Volare

Ein Ort in meinem Körper, an dem mich mich meistens wohlfühle, ist meine Schädeldecke. Schmerzen empfinde ich hier nur dann, wenn ich wieder einmal die Höhe eines cévenolen Kellereinganges falsch eingeschätzt habe: Dann allerdings schmerzt es enorm! Und eine Beule bildet sich auch.
Ansonsten fühle ich meinen Scheitel. Es ist kühl, angenehm und prickelt ein bisschen.

Der Mann im weißen Kittel möchte wissen, wie genau diese Stelle sich anfühlt.
Nun … rund und flach … wir reden schließlich von meiner Schädeldecke.
Hart … weich … was weiß denn ich?
Aber wenn er schon unbedingt wissen will, welche Farbe dieser Ort hat, dann ist das Ding grün!

Ich bin genervt. Die Führung durch die Hypnose stört mich mehr, als sie hilft: Schon bevor ich mit Hypnose angefangen habe, habe ich einen fächerförmigen Bodyscan vom Kopf beginnend geübt – er dagegen scheucht mich von den Füßen zum Kopf hin. Und er redet mir zu viel. Wie um alles in der Welt soll ich mich dabei konzentrieren?

Den „Wohlfühlort“ oben auf dem Kopf zu verorten, ist praktisch: Von da aus kann ich das Gefühl einfach „am Körper herab fließen lassen“. Wasser allerdings fließt zu schnell, besser sind zähflüssige Dinge wie Honig oder Sirup.
Da passt nun aber die Farbe nicht: Schließlich hab ich mich ja auf „grün“ festgelegt …
Als ich ein Kind war, gab es „Slime“: Einen giftgrünen, ekligen Glibber, dessen einziger Nutzen darin bestand, giftgrün und eklig zu sein, und zu tun, was Glibber so zu tun pflegt – der Schwerkraft folgend herumzuglibbern.
Ich kippe mir also beherzt einen Becher „Slime“ über den Kopf. Autosuggestion ist alles: Was da an mir herabrinnt, ist kühl. erinnert an Meerwasser und prickelt angenehm auf der Haut!
Das klappt recht gut bis der Mann im weißen Kittel die Anweisung gibt, einer meiner Arme – rechts oder links – möge leichter werden.

Dabei ist der Schleim gerade mal an meinen Schultern angekommen!

Nun gut … eigentlich ist meine linke Körperhälfte diejenige, die gut „ansprechbar“ ist.
Ich „steuere“ also meinen linken Arm an und frage nach „Leichtigkeit“. Die Antwort – in ihrer höflichsten Übersetzung – lautet „Geh weg!“ …
So wird das nichts. Ich disponiere um und ersetze herunter rinnenden Schleim durch aufsteigendes Wasser.
Das funktioniert!
Ich stelle mir vor, wie der Wasserspiegel steigt,meine Arme allmählich anhebt und schließlich meinen ganzen Körper trägt. Ich schwimme unheimlich gern und natürlich kann ich mit dem „toten Mann“ etwas anfangen!

Er seinerseits blättert in seinen Unterlagen. Ist dem langweilig???
Ich versuche, meine Gesichtszüge unter Kontrolle zu behalten, ruhig zu atmen und die Erfahrung unter „Hypnose unter erschwerten Bedingungen“ zu verbuchen.

Als ich gerade Wellenbewegungen „zuschalte“ und beginne, mich so richtig wohlzufühlen, bringt der Mann im weißen Kittel die Paraglider ins Rennen …
Die habe ich selbst als Symbol für „Leichtigkeit“ ausgewählt.
Allerdings liege ich gerade auf dem Rücken … das tun Paraglider nicht.
Ich wälze also das Bild meiner selbst mit der gebotenen Vorsicht herum und gleite nunmehr durch die Luft. Das klappt insofern ziemlich gut, als ich den Aussichtspunkt, von dem aus die Paraglider in der Realität starten, sehr gut kenne. Der Blick nach unten ist mir vertraut, auch wenn ich nie selbst geflogen bin.

