Turbulenzen

Ich habe damit gerechnet, eines Tages während der Physiotherapie die Fassung zu verlieren, aber als es dann passiert, bin ich dennoch überrascht.
Es gibt da eine Blockade auf Höhe meines Zwerchfelles, die mich daran hindert, frei zu atmen.
Ich glaube, dass der Mann mit den heilenden Händen das schon seit langer Zeit weiß, aber jetzt sieht er offenbar den Moment gekommen, diese zu lösen.
Und es hätte vielleicht auch funktioniert, wenn ich ihn einfach nur hätte machen lassen müssen: Ich kann allen, die das ängstigt, beruhigend zureden und wenn es ganz arg wird, selbst einen Schritt beiseite treten.
Aber ich soll gegen seine Hände einatmen, die auf Brustbein und Bauch liegen, beim Ausatmen ihrem Druck folgen! Ich soll konzentriert dabei sein. Das kann ich nicht!

Die Tränen laufen, ich beginne, nach Luft zu schnappen.
Ich weiß, dass er mir zu helfen versucht, aber das GEHT NICHT!
Ich versuche, mich zu fügen. Ich vertraue ihm, er weiß, was er tut.
Und frage mich im nächsten Moment, was ich hier eigentlich tue: Ich will das nicht!
Ich verfluche meine mangelnden Französischkenntnisse.
Immerhin gelingt es mir, mitzuteilen, dass mir lieber wäre, wenn er sich mit meinen Schultern beschäftigt.

Das tut er und er bleibt freundlich, gelassen und liebevoll. Aber er erklärt mir auch, dass es wichtig ist, diese Blockade zu lösen, und wir es weiter versuchen sollten. Damit hat er sicher Recht.
Dass die weise Yogini jahrelang vergeblich versucht hat, mir die Atemübungen des Pranayama schmackhaft zu machen, die Körper und Geist zusammenführen sollen, kann er ja nicht wissen. Nicht, dass ich mich nicht bemüht hätte, aber es war und blieb eine einzige Quälerei.
Vielleicht funktioniert es so herum – über die Einwirkung auf den Körper – besser, aber ich weiß nicht, wovor ich mehr Angst haben soll: Vor seinen Bemühungen, oder vor deren Gelingen …

Bei der Achtsamkeitspraxis leitet die weise Meditierende eine Mettā -Meditation an, bei der es um gute Wünsche für sich selbst, aber auch für andere geht.
Die mag ich sehr, deshalb lade ich zu Beginn alle ein, mir dabei Gesellschaft zu leisten.

Aglaia (Aglaia, Achtsamkeit mit Hindern … Aglaia) ist sofort da: links von mir wird es schwarz und ich spüre ihr Gewicht auf meiner Schulter. Ich bin mir nicht sicher, ob sie die Achtsamkeitsübungen mag, oder gekommen ist, um aufzupassen. Vielleicht auch beides.
Zunächst sprechen wir die guten Wünsche für uns selbst aus „Möge ich glücklich und zufrieden sein“ zum Beispiel. Die Vorstellung, glücklich und zufrieden sein zu dürfen, bringt jemanden völlig aus der Fassung: Ich beginne zu weinen. Eine Weile lasse ich einfach die Tränen laufen, dann macht Aglaia sich bemerkbar und obwohl ich bequem liege beginnt mein Nacken zu schmerzen. Links … natürlich …
Das ist, soweit ich sagen kann, eine ihrer Aufgaben: Wenn es zu beängstigend, zu schmerzlich wird, bekämpft sie Feuer mit Feuer und sorgt für körperliche Schmerzen, die mich wirkungsvoll ins Hier und Jetzt zurückholen. Wenn ich genug gesehen habe, ist sie es, die „das Licht ausmacht“.
Aglaia ist eine Beschützerin. Darüber hinaus weiß ich nicht viel über sie.

Die guten Wünsche für einen nahestehenden Menschen richte ich an eine liebe Freundin, der ich von Herzen wünsche, dass sie leicht und unbeschwert durchs Leben gehen, gesund sein möge.

Als nächstes bin ich eingeladen, meine Gedanken auf einen Menschen zu richten, der gerade eine schwere Zeit durchlebt. Als ich das versuche, meldet sich eine leise, aber penetrant sarkastische Stimme, die all das für großen Blödsinn hält. Das klingt nach T.
„T.“ steht zwar für „Täter:innen-Introjekt“, aber tatsächlich bin ich mir nicht sicher, wer oder was sie ist. Sie ist eine Stimme, die ich manchmal laut hören kann. T. steht für Härte gegen sich selbst, findet die Rücksichtnahme auf eigene Bedürfnisse schlicht albern und ist generell der Ansicht, dass ich mich „einfach nur anstelle“. Einmal habe ich in einer Meditation jemanden gesehen, der T. gewesen sein könnte, oder jedenfalls die selben Ansichten vertrat: Alles Blödsinn!
Ich versuche, meinen Blickwinkel zu ändern: Auch T. möchte glücklich und zufrieden sein, sich geborgen fühlen, leicht und unbeschwert durchs Leben gehen, gesund sein!
Das verblüfft sie so sehr, dass sie schweigt.

Zum Ende der Achtsamkeitspraxis suche ich einen Ort auf, an dem ich mich sicher fühle, mich erholen kann. Den safe room aus der Hypnose möchte ich nicht nutzen, also stelle ich mir die Terrasse vor, auf der ich bei gutem Wetter Yoga mache. Ruckzuck liegt der Kater laut schnurrend neben meiner rechten Schulter. Der Hund lässt sich zu meiner Linken nieder. Es ist Major, unser Herdenschutzhund. Oskar, mein verstorbener Seelenhund, findet seinen Platz an meinem rechten Bein. Er schläft tief und fest. Seine Präsenz ist so weiß, wie Aglaias schwarz ist.

Wir sind eingeladen, uns an eine schwierige (nicht zu schwierige) Situation zu erinnern, um sie (und uns selbst) gelassen und ohne Wertung zu betrachten. Dann fragen wir uns, was wir in diesem Moment gebraucht, was wir uns gewünscht hätten.

Ich denke an meine Panikattacke bei der Physiotherapie, komme dann aber nicht recht weiter. Was hätte ich gebraucht? Was hätte geholfen?

Und sehe eine Frau. Sie nähert sich von links, hat in etwa mein Alter, gehört aber einer anderen Generation an: Ihre Haare sind ordentlich gelegt. Kräftig sieht sie aus,resolut, zupackend. Und sie streckt jemandem die Zunge heraus! Die freche Frau trägt eine orchideenfarbene, metallisch funkelnde Steppjacke. Ihr folgen weitere Frauen, die ähnlich gekleidet sind: Es wirkt, als würde sie eine Demonstration anführen.

„Genug gesehen!“ findet Aglaia und breitet eine schwarze Schwinge aus.

Aber ich kann das Funkeln weiterhin sehen: Es legt sich wie eine Decke über mich.

Traumfrau

Die weise Hebamme aka Psychotherapeutin im Nachbarort hat mir vorgeschlagen, über meine Träume zu sprechen.
Zwar glaube ich durchaus, dass manche unserer Träume uns etwas sagen wollen, und ich schreibe sie schon seit vielen Jahren auf, aber jetzt bin ich skeptisch.
Traumdeutung? Ich weiß ja nicht …
Andererseits: Warum nicht? Ein Versuch kann ja nicht schaden!

Ich übersetze einen meiner Träume, der mir interessant erscheint, ins Französische und drucke den Text aus. Um meinen Traum zu erzählen, müsste ich nicht nur die neuen Vokabeln pauken, sondern mir auch diverse grammatische Verwicklungen merken. Ich müsste den Text quasi auswendig lernen.
So geht es schneller.

Das Gespräch führen wir nach wie vor hauptsächlich auf Englisch. Das ist mühsam, weil wir dann beide nicht unsere Muttersprache nutzen und immer wieder durch Rückfragen klären müssen, ob wir einander richtig verstanden haben. Aber ich bin schon froh, dass wir überhaupt eine gemeinsame Sprache sprechen!

Der weitere Verlauf ist völlig anders, als ich mir das vorgestellt hatte.
Ich hatte irgendetwas in Richtung „Wenn Sie von einem weißen Pferd träumen, dann bedeutet das, dass sie ein problematisches Verhältnis zu ihrem Vater haben!“ erwartet; in etwa das, was in Zeitschriften gleich links von den Horoskopen zu lesen ist.
Unterdessen beschämt mich mein mangelndes Zutrauen in ihre Fähigkeiten.

Wir gehen den Traum ganz langsam, Schritt für Schritt durch und sie stellt mir Fragen dazu:
Erkenne ich Personen oder Orte wieder? Kann ich sie beschreiben? Habe ich eine solche Situation schon einmal erlebt? Was fällt mir ein, wenn ich an ein bestimmtes Detail denke?
Es ist sozusagen freies Assoziieren entlang des roten Fadens meines Traumes und ich bin überrascht, wie viele Erinnerungen dabei auftauchen.

Je intensiver ich mich mit meinen Träumen beschäftige, desto detaillierter wird meine Erinnerung daran. Dass ich sich wiederholende Träume habe, weiß ich schon lange, aber erst jetzt fällt mir auf, wie viele Details immer wieder auftauchen. Gleichzeitig beobachte ich, dass die regelmäßig wiederkehrenden Träume jetzt andere Verläufe nehmen – ganz so, als würde mein Handlungsspielraum sich vergrößern.

Unsere Gespräche über diesen Traum, die sich über mehrere Sitzungen hinziehen, sind eher unterhaltsam, als schmerzlich. Oft muss ich selbst im Englischen Hände und Füße zur Hilfe nehmen, um mich verständlich zu machen. Wir lachen viel.
Ich mag die weise Hebamme gut leiden und fühle mich sicher bei ihr.
Dennoch bekomme ich mit der Zeit mehr und mehr Angst vor unseren Treffen.

Bei einem der letzten Termine schaffe ich es gerade so eben, Contenance zu wahren, solange ich im Wartebereich sitze. Kaum schließt sich die Tür hinter mir, bekomme ich eine der heftigsten Panikattacken meines Lebens.
Sie rät mir, loszulassen, der Attacke ihren Lauf zu lassen.
Und ich antworte „Wenn ich das tue, bricht alles auseinander. Dann werde ich verschwinden.“

Nach meinen Treffen mit der weisen Hebamme suche ich stets einen weisen Mann auf: Es ist der Physiotherapeut, dessen Behandlungsräume gleich neben ihrem liegen.
Ich kenne ihn schon seit einigen Jahren. Er spricht ausschließlich Französisch, ist aber in der Lage, meine Beschwerden mit seinen Händen zu orten, selbst wenn ich sie nicht beschreiben, sondern nur mit dem Finger dahin deuten kann, wo es wehtut.
Er ist „eingeweiht“: Er weiß, dass ich gerade aus der Psychotherapie komme und unter Umständen in schlechter Verfassung bin.

Manchmal „berührt“ er das Trauma in meinem Körper, dann bekomme ich Angst, mir wird übel, oder ich beginne zu dissoziieren. Die weise Hebamme hat ihm erklärt, dass das passieren kann.
In solchen Momenten rede ich mir selbst gut zu: Dass wir diesen Mann schon lange kennen. Dass er weiß, was er tut, und wir ihm vertrauen können. Das hilft.

An diesem Tag bitte ich ihn, einfach irgendetwas zu tun, damit ich ruhiger werde.
Er hilft mir, entspannt und tief zu atmen.
An besseren Tagen übt er während der Behandlung Französisch mit mir.

Überflüssig zu erwähnen, dass ich nicht mehr selbst Auto fahre: Ich muss mich fahren lassen.

Über die Zeit lässt die Angst vor den Therapiesitzungen nach und ich sehe meinem nächsten Termin geradewegs gelassen entgegen.
Abgesehen davon allerdings, dass es mir gelingt, mich so geschickt im der genauen Uhrzeit zu irren, dass es mir um ein Haar gelungen wäre, nur zur Physiotherapie zu müssen.

Eine halbe Stunde immerhin haben wir noch!
Die weise Hebamme beginnt, mir ihre Interpretation meines Traumes zu schildern.
Dann geht alles ganz schnell: Tränenausbruch, Schnappatmung, der Tinnitus kreischt in meinen Ohren, so dass ich sie kaum noch hören kann. Ich bekomme einen Tunnelblick, an den Seiten wird es schwarz. Und ich spüre, wie ich neben meinen Körper trete. Ungefähr so, als sei ich mein eigenes Lenorgewissen, allerdings habe ich Sorge, dabei vom Stuhl zu fallen.

„Loslassen“ kann ich das nicht, aber ich bemühe mich, nicht die Luft anzuhalten, sondern wenigstens in Bruchstücken rauszuquetschen, was mir passiert.

Mir kommen in diesem Moment keine Erinnerungen ins Bewusstsein, es überwältigen mich keine Emotionen … ich bin nur Körper. Und – als die Attacke abklingt – absolut ratlos.
Ich begreife überhaupt nicht, was mir da passiert ist!

