Kirmes im Kopf

Zu den Nebenwirkungen von Antidepressiva gehören unter anderem Manien. Ich bin geneigt, diesen Umstand für eine Art wohlwollende Ironie des Schicksals zu halten: Wem es so elend geht, dass er Antidepressiva nehmen muss, der hat ein Gottesgeschenk in Form eines Kicks verdient!
sophie_portraitpue_2Denn nichts anderes ist eine Manie: Ein opulenter Kick, ein Hoch, das mit „guter Stimmung“ ungefähr so viel zu tun hat, wie ein Tsunami mit der Brandung an der Nordseeküste.
In aller Regel handelt es sich hier um ganz leichte manische Episoden, die rasch zuende gehen, aber schon eine solche Bonsai-Manie ist eine beeindruckende Erfahrung!
Antriebslosigkeit und Fatigue sind wie weggeblasen, das Schlafbedürfnis lässt so rapide nach, dass man problemlos auch ein, zwei Nächte durchmachen kann. Die Stimmung ist nicht gut, sie ist Groß!Ar!Tig!. Und sehr sehr heiter. Nicht immer vermögen andere Menschen die enorme Witzigkeit des Momentes so recht zu würdigen, aber das stört nicht weiter: Wenn sonst keiner lacht, muss man’s selber machen! Die Kreativität steht dem Humor in nichts nach und das Gehirn sprudelt eine Idee nach der anderen hervor. Da gleichzeitig die Konzentrationsfähigkeit ihren Jahresurlaub in Disney World verbringt und Priorisierung oder auch nur Reihenfolge urplötzlich Fremdworte sind, verzettelt man sich glorios und wird vermutlich 99% dieser fantastischen Einfälle nicht zuende bringen. Was in gewisser Weise ein Segen ist: Die Urlaubsvertretung der Konzentrationsfähigkeit heißt „erhöhte Risikobereitschaft“.

Kurz: Eine Manie zu durchleben, ist nicht ganz ungefährlich!
Menschen, die an schweren Manien leiden schwere Manien haben, ruinieren unter Umständen nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das ihrer Familien. Sie verjuxen ihr Vermögen wahlweise an der Börse oder im Casino, weil sie eine großartige Idee haben. Oder sie balancieren über Dachfirste, weil sie der Überzeugung sind, das zu können. Wie das für die betreffenden Menschen ist und welche Konsequenzen es nach sich zieht, schildert Leonard in seiner Mind Comedy sehr anrührend.

sophie_wetpueDass es auch beim Ausschleichen eines Antidepressivums – also als Entzugserscheinung – zu Manien kommen kann, war mir neu. Logisch eigentlich: Auf welchem Beipackzettel steht schon, was passiert, wenn man das Medikament nicht nimmt?
Antidepressiva muss man ausschleichen, das weiß ich – die darf man nicht einfach absetzen. Aber dass jetzt Wirkungen eintreten, die ich beim Einschleichen nicht bemerkt habe, überrascht mich schon!
Aber hey! Das hätte echt schlimmer kommen können! Die Kopfschmerzen zum Beispiel, die ebenfalls neu sind, sind echt kacke. Welcome mania!!!

Okay, es ist gewöhnungsbedürftig, wenn mein Körper „oh bitte, ich muss liegen!“ stöhnt und mein Gehirn gleichzeitig „Go! Go! Go!“ (Textentwürfe, Kochrezepte und sonstige Ideen laufen parallel auf anderen Sendern) kräht.
Und ich merke selber, dass es irgendwie nervig sein muss, wenn ich anderen keine 5 Minuten (lustige Zeiteinheit, das wären ja bereits 300 Sekunden, einunzwanzig, zweiundzwanzig …, Anm.d.L.) lang zuhören kann. Ich gebe mir alle Mühe, ehrlich! Aber dann poppt eine weitere großartige Idee hoch und Minuten später merke ich, dass ich irgendwas verpasst habe … Ich selber quassele ohne Punkt und Komma. Von Hölzken auf Stöcksken …

So lange ich noch selber merke, dass ich manisch bin, ist die Welt soweit in Ordnung!
Sollte ich das nicht mehr merken, wird mich jemand notfalls auch gegen meinen Willen zum Arzt bringen, für diesen Moment habe ich vorgesorgt.
Und momentan lasse ich selbst die allerkleinsten meiner Ideen vorsichtshalber abnicken, bevor ich sie in die Tat umsetze.

Bislang sind viele dieser Ideen tatsächlich brauchbar! Ich bin eine Art „One woman brainstorming“!
Nicht alle werde ich selbst realisieren können, dazu bin ich körperlich gar nicht in der Lage.
Aber zur Zeit verfasse ich diverse Texte gleichzeitig und nicht alle haben schon den Weg über die Tastatur gefunden, etliche sind einfach in meinem Kopf gewachsen, während ich eigentlich etwas ganz anderes gemacht habe. Ich bin sehr gespannt, ob ich die wirklich alle zuende bringe!