Jetzt ist er um den Schreibtisch herum gegangen und tippt auf seiner Tastatur. Was denkt der sich eigentlich??? Gut, dass ich die Augen geschlossen habe – so sieht man nicht, wenn ich sie rolle.
Erstaunlich, dass ich trotz meiner Erbitterung immer noch schwebe!

Aber es ist doof, ein Gleitschirm zu sein! Auch wenn er grün ist …
Ich lade Aglaia ein, mitzufliegen.
Ihr Symbol ist der Rabe. Ganz sicher vermag das Schwarz ihrer Federn in Grün zu changieren!
Sie breitet ihre Schwingen aus und ich kann den Luftzug darunter spüren.
Ich kreise über dem Gipfel, dann steuere ich solche an, die schneebedeckt sind. Ich genieße die eisige Kälte!
Dann jedoch lasse ich mich zu Tal tragen, falte meine Schwingen.
Als der Mann im weißen Kittel mich ins „Hier und Jetzt“ zurückführt, bin ich längst dort angekommen.
Besser ist das: Mitten im Flug meine Füße auf dem Boden zu spüren, hätte mich vermutlich in Schwierigkeiten gebracht.

Erst auf dem Heimweg wird mir klar, dass ich diesmal keine Angst bekommen habe. Nicht einmal dann, als ich so tief in Trance war, dass ich meine Arme sanft davon abhalten musste, sich tatsächlich auszubreiten: Durch das Geraschel und Getippsel wusste ich die ganze Zeit, wo der Mann im Raum! ist und was er gerade tut.

Traumfrau

Die weise Hebamme aka Psychotherapeutin im Nachbarort hat mir vorgeschlagen, über meine Träume zu sprechen.
Zwar glaube ich durchaus, dass manche unserer Träume uns etwas sagen wollen, und ich schreibe sie schon seit vielen Jahren auf, aber jetzt bin ich skeptisch.
Traumdeutung? Ich weiß ja nicht …
Andererseits: Warum nicht? Ein Versuch kann ja nicht schaden!

Ich übersetze einen meiner Träume, der mir interessant erscheint, ins Französische und drucke den Text aus. Um meinen Traum zu erzählen, müsste ich nicht nur die neuen Vokabeln pauken, sondern mir auch diverse grammatische Verwicklungen merken. Ich müsste den Text quasi auswendig lernen.
So geht es schneller.

Das Gespräch führen wir nach wie vor hauptsächlich auf Englisch. Das ist mühsam, weil wir dann beide nicht unsere Muttersprache nutzen und immer wieder durch Rückfragen klären müssen, ob wir einander richtig verstanden haben. Aber ich bin schon froh, dass wir überhaupt eine gemeinsame Sprache sprechen!

Der weitere Verlauf ist völlig anders, als ich mir das vorgestellt hatte.
Ich hatte irgendetwas in Richtung „Wenn Sie von einem weißen Pferd träumen, dann bedeutet das, dass sie ein problematisches Verhältnis zu ihrem Vater haben!“ erwartet; in etwa das, was in Zeitschriften gleich links von den Horoskopen zu lesen ist.
Unterdessen beschämt mich mein mangelndes Zutrauen in ihre Fähigkeiten.

Wir gehen den Traum ganz langsam, Schritt für Schritt durch und sie stellt mir Fragen dazu:
Erkenne ich Personen oder Orte wieder? Kann ich sie beschreiben? Habe ich eine solche Situation schon einmal erlebt? Was fällt mir ein, wenn ich an ein bestimmtes Detail denke?
Es ist sozusagen freies Assoziieren entlang des roten Fadens meines Traumes und ich bin überrascht, wie viele Erinnerungen dabei auftauchen.