Traumata vererben sich über mehrere Generationen.
An vieles habe ich keine Erinnerung, aber sie steckt in meinem Körper.
Insofern scheint es mir folgerichtig, dass die „Aufarbeitung“ ebenfalls in meinem Körper vonstatten geht.
Danach fühle ich mich sehr ruhig. Und ich bin unglaublich müde.
So müde, dass ich auf der Liege des Physiotherapeuten beinahe einschlafe.

Das, was wir bis zu diesem Moment besprochen haben, war übrigens lediglich der Beginn eines langen, detailreichen Traumes.
Der Beginn einer Mischung aus Geister- und Achterbahnfahrt.

Versuch’s doch mal mit Yoga!

Dieser Text ist einer lieben Freundin gewidmet, der Yoga schon so oft empfohlen wurde, dass sich ihr Nackenfell bereits bei „Yo …“ zu sträuben beginnt.

„Versuch’s doch mal mit Yoga!“ kommt gleich nach „Ausdauersport ist gut gegen Depressionen!“ und „sorg mal ein bisschen für dich, sei nett zu dir selbst: wie wäre es mit einem schönen, duftenden Schaumbad?“ …
Ausdauersport, vulgo „Joggen“ – das habe ich bestimmt mal erzählt – ist bei mir schon daran gescheitert, dass ich beim Anziehen der Socken in ein Dimensionstor geraten bin: Eine halbe Stunde nach dem Entschluss, mich anzuziehen, war Socke Nummer eins immer noch nicht am Fuß. Das Schicksal von Socke Nummer zwei liegt bis heute im Dunklen …

Aber die Nummer mit dem Schaumbad hab ich ausprobiert!
Das volle Programm: Brühheißes Wasser, reichlich duftender Schaum, Kerzen auf dem Wannenrand, eine Handvoll auf Vorrat gedrehter Zigaretten (da hab ich noch geraucht), ein heiterer Roman (Bridget Jones – damals bin ich wirklich vor nichts zurückgeschreckt) und – aber echt nur ganz ausnahmsweise! – ein Fingerbreit Whisky (Sekt war aus).
Hat’s nicht gebracht.

In die Sonne, oder eben in die Badewanne gehen, Sport treiben etc. ist natürlich auch für solche Menschen gut, die zu Depressionen und Ängsten neigen. Mit der Betonung auf neigen: Während einer Depression kann es schon eine erhebliche sportliche Herausforderung sein, das Bett zu verlassen, sich anzuziehen und sich einigermaßen regelmäßig zu waschen. Und tatsächlich gibt es Formen der Depression, bei denen all das nicht hilft. Wirklich nicht. Überhaupt gar kein Bisschen. Trotzdem ständig dazu aufgefordert zu werden, womöglich mit vorwurfsvollem Unterton („wenn du das nicht machen willst, bist du ja schon irgendwie selbst schuld …“) macht es nicht besser.


Warum ich dennoch Yoga praktiziere

Vor einigen Jahren habe ich begonnen, mich mit dem Thema „Achtsamkeit“ bzw. „MBCT – Mindfulness Based Cognitive Therapy (achtsamkeitsbasierte Verhaltenstherapie) zu befassen, wozu ein allmorgendlicher Bodyscan gehörte.

Rückblickend denke ich, zumindest für den Bodyscan war es noch zu früh: Ich habe die lebhafte Reaktion meines Körpers auf meine Versuche, seiner gewahr zu sein, zwar zur Kenntnis genommen, konnte aber nichts damit anfangen.
Zur Unterstützung der Übungen wurde Yoga empfohlen, genau gesagt: bestimmte Yoga Übungen.

Als kurz darauf im Dorf ein Yoga-Kurs angeboten wurde, hab ich nicht lange gefackelt.
Nicht, weil ich das unbedingt gewollt hätte. Ich fand, das sei Kismet: Der maximal unwahrscheinliche Umstand, dass irgendwo im Nirgendwo just dann ein Yogakurs angeboten wurde, als ich darüber nachdachte, einen zu besuchen. Sowas verpflichtet …
Und das Universum war mit mir: Wie der Zufall es wollte – aber das ist mir erst sehr viel später klargeworden – wurden dort genau die Übungen unterrichtet, die ich brauchte.
Heute weiß ich, dass es sich bei dem, was ich gelernt habe und immer noch lerne, um traditionelles und sehr kleinschrittig aufgebautes Hatha-Yoga handelt, damals war mir das – ehrlich gesagt – vollkommen schnuppe, da hatte ich ganz andere Sorgen.

Den Hof zu verlassen um ganz allein unter lauter fremden Menschen, deren Sprache ich nicht beherrschte, an ganz egal was teilzunehmen, hat mir anfangs solche Angst eingejagt, dass ich mit nichts anderem beschäftigt war. Trotzdem war es nicht einfach Erleichterung, was ich empfunden habe, wenn ich das Training wieder einmal überstanden hatte, sondern ich habe mich leicht und fröhlich gefühlt. Irgendetwas hat Yoga bewirkt, soviel war klar.
Und irgendetwas ist auch passiert, wenn ich das Training – zum Beispiel während der Schulferien, wenn der Kurs nicht stattfand – „geschlabbert“ habe. Dann bin ich regelmäßig in die Depression abgerutscht.
Gleichwohl war nicht alles eitel Sonnenschein, nicht alle Erfahrungen leicht und fröhlich: Yoga kann alte Emotionen berühren und aktivieren, die wir zwar aus unserem Bewusstsein eliminiert haben, die der Körper aber dennoch in Erinnerung behält. Die Tränenausbrüche und Panikattacken, die das Training auf diese Weise auszulösen vermag, fühlen sich höchst gegenwärtig an – ganz egal, wie alt die Erinnerungen auch sein mögen.
Bei mir war es insbesondere eine bestimmte Übung, die aus just diesem Grunde bis heute die „tränenreiche Torsion“ heißt – auch wenn sie unterdessen zu meinen liebsten Routinen zählt.

Anfangs also war Yoga ein Mittel im Kampf gegen meine Angst, später dann gegen die Depression. Als ich zunehmend unter Schmerzen zu leiden begann, habe ich die Übungen genutzt, um diese ertragen zu lernen: Selbst wenn es mir die Tränen in die Augen getrieben hat – es war immer noch möglich, zu atmen und mich zu entspannen, es gab immer noch etwas jenseits der Schmerzen.
Mittlerweile sind die Übungen fester Bestandteil meines Alltags und seit ich die passenden Medikamente bekomme, mache ich tatsächlich auch Fortschritte.

Mit den anmutigen Flows, die ich – zugegeben – hin und wieder selbst gerne bei Youtube bestaune, hat mein Tun dennoch nicht mehr gemeinsam, als dass beides auf einer Matte stattfindet.
Die Arbeit – die weise Yogini spricht tatsächlich von travail – findet in der Haupsache im Körper statt, mit viel hinein atmen, sich Millimeter für Millimeter in eine Haltung hinein entspannen, in sich hinein fühlen. Wenn die angestrebte posture dabei zunächst nur angedeutet wird, ist auch das in Ordnung und falls selbst das nicht möglich sein sollte, kann die Übung immer noch mental ausgeführt werden.
Gelegentlich ist mir schon der Verdacht gekommen, dass das der Grund ist, warum beim Training die Augen geschlossen werden: Damit ich nicht sehen muss, dass die Kniekehlen meiner gefühlt durchgestreckten Beine immer noch eine Handbreit vom Boden entfernt sind …
Andererseits schaffe ich es mittlerweile, Positionen zu halten, aus denen ich anfangs wie ein nasser Sack herausgeplumpst bin.

Als ich nun erfahre, dass Hatha-Yoga insbesondere in der Trauma-Therapie empfohlen wird, bitte ich die weise Yogini, mich bei meinen Bemühungen diesbezüglich zu unterstützen.
Außerdem hat mich dann doch ein gewisser Ehrgeiz gepackt: Ich hab versucht, mir selbst ein paar weitere Asanas beizubringen und möchte, dass sie draufschaut, ob ich alles richtig mache.

Ihr Gesichtsausdruck, als ich erzähle, dass ich Youtube-Videos anschaue, um mehr über Yoga zu lernen, ist schwer zu deuten, entspannt sich aber, bilde ich mir ein, als ich versichere, die Flows wirklich nur anzugucken
Sie hört sich geduldig an, was ich an Anregungen im Internet und in meinem dicken Yoga-Buch gefunden habe und lässt mich mehr als einmal wissen „Wenn du das Prinzip verstanden hast, kannst du das so machen! Dann kannst du alles so machen, wie du möchtest!“ …
Dann fragt sie, wo genau ich eigentlich die meisten Schmerzen habe und bittet mich, ihr zwei ganz unspektakuläre Übungen, die zu den absoluten Basics gehören, einmal vorzuführen.
Was es bedeutet, Wirbel für Wirbel abzurollen, habe ich schon im Schulsport gelernt – heute lerne ich, wie es ist, wenn jemand guckt, ob wirklich jeder einzelne Wirbel tut, was er soll …
Und siehe da: Das sind nicht nur die Stellen, die wehtun, sondern auch die, die ich beim Bodyscan nicht erreichen kann. Die Platte an der Stelle, wo mein Dekolletee sein sollte zum Beispiel.
Da rollt genau gar nix …

Während ich mich mit vor Anstrengung zitternden Muskeln bemühe, meine Rückenwirbel durchzuzählen, lösen sich meine Ambitionen, grazile Asanas einzunehmen, dezent in Luft auf: Ich möchte, dass die weise Yogini nach und nach alles, was ich bereits zu können geglaubt habe, noch einmal genau in Augenschein nimmt.

Der Moment der Wahrheit kommt, als sie mich fragt, ob ich auch Pranayama, die Atemübungen, praktiziere.
Ähm … ja … also … theoretisch schon! Ich nehme mir täglich vor, sie regelmäßig zu üben! Also: Ab morgen …
Tatsache ist: Ich hab enorme innere Widerstände!
Was die weise Yogini nicht überrascht: Traumata manifestieren sich im Körper und können daher die Atemübungen extrem erschweren.
Aber, sagt sie: Ohne Pranayama ist es kein Yoga!
Wir einigen uns darauf, dass ich in winzig kleinen Schritten noch einmal ganz von vorn beginnen werde.
Ich komme dieser Verpflichtung nach, weil ich weiß, sie wird fragen beim nächsten Mal … aber rechte Begeisterung will sich nicht einstellen. Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass es „Übung“ heißt, weil man es üben soll – nicht weil man es gleich kann.

Außerdem, bringt sie mir schonend bei, sind auch Asanas und Pranayama lediglich ein kleiner Teil dessen, was Yoga umfasst. Ich bin fasziniert – auch und vor allem, weil sie zu leben scheint, wovon sie da erzählt – und mag mehr darüber lernen.
Ganz gleich, wie weit ich auf diesem Weg kommen mag: Ich bin sicher, ich gehe in die richtige Richtung!

Also doch „versuch’s mal mit Yoga!“?

Ich muss zugeben, dass ich an diesem Punkt wirklich an mich halten muss!
Mittlerweile nutze ich Yoga weniger, um Schmerzen ertragen zu lernen, sondern um sie zu lindern. Ich kann beginnende Depressionen einfangen, mich selbst zur Ruhe bringen und beginne, mich in meinem Körper mehr und mehr zu Hause zu fühlen.
Natürlich gönne und wünsche ich das auch anderen!

Ich glaube außerdem fest, dass, wer bereits über eine gewisse Routine verfügt, es schafft, sich zur Not vom Sofa auf die Matte plumpsen zu lassen, um da wenigstens den „toten Mann“ zu machen. Wenn’s gut läuft vielleicht auch noch ein, zwei andere Übungen, bei denen man bloß daliegt und atmet. Und ja: Schon das hilft!

Ich muss allerdings auch einräumen, dass ich erst einmal für geraume Zeit eine Art Eremitinnen-Dasein führen musste, bevor an „Yoga-Kurs“ überhaupt zu denken war.
Und ja: Ich hab ein Riesenglück gehabt, genau diesen Kurs bei genau dieser Lehrerin zu finden! Trotzdem musste ich mehrere Jahre daran teilnehmen, bevor ich die Wirkung so recht genießen konnte.

Jahaha, es fällt mir schwer! Es fällt mir schwer, weil ich ja helfen will!
Aber Tatsache ist, dass ich nicht nur den richtigen Yoga-Kurs gebraucht habe, nicht nur die richtige Yoga-Lehrerin, sondern auch den richtigen Moment. Den Moment, in welchem ich bereit war!

