ja … also … theoretisch schon! Ich nehme mir täglich vor, sie regelmäßig zu üben! Also: Ab morgen …
Tatsache ist: Ich hab enorme innere Widerstände!
Was die weise Yogini nicht überrascht: Traumata manifestieren sich im Körper und können daher die Atemübungen extrem erschweren.
Aber, sagt sie: Ohne Pranayama ist es kein Yoga!
Wir einigen uns darauf, dass ich in winzig kleinen Schritten noch einmal ganz von vorn beginnen werde.
Ich komme dieser Verpflichtung nach, weil ich weiß, sie wird fragen beim nächsten Mal … aber rechte Begeisterung will sich nicht einstellen. Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass es „Übung“ heißt, weil man es üben soll – nicht weil man es gleich kann.

Außerdem, bringt sie mir schonend bei, sind auch Asanas und Pranayama lediglich ein kleiner Teil dessen, was Yoga umfasst. Ich bin fasziniert – auch und vor allem, weil sie zu leben scheint, wovon sie da erzählt – und mag mehr darüber lernen.
Ganz gleich, wie weit ich auf diesem Weg kommen mag: Ich bin sicher, ich gehe in die richtige Richtung!

Also doch „versuch’s mal mit Yoga!“?

Ich muss zugeben, dass ich an diesem Punkt wirklich an mich halten muss!
Mittlerweile nutze ich Yoga weniger, um Schmerzen ertragen zu lernen, sondern um sie zu lindern. Ich kann beginnende Depressionen einfangen, mich selbst zur Ruhe bringen und beginne, mich in meinem Körper mehr und mehr zu Hause zu fühlen.
Natürlich gönne und wünsche ich das auch anderen!

Ich glaube außerdem fest, dass, wer bereits über eine gewisse Routine verfügt, es schafft, sich zur Not vom Sofa auf die Matte plumpsen zu lassen, um da wenigstens den „toten Mann“ zu machen. Wenn’s gut läuft vielleicht auch noch ein, zwei andere Übungen, bei denen man bloß daliegt und atmet. Und ja: Schon das hilft!

Ich muss allerdings auch einräumen, dass ich erst einmal für geraume Zeit eine Art Eremitinnen-Dasein führen musste, bevor an „Yoga-Kurs“ überhaupt zu denken war.
Und ja: Ich hab ein Riesenglück gehabt, genau diesen Kurs bei genau dieser Lehrerin zu finden! Trotzdem musste ich mehrere Jahre daran teilnehmen, bevor ich die Wirkung so recht genießen konnte.

Jahaha, es fällt mir schwer! Es fällt mir schwer, weil ich ja helfen will!
Aber Tatsache ist, dass ich nicht nur den richtigen Yoga-Kurs gebraucht habe, nicht nur die richtige Yoga-Lehrerin, sondern auch den richtigen Moment. Den Moment, in welchem ich bereit war!

Diesen Moment kann ich jedem anderen Menschen nur wünschen!
Verordnen kann ich ihn nicht …

Zauberlehrling

Diesmal beginnt der Achtsamkeitsworkshop mit einer kurzen Übung, die uns helfen soll, erst einmal dort „anzukommen“. Das passt mit gut: Ich hab heute wieder einmal viel Zeit verloren und würde jetzt gerne wirklich dabei sein.
Als das „Ankommen“ allerdings beginnt, mir ungewöhnlich lang vorzukommen, muss ich feststellen, dass ich keineswegs dabei bin. Das Internet hat wieder mal den Löffel rübergereicht …
Also aus der Kuscheldecke pellen, von der Yogamatte aufrappeln, den Küchenstuhl erklimmen und die Technik erneut in Betrieb nehmen.
Auf dieser Übung wird für mich heute der Schwerpunkt des Workshops liegen.

Danach ist eine Meditation geplant, die das, was wir bisher geübt haben, kombiniert … spannende Sache!
Der Satz, den ich mir für Mettā, die liebende Güte, ausgesucht habe, lautet „Mögest Du leicht und freudig durchs Leben gehen!“.
Das innere Bild dazu ist der Moment, wenn ich, nachdem wir Holz gemacht haben, zum Haus zurückgehe: Holz machen wir nur bei gutem Wetter, also scheint die Sonne. Holz machen ist Knochenarbeit: Ich bin rechtschaffen müde, Arme und Rücken tun mir weh. Ich freu mich auf ein kaltes Bier und eine heiße Dusche! Aber zunächst sieht der Hund seinen Moment gekommen! Er hat uns selbstverständlich begleitet, musste aber Abstand halten und warten, bis wir mit der Arbeit fertig waren. Jetzt will er mit mir toben! Dieser riesige, furchteinflößende Hund hüpft fiepsend um mich herum, hascht nach meinen Händen und möchte Fangen spielen. Ich kann nicht anders: Ich muss lachen! Und ganz egal, wie müde ich bin: Natürlich mache ich mit!
Es sind Momente vollkommener Leichtigkeit und Freude.
Ich bin außerordentlich dankbar dafür, dass meine inneren Bilder mir häufig schlicht das Leben zeigen, welches ich sowieso führe …