Für die Bewältigung meines Alltags dagegen, muss ich deutlich mehr Zeit einplanen. Ich verfüge über die Aufmerksamkeitsspanne eines Kolibris und mein Paddelkoeffizient ist enorm:
Ich setze an, die Medikamentenkiste wegzuräumen und denke „Nee. Die wird noch gebraucht, um dem Hund seine Medikamente unter’s Futter zu mischen! Fütter erst den Hund und räum die Kiste danach weg!“. Ich räume die Kiste weg, gehe los, um das Hundefutter zu holen und komme mit den Zutaten für unser Abendessen zurück …Wenn der Himmel bedeckt ist, funzt die Solaranlage nicht, dann mach ich mein „Duschwasser“ hilfsweise auf dem Herd warm.„Du hast den Waschlappen vergessen!“ denke ich auf dem Weg zum Badezimmer, komme aber zu dem Schluss, dass es auch ohne geht. Das Litermaß, mit dem ich mir das Wasser über den Kopf schütte, ist auch nicht mit von der Partie … das ist schon sehr viel ungünstiger. Und JETZT fällt mir auf, dass der Eimer mit heißem Wasser, in dem Waschlappen UND Litermaß schwimmen sollten, auch noch in der Küche steht …

Dankenswerterweise betrachte ich auch das, wenn schon nicht mit Erheiterung, so doch mit Gelassenheit. Ich würde mich schon unter normalen Umständen nicht als pessimistischen Menschen bezeichnen, aber im Moment könnten sich von meiner Weltsicht diverse Dankbarkeits-Apologeten eine Scheibe abschneiden. Wenn einem schubweise nicht nur siedendheiß, sondern auch kotzübel wird, kann man das auch gut brauchen.

sophie_portraitpueSchon seit ein paar Tagen fällt mir auf, dass ich sehr geräuschempfindlich geworden bin und dann hin und wieder auch erschrecke …
Eine Fahrt in die Stadt macht deutlich, wie ausgeprägt diese Sensibilität ist. Normalerweise, bilde ich mir ein, bin ich eine entspannte, pflegeleichte Beifahrerin – jetzt muss ich mich alle paar Meter entschuldigen, weil ich wegen nix und wieder nix eine Art „Oh mein Gott, wir überfahren gerade ein Kind!“ Reaktion produziere. Der Gestank ist unfassbar und ich bekomme eine Ahnung davon, wie sich hypersensible Menschen fühlen müssen. Aber auch die visuellen Reize sind überwältigend: Jeder Mensch, glaube ich, kennt Momente wie den, wenn man zum ersten Mal in eine Kathedrale kommt, nach oben schaut und innerlich „Wow!“ haucht …
Ich habe meinen „Wow!“ Moment mitten in Alès, einer Stadt, deren Architektur sich vor allem anderen durch Mut zur Hässlichkeit auszeichnet. Aber „wow!“, da flattert auf der Baustelle eine Plane im Wind! Vor dem „WOW!“ Himmel! Ich bin „WOW!!!“ völlig geflashed …

Als ob das noch nicht genug wäre, gehen wir zum ersten Mal in das große Kino. Nachmittagsvorstellung – vorsichtshalber – weil ich ja viele Menschen in großen Räumen nicht gut aushalten kann.
Weil wir früh dran sind, sitzen wir ganz allein in einem Saal für 100 Zuschauer. Ich kann die Stille rauschen hören. Und spüre den sanften Druck, den die Leere auf meinen Körper ausübt. Wow!
Und dann darf ich „Alita – Battle angel“ sehen, wie Kinder es tun! Mit offenem Mund, völlig distanzlos, hingerissen …
Es gelingt mir immerhin, nicht lautstark mitzukämpfen und ich springe auch nicht aus meinem Sessel auf. Angesichts der 3D Version, die wir leider verpasst haben, hätte ich mit Sicherheit jede Contenance verloren …
Was für ein Abenteuer! Ich könnte heulen vor Dankbarkeit.
Ich bin ganz und gar gefangen, kann zu meiner allergrößten Überraschung den französischen Dialogen ohne Probleme folgen … und formuliere zeitgleich bereits diesen Text für den Blog. Alles mit ein und demselben Gehirn!

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Die Fotos zu diesem Text sind von Sophie Strodtbeck, an deren Chihuahua-Dame Pü ich beim Stichwort Manie recht schnell denken musste. Warum nur???
Sophie macht nicht nur tolle Bilder, sie schreibt auch wunderbare Bücher über Hunde!
Vielleicht schreibt sie irgendwann einmal ein Buch über das Pü!
Das wäre dann ein Püroman. (Darüber kann sie Stunden später immer noch lachen! Anmerkung des Lektorats … Du sollst keine anderen Lektoren neben mir haben, Anm.d.L.)

Ich biete dem Lektor an, einen Gastbeitrag über das Leben mit einem manischen Menschen zu schreiben. Er winkt müde ab. Ich verstehe überhaupt nicht, warum

Der Rat des Rabbis

Ein Mann kam zum Rabbi, um diesem sein Leid zu klagen:
„Es ist unerträglich Rabbi, meine Frau, die Kinder und ich leben in einem einzigen Raum und können uns darin kaum bewegen!“
„Hast du auch Tiere?“, fragte der Rabbi.
„Ja, ich besitze einen Ziegenbock.“
„Dann nimm ihn mit ins Haus! Und komm in einer Woche wieder.“

Nach einer Woche war der Mann vollkommen verzweifelt.
„Es ist grauenhaft, Rabbi! Der Bock stinkt fürchterlich!“
„Nun“, sprach der Rabbi, „stell den Bock wieder in den Stall und komm in einer Woche wieder.“.

Eine weitere Woche später spricht der Mann strahlend vor Freude beim Rabbi vor.
„Ich bin ein glücklicher Mann, Rabbi. Ich besitze ein Haus, so dass all meine Lieben ein Dach über dem Kopf haben. Und es riecht so gut darin!“

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Letztendlich entschließe ich mich, das Antidepressivum zu nehmen.
Nicht etwa, weil ich depressiv wäre – im Gegenteil: Für meinen elenden körperlichen Zustand bin ich erstaunlich guter Dinge. Aber es ist zur Zeit die letzte Option, die ich noch nicht probiert habe und es besteht die Hoffnung, dass es die Schmerzen lindert.
Die Ausschlussdiagnosen sind bis auf weiteres abgeschlossen: Augenscheinlich erfreue ich mich bester Gesundheit.