Diesen Moment kann ich jedem anderen Menschen nur wünschen!
Verordnen kann ich ihn nicht …

Drei Jahre Schattentaucherin: Kurswechsel

Fünf Jahre ist es nun her, dass ich – nach über zehn Jahren mit Psychopharmaka und therapeutischer Unterstützung – begonnen habe, mich zu fragen, ob es richtig sein könne, immer weiter mich für das Leben „passend machen“ zu wollen, oder ob es nicht vielmehr an der Zeit sei, mein Leben an mich, meine Bedürfnisse und meine Möglichkeiten anzupassen.
In der Verfassung, tatsächlich aktiv zu werden, mein Leben neu zu gestalten, war ich damals freilich nicht. Ich hatte schlicht Glück: Ohne dass ich danach gesucht hätte, fand sich ein Platz für mich, an dem ich ein anderes Leben ausprobieren konnte. Mir blieb nur, mich auf den Weg zu machen und das fand ich schwierig und schmerzhaft genug.

Seit vier Jahren lebe ich auf einem Bauernhof in den Cevennen, einer nur spärlich besiedelten Gegend im Süden Frankreichs, von der ich vorher noch nie gehört hatte. Hügelig sind die Cevennen. Und grün. Aber karg, felsig und unwirtlich ebenso. Eine Gegend, in der schon früher Menschen Schutz gesucht haben.
Der Hof ist einsam gelegen, Nachbarn gibt es nicht. Meist ist es so ruhig, dass einem die Stille in den Ohren klingt. Soweit es mir möglich war, hab ich mich an der Hofarbeit beteiligt. Die Strukturen, die das Leben auf dem Land kurzerhand „setzt“, haben mir gutgetan, ebenso wie die Fürsorge für unsere Tiere. Nicht zu vergessen: Die Hofküche! Die ist mir Arbeitsplatz, Ergotherapie und Kreativlabor in einem!
Wer nun aber meint, dass damit, hopp!, mein Leben in Ordnung war, den muss ich enttäuschen. Ich war dieselbe, wie vorher: Immer noch depressiv, immer noch gelegentlich von Panikattacken heimgesucht. Aber immerhin: Eigenständig unterwegs, ohne medikamentöse Unterstützung.

Vor drei Jahren nun, habe ich mich entschieden, mich als Mensch mit einer psychischen Erkrankung zu outen und vom weiteren Verlauf meines Weges zu berichten: Die Schattentaucherin war geboren.

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Während der ersten beiden Jahre auf dem Hof war ich vollauf damit beschäftigt, den Kopf über Wasser zu halten: Am Leben teilzunehmen sofern möglich, Tiefs und Rückschläge durchzustehen, auf baldige Besserung zu hoffen und irgendwann auch zu vertrauen. Bis heute fällt es mir schwer zu unterscheiden, ob es tatsächlich meine Lebenssituation ist, die unerträglich scheint, oder „nur“ die Depression mir wieder einmal einflüstert, dass alles sinnlos sei. „Wenn’s nach zwei, drei Tagen wieder okay ist, war’s nur die Depresse!“, aber das weiß ich dann: An Tag eins möchte ich sterben. Immerhin war irgendwann nur noch von Tagen die Rede – nicht mehr von Wochen und Monaten. Und ganz allmählich hat sich Vertrauen entwickelt: Darauf, dass heute halt mal ein schlechter Tag ist. Mit der Betonung auf „heute“ und „mal“ …

Erst dann war Platz für die Idee, es könne noch „Luft nach oben“ geben und ich aktiv etwas dafür tun, mein Befinden weiter zu stabilisieren. Angefangen habe ich ganz klein: Mit Achtsamkeitsübungen, die ich morgens im Bett absolvieren konnte. Ein Yogakurs, der wundersamerweise just in dem Moment im Dorf angeboten wurde, als ich soeben erfahren hatte, dass Yoga meine Achtsamkeitsbemühungen wirksam unterstützen könne, dagegen, schien mir ein außerordentlich ehrgeiziges Projekt zu sein. Es dennoch in Angriff zu nehmen, hat mich eine Menge Mut und Zähigkeit gekostet – aber es hat sich gelohnt!

Heute denke ich, dass – obwohl auch CBD durchaus hilfreich ist – es vor allem anderen die Yoga-Übungen sind, die mir gut tun. Es hat, zugegeben, eine Weile gedauert – aber es ist ja auch wichtig, auszuprobieren, ob ein Fehler reproduzierbar ist – bis ich eingesehen habe, dass Rückfälle bevorzugt mit dem Ende der Schulferien einhergingen, also immer dann eintraten, wenn das Yoga-Training ein paar Wochen lang ausgefallen war. Seitdem suche ich regelmäßig meine Matte auf.

Im Großen und Ganzen ist meine Stimmung (der Franzose spricht hier drolligerweise von „humeur“) stabil. Wenn ich arg gestresst bin, habe ich hin und wieder immer noch Panikschübe, aber – ganz ehrlich? – das sind Fürze im Orkan. Unangenehm, ja, peinlich auch – aber nicht wirklich ein Problem. Das Weinen bin ich nicht losgeworden: Wenn mich etwas berührt – ganz egal, in welcher Weise – weine ich. Zuweilen weine ich sogar dann, wenn mich etwas zum Lachen bringt. Das finde ich befremdlich und durchaus auch hinderlich. Aber es gibt ganz sicher Schlimmeres.

Viel wichtiger finde ich, dass ich kürzlich ganz allein im großen Supermarkt in der Stadt war!
Okay, es war kein großer Einkauf, aber ich bin da einfach reinmarschiert und hab erst hinterher begriffen, dass da eine Premiere stattgefunden hatte. Das erste Mal seit 5 Jahren und ich hab nicht einmal darüber nachgedacht!

Demnach könnte die Tauchfahrt jetzt und hier enden: Es hat geklappt. Ich habe eine Lebensweise für mich gefunden, bei der es zum Thema Depression nur noch selten etwas zu berichten gibt.
Stattdessen ist ein Schatten ganz anderer Art auf mein Leben gefallen.
Eine chronische Erkrankung des Körpers, das zumindest steht momentan zu befürchten, die mich mindestens ebenso wirksam daran hindert, am Leben teilzunehmen.
Früher habe ich hin und wieder geflachst, ein Vorteil an Depressionen sei, dass sie immerhin nicht weh täten … Das jetzt tut weh. Unter anderem.
Und derzeit scheint es, als hätte ich noch einen langen Weg vor mir: Bislang gibt es keine brauchbare Diagnose, eine Behandlung, die über ein Stochern im Nebel hinausgeht, ist nicht in Sicht. Das ist beängstigend, empörend, frustrierend und – ooops! – deprimierend. Dafür ist mein humeur nach wie vor erfreulich stabil!

Die Taucherin war mir eine gute Begleiterin auf dem Weg aus der Depression. Sie soll mich auch auf dem Weg durch diesen Schatten begleiten.

Das Yoga Projekt V

Wagnis Workshop

Wer sich erinnert, mit welchen Ängsten und Nöten ich vor knapp zwei Jahren zu meiner ersten Yogastunde aufgebrochen bin, kann vielleicht ermessen, was für ein Abenteuer ein ganzes Yoga-Seminar war.
Fünf Tage lang, jeweils vier Stunden, in französischer Sprache.

Okay, es fand an vertrautem Ort und mit der vertrauten Trainerin statt, aber natürlich mit sehr viel mehr TeilnehmerInnen als der normale Kurs. Ich kann nicht gut mit vielen Menschen in einem Raum sein. Das fällt mir manchmal schon mit solchen Menschen schwer, die ich kenne, und hier war klar, dass die meisten mir fremd sein würden. Sein und wohl auch bleiben: Mein Französisch ist mittlerweile zwar gut genug, um Nathalies Anweisungen zu folgen (bzw. nachzufragen, wenn ich nicht mehr folgen kann), aber für die Sorte Smalltalk, die hier von Nöten wäre, um rasch ein paar Worte von Yogamatte zu Yogamatte zu wechseln, reicht es nicht ansatzweise. Zumal ich dazu auch in meiner Muttersprache nicht recht in der Lage bin – Smalltalk ist mir ein Greuel.

Vier Stunden sind verdammt lang. An schlechten Tagen fällt es mir ja schon schwer, die normale Kursdauer von 90 Minuten durchzuhalten.

Und dann fängt das auch noch um neun Uhr morgens an! Da bin ich normalerweise noch schwer mit der Frage beschäftigt, ob es wohl möglich sei, mich im Bett aufzusetzen! Last not least: Wenn ich etwas Anstrengendes oder Aufregendes erlebt habe, muss ich, auch wenn es etwas Schönes war, damit rechnen, am nächsten Tag auf der Nase zu liegen. Wie ich fünf Tage am Stück durchhalten soll, ist mir ein Rätsel. Und nein: Ich habe keine Ahnung, welcher Teufel mich geritten hat, mich dafür anzumelden!

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Am ersten Tag bin ich so frühzeitig da, dass ich sicher sein kann, meine Matte am gewohnten Platz auszurollen. Das kann man albern finden, aber mir gibt es Sicherheit: Hier kann ich Nathalie gut sehen und hören, bin aber nicht so dichtauf, dass es aufdringlich wirken könnte. Ich bin relativ nah an der Tür und vor allen Dingen habe ich eine Wand im Rücken! Die halbe Stunde bis zum Kursbeginn wird anschließend allerdings lang und immer länger: Immer mehr Leute kommen in den Raum, begrüßen einander, gehen umher, suchen sich einen Platz … Das ist alles viel zu viel! Ich lege mich mit geschlossenen Augen auf meine Matte und gebe mir alle Mühe, meine Umgebung auszublenden.

Das Training selbst klappt prima. Jedenfalls bis zu dem Moment, als wir uns zu Paaren zusammentun sollen: Ich liege genau in der Mitte der Reihe mit der ungeraden TeilnehmerInnenzahl und „bleibe übrig“. Vielleicht war ich auch einfach zu defensiv. Jedenfalls liegt es nicht daran, dass niemand mit mir üben will – daran bemühe ich mich, ganz fest zu denken. Außerdem bleibe ich nicht allein: Nathalies Co-Trainerin gesellt sich zu mir und ich soll in Fetus-Haltung gegen ihre Hände atmen. Kein Problem – diese Art körperlicher Nähe bin ich vom Tanzen gewohnt und sie macht mir nichts aus. Allerdings haben wir so ein bisschen später angefangen als die anderen und während ich mit der Stirn auf dem Boden auf den Knien liege und jemand hinter mir hockt, die Hände auf meinem Rücken, entsteht im Raum plötzlich Unruhe, Bewegung, Gespräche werden begonnen. Und ich kauere auf dem Boden. Ich seh nicht, was um mich herum, ja, über mir passiert! Das ist zu viel! Ich fahre hoch, schnappe nach Luft, die Tränen kommen. Immerhin gelingt es mir, meiner bestürzten Trainingspartnerin – auf Französisch! – zu sagen, dass ich eine Panikattacke habe. Sie reagiert gelassen und kurz darauf üben wir auch schon weiter. Später wird Nathalie erklären, dass es ganz normal ist, wenn beim Yoga Emotionen „hochkommen“: Trauer, Wut, Heiterkeit, Angst. Das hilft mir, meine Reaktion weniger peinlich zu finden.
Im Großen und Ganzen bin ich zufrieden mit meinem ersten Tag. Und verschlafe den kompletten Nachmittag.

Ein Teil der Übungen wird täglich wiederholt: Die Demi-Pont zum Beispiel, bei der ich mich fast umbringe, weil mir schlicht die Kraft fehlt. Alle anderen, Senioren und Übergewichtige inklusive, so kommt es mir jedenfalls vor, halten die ganz problemlos. Nur ich renne auf den letzten Reserven, um, nachdem ich gerade erst den Rücken durchgebogen habe, wenigstens Wirbel für Wirbel wieder abzurollen und nicht einfach wie ein nasser Sack auf meine Matte zu klatschen.
Und ausgerechnet diejenige Torsion, die mir, als ich sie vor einiger Zeit zum ersten Mal versucht habe, zu einer Panikattacke verholfen hat … Das wiederholt sich glücklicherweise nicht, aber ein paar Tränchen fließen schon. Ich beschließe, sie fürderhin die „tränenreiche Torsion“ zu nennen.
Als für eine weitere Übung erneut Paare gebildet werden sollen, gelingt mir dieses Kunststück. Und dann gleich noch eines: es handelt sich um eine isolierte Bewegung des Brustkorbes, die durchaus tricky, nach zehn Jahren orientalischen Tanzes aber echt kein Problem ist. Ich bin total stolz auf mich!
Ich fühle mich wohl. Muss nicht mehr alles um mich herum ausblenden, sondern kann die Atmosphäre wahrnehmen: Sie ist entspannt und freundlich.

