Kürzlich las ich bei „Zeit Online“ einen Artikel mit der Überschrift „Facebooks psychische Störung“. Eigentlich hatte der Scroll-Balken schon einen gesunden Abwärtsschwung: Was Facebook aus Menschen zu machen in der Lage ist, kann ich mir dort täglich anschauen. Und was passiert, wenn Computernetzwerke ein Bewusstsein entwickeln, ist seit Skynet hinreichend erklärt.
Dennoch reagiere ich auf die Stichwortkombination „psychisch / Krankheit“ oder eben „psychisch / Störung“ zugegeben mit einer leicht zwanghaften Lesereaktion …
Und durfte auf diesem Wege erfahren, dass soziale Medien Gift für depressive Menschen sind.
„Social Media und Depressionen sind inkompatibel!“.
Nachdem die Erleichterung über die die Tatsache, dass ich den leichtsinnigen Konsum derselben gleichwohl ohne größere Schäden überstanden habe, oder jedenfalls zu haben glaube, ein wenig abgeklungen war, habe ich nicht etwa Abstinenz geschworen, sondern mich auf die Suche nach den Gründen gemacht, aus denen der besagte Artikel mir solches Unwohlsein hervorgerufen hat.
Denn das immerhin hat er: Die Lektüre hat mich mit gesträubtem Nackenfell und frisch erwecktem Widerspruchsgeist zurückgelassen …
Die Autorin stellt fest, dass die Nutzung von Social Media wie Facebook, Twitter und Instagram ihr während eines depressiven Tiefs nicht gut tut.
Das ist die Stelle, an der ich mich eigentlich als jemand outen muß, der nicht mitreden kann: Ich nutze einen FB-Account, aber ich twittere nicht. Und was instagram ist, vermag ich nur zu raten …
Aber mit Facebook und dem dortigen alltäglichen Wahnsinn immerhin bin ich dabei …
Outing die Zwote: Meine social media treiben ihr Unwesen lediglich auf meinem Rechner.
Ich besitze kein „kann alles“ Phone …
Ich kann mich dem Gift der social media also nur dann aussetzen, wenn ich den Weg aus dem Bett bis an den Rechner geschafft habe. Anziehen inklusive. An wirklich schlechten Tagen komme ich so weit gar nicht erst …
Aber bleiben wir bei der Autorin! Ihr tut das nicht gut, also läßt sie es sein.
Das ist okay. Extrem vernünftig.
Sie kennt Menschen, die auch Depressionen haben und die sich dann auch von Social Media fernhalten. Das ist auch okay. Sich Gleichgesinnte zu suchen, schadet nie. Und warum sollte man dann nicht auch auf ähnliche Lösungsstrategien kommen?
Mein Unbehagen setzt ab dem Punkt ein, an dem sie explizit schreibt, dass es keinerlei Forschungsergebnisse gibt, die ihre Behauptungen untermauern.
Klar kann einem das passieren … dass die eigene Idee einfach flotter ist, als irgendwelche ForscherInnen, die sie gerade mal bestätigen könnten. Das passiert auch den Besten!
Was mich aber ernsthaft stört ist folgender Absatz:
„Es gibt zwar keine wissenschaftlichen Arbeiten über die Auswirkungen sozialer Medien auf eine bereits bestehende Depression. Aber Experten halten einen negativen Zusammenhang für so selbstverständlich, dass er keiner besonderen Erwähnung mehr bedarf.“
Als Expertinnen zieht die Autorin ihre Psychiaterin und deren Vorgesetzte sowie eine Medienexpertin heran.
Das ist vermutlich treffender als die Analyse des Wirtes meiner Stammkneipe. Aber gleichwohl stampfen 3 Personen noch keine allgemeine Expertenmeinung aus dem Boden.
Und – by the way – ich habe großes Ver- und Zutrauen zu meiner Psychiaterin (die mich übrigens in all den Jahren nie auch nur gefragt hat, ob ich bei Facebook bin). Wenn ich ihr erzählte, dass soziale Medien mir nicht gut tun und ich sie deswegen meide, würde sie mich vermutlich in dieser Idee bestätigen. Wie auch in deren Gegenteil, sofern sie den Eindruck hat, dass ich für mich das Richtige tue.
