Wenn Taucherinnen hoch hinauswollen

„…Ich empfinde in solchen Momenten überhaupt keine Angst. Ich verspüre Paniksymptome…“ hatte ich neulich geschrieben und die Schieferliebe hat kommentiert, sie würde sehr gerne verstehen, was der Unterschied zwischen Angst und Panik ist.

Ich nehme zwar nicht an, dass die offizielle Definition gemeint ist, habe aber – der guten Ordnung halber – dennoch nachgeschlagen …
Wenn man es ganz genau nimmt, sind schon Angst und Furcht nicht das selbe: Angst ist ein eher ungerichtetes, diffuses Gefühl, Furcht dagegen bezieht sich auf ein bestimmtes Objekt, eine konkrete Situation. „Angst kommt von innen, die Furcht von der Außenwelt“ ist, finde ich, eine ganz schöne Beschreibung dafür. Im Alltag werden Angst und Furcht jedoch synonym verwendet.
Panik wird als abrupt auftretender Angst- oder Furchtzustand beschrieben, der mit vielfältigen körperlichen Symptomen einhergeht. Dabei, so lese ich, könne es zu einer Einschränkung der höheren menschlichen Fähigkeiten kommen. Treffender scheint mir Beschreibung, Panik sei durch planlose, ungezielte, chaotische Flucht gekennzeichnet. Das scheint mir, was das Gefühl betrifft, selbst für solche Momente passend, in denen ich in meiner Panik irgendwo „festfriere“.

Was aber bedeuten Angst, Furcht und Panik für mich?

Wenn ich bei feuchtem Wetter über Felsen klettern muß, befürchte ich, auszurutschen und zu stürzen. Wenn man die hiesigen Felsen nebst dem unangenehmen „Glitsch“ kennt, der bei Nässe an ihnen haftet und auf dem man selbst mit Bergschuhen keinen vernünftigen Halt findet, dann ist das eine realistische Einschätzung eines riskanten Unterfangens.
Dass ich mich dabei immer gleich mehrere Meter tief abstürzen und schwer verletzt daliegen sehe, dürfte eher meiner Angst geschuldet sein. An ganz schlechten Tagen fällt mir die Geschichte von der Frau ein, die hier bei einem Spaziergang von einer Mauer gestürzt ist und erst Monate später gefunden wurde … sollte ich dann bemerken, dass mein Handy nicht an der Frau, sondern zum Aufladen an der Steckdose hängt, fange ich an, mich sehr unwohl zu fühlen.
Dann beginne ich, meine Schritte übervorsichtig zu setzen, halte mich an Ästen fest, oder rutsche zur Not auf dem Allerwertesten bergab.

Die einzige Befürchtung, die ich jemals in Bezug auf Supermärkte gehegt habe, war die, ausfallend zu werden und das x-te Papaschiebtganzlangsamdeneinkaufswagenmamaschlendertdanebendiekinderumkreisendasganzemitihrenscheißgelbenminieinkaufswagen-Gespann kurzerhand lauthals aus dem Weg zu fluchen. Oder ehrlicher: Anlauf zu nehmen und sie mit meinem Einkaufswagen beiseite zu rammen.
Das hätte Ärger gegeben – insofern eine realistische Einschätzung.
Ich empfinde keine Bedrohung. Es gibt keinerlei Kopfkino, was im schlimmsten Falle passieren könnte. Ich fühle keine Angst.
Dennoch steht „Supermarkt“ auf der Hitliste meiner Auslöser für eine Panikattacke nach wie vor ganz weit oben.

Der erste Vorbote der Panik ist – was mich betrifft – ein trockenes Hüsteln.
Unterdessen habe ich begonnen, es als Warnsignal zu nutzen: Wenn ich mich selber hüsteln höre, ist es an der Zeit, nach Störfaktoren Ausschau zu halten und Entlastungsmöglichkeiten zu suchen.
Im zweiten Schritt wächst der Druck auf den Brustkorb, ich kann nur noch unter Schwierigkeiten Luft holen. Lange bevor ich tatsächlich zu zittern beginne, kann ich das Zittern in mir spüren. Messen kann man es auch: Wenn ich beginne, mich zittrig zu fühlen, ist mein Blutdruck extrem hoch. Ich muß aufpassen, beim Gehen nicht zu stolpern und mich sehr konzentrieren wenn ich zum Beispiel ein Glas hochheben will. Irgendwann kommen mir die Tränen. Wenn es arg ist, beginne ich dann auch zu hyperventilieren.
Dennoch habe ich keine Angst. Mir ist bewußt, dass die Situation, in der ich mich befinde, objektiv ungefährlich ist. Ich weiß, dass ich weder ersticken, noch einen Herzinfarkt bekommen werde.