Um die liebende Güte einem Menschen zu senden, dem ich neutral gegenüberstehe, vergegenwärtige ich mir den Physiotherapeuten des Nachbardorfes. Ich schätze seine Fähigkeiten, finde ihn aber auch sehr sympathisch. Das ist vielleicht nicht so wirklich neutral, aber er kann seit einem Unfall nicht mehr normal gehen und insofern scheint mir mein Wunsch für ihn gut geeignet zu sein.
Als ich jedoch eingeladen bin, mir sein Lächeln vorzustellen, wenn mein Wunsch ihn erreicht, verwandelt er sich in einen Schemen, eine männliche Silhouette, die sich mir bedrohlich nähert.
„Ganz schlechte Idee!“ denke ich noch „Ich hätte keinen Mann wählen dürfen!“ und schiele dann zu meinem Rechner. Ich bin offline …

Nach dieser kurzen Pause versuche ich, bei der Atembetrachtung wieder einzusteigen …
Es wird dunkel und ich habe einen Moment lang Angst, dass die Schwärze wiederkommt. Aber ich fühle mich sicher, kann den Boden unter mir, die Kuscheldecke über mir deutlich spüren.
Ich entscheide, dass die Schwärze sein darf.
Eines der Bilder, die uns zur Meditation vorgeschlagen werden, ist das einer Sonne in unserem Herzen, deren Strahlen wir unseren ganzen Körper erfüllen lassen können.
„Okay!“, denke ich mir, „Dann wollen wir mal Licht ins Dunkel bringen!“.
Es wird tatsächlich heller: Die Dunkelheit ist jetzt eher graubraun, nicht mehr tiefschwarz – so ist das, glaube ich, ganz normal mit geschlossenen Augen.
Ich beginne schemenhafte Gesichter zu sehen. Das ist ein bisschen so, wie wenn man eine Lichtquelle angeschaut hat und dann die Augen schließt: dann sieht man eine Art Negativ. Ich seh in dem Moment halt nicht nur eine Glühbirne, sondern Gesichtszüge. Das passiert mir nicht zum ersten Mal, weswegen es mich nicht weiter wundert oder gar beunruhigt.

Jetzt allerdings sehe ich plötzlich klar, als würde ich Fotos anschauen, deren Farben ein wenig verblichen sind.
Ich sehe einen Mann in einem hellblauen Oberhemd, der auf einem Gartenstuhl sitzt, eine alte Frau in einem gepunkteten Kleid (es scheint mir pinkfarben zu sein, aber kann das sein in ihrem Alter?). Die Farben der Bilder und der Stil der Kleidung lassen mich vermuten, dass diese aus den 60er, 70er Jahren stammen – dabei weiß ich nicht einmal, seit wann es Farbfilme gibt.
Ein Bild zeigt mir ein Mädchen mit großen, traurigen Augen. Frisur und Kleid wirken sehr viel altmodischer und das Bild ist schwarz-weiß – es wirkt fast wie eine Zeichnung.

Die Bilder drehen sich – wie die Figürchen in alten Spieluhren.

Das nächste Bild ist in dunklen Brauntönen gehalten, ein großer, aber nur spärlich beleuchteter Raum. Ich sehe den nackten Rücken eines Mannes, sein Kopf ist gesenkt, aber ich kann erkennen dass er langes Haar hat.
Plötzlich wird mir klar, warum er sich dreht: Er steht nicht auf einem sich drehenden Podest, er hängt! Er ist erhängt worden.

Bevor er sich so weit drehen kann, dass er mir das Gesicht zuwenden würde, beginnt „der Film zu brennen“.
Das hab ich als Teenager mal im Kino erlebt: Mitten auf der Leinwand sieht man plötzlich einen winzigen Punkt, der sich rasend schnell ausbreitet und nur eine weiße Fläche hinterlässt – wer sich noch an Bonanza erinnert, kennt den Effekt.
In meinem Fall breitet sich die Dunkelheit aus – ich sehe nichts mehr.
„Ich habe etwas gesehen, das ich nicht hätte sehen sollen!“, denke ich.
Und beginne zu schluchzen. Versuche, auch das zuzulassen, weiter zu atmen, und spüre, wie mir die Tränen in die Haare laufen.
Grad ist es eine Erleichterung, dass ich schon wieder offline bin.

Eigentlich mag ich den Workshop für heute beenden – andererseits möchte ich nichts verpassen. Und eigentlich fühle ich mich auch schon wieder ganz gut! Ich kann es ja wenigstens mal versuchen …

Jetzt soll es darum gehen, uns mit den Elementen – Erde, Wasser, Luft, Feuer – zu verbinden.
Ich weiß gar nicht, was gerade im OFF war, die Internet-Verbindung oder meine Konzentration, aber ich habe eine vage Idee, was der Plan ist. Und ich tue, was ich kann.
Normalerweise komme ich gut klar mit Bildern, kann mich gut auf Geschichten einlassen …
Und so kann ich wirklich fühlen, wie meine Schultern vom Wasser getragen werden (ich schwimme leidenschaftlich gern!), aber eine krakeelende Stimme, die all das zu einem großen Blödsinn erklärt, ist beim besten Willen nicht zu überhören …
Mit solchem Quatsch kann ich wirklich nichts anfangen!
So kenn ich mich gar nicht …

Ich versuche, mich trotz der Widerworte mit den Elementen zu verbinden.
„Zeitverschwendung!“, höre ich im nächsten Moment. „Da kommt eh nix bei raus, in der Zeit kannst du auch Brotaufstrich machen!“
Und „Ich muss Pipi!“.
Mir bleibt wirklich nichts erspart …
Ich schleiche mich aus dem Meeting und verbinde mich anders als geplant, aber höchst lebensnah mit Wasser und Erde.