Gegen Depressionen wird das Mittel nicht mehr verschrieben, da es solche mit weniger Nebenwirkungen gibt und tatsächlich ist der Beipackzettel von beeindruckender Länge. Ich beschließe, ihn nicht zu lesen: Ich muss nicht alles wissen.

Nicht alles, was ich nun erlebe, ist unangenehm.
Eines Abends höre ich Musik – ganz leise, wie aus großer Entfernung. Wenn im Dorf ein Fest stattfindet, kommt das hin und wieder vor. Allerdings wundert mich, dass es Blasmusik ist. Und es ist auch ein ganz normaler Wochentag …
Die Musik ist nur in meinem Kopf. Ein hübsches kleines Stück, das ich nun häufiger, aber nicht andauernd hören kann.
Es könnte schlimmer kommen, denke ich. Marschmusik zum Beispiel. Oder Trash Metal …

Ich habe kaum noch Schmerzen und kann unmittelbar nach dem Aufstehen aufrecht gehen. Aber so recht genießen kann ich das nicht: Ich stehe nur für ein paar wenige Stunden am Tag überhaupt auf. Mit Müh und Not gelingt es mir, mit dem Hund kurze Spaziergänge zu machen und mich um das Abendessen zu kümmern. Damit ist mein Tagewerk erledigt. Autofahren kann ich nicht mehr.

Ich beginne, die Tage im Kalender abzuhaken: Medikament einschleichen – Normaldosis nehmen – erhoffte Wirkung abwarten (bei Depressionen dauert es ca. 6 Wochen, bis die Wirkung spürbar ist, vielleicht ist es in meinem Fall ähnlich). Bei dem Antidepressivum, das ich früher genommen habe, sind die Nebenwirkungen mit der Zeit immer weniger geworden bis ich sie gar nicht mehr bemerkt habe – jetzt scheint es eher umgekehrt. Und sowie die minimale Frist verstrichen ist, passiert es: Ich vergesse, meine Tabletten zu nehmen. Mangels Schilddrüse und mit Bluthochdruck ist das eigentlich eine zuverlässige morgendliche Routine: Mit der ersten Tasse Tee werden die Tabletten runtergespült. Das scheint mir eine mehr als deutliche Nachricht zu sein: Ich schleich das Zeug wieder aus!

Mit den Schmerzen kommt auch mein Appetit wieder, die Lust, zu schreiben, ein ganz und gar unbegründeter Schub guter Laune und ein wunderbares Gefühl der Klarheit im Kopf. Der Bocksgestank verfliegt.

Mind Comedy

IMG_22240-webSeit ich mich erinnern kann, ist Lesen mir ebenso sehr Bedürfnis, wie Schreiben.
Und so lese ich, seit ich blogge, die Blogs anderer Menschen …
Einige davon finde ich spannend oder anrührend, manche sind mir regelrecht ans Herz gewachsen – und ich möchte sie Euch vorstellen.
Diesmal ist es zur Abwechslung ein Vlog.

„Huch!“, hab ich gedacht, als ich Leonard zum ersten Mal in einem seiner Videos gesehen habe: „Ist der jung!“ …
Und hab als Allererstes überlegt, ob man einen Menschen wie ihn nicht vor sich selbst und seinem Tun schützen müsste.
Er sitzt da und erzählt von seinem Leben mit einer bipolaren Störung, also dem, was man früher manisch-depressiv nannte, seiner Drogensucht, Aufenthalten in der Psychiatrie, dem Versuch, ohne Medikamente klarzukommen und dessen Scheitern.
Als ich mich entschieden habe, die Texte der Taucherin unter meinem Namen zu veröffentlichen, wusste ich, dass ich in diesem Leben kein Bewerbungsgespräch mehr würde führen müssen. Und kam mir trotzdem ziemlich wagemutig vor.
Er dagegen könnte durchaus eines Tages auf die lustige Idee kommen, zum Beispiel Finanzbuchhalter werden zu wollen. Dann wären Videos wie dieses aber echt mal hinderlich!
Und wie mögen seine LehrerInnen damit umgehen? Wie seine MitschülerInnen? Der wird ja auch mal älter … dann möchte er vielleicht nicht mehr, dass Menschen, die er gerade eben erst kennen lernt, schon so viel über ihn wissen …
Aber er macht das gut, finde ich. Er macht das richtig gut!
Authentisch und dabei sehr liebenswert. Berührend. Selbstironisch, witzig und stellenweise einfach zum Heulen.
Ich hätte es seinerzeit verlogen gefunden, auf meinem Blog psychisch kranke Menschen ermutigen zu wollen, sich zu ihrer Erkrankung zu bekennen, und dabei selbst anonym zu bleiben.
Leonard tut nichts anderes – nur ist seine Lage sehr viel weniger komfortabel, als meine: Mir konnte nicht mehr viel passieren.
Er dagegen macht sich angreifbar. Das ist aufrichtig und sehr mutig!
Wir sollten Menschen nicht daran hindern, aufrichtig und mutig zu sein. Das tut ihnen nicht gut.

Dieses ist das erste Video, das ich mir angeschaut habe. Es handelt davon, wie es sich anfühlt, wenn man einsehen muss, dass es ohne Medikamente nicht geht.

Bipolare Störung – Stimmung stabilisieren? Ich will gute Laune!

Mit Dank an Alice Wunder, der mich auf die Idee zu diesem Text gebracht hat.