Ich muß also nicht unbedingt Angst haben, um Panik bekommen. Andererseits stellt sie sich sehr zuverlässig ein, wenn ich meine Angst zu ignorieren versuche.
Die leider recht zahlreichen Gelegenheiten, bei denen ich mit zusammengebissen Zähnen versucht habe, über meine Höhenangst hinwegzugehen, haben in der Regel so ihr Ende gefunden. Ich erinnere mich an eine Bergtour, bei der ich irgendwann ganz ruhig mitgeteilt habe, ich müsse mich kurz mal setzen und dann nicht mehr hochgekommen bin. Ich konnte nicht nur nicht aufstehen, sondern mich überhaupt nicht mehr bewegen.
Sie bleibt jedoch aus (was ich sehr zu schätzen weiß!), wenn es tatsächlich Grund zur Furcht gibt:
Auf einem der wenigen Gipfel, die es mir tatsächlich doch zu erklimmen gelungen ist, sind wir in ein Gewitter geraten und damit war völlig klar „wir müssen auf dem schnellsten Weg hier runter!“.
Besagter schnellster Weg war ein seilversicherter Steig von der Sorte, die ich normalerweise meide wie der Teufel das Weihwasser. Aber da half nun alles nichts.
Wenn es auf solchen Wegen ein Stahlseil gibt, klammere ich mich daran fest. Auch wenn es gar nicht nötig oder auch nur sinnvoll ist, selbst wenn ich mir an solchen Stellen, wo es auf dem Fels aufliegt, die Fingerknöchel blutig schlage: Ich kann nicht anders. Ich kann das Seil nicht loslassen! Aber natürlich darf man bei Gewitter das Seil gar nicht erst anfassen
Also habe ich noch eine gallige Bemerkung im Sinne von „Rumzicken ist jetzt wohl nicht opportun …“ gemacht und bin dann zügig und freihändig Richtung Tal abgestiegen.
Also alles nur Rumzickerei? Ich denke nicht.
Meine Höhenangst ist irrational. Panik ebenfalls.
Die Einschätzung dagegen, bei Gewitter auf einem Berggipfel und in unmittelbarer Nähe von Metallteilen in Gefahr zu sein, ist rational. Und auch, wenn ich sonst ab und zu irrational reagiere: ich bin nicht verpflichtet, das immer zu tun!

Je länger ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir, wie wenig meine Ängste mit tatsächlichen Gefahren zu tun haben – und wie wenig ängstlich ich diesen gegenüber manchmal bin.
Wie gesagt, ich befürchte nicht nur, zu stürzen, ich stürze immer gleich ab. Und selbst wenn das objektiv unmöglich ist und ich höchstens auf dem Hintern landen werde, habe ich Angst, mir wehzutun, mich zu verletzen.
Passiert ist mir das nur ein einziges Mal, als ich ganz und gar angstfrei in meinen lieben „Pfötchenschuhen“ einen Waldweg entlanggelaufen bin – da hab ich mir einen toten Ast so unglücklich in den Fuß gebohrt, dass die Wunde mit 5 Stichen genäht werden musste. Was mich keineswegs davon abgehalten hat – nachdem die Wunde halbwegs verheilt war – weiterhin in denselben Schuhen durch den Wald zu streifen.