Soviel also zur Allgemeingültigkeit …
Studien zu der Frage, ob Social Media Depressionen verursachen können, scheint es dagegen durchaus zu geben. Nur kommen sie nicht zu einheitlichen Ergebnissen – was im Einzelfalle ärgerlich, im Großen und Ganzen aber durchaus nicht ungewöhnlich ist.
Die Autorin zitiert eine, die zu dem Ergebnis kommt, dass, wer sich nicht mit seinen Bekannten vergleiche, sondern sich wohlwollend über Freunde und Familie informiere, nicht in eine Depression rutsche.
Und zieht daraus den Schluß, die Forscher hätten Facebook selbst wohl noch nie genutzt.
Nun, tatsächlich funktioniert Forschung genau so (oder sollte es jedenfalls): Man läßt eigene Erfahrungen, sofern man diese hat, außen vor und beobachtet stattdessen mit größtmöglicher Neutralität eine repräsentative Gruppe.
Warum der Autorin so sehr daran gelegen ist, eine Erkenntnis, die für sie selbst richtig und wichtig ist, gegen alle Widerstände zur allgemeinen Wahrheit zu stilisieren, erklärt sich womöglich an anderer Stelle, wenn sie nämlich schreibt „Ich war nicht mehr in der Lage, mich selbst in den sozialen Medien darzustellen. Bisher war ich durchs Leben gegangen und hatte es im Geiste zu Tweets formatiert und nach Bildmotiven für Instagram Ausschau gehalten.“.
Mal ganz unbelastet von Studien, Forschung und ExpertInnentum: Wer sein Leben freiwillig an der Frage ausrichtet, ob dessen Details zur Veröffentlichung bei Facebook etc. taugen, hat meines Erachtens ein Problem. Und kein kleines.
Dass der Verlust der Möglichkeit zur Selbstdarstellung schmerzt, mag ich gerne glauben – aber das ist nicht Schuld der sozialen Medien.
Wenn ich nun für mich festgestellt habe, dass ich der Verführung erlegen bin, mein Leben auf einer virtuellen Bühne zu inszenieren und mich nur retten kann, indem ich das Theater verlasse, dann ist das eine gute und wichtige Erkenntnis. Wenn ich diese aber wiederum „veröffentlichungsfähig“ machen muß, indem ich beweise, dass meine Erfahrung allgemeingültig ist, dann zeigt das nur, dass ich immer noch in der selben Falle sitze.
Offenbar handelt es sich bei dem Artikel auch um das Outing der Autorin als Mensch mit Depressionen – dafür hat sie meinen allergrößten Respekt.
Und natürlich hat sie Recht, wenn sie feststellt, dass wir offener über Depressionen sprechen müssen!
„Offen darüber sprechen“ wäre cool gewesen.
„ICH HAB WAS GANZ WICHTIGES RAUSGEFUNDEN!!! … und übrigens, ich habe Depressionen“ ist nicht cool. Schade.
Link zum Artikel: social-media-depression-facebook-twitter
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Ich hätte in meinem Leben nicht gedacht, dass ich mal eine Lanze für Facebook brechen würde …
Tatsächlich halte ich es für einen datensaugenden Zeitfresser, der nicht ganz ungefährlich ist.
Dennoch finde ich, dass Facebook für depressive Menschen ein nützliches Medium sein kann.
Wie bereits erwähnt, schaffe ich an richtig schlechten Tagen gar nicht erst den Weg zum Rechner. Meine Aufmerksamkeitsspanne ist dann manchmal in der Tat kläglich (zu Zeiten, wo ich mich noch zum Fernseher geschleppt habe, bin ich dann vor „Unsere kleine Farm“ eingeschlafen …), aber sie reicht aus, um einen Blick auf das Leben mehr oder weniger virtueller Freunde zu werfen.