3 Jahre ohne

Es ist jetzt gut drei Jahre her, dass ich mir die Frage gestellt habe, ob es nicht vielleicht doch möglich sein müsse, ein Leben ohne Psychopharmaka zu führen.
Bis zu diesem Moment hatte ich etliche Jahre lang ununterbrochen Antidepressiva genommen.
Zu Beginn meiner „Depri-Karriere“ hab ich sie noch abgesetzt, sobald ich Grund zu der Hoffnung hatte, es werde mir nun dauerhaft besser gehen. Aber jedes Mal, wenn diese Hoffnung wieder trog, hat es auch wieder 6 Wochen gedauert, bis das Medikament Wirkung zeigte. Und jedes Mal wieder habe ich mich mit den anfänglichen Nebenwirkungen herumgeschlagen: Die Mundtrockenheit ist leicht zu handeln, man geht einfach nie wieder ohne eine Flasche Wasser aus dem Haus und tröstet sich damit, dass es ja wichtig ist, viel zu trinken. Das unkontrollierte Muskelzucken kann man mit einem Scherz überspielen und es stört eigentlich kaum, wenn man nicht gerade Auto fährt. Und am Straßenverkehr sollte man ja sowieso nicht teilnehmen, wenn einem ständig schwindelig ist. Die bleierne Müdigkeit nervt zwar, unterscheidet sich aber nicht allzu sehr von der depressiven Bleischwere …
img_20289-q-webNach drei, vier Versuchen fand ich es sehr viel komfortabler, auch in guten Phasen eine minimale Dosis meiner Medikamente zu nehmen. So konnte ich beim nächsten Tief schnell und ohne große Nebenwirkungen gegensteuern. Ich habe über die Zeit tatsächlich ein recht gutes Gefühl dafür entwickelt, wieviel ich brauchte, bin also nicht ständig unter maximaler Dröhnung unterwegs gewesen. Aber eben auch nicht ohne.

Bis ich – eher zufällig – einen Schritt aus meinem bisherigen Leben hinaus getan habe. Zufällig und nur für einen Besuch – aber plötzlich schien alles möglich.
Ich habe voller Zuversicht meine Medikamente abgesetzt, bin in mein altes Leben zurückgekehrt … und fürchterlich auf die Fresse gefallen. In diesem Leben ging es nicht, soviel war sehr schnell klar.
Gar nichts ging mehr. Zu meinen demütigendsten Erinnerungen aus dieser Zeit gehört eine Radfahrt zum Freibad: Ich hatte versäumt, frühzeitig zu sagen, dass ich keinesfalls die Hauptstraße entlang fahren könne (zu viel Verkehr, zu nah, zu laut), sondern den Umweg über die kleinen Seitenstraßen nehmen müsse. Bin durch mein verängstigtes Zögern zurückgefallen, wollte aber auch nicht allein eine andere Strecke nehmen und anschließend die anderen im Freibad suchen müssen. Also bin ich ihnen zitternd und weinend hinterhergestrampelt. Ich bin tatsächlich angekommen und ja, ich bin auch geschwommen. Aber stellt Euch eine erwachsene, eine alte Frau vor, die, Badelaken und -anzug auf dem Gepäckträger, tränenblind quer durch die Stadt radelt. Klingt das irgendwie erstrebenswert?

Da es vorkommt, dass es psychisch Kranken an Einsicht fehlt und ich nach all den Jahren großes Vertrauen zu meiner Psychiaterin hatte, habe ich sie vorsichtshalber gefragt, ob ich ihrer Ansicht nach denn überhaupt in der Lage sei, selbst über meinen Medikamentenkonsum zu entscheiden …
Man hört und liest immer wieder von ÄrztInnen, die leichtfertig, ja fahrlässig ihre PatientInnen mit Psychopharmaka abspeisen – die meine hat das Gegenteil getan.
Sie hat mich von meinen Zweifeln und Sorgen erzählen lassen und mich dann gefragt „Möchten Sie Antidepressiva nehmen?“ Um mir dann zurückzugeben, meine verbale Antwort, vor allem aber meine Körpersprache sei ein klares und eindeutiges „Nein!“. Ich dürfe mich ruhig trauen, auf meine innere Stimme zu hören. Offenbar hätte ich einen Weg für mich gefunden, dem dürfe ich dann auch folgen.
Für mich hieß das: Meine Finger von Psychopharmaka lassen und die Brocken hinschmeißen.

Und da bin ich nun. Mit hingeschmissenen Brocken, einem neuen Leben … und einer Vorratspackung Antidepris für alle Fälle.
Ich könnte, sollte es nötig werden …
Aber es sind gar nicht die Tiefs, nicht die bleiernen Tage, die mich in Versuchung führen.
Ganz allmählich habe ich ein bißchen Vertrauen darein entwickelt, dass sie lange vor eventuellen Nebenwirkungen oder gar Wirkungen enden werden.

In Versuchung gerate ich, wenn ich einen dieser Wutanfälle habe, bei denen ich mich mit aller Macht zusammenreißen muss, um nicht alles kurz und klein zu schlagen, oder mit dem Kopf vor die Wand zu rennen.
Oder einen dieser Zusammenbrüche, wenn ich mir wieder einmal sicher bin, dass ich selbst hier niemals klarkommen werde. Wenn ich weinend auf dem Boden zusammensacke und nach meiner Mutter schreien möchte. Wenn ich nur noch nach Hause will – wissend, dass es in Deutschland kein Zuhause mehr für mich gibt.
Dann möchte ich tot sein, bis es mir wieder besser geht. Oder wenigstens im Koma liegen.
Eine Tageshöchstdosis meines gewohnten Medikamentes, von jetzt auf gleich verabreicht, würde das vermutlich leisten.

Bisher ist die Packung jedoch unangetastet und wenn es nach mir geht, bleibt sie das auch.