Am dritten Tag bin ich soweit „angekommen“, dass ich mich in der Pause ins Foyer wage.
Bisher habe ich das vermieden: Es ist zu eng, zu laut und ich habe Angst, dass jemand in bester Absicht ein Gespräch mit mir zu beginnen versucht.
Es wird Tee gereicht. Ich vermute, dass er gratis ist, aber mir ist nicht klar, ob man sich einfach welchen nehmen darf, oder darum bitten muss. Mit ein bisschen Nachdenken reicht mein Französisch, um die entsprechende Frage zu formulieren, aber es würde sehr gestelzt klingen, fürchte ich, und das ist mir unangenehm. Außerdem laufe ich in solchen Momenten immer Gefahr, dass es mir zwar gelingt, eine Frage zu stellen, ich die Antwort aber nicht verstehe.
Und prompt passiert es! Eine Frau mit einem Becher Tee in der Hand schaut mich an und fragt etwas.
Pardon?“
Sie wiederholt die Frage. Ich verstehe kein Wort.
Nachdem ich zwei Stunden lang französischen Anleitungen gefolgt bin, kann ich mich kaum noch konzentrieren. Und: Wenn man weiß, worüber gesprochen wird, kann man Gesprächen in einer Fremdsprache relativ gut folgen. Wenn man aber erst einmal herausfinden muss, was überhaupt das Thema ist, verliert man ratzfatz den Anschluss …
Sie scheint ihren Becher zu heben und vor meinem inneren Auge sehe ich mich erfreut danach greifen, während sie mich lediglich gefragt hat, ob ich wisse, wie spät es ist. Wie peinlich wäre das? Ich bin völlig überfordert.
Tu?“ … Pause … „Vouloir?“ … Pause … „Thé?“
Ob ich Tee möchte! „Du wollen Tee?“ um genau zu sein. Ich lache los. Und komme mir weit weniger blöd vor, als ich befürchtet hätte.
Es wird mir noch häufiger passieren, dass ich im ersten Anlauf nicht verstehe, was jemand zu mir sagt, aber alle sind sehr geduldig, sprechen langsam und deutlich, wiederholen das Gesagte und werden dabei – ganz anders, als man es zum Beispiel den Deutschen nachsagt – auch nicht lauter.
Ich fange an, mich nicht mehr nur als Beobachterin eines netten Seminares zu fühlen, sondern tatsächlich als Teilnehmerin.
Körperlich beginnt die Teilnahme, mir ein wenig schwer zu fallen: Ich habe Schmerzen und bin deutlich steifer als zu Beginn. Meine Laune lasse ich mir davon allerdings nicht vermiesen.

Einen Tag später werden die Schmerzen heftig. Nicht, weil ich Muskelkater hätte, oder die Übungen übertreiben würde … es tut einfach ständig irgendwo etwas weh. Als ich bei der Kerze, die ich bislang immer als sehr angenehm empfunden habe, einen solchen Druck auf dem Brustbein verspüre, dass ich kaum noch atmen kann, bekomme ich einen denkwürdigen Rat: „Dann atme in den Rücken!“. Und tatsächlich: Da ist Platz!
In der Pause breche ich dennoch vollends ein, mir wird schwindelig und ich fühle mich außerordentlich unwohl. Abbrechen möchte ich trotzdem nicht. In der zweiten Hälfte liegt der Schwerpunkt auf Atemübungen – die macht man im Sitzen, dabei werd ich schon nicht umkippen.
Und tatsächlich halte ich – wenn auch mit vielen Pausen – bis zum Ende durch.
Das mag klingen, als würde ich mir zu viel zumuten und vielleicht ist das auch tatsächlich so. Aber Tatsache ist, dass ich immer Schmerzen habe. Auch dann, wenn ich nur versuche, mich mit der linken Hand am rechten Oberarm zu kratzen. Oder flach im Bett liege. Mir wird auch dann schwindelig, wenn ich auf einem Stuhl sitze und mir eigentlich gerade ein Brot schmieren will.
Beim Yoga zu üben, nicht trotz dieser Beschwerden weiterzumachen, sondern mit ihnen; zu erfahren, dass ich atmen und mich entspannen kann und nichts Schlimmes passiert, auch wenn der Schmerz da ist, scheint mir durchaus vernünftig zu sein.

Aber mit 5 Tagen habe ich mich ganz offensichtlich übernommen.
Am letzten Tag weine ich bei der tränenreichen Torsion vor Schmerzen und das, obwohl ich sie nur ansatzweise ausführe. Ich beschließe, mich noch vorsichtiger zu bewegen, als ich das sowieso schon tue. Bei der anschließenden Vorwärtsbeuge im Sitzen, bei der meine Mattennachbarin bäuchlings und augenscheinlich völlig entspannt auf ihren ausgestreckten Beinen liegt, halte ich sofort inne, als mir der Schmerz in den Rücken schießt. Und muss feststellen, dass ich immer noch aufrecht sitze. Ich habe nicht einmal angefangen! Mir schießen die Tränen in die Augen, aber diesmal nicht, weil es wehtut.

Ich gehe nach draußen und heule Rotz und Wasser.
Es ist so unfassbar ungerecht! Ich war so stolz, dass ich mich trotz aller Hürden zu diesem Seminar getraut habe. Es hat mich eine Menge Mut und Überwindung gekostet, aber ich habe es hingekriegt. Nein, ich habe es nicht nur hingekriegt, es hat Spaß gemacht! Und jetzt macht mein Körper mir einen Strich durch die Rechnung! Als ob ich es, verdammt nochmal, nicht auch so schon schwer genug hätte!
Und in diesem Moment wird mir klar, dass ich einen Fehler gemacht habe.
Ich hatte sehr viel Zeit, zu der Erkenntnis zu gelangen, dass meine Depressionen nicht heilbar sind. Und hab dann noch mehr Zeit gebraucht, diesen Umstand auch zu akzeptieren – soweit mir das halt möglich war. Ich lebe mit meiner Erkrankung und das gar nicht mal so schlecht.
Okay, das mit der Makula-Degeneration war jetzt nicht sooo eine gute Nachricht, aber bislang komme ich ganz gut damit zurecht.
„Was soll sein?“, hab ich mir also gedacht, als mit der Borreliose noch eine weitere Erkrankung hinzukam, „Wenn ich sowieso schon dabei bin, nehm‘ ich die in einem Aufwasch mit an!“.
Es war eine ungeheure Erleichterung, eine Diagnose zu haben, aber nachdem es derzeit nicht so aussieht, als sei mit einer kurz- oder auch nur mittelfristigen Linderung der Symptome zu rechnen, muss ich mich mit ganz neuen Beeinträchtigungen arrangieren.
Und dafür sollte und darf ich mir Zeit nehmen. Dazusitzen und zu heulen gehört da durchaus dazu. Das ist okay.

Drinnen kommt Unruhe auf. Vermutlich beginnt die Pause und auf keinen Fall möchte ich weinend vor der Tür angetroffen werden. Nicht einmal auf Deutsch könnte ich in zwei, drei Sätzen erklären, was mit mir los ist – auf Französisch: keine Chance. Besser, ich mogele mich unauffällig in den Raum zurück! Dort jedoch werden soeben wieder Paare gebildet und ich ergreife umgehend die Flucht. Jetzt bloß kein Kontakt zu anderen Menschen! Draußen allerdings packt mich die Wut: Das ist ü!ber!haupt! nicht! einzusehen! Das ist nur Yoga! Ich gehe da jetzt rein, setze mich auf meine Matte, atme und gucke zu!

Kaum habe ich den Raum betreten, spricht meine Mattennachbarin, die ich bisher als äußerst reserviert erlebt habe, mich sehr freundlich an: Gerne könne ich mich ihr und ihrer Trainingspartnerin anschließen! Ich versuche, zu erklären, dass es ganz okay für mich sei, einfach eine Pause zu machen. Aber, nee, gar kein Problem, ich könne ja erst einmal zugucken und dann entscheiden, ob ich es auch versuchen will. Ich wär schon froh, wenn ich die „sitzen – atmen – nicht gleich wieder losheulen – Kombi“ hinkriegen würde, aber diese Zugewandtheit macht mich ganz wehrlos. Ich will nicht rumzicken. Und gucken kann ich ja mal …

Sie leitet die Übung sehr kundig an (später erfahre ich, dass sie selbst Trainerin ist) und ihre Partnerin, die sich augenscheinlich auch nicht völlig problemlos bewegen kann, nimmt die Sache souverän und mit Humor. Ich stimme in ihr Lachen ein. Okay … das traue ich mich auch.
Und die Macht des Yoga ist mit mir: Das kann ich auch! Es ziept ein bisschen, aber es tut nicht weh!

Meine Mattennachbarin kann unmöglich ermessen, was für einen riesigen Gefallen sie mir da getan hat: Sie hat mich in das Seminar zurückgeholt. Dafür bin ich ihr aufrichtig dankbar.
Ich bin aber auch hochzufrieden mit mir selbst.

* Und ich lasse diesen Satz jetzt stehen, auch wenn es schwerfällt! *

Weil ich mal losgelassen habe. Aufgegeben. Hemmungslos geweint. Mir verziehen, dass ich meinen Ansprüchen an mich selbst nicht gerecht werde.
Natürlich auch, weil ich mich getraut habe, anschließend weiterzumachen. Hilfe anzunehmen.

In der Pause muss ich wieder einmal nachfragen, als ich angesprochen werde.
Ob ich einen Keks möchte.
Möchte ich! Den hab ich mir verdient!

Das Yoga Projekt IV

… mit unverhofften Nebenwirkungen …

Ich mag torsions, solche Übungen, bei denen man quasi den Körper verdreht, indem man zum Beispiel auf dem Rücken liegend die angezogenen Beine vorsichtig zur einen Seite Richtung Boden sinken lässt, während man in die entgegengesetzte Richtung schaut. Das zieht zwar manchmal ganz ordentlich, aber ich finde es sehr entspannend und habe das Gefühl, dass es auch meinem Rücken gut tut. Und ich komme mir nicht so schlapp vor, wie bei den Übungen, für die es Kraft braucht.
Heute machen wir eine, die ich noch nicht kenne und ich denke „Wow! Das ist jetzt aber mal richtig angenehm!“. Obwohl ich rücklings auf meiner Matte liege, fühlt die Haltung sich tänzerisch an, offen, dem Himmel zugewandt. Anfangs habe ich ein bisschen Angst, dass es zwicken könnte in den Schultern, aber tatsächlich werde ich mit jedem Atemzug weicher. Ich merke, wie ich zu lächeln beginne.
Am Ende einer solchen torsion wickelt man sich sozusagen Schritt für Schritt wieder auseinander, kehrt in die schlichte Rückenlage zurück und fühlt in sich hinein. Oft habe ich dann das Gefühl, dass ich auf der gedehnten Körperseite größer oder schwerer bin.
Heute fühle ich dort eine Art dicken Strang, der vom Kopf bis in den Fuß reicht. Und sofern ein Gefühl farbig sein kann, ist er pottschwarz. „Schräg!“ denke ich und beschließe, die Erfahrung zuzulassen. Sekunden später laufen die Tränen und ich schnappe nach Luft: Panikattacke!
Keine allzu heftige glücklicherweise, ich bin in erster Linie verdattert, weil ich damit nun überhaupt nicht gerechnet habe. Nathalie nennt mir zwei Atemübungen, die ich machen soll und obwohl ich immer gedacht habe, wenn ich beim Yoga mal aus der Kurve fliege, dann wegen der Atemübungen, komme ich recht schnell wieder zur Ruhe.
Eine Idee, warum mir das passiert ist, habe ich nicht.

img_16215-q-webNathalie hat mir geraten, die Übung, die ich nach der ersten Hälfte abgebrochen habe, zu Hause noch zu beenden. Dazu komme ich am Abend nicht mehr, weswegen ich am Folgetag den kompletten Ablauf wiederhole.
Obwohl ich ein bisschen Muskelkater habe, empfinde ich den ersten Teil, in dem die rechte Körperseite gedehnt wird, erneut als sehr angenehm, es gelingt mir sogar noch besser als gestern, mich zu entspannen.
Aber als ich anschließend in mich hineinfühle, ist der schwarze Strang wieder da und ich breche in Tränen aus. Immerhin bleibt die Panik aus, wenn ich auch keine Ahnung habe, warum ich eigentlich weine.
Links, stelle ich verblüfft fest, bin ich sehr viel unbeweglicher. Dass nicht beide Körperhälften gleich geschmeidig sind, ist zwar normal, aber hier ist der Unterschied extrem und ich bin sehr vorsichtig, damit ich mir nicht womöglich weh tue.
Anschließend fühlt es sich an, als sei ich links in die Länge gezogen worden (wurde ich ja auch!), aber auch hier kann ich den Strang fühlen. Doch er ist hell! Und er beschreibt einen Bogen, der sich über die rechte Seite wölbt. Diese wird aufs Neue schwarz, fühlt sich ganz kompakt an und bildet dann ebenfalls einen Bogen. Am Ende berühren die beiden Bögen sich an den Spitzen. Das scheint mir richtig zu sein und ich beende die Übung voller Staunen über die eigenartige Erfahrung, aber gelassen.