In der Abschlussrunde sind wir eingeladen, ein Wort für das Gefühl zu nennen, mit dem wir heute aus dem Workshop gehen. Bei mir sind es zwei und sie benennen gar keine Gefühle, aber sei’s drum: Ich empfinde Hilfsbereitschaft und Schutz.
Meine Anteile sind bereit, mir Dinge zu zeigen, die bislang in der Dunkelheit verborgen waren. Und sie beschützen mich, wenn alles zu viel wird.
Das Internet streicht endgültig die Segel.


Es dauert einen Moment, bis ich realisiere, wie erschüttert ich bin.
Weder bin ich eingeschlafen, noch habe ich halluziniert – aber was um alles in der Welt habe ich da gesehen?
Es gibt tatsächlich Anteile, las ich, die sich schützend vor oder zwischen andere stellen. In einer Traumatherapie werden sie gebeten, einen Moment lang beiseite zu treten und zu zeigen, was oder wer sich hinter ihnen verbirgt. Aber selbst wenn ich annehme, dass sie mich – als ich Licht ins Dunkel bringen wollte – etwas haben sehen lassen …
Das war ganz sicher keine Erinnerung! Oder jedenfalls nicht meine …

Offenbar habe ich auch solche Anteile, die „was ich anfange, bringe ich auch zu Ende!“ nicht auf ihre Fahnen geschrieben haben, auch wenn ich mein Leben lang auf Gedeih und Verderb danach verfahren bin.
Die fanden, für heute sei genug meditiert.

Das Bild von den Geistern, die ich rief, hab ich ja bereits bemüht und es war gut gewählt, wie mir scheint: Meine Anteile beginnen, sich zu zeigen. Zuweilen kann ich sie fast diskutieren hören:
„Nur weil wir uns beim Meditieren irgendwas eingebildet haben, stellen wir uns jetzt nicht an!“
„Wir haben etwas Schlimmes gesehen und mussten weinen! Wir wollen nicht mehr!“
„Wenn wir uns nicht um den Brotaufstrich kümmern, werden die Zutaten schlecht. Gespült ist auch noch nicht! Das Abendessen muss fertig werden!“
„Mit den Elementen verbinden … Schwachsinn!“
„Ich muss Pipi!“

Überflüssig zu erwähnen, dass ich Angst habe, verrückt zu werden, oder?
Ich mag sie! Ihre Existenz erklärt so vieles, was bisher völlig rätselhaft war!
Und ich kann erkennen, dass sie alles versuchen, um gut für mich und füreinander zu sorgen.
Ich mag sie sehr gerne in meinem /unserem Leben willkommen heißen!

Und habe furchtbare Angst, dass ich mir all das nur einrede. Schön rede.
Mir etwas ausdenke, obwohl ich eigentlich nur … ja was eigentlich? … bin.
Witzig … als ob es wichtig wäre, ob ich die Latten längs oder quer nicht alle am Zaun habe …

Für’s Erste hat mein Körper die Notbremse gezogen.
Schluss mit den Gedankenspielchen: Ich benötige meine volle Konzentration, um nicht über meine eigenen Füße zu stolpern. Nichts fallen zu lassen.
Neulich hab ich mit dem Gedanken gespielt, meinen Anteilen Indianer-Namen zu geben …
Grad hat Laufente Lisbeth das Zepter in der Ha … unter dem Flügel.

Das Gasthaus

Ganz genau genommen gibt es nicht nur die weisen Frauen, sondern auch einen weisen Mann, dessen Buch ich zur Zeit lese (auf dem Klo, wie alles, was Fach- oder schwierige Literatur ist – häppchenweise. Wenn ich damit fertig bin, mag ich mich an eine Rezension wagen).
Gerade lerne ich, dass auch „ganz normale“ Menschen nicht aus einem einzigen „Selbst“ bestehen, sondern aus unterschiedlichen Persönlichkeitsanteilen, die einander ignorieren und durchaus auch die Kooperation verweigern können.
Das hat – wenn man so will – schon der alte Goethe gewusst: „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“ …

Bei traumatisierten Menschen kann diese Aufteilung in verschiedene Anteile sehr ausgeprägt sein, ohne dass man schon von einer Persönlichkeitsstörung sprechen würde.
Wenn ich das für mich einmal so annehme, werden Phänomene nachvollziehbar, die bislang unerklärlich waren. Warum ich zum Beispiel immer wieder „Zeit verliere“: Ich gehe in die Küche um etwa Nudeln zu kochen und Bolognese-Sauce aufzuwärmen, ein Vorhaben, welches objektiv und großzügig geschätzt maximal 30 Minuten in Anspruch nimmt, bin zwei Stunden später fertig und kann mir nicht erklären, wie das passieren konnte.
Oder warum mein Blutdruck innerhalb von Sekundenbruchteilen extrem in die Höhe schnellt, als hätte ich eine Panikattacke, obwohl ich ganz entspannt bin und lediglich darüber nachdenke, was ich als nächstes tun möchte.

