Über die Schattentaucherin

OKTOBER 2015

Psychische Erkrankungen sind kein Tabuthema mehr. Man darf darüber reden – wenn vielleicht auch lieber über die der anderen und nicht ganz so gerne über die eigene …

IMG_7356-b-webMittlerweile gibt es eine Menge Artikel und Dokumentationen, die informieren und um Verständnis werben. Trotzdem fühlen Betroffene wie ich sich oft alles andere als verstanden. Wir haben manchmal unsere liebe Not damit, uns nicht nur mit unserer Erkrankung herumzuschlagen, sondern darüber hinaus mit den Vorstellungen, die unsere Mitmenschen davon haben.

Ich könnte nicht einmal sicher sagen, wann und wie es bei mir angefangen hat.

Dass Teenager mal himmelhoch jauchzend, mal zu Tode betrübt sind, ist vermutlich völlig normal. Niemand macht sich Gedanken darüber. Ich auch nicht.

Niemand kann wissen, ob ich irgendwie anders betrübt war. Für mich habe ich das Gefühl damals als „gestaltlose Traurigkeit“ bezeichnet und das war etwas ganz anderes, als der Liebeskummer unter dem ich (wie alle anderen auch) ebenfalls manchmal ganz fürchterlich gelitten habe. Die Traurigkeit kam wie ein graues Tal, durch das ich einfach hindurch musste.

Als ich zum ersten Mal wegen Herzrasens beim Arzt war, riet mir die Ärztin, in diesen Momenten einfach an etwas anderes zu denken. Körperlich sei alles in Ordnung. Ich habe mich dann immer bemüht, ganz fest an Margeriten zu denken. Dass körperlich alles in Ordnung sei, habe ich seitdem noch oft gehört.

Mit Anfang 20 hatte ich einen Schwangerschaftsabbruch, zu dem ich mich frei und völlig unbeeinflusst entschieden habe: Ich wollte diese Schwangerschaft nicht fortsetzen, da war ich mir absolut sicher. Die nachfolgenden Tiefs habe ich dennoch damit in Verbindung gebracht, man hörte ja immer wieder, dass Frauen anschließend depressiv würden. Damals habe ich zum ersten Mal eine Therapeutin aufgesucht, die jedoch keinerlei Zusammenhang zwischen Abtreibung und Gefühlslage feststellen konnte.

Damit mir das nie wieder passiert, habe ich anschließend die Pille genommen und später gemutmaßt, das könne der Grund sein: Zu den Nebenwirkungen gehörten laut Beipackzettel auch Depressionen.

IMG_4341-h-webIm Nachhinein kommt mir das vollkommen absurd vor: Wie konnte mir entgehen, dass ich einen Grund nach dem anderen „abgeklopft“ habe ohne zu merken, wie widersprüchlich sie waren?

Als es immer schwieriger wurde, aus den grauen Tälern wieder herauszukommen, habe ich erneut therapeutische Hilfe gesucht.

Natürlich sind es oft schwierige Lebenssituationen, die Depressionen und Ängste auslösen – man spricht dann von reaktiven Depressionen.

Ich habe mich therapieren lassen, um mich an schwierige Lebenssituationen anzupassen. Um – falls nötig – aus ihnen auszubrechen. Den Mut zu finden, etwas Neues zu beginnen. Um mit den Schuldgefühlen zurechtzukommen, die gegebenenfalls damit einhergingen. Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen meine Vergangenheit aufgearbeitet, mich nach Kräften um eine positive Lebenseinstellung bemüht, Entspannungstechniken erlernt und tatsächlich mit den Jahren eine Menge darüber gelernt, wie ich mit meinen Tiefs umgehen kann. Nur losgeworden bin ich sie nicht.

Ich hatte Einzeltherapie, Gruppentherapie, Paartherapie, ich habe mich auf eigenen Wunsch einweisen lassen. Und bereue nichts davon, aber geholfen hat es nicht.

Über 10 Jahre lang habe ich Psychopharmaka genommen.

Entgegen landläufiger Vorurteile, machen Antidepressiva nicht glücklich – sie halten einfach nur den Gehirnstoffwechsel auf „nicht depressiv“. Die meiste Zeit jedenfalls. Die Tiefs hatte ich trotzdem, aber ich wollte mir gerne sagen, sie kämen seltener und seien flacher. Und vielleicht war das ja auch so.