Komfortzone verlassen? Oder lieber doch nicht?!

Blogs zum Thema Depression haben auf Blogparaden nicht wirklich was zu suchen, oder! Wenn ich „Parade“ höre, krieg ich Kopfkino in Richtung brasilianischer Karneval in Textform. Und ich mittendrin … brrrrrr … besten Dank“!
Aber irgendwie bin ich über „Komfortzone verlassen? Oder lieber doch nicht?!“ von Christine Winter auf Stille-Stärken.de im wahrsten Sinne des Wortes gestolpert – Stolpern im Sinne von „aus dem Tritt geraten, aufgehalten werden“. Das Wörtchen „Komfortzone“ war’s, das mir ein Bein gestellt hat …

Man hört das ja immer mal wieder, aber ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, ob es da eine allgemeine Definition gibt. Klingt irgendwie nach „den A**** nicht vom Sofa hochkriegen“ … sich arrangiert haben, bei Altbewährtem bleiben, nix Neues ausprobieren wollen. Sich nicht bewegen wollen.

Gestolpert bin ich über den Gedanken, dass ich mein ganzes Leben erst einmal komplett umkrempeln musste, um meine persönliche Komfortzone überhaupt zu erreichen.
Wenn Komfortzone das Umfeld ist, in dem ich mich wohl fühle, das mir Sicherheit vermittelt und wo ich klarkommen kann, dann ist das eindeutig der Fall.

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Eigentlich, vermute ich, bedeutet „Komfortzone verlassen“ mal etwas Neues auszuprobieren, das Abenteuer zu suchen. Oder auch „sich anstrengen“, „kämpfen“.
Mich angestrengt und gekämpft habe ich vorher:
Ich habe mir jahrzehntelang durchaus Mühe gegeben, mich in einer Welt komfortabel einzurichten, in die ich nicht gepasst habe. Ein dauerhaftes Wohlgefühl wollte sich trotzdem nicht einstellen, im Gegenteil. Und in den letzten Jahren halfen nur noch Psychopharmaka.
Der Gedanke, auf- oder auszubrechen, ist mir dennoch nicht gekommen: Veränderungen machen mir Angst und meine Abenteuerlust hält sich in äußerst engen Grenzen.
Für mich war schon die Idee, für ein paar Tage allein nach Südfrankreich zu fahren ziemlich ungewöhnlich: Dafür, dass meine Energie meist kaum dafür gereicht hat, das Haus zu verlassen, und schon eine Fahrt in die (Klein)stadt regelmäßig Angstschübe auslöste, war dieser Kurztrip ein ziemlich verwegenes Unterfangen. Hin hab ich’s geschafft, zurück nicht …
Auf einem abgelegenen Bauernhof in einer sowieso eher menschenleeren Gegend hatte ich plötzlich das deutliche Gefühl, es müsse möglich sein, ohne Antidepressiva zu existieren.
Sagen wir, zumindest die medikamentöse Komfortzone war mir schlagartig zu eng. Da wollte ich raus!
Und hab’s in Deutschland nicht mehr ausgehalten.
Nein, ich bin nicht nach einer Art Befreiungsschlag strahlend aufgebrochen, eher hab ich mit letzter Kraft die Flucht ergriffen.
Aber angekommen bin ich: In einer Welt, in die ich ohne allzuviel Reibung hineinpasse.

Und so habe ich absolut keinen Grund, diese meine neu eroberte Komfortzone gleich wieder verlassen zu wollen!
Ich darf sie genießen und Kräfte sammeln.
Nicht, dass sie mich nicht auch Kräfte kosten würde; ein Bauernhof ist schließlich kein Sanatorium, aber das „Oh bitte, ich will da nicht hin!“ Gefühl, das sich einzustellen pflegte, wenn ich zur Arbeit musste, ist weg. „Ich kann nicht da raus gehen!“ meldet sich an schlechten Tagen ab und zu, lässt aber mit sich verhandeln.
Ich fülle eine Art „Tagekonto“: Tage, die okay waren, an denen ich es geschafft habe, morgens aufzustehen, an denen ich produktiv war, an denen ich nicht geweint habe, die frei von Ängsten waren, an denen ich fröhlich war und bei der Arbeit gesungen habe.
Noch viel zu tun in der Komfortzone …

Größer wird sie von selber.
Bei aller Affinität zum Landleben bin ich doch ein Stadtkind und deutlich mehr Betriebs- als Landwirtin. Manchmal habe ich jetzt noch das Gefühl, ich kann und weiß gar nix …
Aber es mehren sich die Momente, in denen ich denke, „das schaff ich jetzt auch alleine“, „das entscheid ich jetzt einfach“ …
Und so hab ich irgendwann entschieden „den Einkauf in der Stadt schaff ich jetzt“ – obwohl eigentlich alles daran mir Angst macht. Oder „Ich komme mal zu dieser und jener Veranstaltung mit“ – obwohl eine Gruppe von Menschen in einem geschlossenen Raum der blanke Horror für mich sein kann.
Ich hab mir nicht vorgenommen, meinen Radius zu vergrößern, ich hatte einfach das Gefühl „das geht jetzt!“ …

Gesund werde ich auch hier nicht. Ich bin im Gegenteil ohne Wenn und Aber verrentet.
An den Gedanken, daß meine Depression mich für den Rest meines Lebens immer mal wieder aufsuchen wird, habe ich mich noch nicht recht gewöhnen können, ein wenig „gönne“ ich mir das „Aufgeben“ aber auch: Ich verkneife mir viel weniger – wenn ich weinen oder zittern muß, dann ist das eben so. Und merke, dass das angestrengte Verkneifen mich viel mehr behindert, als das Loslassen. Nach einem Abenteuer wie einem Einkauf einen Ruhetag zu benötigen, ist zwar lästig, aber insgesamt vergrößert sich mein Bewegungsspielraum. Ich finde das sehr komfortabel!