Ohne Frage verfüge ich über einen Anteil (oder er über mich?), der hochproduktiv ist und ständig Pläne schmiedet, was ich alles rasch mal erledigen, oder wenigstens gelegentlich in Angriff nehmen könnte.
Und einen kreativen, der sich Rezepte sehr viel lieber ausdenkt, als sie zu befolgen, Experimente liebt und sehr gerne bastelt und malt.
Wenn ich mir anschaue, was ich in der Küche so veranstalte, befeuern diese beiden sich vermutlich gegenseitig.

Es gibt aber auch einen, der sich angesichts solcher Pläne schnell verzagt und überfordert fühlt, dem dann alles zu viel ist und der sich wünscht, entlastet zu werden, der über Freiräume zur Erholung verfügen möchte.
Was, wenn es dieser Anteil ist, der Panik bekommt, sobald die anderen beiden sich anschicken, mal wieder Vollgas zu geben und ihn kurzerhand zu überrollen?

Weil mir die Geschichte vom Gasthaus so gut gefallen hat, beschließe ich, mich an einer Meditation zu diesem Thema zu versuchen und anstelle von Gedanken oder Emotionen Persönlichkeitsanteile einzuladen.
Ich vergegenwärtige mir den Schankraum, öffne die Türen … und weiß nicht recht, wie weiter …
„Aglaia?“, frage ich und spüre einen ganz leichten Druck auf meiner linken Schulter. Sie ist da, äußert sich aber nicht.

Wie kann ich meine Anteile einladen?
Der Ruhebedürftige möchte vielleicht ein Sofa … und der Kreative Bastelmaterial?
Ich stelle mir mein Wirtshaus mit Biertischen ergänzt um ein Sofa und eine Art Spielecke vor und stelle fest: Das passt so nicht, wir müssen anbauen!

Das weltbeste Schlafsofa steht im Wohnzimmer eines Hauses, in welchem ich unzählige Male meinen Urlaub verbracht habe und das mir seit vielen Jahren als innerer Ruheraum dient.
Hier wird het Kleintje sich wohlfühlen, denke ich, und habe damit womöglich diesen Anteil als jung, kindlich identifiziert.

Für den kreativen Anteil lasse ich den Bastelkeller meiner Mutter neu erstehen: Einen kleinen, körmeligen Raum, in welchem ich auch selbst viele Stunden verbracht habe. Mit Töpferbedarf, Effektglasuren, Öl- und Seidenmalfarben, Stoffen, Garnen, Perlen, Schmucksteinen, Strickmustern, Heißklebepistolen … was immer das Künstlerinnenherz begehrt!

Eine leichte Berührung am linken Unterschenkel lässt mich plötzlich Oskar als sehr präsent empfinden. Und warum nicht? Er hat für immer einen Platz in meinem Herzen, warum nicht auch in meinem Gasthaus?

Hin und wieder schleichen sich störende Gedanken ein.
Eine große Kommode mit vielen Schubladen und Platz für Schachteln und Schächtelchen macht sich gut im Schankraum! Hier ist Platz für die Gedanken, bis ich Zeit habe, mich ihnen zu widmen.

Wo würde sich mein produktiver Anteil wohlfühlen?
Die Küche in der Tagesklinik fällt mir ein, die hatte zwei Herde! Wenn das nicht produktiv ist, weiß ich auch nicht! Es gab außerdem eine Tür zum Garten und der Werkraum war nicht weit entfernt. Das passt!

Sowieso gefällt mir das Bild von der Tagesklinik!

Das war ein sehr schönes altes Haus, in dem ich eine wirklich gute Zeit verbracht habe.
Ich beschließe, den Schankraum meines Gasthauses durch den dortigen Gemeinschaftsraum zu ersetzen.
Hier können – stelle ich mir vor – meine Anteile einander begegnen und sich austauschen.
Aus dem OFF kommt der Einwand „Du hast den Kritiker vergessen!“.

In der Tat … und im selben Moment sehe ich Wilhelm Buschs Lehrer Lämpel mit dem erhobenen Zeigefinger vor mir. Und nicht nur das: Ich spüre ihn schmerzhaft in meinem Nacken! Der bekommt das Turmzimmer, von dem aus er auf alle anderen herabschauen kann. Und ein Schreibpult, um ihre Verfehlungen zu notieren.

Zurück im Gemeinschaftsraum stelle ich die Stühle in einem großen Kreis auf. So haben wir das in der Tagesklinik auch regelmäßig gemacht: Eine große Runde, um sich auszutauschen, Kritik loszuwerden und Vorschläge zu machen.
Ich erkläre – zumal ich ja gar nicht weiß, wer alles da ist – dass wir es für heute dabei belassen wollen, einander zur Kenntnis zu nehmen, als urplötzlich eine Frau hereingepoltert kommt. Sie ist Mitte dreißig, korpulent, mit Pagenschnitt und Brille. Und sie motzt lauthals los, was denn dieser Quatsch hier solle!?!
Ganz ehrlich: Ich habe keine Ahnung, wer das ist …

Ich vertage die Diskussion über Sinn und Unsinn der Veranstaltung auf das nächste Mal, vergegenwärtige mir den Boden unter meinem Körper, die Kuscheldecke über mir, den bullernden Küchenofen, meinen Atem … und kehre ins Hier und Jetzt zurück.