Nathalie erklärt mir, dass wir während der Asanas, der Haltungen oder postures, zuweilen an alte Erinnerungen rühren, die ontogenetischer (die Entwicklung eines Lebewesens von der Keimzelle bis zu seinem Tod) und sogar phylogenetischer (die stammesgeschichtliche Entwicklung der Gesamtheit aller Lebewesen betreffend) Natur sein können.
Deswegen heißen, so sagt sie, die Asanas „Fötus“ oder „Kind“, aber auch „Kobra“, „Frosch“ oder „Schlange“.
Berühren wir eine solche Erinnerung, werden die dazugehörigen Emotionen offenbart und freigesetzt.
Augenscheinlich sei gerade diese Haltung interessant für mich (den Eindruck habe ich allerdings auch!) und wenn es mir möglich sei, solle ich die Tränen nicht zurückhalten, sondern sie ebenso willkommen heißen, wie alles andere, das ich empfinde, mit Aufmerksamkeit und Empathie.
Und dann loslassen …

Das Yoga Projekt II

An einem Nachmittag im Oktober habe ich meine zweite Yogastunde und mir wird schon bei dem Versuch, am Morgen aufzustehen klar, dass mir bei der Planung dieses Tages ein gravierender Fehler unterlaufen ist.
Da wir am nächsten Tag Gäste erwarten, habe ich mir vorgenommen, Seitangulasch zu machen, was – wenn es denn was werden soll – eine Menge Arbeit ist. Eigentlich tut mir das gut: kochen. In Krisenfällen bin ich manchmal eigens einkaufen gefahren, um dann stundenlang in der Küche irgendetwas zu schnibbeln und zu köcheln. Wenn ich das anschließend alles einfrieren musste, weil grad gar keiner da war, um diese ganzen Mengen zu vertilgen, war’s auch recht. Ich hab dabei zu meiner Ruhe zurückgefunden. Aber erstens entspricht „Yogakurs“ nicht einmal in meiner Welt einem Krisenfall und zweitens setzt er mir einen Termin, zu dem ich mit der Kocherei fertig sein muss. Fertig gekocht, geduscht und umgezogen. Das kann auf keinen Fall klappen. Ich erwäge kurzfristig, gleich im Bett zu bleiben.
Konzentrieren muss man sich außerdem (beim Kochen, nicht beim „im Bett bleiben“). Und es ist nicht nur die mentale Vorbereitung auf das Abenteuer Yoga, die mich dafür viel zu sehr in Anspruch nimmt. Ich habe mir außerdem vorgenommen, Nathalie, der Kursleiterin, zu sagen, dass ich an Depressionen und Panikattacken leide. Dass sich eine Panikattacke soundso äußern werde, falls ich denn eine hätte, man sich aber keine Sorgen machen und mir auch nicht helfen müsse. Natürlich kann man mir in solchen Momenten durchaus helfen: Man kann mich an diese Sache mit dem Atmen, vor allem mit dem Ausatmen erinnern (meine Mutter hat das, als sie zum ersten Mal eine meiner Attacken miterlebt hat, ganz formidabel hingekriegt: „Du mußt atmen, Mädchen!“, hat sie gesagt, „Guck mal: Einatmen … ausatmen … einatmen … ausatmen …“). Ein Glas Wasser hilft auch – warum auch immer. Vor allem anderen hilft es mir, gesagt zu haben, dass da was kommen kann: Wenn ich erste Paniksymptome einfach „kommen“ lassen kann und nicht versuche, mich zusammenzureißen und „normal“ zu wirken, stauen sie sich gar nicht erst zu eine Woge auf. Aber wenn ich mich darauf hätte vorbereiten wollen, das alles auf Französisch zu erklären, gäb’s morgen trocken Brot und klares Wasser.
Natürlich hätte ich auch jemanden bitten können, zu dolmetschen, aber ehrlich gesagt bin ich es leid: Ich möchte selber für mich sprechen!
Das Gulasch zu streichen, wäre so oder so eine Möglichkeit gewesen.
Aber ich bin hier unter anderem angetreten, um zu erklären, dass für jemanden wie mich „Gulasch kochen“ (oookay, wir kochen das Zeug ein, es waren also schon ein paar mehr Mahlzeiten, die ich da heute vorbereitet habe) und „Yogakurs“ an ein und demselben Tag eine echte Herausforderung sind. In einer Welt, in der „normale“ Menschen Yoga nach einem kompletten Arbeitstag zu ihrer Entspannung einplanen.
Jetzt mal ehrlich, schon das ist schräg, oder?
Ich mag nicht die sein, die sich tatsächlich einen ganzen Tag lang ausschließlich auf die ungeheure Herausforderung der Teilnahme an einem Yogakurs vorbereiten muss.

Und tatsächlich renne ich zwar (unterbrochen von gelegentlicher Schockstarre) wie ein aufgescheuchtes Huhn in der Küche herum, aber soweit ich sagen kann, gelingt das Gulasch und ich bin auch pünktlich (nunja … auf den allerletzten Drücker) fertig.
Die Paniksymptome übrigens halten sich in Grenzen, es fühlt sich eher an wie sehr heftiges Lampenfieber. Und ich heiße nicht Streisand … ich hab’s bisher noch immer auf die Bühne geschafft …
Dünnpfiff sollte nach reichlichem Konsum von Flohsamenschalen physikalisch eigentlich unmöglich sein … schon erstaunlich, was Streß dennoch zu bewirken vermag …

Gleichwohl: Ich stehe pünktlich und in Sportklamotten auf der (Yoga)matte!
Nathalie ist gut vorbereitet und streut ganz en passant den einen oder anderen englischen Satz in ihre Erläuterungen ein. Die meisten benötige ich jedoch nur zur Bestätigung, dass ich sie vorher einigermaßen richtig verstanden habe: Wenn ich nicht gar so gestresst bin, verstehe ich eine Menge. Das Heraussuchen erster Vokabeln hat natürlich auch geholfen …
Ich habe das Gefühl, klarzukommen. Es macht Spaß! Und während einiger Momente fühle ich mich tatsächlich entspannt und bei mir.
Das anschließende Gespräch geht gut über die Bühne und ich muss nur für einen einzigen Satz ins Englische ausweichen.

Daheim angekommen bin ich immer noch so beschwingt, dass ich mich an der Unterhaltung mit einem französischen Essensgast beteilige. Nicht alle Sätze, die ich da beginne, kann ich auch beenden … aber hej, ich hab einen Anfang gemacht!

***

Am schönsten ist es, wenn Nathalie die Übungen auf Französisch erklärt und dann nur „yes!“ sagt – dann weiß ich, dass ich alles richtig verstanden habe.

***

img_16215-q-webEin paar Unterrichtsstunden später fahre ich schon fast entspannt zum Training.
Bis eines Abends plötzlich sehr viel mehr Leute da sind, als sonst: Offenbar ist ein anderer Kurs ausgefallen …
Also, genau genommen sind mit mir nur 13 Menschen im (gar nicht mal so kleinen) Raum, Matten sind auch genug da, eigentlich alles gar kein Problem …
Trotzdem ist es mir zu voll. Zu laut auch … Wohlgemerkt: Geschätzt die Hälfte der Teilnehmer hat bereits das Rentenalter erreicht, die benehmen sich objektiv ganz und gar ruhig und gesittet. Dennoch, zu viele Schritte, zu viel Geraschel, zu viel …
Zum ersten Mal fällt mir auf, dass in solchen Momenten sofort mein Sehvermögen nachlässt: Trotz Brille habe ich plötzlich Schwierigkeiten, die Gesichter der Menschen auf der anderen Seite des Raumes zu erkennen.
Und obwohl das in den letzten Wochen schon prima geklappt hat, verstehe ich jetzt die Anleitungen nicht mehr.
Zu allem Überfluß liege ich ungünstig: Ich achte immer darauf, nicht am Rand zu liegen – so kann ich jederzeit nach rechts und links spingsen, ob die anderen Teilnehmer auch das tun, was ich gerade verstanden habe.
Heute liege ich zwischen einer alten Dame, die sich nur unter Schwierigkeiten überhaupt bewegen kann und einem auch nicht eben jungen Herrn, der sich bezüglich der Details ebenso unsicher zu sein scheint, wie ich …
Ich ziehe in Erwägung, das Training abzubrechen, beschließe dann aber, es einfach als Erfahrung zu nehmen – zu beobachten, was passiert, auch wenn vielleicht kein Yoga draus wird.
Nach ca. 20 Minuten habe ich mich tatsächlich beruhigt. Alle liegen ruhig auf ihren Matten, wie gut ich sehen kann, spielt keine Rolle, weil ich eh die Augen zu habe, aber ich nehme zur Kenntnis, dass Nathalie nicht mehr kommt, um mir auf Englisch zu erklären, was ich tun soll. Ich komme auch so klar.

***

Beim letzten Tief habe ich den Kurs ausfallen lassen – ich hätte sofort losgeheult.
Ich bin jedoch nicht bereit, das „einreißen“ zu lassen und mobilisiere beim nächsten Mal die letzten Reserven, um am Training teilzunehmen.
Angenehm ist das nicht. Damit, dass ich unter Stress kein Französisch mehr verstehe, hatte ich gerechnet. Aber ich begreife auch die englischen Anweisungen nur unter Mühen. Und selbst wenn ich kapiere, dass ich den linken Fuß bewegen soll, weiß ich nicht, welcher von den beiden gemeint ist.
Alter Tanzlehrerspruch: „Die Herren beginnen mit dem rechten Fuß. Mit dem anderen rechten!“ …
Mein Problem war das nie, aber heute muß ich lange überlegen, bis ich mich in „posture“ gebracht habe.
Alles ist wahnsinnig anstrengend und teils auch schmerzhaft.
Bei den Atemübungen habe ich die allergrößte Mühe, nicht in Tränen auszubrechen.
Ich bemühe mich sehr, alles einfach geschehen zu lassen und nur zu beobachten.

***

Schon mittags stehe ich weinend in der Küche.
Ich habe Angst, dass ich wieder nix verstehe und alle mich für blöd halten. Ich habe Angst, mir wehzutun (nach dem letzten Training hatte ich eine Blockade in der Halswirbelsäule, dabei hab ich doch immer geglaubt, Yoga sei auch gut für meinen Rücken), ich habe Angst vor den Atemübungen, weil ich oft nicht genau verstehe, was ich tun soll und mir besonders eine sehr unangenehm ist.
Ich habe Angst, dass ich mitten im Training losheule. Ich könnte dann ja nicht einmal erklären, was mit mir los ist.
Zu Beginn des Trainings kommt Nathalie zu mir und fragt mich ganz selbstverständlich „which language will you understand today?“ und ich entscheide mich für „I’ll try French!“ …
Und es klappt!
Okay, es kommt vor, dass ich weisungsgemäß die Hände an den Körper nehme, den Hinweis „auf Schulterhöhe“ (was immer das auch auf Französisch heißen mag) jedoch nicht mitbekomme.
Andererseits sehe ich mit Erleichterung, dass auch andere TeilehmerInnen manchmal auf dem Rücken liegen, statt auf dem Bauch, weil ihnen schlicht ein Detail entgangen ist.
Die Übungen fühlen sich wieder angenehm an, ich habe nicht mehr solche Angst, mir wehzutun. Der Schwerpunkt liegt darauf, sich beim Ausatmen zu entspannen – so nimmt man die Positionen nicht ein, sondern gleitet hinein, das gefällt mir sehr.
Mitten im Training flattert plötzlich eine Fledermaus durch den Raum.
Nathalie packt ihr langes Haar unter eine Mütze (jeder kennt Geschichten von Fledermäusen, die sich in langen Haaren verfangen – dabei weiß gleichzeitig auch jeder, dass sie sich mittels Ultraschall orientieren und gar nicht in die Nähe von Hindernissen kommen. Ich habe auch noch nie von jemandem gehört, dem das tatsächlich passiert wäre …) und dann geht das Training mit Fledermaus weiter, bis das Tierchen irgendwo landet. Behutsam wird es von einer Teilnehmerin aufgenommen und in den unbeleuchteten Nebenraum gebracht: Dort haben sie ihr Winterquartier …