Je intensiver ich mich mit meinen Träumen beschäftige, desto detaillierter wird meine Erinnerung daran. Dass ich sich wiederholende Träume habe, weiß ich schon lange, aber erst jetzt fällt mir auf, wie viele Details immer wieder auftauchen. Gleichzeitig beobachte ich, dass die regelmäßig wiederkehrenden Träume jetzt andere Verläufe nehmen – ganz so, als würde mein Handlungsspielraum sich vergrößern.

Unsere Gespräche über diesen Traum, die sich über mehrere Sitzungen hinziehen, sind eher unterhaltsam, als schmerzlich. Oft muss ich selbst im Englischen Hände und Füße zur Hilfe nehmen, um mich verständlich zu machen. Wir lachen viel.
Ich mag die weise Hebamme gut leiden und fühle mich sicher bei ihr.
Dennoch bekomme ich mit der Zeit mehr und mehr Angst vor unseren Treffen.

Bei einem der letzten Termine schaffe ich es gerade so eben, Contenance zu wahren, solange ich im Wartebereich sitze. Kaum schließt sich die Tür hinter mir, bekomme ich eine der heftigsten Panikattacken meines Lebens.
Sie rät mir, loszulassen, der Attacke ihren Lauf zu lassen.
Und ich antworte „Wenn ich das tue, bricht alles auseinander. Dann werde ich verschwinden.“

Nach meinen Treffen mit der weisen Hebamme suche ich stets einen weisen Mann auf: Es ist der Physiotherapeut, dessen Behandlungsräume gleich neben ihrem liegen.
Ich kenne ihn schon seit einigen Jahren. Er spricht ausschließlich Französisch, ist aber in der Lage, meine Beschwerden mit seinen Händen zu orten, selbst wenn ich sie nicht beschreiben, sondern nur mit dem Finger dahin deuten kann, wo es wehtut.
Er ist „eingeweiht“: Er weiß, dass ich gerade aus der Psychotherapie komme und unter Umständen in schlechter Verfassung bin.

Manchmal „berührt“ er das Trauma in meinem Körper, dann bekomme ich Angst, mir wird übel, oder ich beginne zu dissoziieren. Die weise Hebamme hat ihm erklärt, dass das passieren kann.
In solchen Momenten rede ich mir selbst gut zu: Dass wir diesen Mann schon lange kennen. Dass er weiß, was er tut, und wir ihm vertrauen können. Das hilft.

An diesem Tag bitte ich ihn, einfach irgendetwas zu tun, damit ich ruhiger werde.
Er hilft mir, entspannt und tief zu atmen.
An besseren Tagen übt er während der Behandlung Französisch mit mir.

Überflüssig zu erwähnen, dass ich nicht mehr selbst Auto fahre: Ich muss mich fahren lassen.

Über die Zeit lässt die Angst vor den Therapiesitzungen nach und ich sehe meinem nächsten Termin geradewegs gelassen entgegen.
Abgesehen davon allerdings, dass es mir gelingt, mich so geschickt im der genauen Uhrzeit zu irren, dass es mir um ein Haar gelungen wäre, nur zur Physiotherapie zu müssen.

Eine halbe Stunde immerhin haben wir noch!
Die weise Hebamme beginnt, mir ihre Interpretation meines Traumes zu schildern.
Dann geht alles ganz schnell: Tränenausbruch, Schnappatmung, der Tinnitus kreischt in meinen Ohren, so dass ich sie kaum noch hören kann. Ich bekomme einen Tunnelblick, an den Seiten wird es schwarz. Und ich spüre, wie ich neben meinen Körper trete. Ungefähr so, als sei ich mein eigenes Lenorgewissen, allerdings habe ich Sorge, dabei vom Stuhl zu fallen.

„Loslassen“ kann ich das nicht, aber ich bemühe mich, nicht die Luft anzuhalten, sondern wenigstens in Bruchstücken rauszuquetschen, was mir passiert.