 

„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne …

… der uns beschützt und der uns hilft, zu leben“.

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Es muss wohl dieser Zauber gewesen sein, der mir den Mut verliehen hat, mein Leben vollkommen umzukrempeln und hinfort zu versuchen, es ohne Psychopharmaka zu führen.
Unterdessen liegt der Anfang hinter mir und der Zauber leuchtet zwar noch hier und da auf, wölbt sich aber längst nicht mehr wie eine Glocke, deren voller Ton meine Tage durchdringt.
All das Neue wird Schritt für Schritt Alltag – mitsamt der alltäglichen Leiden und Nöte.
Natürlich war mir klar, dass auch ein Umzug in die Idylle eines cevenolen Bauernhofes keine Wunderheilung bewirken würde. Mehr noch, dass es einfach keine vollkommene Idylle gibt, auch wenn einem das zunächst vielleicht so scheinen mag.
Und natürlich habe ich trotzdem ganz heimlich genau darauf gehofft: Vielleicht würde die mediterrane Sonne ja nicht nur gegen Winterdepressionen helfen, sondern auch die meinen einfach wegbrennen.

Nun, ich habe immer noch Depressionen. Und ich schaffe es immer noch ohne Psychopharmaka.
Ich habe eine Packung meiner gewohnten „Antidepris“ dabei (falls mal was ist), verspüre aber selbst an ganz finsteren Tagen nach wie vor nicht das Bedürfnis, sie zu nehmen.

Irgendwann würde es an der Zeit sein, ein Fazit zu ziehen, einen Blick auf die Ergebnisse dieses „Selbstversuches“ zu werfen, hab ich gedacht.
Dabei habe ich mir eigentlich vorgestellt, das nach einer bestimmten Zeit – einem Jahr, drei Jahren, 1000 Tagen etc. – zu tun.
Dass es mich jetzt dazu drängt, hat eher mit einer Entwicklung zu tun, mit der ich – obwohl sie doch erhofft und beabsichtigt war – dennoch nicht gerechnet habe.
Ich habe schon immer gerne geschrieben. Nein, Schreiben war und ist mir ein Bedürfnis. Schreiben über die Dinge, die mich bewegen.

In den letzten Wochen hatte ich – auch wenn das vielleicht seltsam klingen mag – die allergrößte Lust, über Schafe und Wildschweine zu schreiben, über meine Versuche, Pflanzen zu ziehen, über meine Bemühungen, Wildkräuter zu bestimmen und mit den Essbaren darunter leckere Gerichte auszuprobieren. Über das, was mich bewegt halt …
Meine depressiven Tage oder womöglich Phasen sind etwas, das mir dabei im Wege ist. Sie sind lästig und fressen eine Unmenge von Zeit. Ich habe momentan nur wenig Lust, auch noch Zeit darein zu investieren, über sie nachzudenken.

Vor ein paar Tagen ist dann noch etwas hinzugekommen, das man wohl einen „Sachzwang“ nennen kann: Uns ist ein Hundewelpe zugelaufen.
Die klaren Strukturen, die Bestandteile meines „Starter Kits“, die mir im Laufe eines winterlichen Tiefs allesamt abhanden gekommen waren, sind mit einem Schlag „gesetzt“: Zumindest bei mir gehen Antriebslosigkeit und Gleichgültigkeit in Hörweite eines laut weinenden Hundekindes in Schall und Rauch auf. Ich wanke im Morgengrauen wie ein Zombie aus meinem Bett wenn der erste „Pipigang“ fällig ist und auch der Rest des Tages orientiert sich an den Bedürfnissen dieses kleinen Wesens.
Nein, das ist definitiv kein Plädoyer dafür, dass depressive Menschen sich einfach einen Hund anschaffen sollten (siehe: „Schaffen Sie sich doch einen Hund an!“).
Aber mir tut es gut: Hunde zu erziehen war mir Beruf, ist immer noch Berufung und Leidenschaft. Dieser kleine „Schubs“, dieser plötzlich auftauchende Sachzwang, schiebt genau das in den Vordergrund. Da ist gerade schlicht kein Platz für Depresse.

Das wird nicht auf Dauer so bleiben, soviel ist klar.
Aber jetzt ist es so und ich genieße es sehr!

Ich bin ein wenig schlechtgewissig, weil ich das Gefühl habe, die Schattentaucherin (also diesen Blog) zu vernachlässigen, die mir durchaus auch ein großes Anliegen ist.
Andererseits bin ich mir sicher, dass sie schon verstehen wird, sich wieder in das Zentrum meiner Aufmerksamkeit zu schieben: Das nächste Tief kommt garantiert.

Wer bis dahin verfolgen mag, was die Taucherin treibt, wenn sie sich in der Sonne bewegt, ist herzlich eingeladen, das hier zu tun: Durantis en blogue.

Papp – O – Meter

Dass meine lieben Antidepris ganz unauffällige Nebenwirkungen hatten, ist mir erst sehr viel später klargeworden.

Serotonin-Wiederaufnahmehemmer haben keine beruhigende Wirkung, sie machen nicht langsam und tranfunzelig, sie machen ausgeglichen. Es war eine Erleichterung, nur noch bei solchen Gelegenheiten weinen zu müssen, bei denen normale Menschen das auch tun. Und vor allem: Nicht mehr bei allen Gelegenheiten, die einem mal die Tränen in die Augen treiben können.