***

Nach gut vier Monaten fühlen sich „Yoga-Tage“ beinahe normal an …
Den gewohnten Ablauf wirbeln sie zwar immer noch ein wenig durcheinander, weil dann mittags warm gegessen wird und nicht wie sonst am Abend, aber ich muß mich – sofern ich eingermaßen stabil bin – nicht mehr ab dem Morgen mental darauf vorbereiten.
„Den Müll mitnehmen“, was naheliegend ist, wenn man schon mit dem Auto losfährt, klappt noch nicht. Einmal im „Zielanflug“ weiß ich Sportsachenanziehentaschentucheinsteckenwasserflaschedeckeundtaschenlampemitnehmen. Was sonst noch sinnvoll gewesen wäre, fällt mir immer erst ein, wenn ich gerade losgefahren bin.
Ich liege immer noch „mittig“, immer so, dass ich rechts und links spingsen kann. Teils entlastet mich das, teils funktioniert es wie ein phantomimisches Übersetzungsprogramm.
Nur die Atemübungen waren immer ein Wermutstropfen.
Um nicht zu sagen, ich hatte Angst davor …
Vor einer insbesondere, bei der der Atem in kurzen Abständen heftig ausgestoßen wird. Ich hätte (und einmal wäre mir das tatsächlich um ein Haar passiert) schon heulen mögen, wenn Nathalie uns zum Atralalaprana (so, oder ähnlich, ich kann mir nicht einmal die Bezeichnung merken!) eingeladen hat.
Die anderen Teilnehmer machen das dreißig, vierzig mal … Mir rät Nathalie zu zehn bis fünfzehn. Fünf. Drei sind auch prima …
Mich erinnert das fatal an diesen Spruch, dass ich heute Bäume ausreißen könnte. Na gut, Zweige … Grashalme. Grashalme sind okay!
Ich kapiere einfach nicht, was ich tun soll.
Und das liegt nicht an der Sprache. Ich höre die Worte, aber ich kann und kann sie nicht umsetzen.
Das ist, wie wenn man kein Rad schlagen kann und einem jemand erklärt, man solle einfach die Arme ausstrecken, Schwung holen und eine Hand nach der anderen auf den Boden setzen … Das ist leicht zu begreifen, aber der Körper weigert sich schlicht, es auch umzusetzen.
Mich erinnert die Übung an meine Panikattacken. Was objektiv unzutreffend ist: Das Problem bei Panikattacken, bzw. beim Hyperventilieren, besteht ja darin, dass man nicht ausatmet. Dennoch empfinde ich die Übung als quälend und würde mir wünschen, Nathalie würde sich nicht so sehr bemühen, mir dabei behilflich zu sein. Ihre Aufmerksamkeit macht alles noch schlimmer.
Nach vier Monaten nun habe ich plötzlich den Eindruck, zu spüren, was ich tun soll …
Den Bauch loslassen und die Luft hineinfallen lassen! Vorher hab ich immer versucht, bewußt einzuatmen …
Und dann mit dem Bauch wieder rausdrücken. Das geht dann auch mit Schmackes und fühlt sich lange nicht so anstrengend und verkrampft an, wie meine bisherigen Versuche, das mit dem Brustkorb zu bewerkstelligen.
Ich habe keine Ahnung, ob das jetzt so richtig ist, aber es funktioniert und es fühlt sich sehr viel besser an!
Danach bin ich so euphorisch, dass ich mich bei der nächsten Übung, bei der mit einem lauten Summen ausgeatmet wird, nicht mehr an den anderen orientiere – damit man mich nicht womöglich alleine summen hört – sondern tatsächlich meinem eigenen Rhythmus folge. Das ist toll!

Wenn Taucherinnen hoch hinauswollen

„…Ich empfinde in solchen Momenten überhaupt keine Angst. Ich verspüre Paniksymptome…“ hatte ich neulich geschrieben und die Schieferliebe hat kommentiert, sie würde sehr gerne verstehen, was der Unterschied zwischen Angst und Panik ist.

Ich nehme zwar nicht an, dass die offizielle Definition gemeint ist, habe aber – der guten Ordnung halber – dennoch nachgeschlagen …
Wenn man es ganz genau nimmt, sind schon Angst und Furcht nicht das selbe: Angst ist ein eher ungerichtetes, diffuses Gefühl, Furcht dagegen bezieht sich auf ein bestimmtes Objekt, eine konkrete Situation. „Angst kommt von innen, die Furcht von der Außenwelt“ ist, finde ich, eine ganz schöne Beschreibung dafür. Im Alltag werden Angst und Furcht jedoch synonym verwendet.
Panik wird als abrupt auftretender Angst- oder Furchtzustand beschrieben, der mit vielfältigen körperlichen Symptomen einhergeht. Dabei, so lese ich, könne es zu einer Einschränkung der höheren menschlichen Fähigkeiten kommen. Treffender scheint mir Beschreibung, Panik sei durch planlose, ungezielte, chaotische Flucht gekennzeichnet. Das scheint mir, was das Gefühl betrifft, selbst für solche Momente passend, in denen ich in meiner Panik irgendwo „festfriere“.

Was aber bedeuten Angst, Furcht und Panik für mich?

Wenn ich bei feuchtem Wetter über Felsen klettern muß, befürchte ich, auszurutschen und zu stürzen. Wenn man die hiesigen Felsen nebst dem unangenehmen „Glitsch“ kennt, der bei Nässe an ihnen haftet und auf dem man selbst mit Bergschuhen keinen vernünftigen Halt findet, dann ist das eine realistische Einschätzung eines riskanten Unterfangens.
Dass ich mich dabei immer gleich mehrere Meter tief abstürzen und schwer verletzt daliegen sehe, dürfte eher meiner Angst geschuldet sein. An ganz schlechten Tagen fällt mir die Geschichte von der Frau ein, die hier bei einem Spaziergang von einer Mauer gestürzt ist und erst Monate später gefunden wurde … sollte ich dann bemerken, dass mein Handy nicht an der Frau, sondern zum Aufladen an der Steckdose hängt, fange ich an, mich sehr unwohl zu fühlen.
Dann beginne ich, meine Schritte übervorsichtig zu setzen, halte mich an Ästen fest, oder rutsche zur Not auf dem Allerwertesten bergab.

Die einzige Befürchtung, die ich jemals in Bezug auf Supermärkte gehegt habe, war die, ausfallend zu werden und das x-te Papaschiebtganzlangsamdeneinkaufswagenmamaschlendertdanebendiekinderumkreisendasganzemitihrenscheißgelbenminieinkaufswagen-Gespann kurzerhand lauthals aus dem Weg zu fluchen. Oder ehrlicher: Anlauf zu nehmen und sie mit meinem Einkaufswagen beiseite zu rammen.
Das hätte Ärger gegeben – insofern eine realistische Einschätzung.
Ich empfinde keine Bedrohung. Es gibt keinerlei Kopfkino, was im schlimmsten Falle passieren könnte. Ich fühle keine Angst.
Dennoch steht „Supermarkt“ auf der Hitliste meiner Auslöser für eine Panikattacke nach wie vor ganz weit oben.

Der erste Vorbote der Panik ist – was mich betrifft – ein trockenes Hüsteln.
Unterdessen habe ich begonnen, es als Warnsignal zu nutzen: Wenn ich mich selber hüsteln höre, ist es an der Zeit, nach Störfaktoren Ausschau zu halten und Entlastungsmöglichkeiten zu suchen.
Im zweiten Schritt wächst der Druck auf den Brustkorb, ich kann nur noch unter Schwierigkeiten Luft holen. Lange bevor ich tatsächlich zu zittern beginne, kann ich das Zittern in mir spüren. Messen kann man es auch: Wenn ich beginne, mich zittrig zu fühlen, ist mein Blutdruck extrem hoch. Ich muß aufpassen, beim Gehen nicht zu stolpern und mich sehr konzentrieren wenn ich zum Beispiel ein Glas hochheben will. Irgendwann kommen mir die Tränen. Wenn es arg ist, beginne ich dann auch zu hyperventilieren.
Dennoch habe ich keine Angst. Mir ist bewußt, dass die Situation, in der ich mich befinde, objektiv ungefährlich ist. Ich weiß, dass ich weder ersticken, noch einen Herzinfarkt bekommen werde.

Ich muß also nicht unbedingt Angst haben, um Panik bekommen. Andererseits stellt sie sich sehr zuverlässig ein, wenn ich meine Angst zu ignorieren versuche.
Die leider recht zahlreichen Gelegenheiten, bei denen ich mit zusammengebissen Zähnen versucht habe, über meine Höhenangst hinwegzugehen, haben in der Regel so ihr Ende gefunden. Ich erinnere mich an eine Bergtour, bei der ich irgendwann ganz ruhig mitgeteilt habe, ich müsse mich kurz mal setzen und dann nicht mehr hochgekommen bin. Ich konnte nicht nur nicht aufstehen, sondern mich überhaupt nicht mehr bewegen.
Sie bleibt jedoch aus (was ich sehr zu schätzen weiß!), wenn es tatsächlich Grund zur Furcht gibt:
Auf einem der wenigen Gipfel, die es mir tatsächlich doch zu erklimmen gelungen ist, sind wir in ein Gewitter geraten und damit war völlig klar „wir müssen auf dem schnellsten Weg hier runter!“.
Besagter schnellster Weg war ein seilversicherter Steig von der Sorte, die ich normalerweise meide wie der Teufel das Weihwasser. Aber da half nun alles nichts.
Wenn es auf solchen Wegen ein Stahlseil gibt, klammere ich mich daran fest. Auch wenn es gar nicht nötig oder auch nur sinnvoll ist, selbst wenn ich mir an solchen Stellen, wo es auf dem Fels aufliegt, die Fingerknöchel blutig schlage: Ich kann nicht anders. Ich kann das Seil nicht loslassen! Aber natürlich darf man bei Gewitter das Seil gar nicht erst anfassen
Also habe ich noch eine gallige Bemerkung im Sinne von „Rumzicken ist jetzt wohl nicht opportun …“ gemacht und bin dann zügig und freihändig Richtung Tal abgestiegen.
Also alles nur Rumzickerei? Ich denke nicht.
Meine Höhenangst ist irrational. Panik ebenfalls.
Die Einschätzung dagegen, bei Gewitter auf einem Berggipfel und in unmittelbarer Nähe von Metallteilen in Gefahr zu sein, ist rational. Und auch, wenn ich sonst ab und zu irrational reagiere: ich bin nicht verpflichtet, das immer zu tun!

Je länger ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir, wie wenig meine Ängste mit tatsächlichen Gefahren zu tun haben – und wie wenig ängstlich ich diesen gegenüber manchmal bin.
Wie gesagt, ich befürchte nicht nur, zu stürzen, ich stürze immer gleich ab. Und selbst wenn das objektiv unmöglich ist und ich höchstens auf dem Hintern landen werde, habe ich Angst, mir wehzutun, mich zu verletzen.
Passiert ist mir das nur ein einziges Mal, als ich ganz und gar angstfrei in meinen lieben „Pfötchenschuhen“ einen Waldweg entlanggelaufen bin – da hab ich mir einen toten Ast so unglücklich in den Fuß gebohrt, dass die Wunde mit 5 Stichen genäht werden musste. Was mich keineswegs davon abgehalten hat – nachdem die Wunde halbwegs verheilt war – weiterhin in denselben Schuhen durch den Wald zu streifen.

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Bei meinem ersten Versuch, hier in den Cevennen weglos zu wandern, habe ich mich zum ersten Mal in meinem ganzen Leben im Gelände verlaufen. Ich hatte lediglich vorgehabt, einen Hügelkamm zu überqueren, um von einem mir bekannten Weg auf einen anderen zu gelangen. Der Felssturz, der dies verhinderte, hat mich nicht weiter angefochten, ebenso wenig wie der Umstand, dass es mir nicht gelungen ist, auf genau dem selben Weg zurück zu gehen. Die hiesigen Hügel sind von einem Netz von vermeintlichen Trampelpfaden und Wildwechseln überzogen, welches so engmaschig ist, dass sich alle paar Meter der Weg zu gabeln scheint: Dreht man sich um, sieht man anstelle des einen Weges, auf dem man gekommen ist, plötzlich drei. Ohne Ariadnefaden oder Brotkrumen ein schier unmögliches Unterfangen. Selbst die Jäger, die sich in den Hügeln bestens auskennen, helfen sich mit Steinmännchen. Die meisten dieser Wege enden in einer Wildscheinsuhle, an einer Felswand, oder schlicht in undurchdringlichem Gestrüpp.
Ein Problem schien mir das nicht zu sein: Ich habe ein Gefühl dafür, in welcher Richtung sich mein Ausgangspunkt befindet und finde stets dorthin zurück. Nicht immer auf dem geraden Weg, versteht sich – Felswände oder Schluchten kann ich natürlich nicht vorausahnen – aber ich weiß immer, wohin ich mich wenden muß.
Zumindest wusste ich es immer. Vermutlich orientiere ich mich unbewusst an Landmarken und genau die fehlen weitgehend, wenn man sich zwischen lauter identisch aussehenden grünen Hügeln bewegt. Gemauerte Terassen, Felsformationen, skurril aussehende tote Bäume … all das wiederholt sich in einer solchen Masse, dass nichts davon mehr einen brauchbaren Hinweis ergibt. Wenn man gerade mal wieder bäuchlings durchs Gestrüpp kriecht, sowieso nicht …
An diesem besonderen Tag war es überdies regnerisch und neblig …
Ich habe den Weg, auf dem ich gekommen war, nicht wiedergefunden. Und da ich den Hügelkamm nicht überqueren konnte, habe ich beschlossen, ihn zu umrunden. Als mir das gelungen war, riß der Nebel auf … und gewährte den Blick in ein mir vollkommen unbekanntes Tal. Da hab ich mich dann auch kurz mal setzen müssen. Mein Handy hatte ich nicht dabei, wohl aber meine Hundepfeife und mit der habe ich SOS gepfiffen. So macht man das in den Bergen. Ich hab nicht lange gepfiffen bis mir klar wurde, dass weit und breit niemand war, der mich hätte hören können. Da hab ich dann ein bißchen geweint. Und mich wieder aufgerappelt.
Letztlich war es Oskar, der mich aus der Bredouille geholt hat: Er ist gut darin, Trampelpfade zu finden und er bevorzugt solche, die von Menschen benutzt werden. Und so hat er mich tatsächlich auf einen Jägerpfad geführt, der an einem Wirtschaftsweg endete. Wo ich war, wusste ich da immer noch nicht, aber hej! Zivilisation!
Nach insgesamt vier Stunden habe ich nass, verfroren, mit diversen blauen Flecken und blutigen Schrammen (der Glitsch!) den Hof erreicht, den ich nur für ein kurzes Gassi hatte verlassen wollen.
Wo ich eigentlich gewesen und wie ich dort hingeraten bin, hat sich auch mit Hilfe von Karten und Luftbildern bisher nicht klären lassen – womöglich ein cevenoles Brigadoon
Diese Erfahrung hat mich zwar gelehrt, bei Nebel und Regen auf den Wirtschaftswegen zu bleiben, meine Unternehmungslust ansonsten jedoch keineswegs geschmälert. Es ist mir noch mehr als einmal passiert, dass meine Spaziergänge … nun ja … dann doch mehr Zeit in Anspruch nahmen. Wenn mir die Richtung zu stimmen scheint, robbe ich immer noch bäuchlings durchs Gestrüpp und hangele mich an Felsen hoch – wohl wissend, da es da ganz sicher nicht zurück geht. Ich gehe nicht mehr ohne Handy los, auch wenn es wenig nutzt sofern man nicht sagen kann, wo man verletzt liegt. Das GPS Gerät mitzunehmen allerdings, ist mir nie in den Sinn gekommen …
Wo bliebe die Herausforderung?