Mir kommen in diesem Moment keine Erinnerungen ins Bewusstsein, es überwältigen mich keine Emotionen … ich bin nur Körper. Und – als die Attacke abklingt – absolut ratlos.
Ich begreife überhaupt nicht, was mir da passiert ist!

Traumata vererben sich über mehrere Generationen.
An vieles habe ich keine Erinnerung, aber sie steckt in meinem Körper.
Insofern scheint es mir folgerichtig, dass die „Aufarbeitung“ ebenfalls in meinem Körper vonstatten geht.
Danach fühle ich mich sehr ruhig. Und ich bin unglaublich müde.
So müde, dass ich auf der Liege des Physiotherapeuten beinahe einschlafe.

Das, was wir bis zu diesem Moment besprochen haben, war übrigens lediglich der Beginn eines langen, detailreichen Traumes.
Der Beginn einer Mischung aus Geister- und Achterbahnfahrt.

Spinne, Rabe, Känguru

Mir schwant nichts Gutes, als am Tag des Online-Workshops zur Einführung in die Arbeit mit inneren Anteilen böiger Wind aufkommt …
Unser Tun und Lassen wird weit über landwirtschaftliche Belange hinaus vom Wetter bestimmt: Bei Gewitter ist stets mit Stromausfällen zu rechnen, bei starkem Wind bläst es uns das Internet weg …
In der Küche ist eingeheizt, Yogamatte und Kuscheldecke einerseits, Papier und Stifte andererseits liegen bereit … und ich komme nicht über die Einleitung hinaus, erfahre gerade eben, was ich erfahren würde, wenn ich denn online bliebe
Das erinnert schon ein bisschen an die Zeiten, als Funksprüche auf die Informationen zwischen all dem „rrrrks“ und „knacks“ abgehört wurden …

Gasthaus“ schnappe ich auf, „Anteile treffen“ … „drei auswählen“ …
Bei angeleiteten Meditationen gibt es immer wieder Pausen des Schweigens – die Meditierenden sollen sich ja auf ein Bild, eine Frage oder dergleichen fokussieren und nicht einfach zugeschwallt werden. Ich versuche, die Länge der Pausen einzuschätzen und spinkse hin und wieder zur Kamera und ihrem Lämpchen:
Grün … grün … aus!
Dann wechsle ich von der Yogamatte auf den Küchenstuhl und versuche, die Götter des Internets gnädig zu stimmen. So kann ich nicht meditieren!

Manchmal bleibt die Verbindung zwar erhalten, aber das Bild friert ein und ich höre nichts. Es gelingt mir, Bröckchen des Theorieteils zu erhaschen. Aber den größten Teil der Zeit sitze ich einfach frustriert und gelangweilt vor dem Rechner.

Einem Teil meiner Anteile bin ich ja schon begegnet … zur Not kann ich sicher drei aussuchen, mit denen ich später arbeiten möchte.
„Nicht ausgerechnet gleich die schwierigsten“ … soviel immerhin habe ich mitbekommen. Aber so oft ich im Hundetraining auch gepredigt habe, dass wir immer vom Leichten zum Schwierigen trainieren: Ich konnte mich noch nie an meine eigenen Ratschläge halten.

„Du bist einfach nur faul und undiszipliniert!“ habe ich unterdessen an anderer Stelle gelernt, ist womöglich die Stimme eines täternahen, täterloyalen Anteils, oder ein sogenanntes Täterintrojekt. Das Wort „Täter“ ist, finde ich, an dieser Stelle missverständlich, weil zumindest ich an „Täter“ im Sinne von „Straftäter“, „Gewalttäter“ denken muss, was so aber gar nicht zwingend gemeint ist. „Täter“ können zum Beispiel auch einfach Elternteile sein, die ihrerseits instabil, nicht zuverlässig ansprechbar und schützend sind. „Auslöser“ oder „Verursacher“ wäre vielleicht passender.
Mein allererster Therapeut hat mir mal erklärt, man spreche in der Therapie nicht von Schuld, sondern von ursächlicher Beteiligung. Irgendwie so …