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Bei meinem ersten Versuch, hier in den Cevennen weglos zu wandern, habe ich mich zum ersten Mal in meinem ganzen Leben im Gelände verlaufen. Ich hatte lediglich vorgehabt, einen Hügelkamm zu überqueren, um von einem mir bekannten Weg auf einen anderen zu gelangen. Der Felssturz, der dies verhinderte, hat mich nicht weiter angefochten, ebenso wenig wie der Umstand, dass es mir nicht gelungen ist, auf genau dem selben Weg zurück zu gehen. Die hiesigen Hügel sind von einem Netz von vermeintlichen Trampelpfaden und Wildwechseln überzogen, welches so engmaschig ist, dass sich alle paar Meter der Weg zu gabeln scheint: Dreht man sich um, sieht man anstelle des einen Weges, auf dem man gekommen ist, plötzlich drei. Ohne Ariadnefaden oder Brotkrumen ein schier unmögliches Unterfangen. Selbst die Jäger, die sich in den Hügeln bestens auskennen, helfen sich mit Steinmännchen. Die meisten dieser Wege enden in einer Wildscheinsuhle, an einer Felswand, oder schlicht in undurchdringlichem Gestrüpp.
Ein Problem schien mir das nicht zu sein: Ich habe ein Gefühl dafür, in welcher Richtung sich mein Ausgangspunkt befindet und finde stets dorthin zurück. Nicht immer auf dem geraden Weg, versteht sich – Felswände oder Schluchten kann ich natürlich nicht vorausahnen – aber ich weiß immer, wohin ich mich wenden muß.
Zumindest wusste ich es immer. Vermutlich orientiere ich mich unbewusst an Landmarken und genau die fehlen weitgehend, wenn man sich zwischen lauter identisch aussehenden grünen Hügeln bewegt. Gemauerte Terassen, Felsformationen, skurril aussehende tote Bäume … all das wiederholt sich in einer solchen Masse, dass nichts davon mehr einen brauchbaren Hinweis ergibt. Wenn man gerade mal wieder bäuchlings durchs Gestrüpp kriecht, sowieso nicht …
An diesem besonderen Tag war es überdies regnerisch und neblig …
Ich habe den Weg, auf dem ich gekommen war, nicht wiedergefunden. Und da ich den Hügelkamm nicht überqueren konnte, habe ich beschlossen, ihn zu umrunden. Als mir das gelungen war, riß der Nebel auf … und gewährte den Blick in ein mir vollkommen unbekanntes Tal. Da hab ich mich dann auch kurz mal setzen müssen. Mein Handy hatte ich nicht dabei, wohl aber meine Hundepfeife und mit der habe ich SOS gepfiffen. So macht man das in den Bergen. Ich hab nicht lange gepfiffen bis mir klar wurde, dass weit und breit niemand war, der mich hätte hören können. Da hab ich dann ein bißchen geweint. Und mich wieder aufgerappelt.
Letztlich war es Oskar, der mich aus der Bredouille geholt hat: Er ist gut darin, Trampelpfade zu finden und er bevorzugt solche, die von Menschen benutzt werden. Und so hat er mich tatsächlich auf einen Jägerpfad geführt, der an einem Wirtschaftsweg endete. Wo ich war, wusste ich da immer noch nicht, aber hej! Zivilisation!
Nach insgesamt vier Stunden habe ich nass, verfroren, mit diversen blauen Flecken und blutigen Schrammen (der Glitsch!) den Hof erreicht, den ich nur für ein kurzes Gassi hatte verlassen wollen.
Wo ich eigentlich gewesen und wie ich dort hingeraten bin, hat sich auch mit Hilfe von Karten und Luftbildern bisher nicht klären lassen – womöglich ein cevenoles Brigadoon
Diese Erfahrung hat mich zwar gelehrt, bei Nebel und Regen auf den Wirtschaftswegen zu bleiben, meine Unternehmungslust ansonsten jedoch keineswegs geschmälert. Es ist mir noch mehr als einmal passiert, dass meine Spaziergänge … nun ja … dann doch mehr Zeit in Anspruch nahmen. Wenn mir die Richtung zu stimmen scheint, robbe ich immer noch bäuchlings durchs Gestrüpp und hangele mich an Felsen hoch – wohl wissend, da es da ganz sicher nicht zurück geht. Ich gehe nicht mehr ohne Handy los, auch wenn es wenig nutzt sofern man nicht sagen kann, wo man verletzt liegt. Das GPS Gerät mitzunehmen allerdings, ist mir nie in den Sinn gekommen …
Wo bliebe die Herausforderung?

Ich bin in’s Erzählen gekommen und stelle fest, dass ich mich von der eigentlichen Frage nach dem Unterschied zwischen Angst und Panik weit entfernt habe. Für mich spielt er keine große Rolle: Beide suchen mich hin und wieder auf, jede zu ihren Bedingungen.
Sie am Beispiel meiner Höhenangst zu betrachten, bot sich an, finde ich: Die ist so schön abgezirkelt und nachvollziehbar. Und sie ist – obwohl vergleichsweise leicht vermeidbar – diejenige meiner Ängste, gegen die ich am erbittertsten angerannt bin. Wir haben schon eine Menge Zeit miteinander verbracht.
Dennoch habe ich nie wirklich darüber nachgedacht, wie es für mich ist, mit ihr zu leben.
Danke für die Gelegenheit, das endlich einmal zu tun!