Ich bin in’s Erzählen gekommen und stelle fest, dass ich mich von der eigentlichen Frage nach dem Unterschied zwischen Angst und Panik weit entfernt habe. Für mich spielt er keine große Rolle: Beide suchen mich hin und wieder auf, jede zu ihren Bedingungen.
Sie am Beispiel meiner Höhenangst zu betrachten, bot sich an, finde ich: Die ist so schön abgezirkelt und nachvollziehbar. Und sie ist – obwohl vergleichsweise leicht vermeidbar – diejenige meiner Ängste, gegen die ich am erbittertsten angerannt bin. Wir haben schon eine Menge Zeit miteinander verbracht.
Dennoch habe ich nie wirklich darüber nachgedacht, wie es für mich ist, mit ihr zu leben.
Danke für die Gelegenheit, das endlich einmal zu tun!

 

Shaolin

Als ich ein Kind war, wurde am Samstagnachmittag, wenn nicht „Daktari“ oder „Tarzan“, „Kung Fu“ geguckt – und am Sonntag waren wir dann alle Caine, der tapfere Shaolin-Mönch …
Ich vermute, das Einhorn hat dann auch vor dem Fernseher gesessen – zu meinem Text vom Atmen und vom Weinen bemerkt es jedenfalls folgendes:
„Ich behaupte, das Problem liegt darin, daß wir das Kind immer nur innen lassen sollen. Als Kind hätte ich mir pragmatisch im Wald einen ordentlichen Knüppel gesucht und Shaolin-Mönchsmäßig auf irgendwelche Bäume eingeprügelt. Was ich tatsächlich getan habe als Kind. Das Kind mal nicht innen lassen. Wie immer es heißen mag.“
Ich habe nie auf Bäume eingeprügelt. Caine übrigens auch nicht. Der hat, wenn es gar nicht anders ging (aber es ging nie anders!), die Bösen verdroschen und dem Guten zum Sieg verholfen.
Aber ich verstehe den Gedanken: Es ist sicher besser, Wut, Enttäuschung, Frustration rauszulassen, als mit der Zeit daran zu ersticken. Und wenn dabei nur ein paar Stöcke zu Bruch gehen und Rindenstücke durch die Gegend fliegen, dann scheint mir das grundsätzlich kein schlechter Weg zu sein.
Ich selbst kann mich überhaupt nicht erinnern, als Kind Wutanfälle gehabt zu haben.
Sehr wohl aber daran, dass es meinen Eltern (vor allem meinem Vater, glaube ich) außerordentlich wichtig war, Konflikte ruhig und sachlich zu klären. Im Gespräch. Für kindliches Schreien, mit dem Fuß aufstampfen, oder eben mit Stöcken auf Bäume einprügeln war da vielleicht einfach kein Platz.
Und heute würde es nicht mehr reichen. Wenn mich heute eine Wut überrollt, die womöglich seit Kindertagen darauf gewartet hat, endlich auf etwas einschlagen zu dürfen, dann sind Stöcke und Bäume (sorry!) Kinderkram. Dann will etwas in mir will ich, dass Dinge kaputtgehen, dass es weh tut. Das ist sinnlos und destruktiv und soll (will) es auch sein!

Deswegen hilft zum Beispiel „Holz hacken“ überhaupt nicht (oder mit der Spitzhacke arbeiten): Die körperliche Anstregung tut gut und ja, es macht Spaß, etwas kurz und klein zu schlagen. Ich hacke ausgesprochen gerne Holz! Aber es ist einfach zu konstruktiv, kommt doch etwas Brauchbares, ja Notwendiges dabei heraus …
Und natürlich sollte man seine Finger von der Axt lassen, wenn man nicht gelassen und konzentriert mit ihr zu arbeiten in der Lage ist: Bei aller Zerstörungswut will ich das Ding nicht in meinem Schienbein stecken haben!

In der für mich beeindruckendsten Folge von „Kung Fu“ (jedenfalls ist es die einzige, an die ich mich tatsächlich erinnere) ging es übrigens nicht um Kampfkunst, sondern um den Umgang mit der eigenen Angst: Caine soll in seinem Kloster auf einem schmalen Balken über ein Becken balancieren, das mit Säure gefüllt ist. Auf dessen Boden sieht man die Skelette derer, denen dies mißlungen ist. An sich ist die Aufgabe nicht schwer: Es sind nur wenige Schritte und der Balken bietet genug Platz. Dennoch stürzt er prompt. Und stellt fest, dass es sich bei der vermeintlichen Säure um klares Wasser handelt und die Skelette lediglich Bilder sind, mit weißer Farbe auf schwarze Tücher gemalt, die sein Meister nun milde lächelnd aus dem Wasser zieht. Es war einzig und allein seine Angst, die ihn hat stürzen lassen; die Angst vor einer Gefahr, die lediglich in seiner Vorstellung existierte.
Möglicherweise war ich zu jung, um hieraus eine Erkenntnis zu destillieren, die mich durch mein weiteres Leben zu leiten vermocht hätte. Oder aber die Weisheit der Mönche läßt sich via Fernsehserie dann doch nicht so richtig einprägsam vermitteln. Vielleicht ist genau das aber auch typisch für Angsterkrankungen: Da können noch so viele Mönche bemalte Laken aus klarem Wasser ziehen – für mich bleibt das Säure und ich gerate immer wieder aus dem Gleichgewicht.

Alice Wunder greift den Gedanken des Einhorns auf und fragt
„Warum nicht den Shaolinweg gehen und bewußt die Auseinandersetzung suchen? Die friedvolle, entspannende Meditation scheint ja da an Grenzen zu stoßen, wo die überflutenden dunklen Gedanken als Störung und Fehler wahrgenommen werden. Also warum nicht direkt Kampfkunst, wo die vermutete Angstquelle, das böse, von Beginn an Teil des Systems ist. Da heißt es dann: Selbstverständlich ist die dunkle Gasse bedrohlich und du hast allen Grund mit verkrampften Schultern und krummem Rücken rumzulaufen. Aber wenn du übst, deine Muskeln zu entspannen, kann der gelockerte Körper allem, was da kommen mag, einfach schneller auf die Nase hauen. Und Entspanntheit ist Mittel, damit man die Gefahren besser wahrnimmt. Je nach Vorliebe reichen da die möglichkeiten von engumschlungenem Ringen bis zu freistehenden Schwertübungen ohne jeden Körperkontakt.“

two-on-a-phacelie-q-webEin „Selbstverteidigungskurs!“ hat, als ich noch eine junge Frau war, immer ganz weit oben auf meiner to-do-Liste gestanden – nur gemacht habe ich ihn nie. Dennoch habe ich gelernt, mich zu schützen. Mich nicht wie ein Opfer zu bewegen, zum Beispiel: Mich eben nicht gekrümmt an der Hauswand entlangzudrücken, sondern aufrecht mitten auf dem Bürgersteig zu schreiten. Wenn es mir wirklich unheimlich war, habe ich meinen Schlüsselbund in die Faust genommen, so dass zwischen zwei Fingern jeweils ein Schlüssel hervorstak. Ich kann mich an eine Situation erinnern, wo – bis ich mit dem Arrangieren meiner Schlüssel denn mal fertig war – der entgegenkommende Mann, der mich beunruhigt hatte, die Straßenseite gewechselt hatte …
Statistisch sind, sofern man nicht in einer ganz üblen Gegend unterwegs ist, die dunklen Gassen eh viel weniger gefährlich, als sie erscheinen mögen, dennoch ist die Angst, überfallen zu werden, eine rationale.
Das Nervige an Angsterkrankungen ist eher, dass die Ängste nicht nur irrational sind, sondern man das zu allem Überfluss auch noch weiß … es nützt nur nichts … Selbstverständlich habe ich keine Angst davor, dass ab einer Anzahl von x Menschen in einem geschlossenen Raum diese plötzlich über mich herfallen werden. Ich empfinde in solchen Momenten überhaupt keine Angst. Ich verspüre Paniksymptome und wenn sie zu heftig werden, muss ich raus. Schnell. Deswegen wäre das Bewußtsein, mich im Fall der Fälle wehren zu können, zumindest für mich auch keine Hilfe.
Eher kann ich mir vorstellen, dass das sehr bewusste und konzentrierte körperliche Agieren sich positiv auf die seelische Verfassung auswirkt. In diesem Punkt allerdings ist mir persönlich Yoga lieber, weil es ohne Gegner auskommt.
Aber vielleicht liest jemand mit, der das mal ausprobiert hat und davon berichten mag …?

Hin und wieder habe ich die Auseinandersetzung durchaus gesucht.
Als mir vor einigen Jahren eher zufällig ein Flugblatt in die Hände fiel, das Kletterkurse unter anderem mit dem Argument bewarb, diese würden gegen Höhenangst helfen, habe ich mich kurzerhand zu einem solchen Kurs angemeldet. Und hab schon Schnappatmung bekommen, als mir im Vorgespräch klarwurde, dass geplant war, eine 25 Meter hohe Wand zu erklettern – ich hatte mir so 5 Meter vorgestellt …
Des weiteren hatte ich nicht bedacht, dass es sich bei besagter Wand nicht etwa um glatten Indoor-Beton mit bunten Kunststoff-Nuppies handelte, sondern um einen veritablen Felsen im Westerwald. Für den Fall eines Sturzes ins Seil hab ich mein Kinn schon auf jedem einzelnen Felsklümpchen aufschlagen sehen, das da aus der Wand ragen mochte …
Gemacht hab ich’s trotzdem. Ich hab mich 25 Meter Felswand hochgerauft und bei der Gelegenheit gelernt, dass der Fachmann es „Nähmaschine“ nennt, wenn die Unterschenkel vor Überanstrengung zu zittern beginnen. Hab mir die Knie grün und blau geschlagen, weil ich sie benutzt habe, um mich voller Erleicherung auf die nächste Felsstufe zu rollen anstatt ordentlich zu klettern. Aber ich bin oben angekommen!
Für die Abseilübungen musste ich am Händchen zum Startpunkt geführt werden. Dort habe ich mich mit fest geschlossenen Augen an den Felsen geklammert bis ich eingesichert war. Jetzt nach hinten fallen lassen? Kein Problem: Alles, was mich wieder nach unten brachte, war okay für mich! Nachdem ich mich im ersten Anlauf noch am Seil festgehalten hatte (was a. nichts bringt, denn, wenn der Mensch der einen sichern soll, loslässt, fällt man mitsamt dem Seil, und mir b. den schlimmsten Muskelkater meines Lebens eingetragen hat), habe ich Vertrauen gefaßt und mich freihändig abseilen lassen. Anfangs „geht“ man dabei die Wand hinunter. Später, wenn man den Bogen raushat, stößt man sich davon ab wie die SEKs im Krimi, wenn sie ein Gebäude stürmen. Es war toll!
Der Knoten ist dennoch nicht geplatzt: Höhenangst hatte ich hinterher immer noch.
Mit dem Leiter des Kurses bin ich später auf einen Viertausender gestiegen. Er meinte, ich könne das schaffen und ich hab mich so geehrt gefühlt, dass ich das Wagnis eingegangen bin. Als Teil einer Seilschaft, meinen Eispickel in der Faust, habe ich einen Gletscher überquert und bin über Gletscherspalten gesprungen. Ganz schmale nur, aber wenn man so davorsteht … All das trotz, nein, mit meiner Angst! Und ich glaube nicht, dass ich die einzige war, die auf dem Gipfel heulen musste – nicht vor Erleichterung, sondern schlicht überwältigt.
Damals war ich schon richtig krank (im Sinne von „monatelang krankgeschrieben“), das macht die Erinnerung, einen Berg „bezwungen“ zu haben, für mich zu etwas sehr Besonderem. Auf keinen Fall würde ich diese Tour missen wollen! Aber gesund gemacht hat sie mich nicht.