Später fällt mir auf, dass wir natürlich auch eine Schreibstube brauchen!
Ich hab schon so oft erzählt, dass mein Gehirn Texte formuliert, während ich spazieren gehe oder unter der Dusche stehe. Und dass ich wenig Einfluss auf die Auswahl des Themas habe …
Im Wintergarten, denke ich, mit Blick sowohl nach draußen, als auch nach drinnen.

Womöglich auch einen großen alten Holzschrank, in dem sich Platz für eine Ritterrüstung findet.

Und einen Platz für ein Alien!
Spontan denke ich an Walter Moers‘ schneeweiße Witwe, aber mein Alien ist nur für einen einzigen Menschen betörend schön und auf gar keinen Fall ist es tödlich! Außerdem will ich es ja auch gar nicht einsperren, sondern ihm Raum geben.
Vielleicht im Garten … ich glaube, es mag Blumen pflanzen.

Als ich die nächste Blutdruckspitze spüre, vermute ich, dass dies der ideale Zeitpunkt für einen Moment der Achtsamkeit sein müsste, in welchem ich mich meinem überforderten Anteil liebevoll zuwende. Andererseits stehe ich – schon halb ausgezogen, weil ich duschen möchte – im unbeheizten Badezimmer. Da muss ich gar nicht lange meditieren: Die Mehrheit will, dass jetzt! sofort! das heiße Wasser aufgedreht wird.
Kann ich Momente der Achtsamkeit vertagen?
Ich notiere „Kummerkasten für den Gemeinschaftsraum besorgen“.
Wir werden sehen …

***

Kafkas „Steuermann“ wird, soweit ich weiß, normalerweise anders interpretiert, dennoch hat mich diese Kurzgeschichte schon immer sehr berührt und ist mir anlässlich der Erfahrungen der letzten Tage wieder eingefallen.

Der Steuermann

»Bin ich nicht Steuermann?« rief ich.
»Du?« fragte ein dunkler hoch gewachsener Mann und strich sich mit der Hand über die Augen, als verscheuche er einen Traum. Ich war am Steuer gestanden in der dunklen Nacht, die schwachbrennende Laterne über meinem Kopf, und nun war dieser Mann gekommen und wollte mich beiseiteschieben.
Und da ich nicht wich, setzte er mir den Fuß auf die Brust und trat mich langsam nieder, während ich noch immer an den Stäben des Steuerrades hing und beim Niederfallen es ganz herumriss.
Da aber fasste es der Mann, brachte es in Ordnung, mich aber stieß er weg.
Doch ich besann mich bald, lief zu der Luke, die in den Mannschaftsraum führte und rief: »Mannschaft! Kameraden! Kommt schnell! Ein Fremder hat mich vom Steuer vertrieben!« Langsam kamen sie, stiegen auf aus der Schiffstreppe, schwankende müde mächtige Gestalten. »Bin ich der Steuermann?« fragte ich. Sie nickten, aber Blicke hatten sie nur für den Fremden, im Halbkreis standen sie um ihn herum und, als er befehlend sagte: »Stört mich nicht«, sammelten sie sich, nickten mir zu und zogen wieder die Schiffstreppe hinab.
Was ist das für Volk! Denken sie auch oder schlurfen sie nur sinnlos über die Erde?

Franz Kafka

Achtsamkeit mit Hindern … Aglaia

Wir beginnen mit der Geschichte vom Gasthaus, als das wir eingeladen sind, uns unser Dasein vorzustellen: Jeden Tag stehen neue Gäste vor der Tür, die wir einlassen, willkommen heißen und liebevoll bewirten. Diese Gäste können Freude, Momente der Achtsamkeit, aber auch Ärger, Missgunst und unangenehme Erlebnisse sein – wir behandeln alle gleich, lassen niemanden vor der Türe stehen. Denn sie alle wurden aus einem bestimmten Grund aus einer anderen Welt zu uns geschickt.

In der darauf folgenden Meditation haben wir Gelegenheit, diese Form des „Annehmens“ unangenehmer Gedanken und Erfahrungen zu üben – idealerweise zunächst an einem einfachen Beispiel, einem lediglich geringfügigen Ärgernis, oder einem Konflikt, der bereits bereinigt ist, uns aber noch beschäftigt.

Mein Gasthaus stelle ich mit als eine Mischung aus dem Wirtshaus in „Tiger and Dragon“ und der Küche einer Alpe vor, auf der ich selbst gerne zu Gast bin. Und als Übungsobjekt – eingedenk meiner ersten Erfahrung mit einer Meditation über einen schmerzvollen Gedanken – eine kleine Verstimmung, die längst bereinigt ist.
Aber ich liege noch nicht ganz auf meiner Yoga-Matte, da springen auch schon die Schmerzen ein: Aglaia begehrt Einlass!
Nun gut … ich biete ihr gar nicht erst einen Tisch, sondern gleich einen Platz an meiner Seite an. Und spüre im nächsten Moment ihr Gewicht: Von der linken Schulter bis zum Knöchel, als würde jemand auf mir liegen.