IMG_11402-b-webVor gut zwei Jahren habe ich den Entschluss gefasst, meine Medikamente abzusetzen und doch noch einmal etwas ganz anderes zu versuchen. Sozusagen ein neues Leben zu beginnen.

Ich möchte berichten, wie es mir mit diesem Versuch ergeht.

Ich möchte aber auch versuchen, zu beschreiben, wie es ist, an Depressionen und Ängsten zu leiden. Was – zumindest mir – hilft und was nicht. Was ich mir von meinen Mitmenschen wünschen würde. Und ich möchte allen, die es betrifft, Mut machen, nicht mehr schweigend zu leiden.

***

Ich bemühe mich sehr, beim Verfassen meiner Texte „bei mir zu bleiben“, nur von mir und für mich zu sprechen. Nicht, dass es in meinem Leben keine Menschen gäbe, die mir wichtig sind und die mir einer Erwähnung wert wären. Es steht mir nur schlicht nicht zu, ihre Geschichte zu erzählen.

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UPDATE JULI 2023

12 Gedanken zu „Über die Schattentaucherin“

  1. Ich freue mich sehr über die gut geschriebenen und obendrein humorvollen Texte, die es hier zum Thema Depression zu lesen gibt. Mit kritischem Abstand und Humor auf seine Depression schauen zu können, finde ich bemerkenswert !

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  2. Liebe Iris,
    ich habe kürzlich ein Buch rezensiert, das Dich vielleicht ansprechen könnte.
    Wenn Du magst, komm‘ zu einen Lesebesuch auf meine Websaite.
    Der nachfolgende Link führt Dich zum Buch von Matt Haig:

    Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben

    Mit entwaffnender Verletzlichkeit und tapferer Hoffnung umkreist Matt Haig das Thema Depression. Er nennt sie die „unsichtbare Krankheit“ und versucht, Betroffene dazu anzuregen, ihr Leiden nicht zu verschweigen, sondern zur Sprache zu bringen. Seiner Erfahrung nach helfen Worte (gesprochene und geschriebene), die depressive Isolation zu verlassen und Verbindung zu anderen Menschen und zur Welt herzustellen, was durchaus ein erster Schritt zur Heilung sein kann.

    Nachtaktive Grüße 😉
    Ulrike von Leselebenszeichen

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    1. Liebe Bewohnerin des zwoten Planeten von links,
      ich habe bisher ein einziges Mal – und wie ich hoffe halbwegs originell – beim Liebster Award teilgenommen (https://schattentaucherin.wordpress.com/2015/11/21/auser-der-reihe-kreisch/) und möchte es dabei auch bewenden lassen.
      Trotzdem freue ich mich sehr über die Nominierung!
      Vor allem darüber, dass Du schreibst, mein Blog habe Dir geholfen.
      Die Tatsache, dass der Liebster Award eigentlich so gedacht ist, dass Blogger andere Blogger unterstützen, deren Beiträge sie schätzen (und man eben nicht einfach in sozialen Netzwerken mitteilt, man müsse Blogs nominieren und jetzt könne jeder mal „Hier!“ schreien), hat mich auf die Idee gebracht, solche Blogs auf der „Taucherin“ explizit zu empfehlen. Das wird allerdings ein bißchen dauern – soll ja schön werden …
      Liebe Grüße
      Iris

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  3. Ich freue mich, deinen Blog gefunden zu haben, habe mich bereits „fest gelesen“ und schon mal auf die „Folgen-Taste“ geklickt.
    Liebe Grüße
    Weena

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  4. Ich bin gerade durch deinen Kommentar zu Friede’s neuem Beitrag auf deine Seite aufmerksam geworden – und direkt hängen geblieben. Es tut immer wieder gut, die Geschichten anderer Betroffener zu lesen. Sei es, um sich wieder zu vergegenwärtigen, dass man nicht allein ist, oder um sich neuen Input zu holen und mal wieder etwas auszuprobieren, dass man noch nicht probiert hat, und das dann vielleicht hilft 🙂 ich werde auf jeden Fall noch etwas stöbern und freue mich auf weitere Beiträge.

    Alles Liebe,
    Sabrina

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