Naturgemäß sind viele HundehalterInnen darunter. Aber auch Menschen, die mit Katzen, Pferden, Schafen und Ziegen leben.
Der regelmäßig kritisierte Umstand, dass Facebook einem stets nur zeigt, was man vermeintlich sehen möchte, kommt mir dabei durchaus zupass: Ich freue mich aufrichtig über Berichte vom gepflegt plüschigen Schoßhund, der sich beim Spaziergang mal richtig im Schlamm gewälzt hat, über Fotos von wuselnden Welpen in ihren Wurfkisten und über Videos von beinah gewonnenen Agility-Turnieren. Genauso wie ich mittrauere, wenn ein Tier verstirbt.
Das mag einer der grundlegenden Unterschiede zur reinen Selbstdarstellung sein: Es ist nicht alles eitel Sonnenschein.
In den Gruppen, deren Mitglied ich bin, spielt es keine Rolle, ob ich übernächtigt und mit verweinten Augen dasitze. Ich muß nicht Haltung wahren und nichts erklären, sondern kann einfach dabei sein.
Bevor jetzt jemand fragt, warum ich diese Menschen nicht lieber persönlich treffe:
Würde ich gerne! Die, die ich persönlich kenne, würde ich gerne (wieder)sehen und viele andere endlich einmal kennen lernen!
Hinderlicher noch als meine Depressionen sind hier die gut 1.000 Kilometer, die seit meinem Umzug nach Südfrankreich zwischen uns liegen.
Ein paar „Selbstdarsteller“ finden sich auch auf meiner Freundesliste. Aber sie sind nicht von der Sorte, die dokumentiert, wie großartig ihr Leben ist. Es sind Menschen, die Ihr Leben, seine Höhepunkte und Widrigkeiten mit einem Augenzwinkern schildern, oder auch mal ordentlich auf die Schippe nehmen. Sie laden ein, sich mit ihnen darüber zu amüsieren und ich nehme das Angebot gerne an.
Nachts kann es außerordentlich tröstlich sein, sich zu vergewissern, dass noch jemand wach ist. Ganz egal, ob man chatten mag oder sich gegenseitig Musikvideos vorspielt: Man ist nicht ganz und gar allein.
Natürlich ist mir bewusst, dass es sich hier größtenteils nicht um echte Freundschaften handelt, die über Jahre gepflegt werden wollen, Höhen und Tiefen überstehen müssen. Aus denen man sich nicht ausklinken kann, indem man den Rechner abschaltet.
Wie auch? Wer seinen Verstand halbwegs beisammen hat, gibt auf FB nichts preis, das wirklich privat ist.
Das Gefühl der Verbundenheit, das sich hin und wieder einstellt, tut trotzdem gut.
Was meine psychische Erkrankung betrifft, bin ich von dem Grundsatz, nichts Privates preiszugeben, nach reiflicher Überlegung abgewichen. Als ich begonnen habe, darüber zu bloggen, habe ich mich auch bei Facebook geoutet.
Weder hat die Erde gebebt, noch habe ich Freunde verloren. Es hat nicht einmal unangenehme Kommentare gegeben. Aber einige meiner Kontakte fühlen sich jetzt enger und vertrauensvoller an …
Wenn ich nachts den Eindruck habe, selbst auf Facebook die letzte zu sein, die den Weg ins Bett nicht findet, gucke ich Musikvideos bei Youtube. Und manchmal teile ich sie dann (ich hab meinerseits auch Spaß daran, wenn Freunde irgendwelche Stücke „ausgraben“, die wir vor 25, 30 Jahren ganz große klasse fanden).
Einmal war es die Titelmelodie von MASH …
Ich hatte nicht bedacht, dass der Originaltitel des Stückes, „Suicide is painless“, mißverstanden werden könnte.
Und erhielt umgehend die besorgte Nachfrage, ob bei mir alles in Ordnung sei.
Von einem dieser angeblich so flachen und bedeutungslosen Kontakte, die ich für meine FB Freunde halte …