Ein solcher Anteil wertet nicht, sondern hält dem ursächlich beteiligten Menschen die Treue, beschützt ihn und generiert so Nähe und Sicherheit. Täternahe Anteile verzeihen dem Täter – allerdings nicht aus einer friedfertigen, heilenden Haltung heraus:
(„Ein kleiner Klaps hat noch niemandem geschadet!“ wäre ein ganz typischer Ausspruch eines solchen Anteiles).
Es sind außerordentlich starke Anteile, deren Entstehen dem Überleben dient: Sie sind hart gegen „sich“ selbst und verhindern den Zusammenbruch des Systems, indem sie schwächere, verletzbare Anteile beschützen.

Das Thema windet sich wie ein Aal, so richtig bekomme ich es noch nicht zu fassen* – ähnlich wie bei „Dissoziation“ und „Glaubenssatz“, werde ich wohl einfach warten müssen, bis mein Verstand die Information in einer Form vorfindet, die er für „verdaulich“ hält.
Aber gestolpert bin ich nun einmal darüber und das Detail „hat dem Täter verziehen“ hat mich kurzerhand von den Füßen geholt.

* Eine recht gute Erklärung findet sich hier: https://www.youtube.com/watch?v=mhVt3r_7aWc

Im Hier und Jetzt sitze ich immer noch vor dem Rechner. Nichts tut sich.
„Täterintrojekt“ sinniere ich … „TI“ … „T“!
T ist eine von Taras Persönlichkeiten in „Taras Welten“, sie trägt ein „T.“ Tattoo auf dem Po.
Mein Blick fällt auf die bereitgelegten Stifte.
Ich beginne, ein pinkfarbenes T zu zeichnen.
Seit Jahren habe ich nicht zu zeichnen versucht: Durch die Makuladegeneration verschwindet alles, was ich direkt anschaue, hinter einer grauen Fläche und auch mit meiner Feinmotorik steht es grad nicht zum Besten.

Dementsprechend krakelig fällt mein T aus. Trotzdem habe ich Lust, aus dem Punkt ein Herzchen zu machen und das T selbst auch noch mit Lila zu dekorieren.

Mit meiner Angst sollte ich vielleicht auch einmal ein Wörtchen reden …
Es gibt eine Sorte Spinnen, die ich für mich „Eckenspinnen“ nenne, weil sie gern in Ecken sitzen. Sie bestehen fast nur aus Beinen und sind so hauchzart, dass man sie kaum sieht. Erschrecken sie, beginnt der ganze Körper zu beben. Bei Gefahr rennen sie eilig davon.
Beim Staubsaugen achte ich immer sehr darauf, ihnen reichlich Vorsprung zu lassen, damit ich sie nicht versehentlich aufsauge.

Die Eckenspinne gelingt schon besser.

Außerdem, fiel mir auf, weiß ich gar nicht, wer Aglaia eigentlich ist …
Für sie möchte ich einen Raben zeichnen.
Um Raben ranken sich zahlreiche Mythen – sie gelten als Unglücks- oder gar Todesboten, ursprünglich aber auch als Bringer des Lichts.
Der germanische Gott Odin führte stets zwei Raben, Munin und Hugin, mit sich, die er jeden Tag ausschickte, um zu erfahren, was in der Welt Wichtiges geschah.Im Mittelalter galten Raben als Begleiter von Hexen.
Schon als Kind habe ich mir einen zahmen Raben erträumt und der Anblick „unserer Raben“ weckt, wenn sie über dem Hof kreisen, immer mal wieder eine gewisse Begehrlichkeit.
Als ich versuche, einen Raben zu „sehen“ (man kann nicht zeichnen, wovon man keine genaue Vorstellung hat) fällt mir Wilhelm Buschs Hans Huckebein ein, seine Vorliebe für Alkohol und sein unwürdiges Ende …