Das Gasthaus

Dieses menschliche Dasein ist ein Gasthaus.
Jeden Morgen ein neuer Gast.
Freude, Depression und Niedertracht – auch ein kurzer Moment von Achtsamkeit kommt unverhofft als Besucher.
Begrüße und bewirte sie alle!

Selbst wenn es eine Schar Sorgen ist, die gewaltsam dein Haus seiner Möbel entledigt, selbst dann behandle jeden Gast ehrenvoll.
Vielleicht reinigt er dich ja für neue Wonnen.
Den dunklen Gedanken der Scham und Bosheit – begegne ihnen lachend an der Tür und lade sie zu dir ein.

Sei dankbar für jeden, der kommt, denn alle sind zu deiner Führung geschickt worden aus einer andern Welt.

Rumi, Sufi-Dichter aus dem 13. Jahrhundert

Anschließend lernen wir Mettā kennen, die liebende Güte – eine Form der Achtsamkeit, die ihre Aufmerksamkeit nicht frei von Wertung, sondern explizit freundlich-wohlwollend auf alles Leben richtet.
Geübt wird – wie immer – vom Einfachen zum Schwierigen:
Im ersten Schritt sind wir eingeladen, Sätze der liebenden Güte an uns selbst zu senden, später dann an nahestehende Personen, an solche, denen wir neutral gegenüberstehen und zu guter Letzt auch an die, die uns Schwierigkeiten bereiten.

Sätze der liebenden Güte können zum Beispiel folgende sein:
Möge ich frei sein von Gefahr.
Möge ich glücklich sein.
Möge ich körperlich gesund sein.
Möge ich leicht durchs Leben gehen.

Ich lerne, dass es keine Rolle spielt, ob ich die „ich“, oder die „du“ Form verwende: Ich kann direkt zu mir selbst sprechen, oder aber mir vorstellen, ich spräche zu einer lieben Freundin. Häufig sind wir im Umgang mit FreundInnen sehr viel nachsichtiger und liebevoller, als mit uns selbst …

Ich spreche mit Aglaia. Und ihr Satz der liebenden Güte scheint mir „mögest du dich geborgen fühlen!“ zu lauten. Aber ich mag nicht einfach Formeln wiederholen! Stattdessen verspreche ich ihr, sie zu halten. Immer. Ich gelobe, sie niemals allein zu lassen!
Nie wieder soll sie sich in der Dunkelheit fürchten müssen.

Zum Abschluss versuchen wir uns an einem wohlwollenden Bodyscan, richten unsere Aufmerksamkeit Schritt für Schritt auf unseren Körper, nehmen wahr und liebevoll an.
Aglaia liegt immer noch schwer auf meiner linken Seite. Den Weg auf die Yoga-Matte hat sie gefunden, aber sie kommt nicht gut mit den Unterbrechungen klar, während derer ich weiter am Workshop teilnehmen möchte.

Schon zu Beginn habe ich mich dabei erwischt, dass ich Aglaia mit den Worten „Komm, Mäuschen, leg dich zu mir!“ eingeladen habe …
„Mäuschen“, „Hase“, „Haselmaus“ … so spreche ich sonst die mir anvertrauten Tiere an.
Jetzt, wo wir so Schritt für Schritt meinen Körper erkunden, mag ich sie weiter ermutigen.
Der Bodyscan erfragt, wie mein Gesicht sich gerade anfühlt … und ich frage Aglaia „Hast du schonmal gelächelt? Komm! Probier mal!“.

Gleichzeitig habe ich furchtbare Angst. Was, wenn nicht Aglaia meinen Körper für sich entdeckt, sondern die Schwärze ihn ganz und gar flutet? Was, wenn alles zu viel ist?

Dennoch lade ich sie weiter ein: „Du musst dich nicht an meiner linken Körperseite festkrallen! Rutsch mal rüber nach rechts!
Dieser Körper ist auch deiner!“
„Guck! Dein Lächeln! Deine Arme! Deine Beine!“ …

Am Ende habe ich Schwierigkeiten, von der Yogamatte zurück auf den Stuhl zu klettern, muss mich dazu an Lehne und Tischkante festhalten. Auch das Gehen fällt mir in der nächsten halben Stunde schwer und zum ersten Mal seit Langem komme ich mir wieder wie Laufente Lisbeth vor.
„Logisch!“ denke ich mir dann: „Sie versucht das ja zum ersten Mal …“

NACHTRAG

Ich habe nicht bedacht, dass Aglaia gewohnt ist, sich in Form von Schmerzen mitzuteilen. Darüber wird noch zu reden sein in meinem Gasthaus …

Drei weise Frauen

Mit Achtsamkeitsübungen habe ich mich vor einigen Jahren schon einmal zu beschäftigen begonnen, mich dann aber mit Yoga – das unterstützend empfohlen wurde – wohler gefühlt. Das mag, obwohl der Yoga-Kurs mir anfangs furchtbare Angst gemacht hat, daran gelegen haben, dass die Anleitung dort nicht von einer CD kam, sondern von der Frau, die nun die Yogini unter „meinen“ weisen Frauen ist. Womöglich war es auch wichtig für mich, zunächst einmal in meinem Körper anzukommen, bevor ich meinem Geist die Zügel schießen lasse.

Als ich nun eingeladen werde, zum Jahresbeginn an einem Workshop zur Achtsamkeits- und Meditationspraxis teilzunehmen, scheint mir der geeignete Zeitpunkt gekommen.