Bei besagter schwieriger Situation nun, die ich mittels Meditation zu bewältigen versucht habe, ging es nicht um Angst. Vermutlich auch nicht um Wut, sondern eher um Hilflosigkeit, Verletztheit. Um ein Gefühl, das ich vorher nicht einmal hätte benennen können.
Menschen mit einer sehr lebhaften Fantasie, habe ich einmal gelesen, die in der Lage seien, eine verhasste Person in ihrer Vorstellung zum Beispiel umzubringen, zu zerhacken und im Wald zu vergraben, würden im realen Leben nicht zu Gewalttaten neigen. Ich selber morde lieber indirekt: In Fällen echt mörderischer Laune gucke ich gerne Horrorfilme. „From dusk till dawn“ zum Beispiel habe ich zum ersten Mal nach einem echt üblen Tag im Büro gesehen – und bin anschließend sehr heiter und entspannt aus dem Kino gekommen. Wenn ich also wahlweise ein Dutzend Teenager geschlachtet, Aliens und Zombies losgelassen, oder aber die Hölle geöffnet habe, fühle ich mich gleich besser. Kurzfristig jedenfalls.

Ich las andererseits, dass die Energie der Aufmerksamkeit folgt. „Worauf Du Deine Aufmerksamkeit richtest, da geht auch Deine Energie hin!“
Sollte das zutreffen, tue ich mir keinen Gefallen, wenn ich in meiner Fantasie Hindernisse bewältige, Auseinandersetzungen für mich entscheide, Feinde in die Flucht schlage. Oder eben besonders mißliebige Zeitgenossen mit der Axt zu Wildschweinködern verarbeite. Weil ein und dieselben dunklen Gedanken ja immer wieder kommen. Schlag ihnen den Kopf ab und es wachsen zwei neue nach …

Das Achtsamkeitstraining, mit dem ich mich seit einigen Wochen beschäftige, beschreitet einen anderen Weg: Die dunklen, schmerzhaften Gedanken sind Gedanken wie alle anderen auch. Sie kommen und gehen. Sie gehen, sofern man sie nicht festhält. Vor allem aber sind sie Gedanken, keine Tatsachen.
Es geht, auch bei den schwierigen und schmerzhaften Gedanken / Erinnerungen / Situationen, nicht darum, diese zu bekämpfen, sondern mit ihnen zu leben. Mit dem normalen Jucken der Realität, wenn man so will.

Da ich erst kurze Zeit und vor allem fast* ohne Anleitung vor mich hin dilettiere, bin ich guter Dinge, dass bei meinen Meditationsversuchen das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht ist!
Das Ergebnis meiner Bemühungen ist zwar nicht immer so ganz das erhoffte, aber immerhin gibt es Ergebnisse! Und: Das Gefühl benennen zu können, anstatt einfach nur von ihm überrannt und gebeutelt zu werden, war für mich ein großer Durchbruch, das sieht die Schieferliebe ganz richtig. Ebenso wie die Erkenntnis, dass es nicht jetzt entstanden ist (in diesem Fall würde es wohl eher helfen, auf Bäume einzuschlagen, oder – besser noch – mit der berühmten Faust auf den Tisch zu hauen), sondern schon lange darauf wartet, endlich beachtet zu werden.
Mag sein, dass da noch ein langer Weg vor mir liegt, bis ich mal so friedvoll und gelassen draufkomme, wie man sich das vom Meditieren erhofft …

Als eine liebe Freundin von mir mit ihrer Psychoanalyse begann (wenn ich mich recht erinnere mit drei Terminen pro Woche, immer vor der Arbeit), hab ich sie gefragt, ob da nicht ein bißchen sehr viel Zeit bei draufginge. „Ich war 20 Jahre lang depressiv“, hat sie mir geantwortet „da habe ich Zeit verloren!“.

* MBCT (Mindfulness-Based-Cognitive-Therapy) ist eine Form des Achtsamkeitstrainings, die speziell auf Menschen zugeschnitten ist, die unter Ängsten und Depressionen leiden. Da ich nicht die Möglichkeit habe, an dem dazugehörigen 8-wöchigen Trainingsprogramm teilzunehmen, habe ich mir das entsprechende Buch sowie die CD besorgt.

Das Yoga Projekt

Wie wahrscheinlich mag es sein, dass just in dem Moment, in dem man mit dem Gedanken zu spielen beginnt, es vielleicht doch mal mit Yoga zu versuchen, im Dorf (wir sprechen hier von einem Örtchen mit weniger als 500 Einwohnern, die nächste Stadt, von der man schonmal etwas gehört hat, ist anderthalb Autostunden entfernt) ein entsprechender Kurs angeboten wird?
Ich für mein Teil habe Neigung, das für Kismet zu halten. Und beschließe, daran teilzunehmen.
Zunächst für eine Probestunde, weil ich keine Ahnung habe, ob ich die Anweisungen verstehen werde – aber nach Jahren des Tanztrainings bin ich guter Dinge, „nachturnen“ zu können, was man mir vormacht. Dass der Kurs schon seit 2 Stunden läuft, scheint mir durchaus von Vorteil, erspart es mir doch eventuelle Vorstellungsrunden.

Ungefähr drei Stunden vor Beginn meines ersten Trainings beginne ich, ernsthaft Panik zu schieben: Atemnot, Weinen und – was ich ganz besonders elend finde – Durchfall. Jeder Mensch kennt sogenannte „Angstschisse“ vermute ich. Biologisch sinnvoll seien die, hab ich gelernt. Aber ich hab mit dem Niederringen einer veritablen Panikattacke echt genug zu tun, ich sollte nicht auch noch in ständig zum Hofklo rennen müssen.
Warum die Panik? Ich muß allein vom Hof weg und ins Dorf. Ich werde mit Menschen, die ich nicht kenne, in einem Raum sein müssen. Ich kenne den Raum nicht und habe Sorge, dass ich mich nicht zurechtfinden werde. Ich verstehe die Sprache nicht gut, selbst nett gemeinte Gesprächsversuche stressen mich ungeheuer, weil ich nicht antworten kann. Ich werde womöglich einen Scheck ausfüllen müssen und habe noch große Mühe, die Zahlen zu verstehen – ob ich sie korrekt schreiben kann, wage ich zu bezweifeln. Ich kenne die sozialen Gepflogenheiten nicht – bevor ich nach Frankreich gekommen bin war mir nicht klar, dass man nicht bis nach Afrika oder Asien reisen muß, um anzuecken, weil man die „Spielregeln“ nicht beherrscht …
Viel zu viel Neues, zu viele Unwägbarkeiten auf einmal!

Zunächst empört es mich, dass mein kläglicher Zustand unter anderem für Erheiterung sorgt (wer tagtäglich mit den „Blüten“ umgehen muß, die meine Erkrankung treibt, darf auch faule Scherze darüber reißen), aber dann muss ich doch selber lachen: Wie bescheuert klingt das denn auch – Angst vor dem Yogakurs …
Demnächst Meditationsphobie … Schließlich reden wir hier nicht von Bungeejumping!
Yoga soll mir helfen, mich besser zu fühlen, verdorri!
Und ich bin, ich bin verdammtnochmal nicht bereit, mich von dieser Scheißangst an Allem und Jedem hindern zu lassen!

Auf ins Dorf also.
Wo ich als allererstes feststelle, dass die Gepflogenheiten in der Tat anders sind: Außer mir sind alle schon in Sportkleidung hergekommen. Ich bin die Einzige, die sich umziehen muß. Einen separaten Raum dafür gibt es nicht und ich habe keine Ahnung, ob man das dann einfach im Trainingsraum tut – weil es ja niemand tut … Ich suche mir also ein Eckchen in der Abstellkammer und stelle immerhin erleichtert fest, dass „Klönschnack beim Umziehen“ anscheinend auch unfranzösisch ist (oder „undörflich“ – vermutlich kennen die sich sowieso alle und haben gegen Abend den Dorftratsch längst durch), jedenfalls lassen sich einfach alle auf ihren Matten nieder und los geht’s.
Auf die Frage der Kursleiterin, ob ich Französisch denn verstehe, radebreche ich, dass ich vieles verstehe und ansonsten ja sehen kann, wie die Übungen aussehen. Sie mache die nicht alle vor, sagt sie. Und sie benutze eine Menge anatomisches Vokabular. Dann würde ich gucken, was die anderen Kursteilnehmer tun, kommuniziere ich nunmehr halb phantomimisch.
img_16215-q-webMinuten später liege ich rücklings und mit geschlossenen Augen auf einer Matte. „Augen zu!“ – soviel immerhin hab ich verstanden …
Der nachfolgende Text könnte auch auf Chinesisch gesprochen sein, klingt aber beruhigend und ich vermute, dass entspannte Bauchatmung an dieser Stelle schon irgendwie passen wird.
„Les pieds“, „die Füße“ … das hab ich jetzt verstanden! Aber was soll ich tun mit „les pieds“?
Ich spingse möglichst unauffällig nach rechts und links.
„First you fake it, later you make it!“ – alte Tänzerinnenweisheit …
Wenn ich offensichtlich gar nicht mehr kapiere, was ich tun soll, kommt Nathalie, die Kursleiterin zu mir und hilft: Setzt Füße dahin, wo sie hingehören, erklärt noch einmal gaaanz langsam, oder wechselt zur allergrößten Not kurz ins Englische. Ganz kurz: Ich habe eingangs erklärt, dass ich unter anderem da bin, um Französisch zu lernen.
Sie macht das sehr nett und liebevoll, finde ich. Man trifft im Sport immer mal wieder Menschen, die gesprochenen Anleitungen auch dann nicht folgen können, wenn sie die Sprache verstehen, denen muss man beim Sortieren der Arme und Beine schonmal helfen. Bei anderen korrigiert man vielleicht kurz die Haltung oder irgendein Detail. Das tut Nathalie bei mir und allen anderen gleichermaßen – ich komme mir nicht über Gebühr dumm vor.

Wenn der Text zu „singsangen“ beginnt, stelle ich mir vor, dass sie jetzt etwas über die Atmung erzählt. Über Empfindungen und Entspannung. Oder so.
Nach einer guten halben Stunde wird mir klar, dass „sol“ nicht die Sonne, sondern der Boden ist, was ihre Anleitungen weniger ätherisch, aber irgendwie logischer macht.
Aber wieso spricht sie die ganze Zeit über Flöhe?
Der Groschen fällt, als sie nach gut einer Stunde eine neue Position vormacht: „Pouce“ (Daumen) heißt das Zauberwort, nicht „puce“ …

Was ich richtig schwierig finde, ist, in dem „Singsang“, dem Text also, der eine Übung begleitet und unterstützt, den Moment mitzukriegen, in dem das Ganze aufgelöst wird, in dem man wieder in die Ursprungshaltung zurückkehrt.
Ich kriege Visionen davon, wie ich daliege und versuche, mir einen Knoten ins Bein zu machen, während alle anderen schon ihre Matten aufrollen. Und lausche daher sehr aufmerksam auf verdächtige Bewegungen.

Das Lauschen rettet mich über die abschließenden Atemübungen. Ich kann recht gut hören, was ich tun soll. Als wir aber gemeinsam summen, habe ich die allergrößten Schwierigkeiten, einen hysterischen Lachanfall zu unterdrücken. Ich weiß gar nicht recht warum – eigentlich ist die Vibration, die man dabei ganz deutlich spürt, durchaus beeindruckend. Vielleicht ist es die Tatsache, dass jeder in seinem Rhythmus und seiner Tonlage summt: Ich höre einen sehr sehr sonoren Bass und einen Moment später eine heiter gestimmte Biene – wenn ich die Augen öffnete, wüsste ich sogar, wer wer ist …
Vielleicht bin ich aber auch einfach mit meinen Kräften am Ende.

Nichtsdestotrotz: Ich habe meine erste Yoga-Stunde überstanden. Ohne Zittern, Keuchen und Weinen! Diesen Angang noch weitere 26 Wochen lang auf mich zu nehmen, wird mich hart ankommen, soviel ist mir klar. Aber ich glaube, das ist es wert.
Ich beginne, die ersten anatomischen Vokabeln nachzuschlagen. Und wer hätte gedacht, dass „pouce“ auch „großer Zeh“ heißen kann?