Zurück zum Bild eines beeindruckenden Rabenvogels!
Leider gelingt mir lediglich eine schwarze Friedenstaube mit großem Schnabel …

Zu meinem Selbst will mir zunächst so gar nichts einfallen, also schreibe ich einfach ein dünnes „Selbst“ auf das entsprechende Blatt.
Wie sich zeigt, habe ich trotz der „Funkstille“ alles richtig gemacht: Wir hätten den Namen oder ein Stichwort für den jeweiligen Anteil auf ein Blatt schreiben sollen, Zeichnungen werden normalerweise später angefertigt.
Die Blätter werden auf dem Fußboden ausgelegt: Auf dem „Selbst“ stehen wir, die Anteile liegen vor uns. Ganz kurz höre ich eine Stimme aus dem OFF, die das extrem albern findet.
In (oder eben auf) unserem Selbst können wir uns verankern: Sollte der Kontakt mit einem der Anteile schwierig werden, können wir zu uns selbst zurückkehren.
Ich stehe stabil, ganz leicht im Knie und erinnere mich an einen Ratschlag, den ich einmal gelesen habe: Stell dir vor, du hättest einen langen, muskulösen Schwanz, mit dem du dich zusätzlich auf dem Boden abstützen kannst.
Und mir wird klar: Ein Känguru!
Das Bild für mein Selbst ist ein Känguru. Und es trägt Boxhandschuhe.

Nun sind wir eingeladen, uns „auf“ den Anteil zu stellen, mit dem wir in Kontakt treten möchten.

Ich hatte mit T beginnen wollen, bekomme aber plötzlich solche Angst, dass ich es sinnvoller finde, mich zuerst auf die Eckenspinne zu stellen. Kaum dort angekommen, beginne ich zu weinen. Es ist ein Weinen, das ich von mir gar nicht kenne: Ich selbst verkrampfe mich dabei, ziehe die Schultern hoch, halte die Luft an – hier weint jemand ganz entspannt.
Und rät mir, einmal zu schauen, ob meine Höhenangst womöglich etwas damit zu tun hat, dass ich nicht „zu hoch hinaus wollen“ darf.

Nach einer Verschnaufpause bei mir selbst, versuche ich, Kontakt zu T aufzunehmen.
Im ersten Moment habe ich das Gefühl, mich übergeben zu müssen.
Dann: Nichts. Keine Reaktion.
Erst als ich zu meinem Selbst zurückkehre, spüre ich einen deutlichen Schub von hinten, als solle ich wieder zu T hin …
Das wird – wenn auch nicht jetzt sofort – mit Sicherheit passieren.
„Vielleicht“, schießt mir durch den Kopf, „freut sie sich für’s Erste einfach, dass ich ihr ein Bild gemalt habe.“.

Nun zu Aglaia.
Ich bekomme sofort heftige Schmerzen in der linken Körperhälfte. Vom Kopf bis zu den Füßen – sogar die Zähne tun weh. Ansonsten schweigt sie.
Der größte Teil der Anleitung zum Umgang mit meinen Anteilen, ist leider an mir vorbeigerauscht – da war was, aber ich erinnere mich nicht …
Nur daran, dass ich meinen Anteilen einen guten Wunsch senden kann.
Aglaia, von der ich glaube, dass mit ihr auch die bleierne Schwere einhergeht, die es mir manchmal unmöglich macht, mich auch nur im Bett aufzusetzen, wünsche ich, dass ihr Flug gelingen möge.

Versuch’s doch mal mit Yoga!

Dieser Text ist einer lieben Freundin gewidmet, der Yoga schon so oft empfohlen wurde, dass sich ihr Nackenfell bereits bei „Yo …“ zu sträuben beginnt.