Da der Workshop als Zoom-Konferenz stattfindet und ich die Dozentin seit vielen Jahren kenne, darf er, beschließe ich, als „im richtigen Leben“ gelten. Außerdem finde ich das Bild von den drei weisen Frauen unwiderstehlich.

Zum Auftakt machen wir eine kleine Phantasie-Reise, die mir sehr leichtfüßig und idyllisch erscheint bis ich einen Blick nach innen werfe und „die schwarze Säule“ sehe – einen tief-, ja lackschwarzen Streifen entlang meiner Wirbelsäule, ungefähr halb so breit, wie mein Brustkorb. Das passiert mir nicht zum ersten Mal und so bin ich zwar unangenehm überrascht, werde aber nicht panisch. Während der nächsten Etappe der Reise geht es um’s Loslassen, geschehen lassen und ich stelle mir vor, wie die Schwärze ohne mein Zutun von mir weicht. Das funktioniert recht gut.

Bei der anschließenden Feedback-Runde allerdings verliere ich die Fassung und beginne zu weinen.
Ich weiß, dass meine Reaktion nicht ungewöhnlich ist und mir nicht peinlich sein muss, aber ich möcht leiden, ich würde mal zu denjenigen gehören, die in solchen Momenten lächelnd darüber sprechen können, wie angenehm die Übung für sie war.
Stattdessen business as usual: Alle ganz entspannt im Hier und Jetzt – eine weint.

Als wir zu Beginn der zweiten Stunde eingeladen sind, zu berichten, wie es uns ergangen ist, kratze ich all meinen Mut zusammen und erzähle, dass ich mir blöd vorgekommen bin, weil ich geweint habe (oder eher, weil ich wieder einmal anders war), dann aber entschieden habe, dass das sein darf. Dass ich so sein darf.
Ein kleiner Schritt für die Menschheit, eine Mondlandung für mich.

Zunächst meditieren wir über die Frage, welche Qualitäten wir mit Hilfe der Achtsamkeitspraxis in unser Leben einladen möchten. Ich habe mir im Laufe der Woche eine Menge Gedanken darüber gemacht, welche Intention ich habe, was ich erreichen möchte. Was ich mir wünsche habe ich noch gar nicht bedacht …
Als die weise Meditierende vorschlägt, „Freude“ könne eine solche Qualität sein, denke ich mir „Freude! Ja klar! Nehmen wir doch Freude!“.
Ein Gefühl von Leichtigkeit stellt sich ein, ich spüre, dass ich zu lächeln beginne, und vor meinem inneren Auge sehe ich die Ponies, wie sie in der Sonne mit mir und dem Hund zum Haus laufen, um dort ihre Pony-Kekse in Empfang zu nehmen.
Stimmt … es gibt schon Freude in meinem Leben!

Rücklings auf meiner Yogamatte liegend beobachte ich bei einer weiteren Übung meinen Atem, als ich urplötzlich höllische Schmerzen bekomme. Meine linke Schulter steckt in einem Schraubstock und der Schmerz zieht sich bis zum Knöchel, auf dem überdies jemand zu sitzen scheint. Die Nackenmuskulatur wird knallhart, sogar mein Gesicht tut weh.

Kurz vorher haben wir gelernt, dass wir „störende“ Gedanken während der Übungen „etikettieren“ können: Sie kurz wahrnehmen und dann sozusagen in einer Schublade ablegen, um uns später damit zu befassen, weil wir in diesem Moment ja mit etwas anderem beschäftigt sind.
Die Idee gefällt mir sehr – wie ich störende Gedanken einfach „vorüber ziehen“ lassen soll, war mir immer rätselhaft.

Ob das wohl auch gegen störende Schmerzen hilft?
Im ersten Wurf etikettiere ich mit „Trauma“, stutze dann jedoch: Wozu hat das Kind einen Namen?
Stattdessen begrüße ich Aglaia und lade sie ein, sich zu mir zu legen.

Am Ende der Übung, bei dem wir spontane Bewegungen machen, die uns gerade gut tun, umarme ich mich. Uns. Die Schmerzen sind weg.

To be continued …

Was bisher geschah:

Weise Frauen

Achtsamkeit:
Jetzt ist jetzt
Wellness mit Schattenseiten
Übungssache

Das Yoga Projekt:
I: Kismet
II: Yoga, Gulasch und Fledermäuse
III: Energie und Liebe
IV: Die schwarze Säule
V: Wagnis Workshop

Aglaia

Die Taucherin will den Freischwimmer machen

Ich erinnere mich, dass meine langjährige Therapeutin in Deutschland mir einmal gesagt hat, irgendetwas in mir sauge meine Energie ab, aber sie könne mir beim besten Willen nicht sagen, was das sei.
Und ich selbst habe ja oft genug herumgeblödelt, ich sei so ein optimistischer und positiver Mensch, ich würde überhaupt nicht kapieren, warum ausgerechnet ich Depressionen habe.

Es ist tröstlich, jetzt mit „Trauma“ eine Erklärung zu haben. Ein schwacher Trost andererseits … es wird ja nichts besser davon. Aber die Frage, was um alles in der Welt eigentlich mit mir nicht stimmt, stellt sich jetzt immerhin anders.
Eine neue Fragestellung, leider, mit der ich ins Leere renne.