Das gleichzeitige Ausbleiben anderer Gefühlsspitzen wie Wut, Empörung, Begeisterung, Heiterkeit ist mir nicht aufgefallen: Man merkt nicht, wann man sich nicht aufregt …
Aber vermutlich – nein, ganz sicher! – hätte ich die auch wissentlich in Kauf genommen.
Ich wollte einfach nur wieder normal sein.

Die Tabletten waren morgens zu nehmen und die Packung lag neben meinem Bett: Eine Papp-Versicherung, daß ich in der Lage sein würde, auch heute wieder am Leben teilzunehmen.

IMG_7529-q-webAn meinem Verhältnis zu dem Papp-Schächtelchen konnte ich meine psychische Stabilität ablesen: Galt ihm mein erster Blick, war ich eher wacklig. Begann ich, meine Tabletten mit Unwillen zu beäugen, kündigte sich eine gute Phase an.
Und genau so bin ich – in Absprache mit meiner Ärztin – mit der Dosierung verfahren: In guten und stabilen Phasen habe ich meine Medikamente nur mit Unmut genommen und immer mal wieder vergessen. Dann habe ich die Dosis minimiert.
Während eines Tiefs wäre mir das nie passiert. Dann bin ich je nach Situation auch bis zur Maximaldosis gegangen.

Nur sie ganz abzusetzen habe ich mich nach ein, zwei Versuchen nicht mehr getraut: Die Nebenwirkungen, die bei längerer Einnahme völlig verschwanden, setzten dann stets auf’s Neue ein. Die lästigen wohlgemerkt: Die Clown – Phase gab es nur ein einziges Mal …

Depris little helpers

Ich hör mich noch reden: „Sollte mir ein Arzt jemals mit Psychopharmaka kommen, marschier‘ ich rückwärts aus der Praxis und geh‘ da nie wieder hin!“
Es war meine felsenfeste Überzeugung, dass Psychopharmaka nur verordnet werden, um Menschen ruhigzustellen und sie daran zu hindern, ihre Probleme anzugehen statt sie zu übertünchen.

Als es dann soweit war, war ich gar nicht in der Lage, irgendwohin zu marschieren, ich hab nur dagesessen und Rotz und Wasser geheult. Und war dankbar für alles, was Abhilfe versprach.

Mit den Tranquilizern, die mir im ersten Wurf gegen die Angst verordnet wurden, war ich allerdings schnell durch: Ich kenne zwar Menschen, die damit erst in der Lage sind, morgens das Haus zu verlassen, aber mich haben sie umgehauen – ich hab nur noch geschlafen. Noch ging es mir nicht so schlecht, dass ich Koma für eine Lösung gehalten hätte.
Und zu meinem Glück war ich noch renitent genug, nicht bei einem Arzt zu verbleiben, von dem ich mich arrogant und gefühllos abgefertigt fühlte. Der mir mit einer Einweisung in die Psychiatrie gedroht hat, falls ich mit den von ihm verordneten Medikamenten nicht klarkäme.

Ich hab den Arzt also gewechselt und bin seitdem mit sogenannten Serotonin-Wiederaufnahmehemmern behandelt worden.

IMG_12501-q-web„Mother’s little helpers“ also. Deren Wirksamkeit ist, habe ich unterdessen nachgelesen, durchaus umstritten, aber das hätte mich damals nicht angefochten und tut es bis heute nicht.
Bei mir haben sie gewirkt und ich war gottfroh darüber.

In den ersten Tagen hab ich viel geschlafen und mir war schwindelig – was mich nicht weiter gestört hat, da sich an meinem Pendeln zwischen Bett und Sofa dadurch ja nicht viel geändert hat. Zu den gängigen Nebenwirkungen gehören auch Muskelzuckungen (hoppla!) und ein ständig trockener Mund (ich bin wochenlang nicht ohne Wasserflasche aus dem Haus gegangen). Und, wenn man zu den Glücklichen unter den Depris gehört: Eine leicht manische Phase.
Plötzlich war ich so aktiv, dass ich gleich ein paar Nächte durchgemacht habe. Ich war voll von heiteren Einfällen und hab gequasselt wie aufgezogen. Hatte meine Freude an meinen zuckenden Beinen und insgesamt deutlich ’nen Clown gefrühstückt. War auch irgendwie verdient nach dem ganzen Elend vorher …

Allerdings ist nach spätestens 14 Tagen zumindest der lustige Teil unwiederbringlich vorbei. Das Zucken und der Durst bleiben einem sehr viel länger erhalten.
Nach ca. 6 Wochen tritt die eigentliche Wirkung ein: Man fühlt sich normal.

Antidepressiva machen nicht glücklich! Sie machen einfach nur nicht-depressiv.
Antidepressiva versetzen Menschen in die Lage, ihr Bett zu verlassen, sich zu waschen und anzuziehen und am Leben teilzunehmen.
Das ist, soweit ich sagen kann, das einzige große Risiko, das mit ihrer Einnahme einhergeht: Antidepressiva können einen Menschen gerade soweit handlungsfähig machen, dass er seine Suizidgedanken in die Tat umsetzt.

Mich haben sie in die Lage versetzt, das Haus wieder zu verlassen. Zur Arbeit zu gehen. Meine Tage zu verbringen wie jeder normale Mensch.

Ich hab die Male nicht gezählt, die ich gefragt worden bin, ob „das“ denn sein muß, ob es denn nicht ohne gehe, ob meine Ärztin da wirklich seriös sei, ob ich keine Angst habe, süchtig zu werden …
Von den selben Menschen übrigens, denen es überhaupt keine Sorgen zu bereiten schien, wenn ich wochenlang nur unter Schwierigkeiten in der Lage war, auch nur einen Fuß vor die Tür zu setzen.