 

Ein Glückskind unter den Angstneurotikern

Häufig gehen Depressionen mit Ängsten einher.

Obwohl eine Freundin das einmal vollkommen anders und gleichwohl ganz unnachahmlich in Worte gefasst hat: „Ich habe vor gar nichts Angst. Ich stehe einfach nicht auf!“ …

IMG_12115-q-webObwohl es ungefähr 15 Jahre her ist, kann ich mich noch genau an meine erste Panikattacke erinnern. Ich stand (es war garantiert ein Freitagnachmittag) in der Warteschlange bei real und dachte mir „Du bist keine Asthmatikerin. Und das ist auch kein Herzinfarkt, der würde wehtun. Das muß eine Panikattacke sein …“.

Diese spontane Einsicht hat mir die Odyssee etlicher meiner Leidensgenossinnen und -genossen erspart, die verzweifelt von Arzt zu Arzt ziehen, immer auf der Suche nach dem, der endlich ihre körperliche Erkrankung diagnostiziert. Sie hat mir auch geholfen, in solchen Momenten nicht auch noch um mein Leben zu fürchten: Ich bin voller Vertrauen, dass ich nicht ersticken werde und mein Herz zuverlässig (wenn auch gerade extrem eilig) weiterschlagen wird.

Sonderlich angenehm ist die ganze Sache dennoch nicht: Pulsfrequenz und Blutdruck schnellen innerhalb von Sekundenbruchteilen in erstaunliche Höhen. Man beginnt zu zittern und bekommt kaum noch Luft. Oder zuviel davon, weil man das Ausatmen vergisst. Ehe man sich’s versieht, bricht man in Tränen aus, was zwar harmlos, aber auch irgendwie doof ist. Oder friert fest, was einen obendrein noch daran hindert, sich aus der Situation rauszuretten. Schluß ist mit „den Anschein wahren“.

Panikattacken behindern.

Bei vielen Menschen mit Angststörung sind es dieselben Situationen, die die Attacken auslösen: Supermärkte und öffentliche Verkehrsmittel, vollkommen alltägliche Ereignisse also, liegen ganz weit vorne. Dicht gefolgt von Menschenmengen. Zumal in geschlossenen Räumen. Wenn es ganz dicke kommt, erfüllt schon der Geburtstagskaffee im Familienkreis die nötigen Voraussetzungen. Natürlich hab ich am Kaffeetisch nicht „oh, jetzt hab ich aber Angst!“ gedacht – ich musste einfach nur SOFORT an die frische Luft. Und ich hab auch nie befürchtet, dass mir beim Einkaufen was zustößt. Ich hab bloß angefangen zu bibbern und zu japsen.

Ich erinnere mich lebhaft an einen sehr netten türkischen Supermarkt, in dem orientalische Musik lief, die ich gerne höre. Es war nicht einmal voll. Und ich mittendrin: Am Einkaufswagen festgeklammert, „ich muss hier raus, ich muss hier raus“ murmelnd und unfähig, mich zu bewegen.

Man kriegt die einfachsten Dinge nicht mehr hin.

Mir schien es nach mehreren Jahrzehnten Fahrpraxis nicht mehr möglich, bei Autobahnfahrten Position und Geschwindigkeit der anderen Fahrer einzuschätzen. Ich hab mir nicht mehr zugetraut, da mitzutun und bin nur noch – äußerst vorsichtig! – in der Stadt herumgefahren.

Aber es gab ja auch nicht mehr sooo viele Orte, zu denen ich noch hin gewollt hätte.

Es dauert nicht lange, bis schon die Angst vor der nächsten Attacke die ersten Symptome auslöst. Und es ist so verdammt verführerisch, einfach die Auslöser zu meiden.

IMG_7577-q-webVolksfeste und Multiplexe sind problemlos verzichtbar, keine Frage. Man muß auch nicht unbedingt in großen Supermärkten einkaufen. Der kleine fußläufige Laden um die Ecke kann sicher Unterstützung brauchen. Konzert und Theater werden stark überschätzt und daheim schmeckt’s eh besser, als im Restaurant. Die Stulle am Schreibtisch ist auch viel geruhsamer als das Mittagessen in der Firmenkantine. Und Treppensteigen ist gesünder als Aufzugfahren. Das mit Tantchens 80stem Geburtstag war dann schon blöd, aber das kann halt passieren, dass man mal krank wird. Der Radius wird immer kleiner und kleiner.

Wer bis dahin noch keine Depressionen hatte, bekommt sie vermutlich spätestens dann …