Ich zähle mich zu den sogenannten KriegsenkelInnen – meine Eltern haben einen Weltkrieg miterlebt, meine Großeltern zwei. Kriegstraumata, das weiß man heute, werden auf vielen verschiedenen Wegen an die nachfolgenden Generationen weitergegeben. Wer hierüber mehr erfahren möchte, dem empfehle ich „Kriegsenkel“ von Sabine Bode.
Ich fand das Buch interessant, habe hier und da Parallelen zu meinem eigenen Leben erkannt, mich aber nicht wirklich wiedergefunden … bis zu dem Kapitel, das mir kurzerhand den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Das mir meine Erinnerungen plötzlich in einem vollkommen anderen Licht zeigte.

Ich bin außerdem ein „Verschickungskind“, eines der Kinder, denen in den 60er und 70er Jahren mehrwöchige Kuraufenthalte zur Stärkung und Förderung ihrer Gesundheit verordnet wurden.
Das Ausmaß der Demütigungen und Misshandlungen, denen die Verschickungskinder in diesen Kurheimen ausgesetzt waren, wird erst jetzt allmählich aufgedeckt (mehr Informationen dazu hier, hier und hier).
Ich selbst habe so gut wie keine Erinnerungen daran – ich war noch zu klein.

In solchen Fällen wird dazu geraten, Angehörige zu fragen, die damals bereits erwachsen waren, die sich erinnern können: Was geschehen ist, was sie beobachtet, vielleicht auch nur gemutmaßt haben …
Aber solche Menschen gibt es in meinem Falle nicht. Da ist niemand, den ich fragen könnte.

Kein Wunder also, dass Gesprächs- und Verhaltenstherapien mir nur begrenzt haben helfen können: Wie hätte ich über Dinge sprechen sollen, von denen ich entweder nicht wusste, dass sie bedeutsam sein könnten (siehe Dissoziation), oder an die ich mich gar nicht erst erinnere?

Ein Online-Kurs, über den ich mehr oder weniger zufällig stolpere (es gibt Momente, da mag ich nicht an Zufälle glauben – aber dazu ein andermal mehr), scheint mir hier eine gute Lösung zu sein, verspricht er doch, Erkenntnisse und Techniken zu vermitteln, die es möglich machen, mit Trauma zu leben, ohne dieses konkret zu thematisieren.

Näher werde ich einer Traumatherapie in der nächsten Zeit nicht kommen: Das Leben im Süden hat viele Vorteile, aber eine hohe Dichte psychotherapeutischer Angebote gehört nicht dazu.
Und wie gesagt: Eine Gesprächstherapie findet ihre natürliche Grenze dort, wo es nichts zu sagen gibt.

Nach den … sagen wir … bemerkenswerten Erfahrungen mit dem letzten (allerdings vorgeblich kostenlosen) Online-Angebot, schaue ich mir den Kurs gründlich an: Die Bedingungen scheinen mir seriös, der Preis angemessen und in diesem Falle gefällt mir auch die Dozentin: Sie erinnert mich sowohl an meine Therapeutin, als auch an meine Yoga-Lehrerin. Beste Voraussetzungen!

Und tatsächlich finde ich an den ersten Lektionen nichts auszusetzen, sie sind informativ und durchaus hilfreich.
So hatte ich mir das vorgestellt: Ich arbeite diese Lektionen durch und am Ende komme ich – ganz flauschig! – mit mir, meiner Familien- und Vorgeschichte, mit all dem Unaussprechlichen, Undenkbaren, der ganzen psychischen Sonderausstattung, einfach besser klar.
Mit der Betonung auf einfach.

Stattdessen schaltet sich mein Gehirn ein.
„Wir machen Traumatherapie? Da simmer dabei! Dat is pri-hi-ma!“*
* Ich kann nicht leugnen, in Sichtweite des Kölner Doms aufgewachsen zu sein …
Und wenn der Kurs noch so sorgsam darauf angelegt ist, nicht zu triggern, mein Gehirn fördert unermüdlich Erinnerungen zu Tage, richtet Scheinwerfer aus, um diese ganz neu zu beleuchten, und kreiert nächtens symbolträchtige Träume.

Zunehmend habe ich den Eindruck, mit der Entscheidung, dieses Thema endlich in Angriff zu nehmen, hab ich es Goethes Zauberlehrling gleichgetan: Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los!
Sehr im Gegensatz zu den rennenden Besen, die der Zauberlehrling nicht mehr zu stoppen vermag, kann ich meine Online-Lektionen allerdings dosieren, das Tempo rausnehmen.

Was sagt eine Schnecke, die auf dem Rücken einer Schildkröte sitzt?
„Huiiiiiiiiiii!“ …

Mir wird klar, dass ich Hilfe benötigen werde … im richtigen Leben!

Und so wende ich mich an die „weisen Frauen“: Die Hebamme eines der Nachbardörfer, die außerdem Psychotherapeutin ist (das gefällt mir sehr: Sie hilft – so oder so – Menschen auf die Welt!) und meine Yoga-Lehrerin. Diese beiden, so hoffe ich, werden mich darin unterstützen, die Wogen, welche mein Selbstversuch in seelischer und körperlicher Hinsicht auslöst, wieder zu glätten.