Segel streichen oder setzen?

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Im Sommer 2013 bin ich zum ersten Mal für einen kurzen Besuch auf Durantis, einem Biohof in den südfranzösischen Cevennen zu Gast gewesen, um dort eine alte Liebe zu besuchen, die ich seit 25 Jahren nicht gesehen hatte.

Vom ersten Augenblick an hatte ich das sichere Gefühl, an einen guten Ort gekommen zu sein.
Nicht einfach sonnig und idyllisch – heilsam.

Hier hatte ich plötzlich das Gefühl, es müsse möglich sein, ein wenig mehr am Leben teilzunehmen, anstatt die Mehrzahl meiner Tage in der Bett – Sofa – Bett – Schleife zu verbringen.
Womöglich könne ich sogar ohne Antidepressiva leben.
Mit Macht hat es mich immer wieder hierhin gezogen. Es war, als hätte der Hof auf mich gewartet.

Und tatsächlich bin ich hier auch ohne Psychopharmaka zurechtgekommen. Nicht immer gut. Aber besser als in Deutschland mit ihnen.
Dort kam ich ohne medikamentöse Unterstützung überhaupt nicht mehr klar. Eine Erledigung in der Stadt zum Beispiel war nur an richtig guten Tagen möglich. Und auch dann nur, wenn es schnell ging. Die meiste Zeit habe ich mich vollkommen eingeigelt.

Nach relativ kurzer Zeit war ich in so schlechter Verfassung, dass ich meine Psychiaterin* gefragt habe, ob ich ihrer Meinung nach überhaupt noch in der Lage sei, eigenständig zu entscheiden, ob ich Medikamente benötigen würde.
Das sei ich, meinte sie. Meine Körpersprache zu der Frage, ob ich Medikamente nehmen wolle, sei ein eindeutiges „Nein!“ und ich möge mir da einfach mal vertrauen. Wenn es mir in Frankreich gutgehe, solle ich dort hingehen.

* Da Psychotherapeuten nicht verschreiben dürfen und Psychiater zwar therapieren können, aber meist auf Jahre ausgebucht sind, war ich stets bei beiden in Behandlung.

Nur um ganz sicher zu gehen, habe ich auch noch meine Therapeutin dazu befragt, die mir versichert hat, dass ich ihrer Meinung nach „klar“ (im Sinne von „nicht in irgendwelchen Hirngespinsten gefangen“) sei.

Das hat mich ein wenig beruhigt. Die Entscheidungsfindung hat es nicht leichter gemacht.
Ich hab ja nicht meine Krankheit in Deutschland zurückgelassen und bin frohen Mutes in ein neues Leben aufgebrochen. Ich habe eine Ehe hinter mir gelassen, mit der unzufrieden zu sein, ich keinen Grund hatte. Meine Entscheidung hat mich etliche Freunde und meine Familie gekostet. Ich habe eine Wohnung nebst Hausrat zurückgelassen. Und einen Lebensentwurf.

Im Frühjahr 2015 habe ich mich entschlossen, ganz auf Durantis zu bleiben:
Mit meinem Hund, meinem Auto, ein paar wenigen Habseligkeiten, an denen mein Herz ganz besonders hing und natürlich mit all meinen Schwächen und Einschränkungen.
Und war zu meinem Glück auch mit letzteren willkommen: Möglichkeiten, am Leben auf dem Hof teilzuhaben und es mitzugestalten würden sich schon finden …

Die Gedanken an alles, was zurückbleiben musste, schmerzen. Sehr. Immer wieder.
Ich hoffe dennoch, getan zu haben, was für mich das Richtige ist.

Wie fühlt sich „depressiv sein“ an?

IMG_11134-h-webJeder Mensch fühlt sich manchmal deprimiert, niedergeschlagen oder trauert. Meistens weiß man dann aber, warum.

Eine Depression dagegen kommt ohne Grund. Es kann Ereignisse geben, die sie auslösen, aber notwendig ist das nicht. Mir passiert es, dass ich morgens aufwache und merke, „es ist wieder soweit“.

Das fühlt sich für mich dann nicht traurig, sondern vielmehr hohl und leer an. Grau. Still. Einsam. Es gibt nichts, das jetzt trösten oder gar helfen könnte. Absoluter Stillstand.

Wenn man traurig ist, hilft weinen: Es erleichtert. Während einer Depression weine ich am ehesten, wenn ich in Kontakt zu meiner Umwelt treten (mich krank melden oder einen Termin absagen) muss. Oder wenn ich merke, dass ich mich nicht verständlich machen kann. Ich weine dann aus Überforderung und Verzweiflung und es erleichtert mich kein bißchen.

Die Begleiterscheinungen ähneln sich allerdings.

IMG_11418-kl-webWer trauert, hat das Gefühl, nie wieder über etwas lachen, oder sich über etwas aufregen zu können. Man kann sich nicht zu alltäglichen Aktivitäten aufraffen, weil sie so unwichtig und belanglos erscheinen. Bei einer Depression ist das genauso, nur dass an Stelle der Trauer nichts ist.

Richtig klar geworden ist mir der Unterschied zwischen Trauer und Depression, als meine Mutter im Sterben lag.

Zunächst hatte ich beschlossen, meine Medikamente auf die Maximaldosis zu erhöhen um mich so möglichst stabil durch diese schwere Zeit zu manövrieren.

Aber ich habe schnell gemerkt, dass das eine nichts mit dem anderen zu tun hat. Trauer mag scharf und schmerzhaft sein, sie mag einen schier zerreißen, aber sie ist letztlich ein hilfreiches Gefühl. Trauer braucht ihre Zeit, aber sie ist ein Prozess. Depression ist ein Zustand.