„Versuch’s doch mal mit Yoga!“ kommt gleich nach „Ausdauersport ist gut gegen Depressionen!“ und „sorg mal ein bisschen für dich, sei nett zu dir selbst: wie wäre es mit einem schönen, duftenden Schaumbad?“ …
Ausdauersport, vulgo „Joggen“ – das habe ich bestimmt mal erzählt – ist bei mir schon daran gescheitert, dass ich beim Anziehen der Socken in ein Dimensionstor geraten bin: Eine halbe Stunde nach dem Entschluss, mich anzuziehen, war Socke Nummer eins immer noch nicht am Fuß. Das Schicksal von Socke Nummer zwei liegt bis heute im Dunklen …

Aber die Nummer mit dem Schaumbad hab ich ausprobiert!
Das volle Programm: Brühheißes Wasser, reichlich duftender Schaum, Kerzen auf dem Wannenrand, eine Handvoll auf Vorrat gedrehter Zigaretten (da hab ich noch geraucht), ein heiterer Roman (Bridget Jones – damals bin ich wirklich vor nichts zurückgeschreckt) und – aber echt nur ganz ausnahmsweise! – ein Fingerbreit Whisky (Sekt war aus).
Hat’s nicht gebracht.

In die Sonne, oder eben in die Badewanne gehen, Sport treiben etc. ist natürlich auch für solche Menschen gut, die zu Depressionen und Ängsten neigen. Mit der Betonung auf neigen: Während einer Depression kann es schon eine erhebliche sportliche Herausforderung sein, das Bett zu verlassen, sich anzuziehen und sich einigermaßen regelmäßig zu waschen. Und tatsächlich gibt es Formen der Depression, bei denen all das nicht hilft. Wirklich nicht. Überhaupt gar kein Bisschen. Trotzdem ständig dazu aufgefordert zu werden, womöglich mit vorwurfsvollem Unterton („wenn du das nicht machen willst, bist du ja schon irgendwie selbst schuld …“) macht es nicht besser.


Warum ich dennoch Yoga praktiziere

Vor einigen Jahren habe ich begonnen, mich mit dem Thema „Achtsamkeit“ bzw. „MBCT – Mindfulness Based Cognitive Therapy (achtsamkeitsbasierte Verhaltenstherapie) zu befassen, wozu ein allmorgendlicher Bodyscan gehörte.

Rückblickend denke ich, zumindest für den Bodyscan war es noch zu früh: Ich habe die lebhafte Reaktion meines Körpers auf meine Versuche, seiner gewahr zu sein, zwar zur Kenntnis genommen, konnte aber nichts damit anfangen.
Zur Unterstützung der Übungen wurde Yoga empfohlen, genau gesagt: bestimmte Yoga Übungen.

Als kurz darauf im Dorf ein Yoga-Kurs angeboten wurde, hab ich nicht lange gefackelt.
Nicht, weil ich das unbedingt gewollt hätte. Ich fand, das sei Kismet: Der maximal unwahrscheinliche Umstand, dass irgendwo im Nirgendwo just dann ein Yogakurs angeboten wurde, als ich darüber nachdachte, einen zu besuchen. Sowas verpflichtet …
Und das Universum war mit mir: Wie der Zufall es wollte – aber das ist mir erst sehr viel später klargeworden – wurden dort genau die Übungen unterrichtet, die ich brauchte.
Heute weiß ich, dass es sich bei dem, was ich gelernt habe und immer noch lerne, um traditionelles und sehr kleinschrittig aufgebautes Hatha-Yoga handelt, damals war mir das – ehrlich gesagt – vollkommen schnuppe, da hatte ich ganz andere Sorgen.

Den Hof zu verlassen um ganz allein unter lauter fremden Menschen, deren Sprache ich nicht beherrschte, an ganz egal was teilzunehmen, hat mir anfangs solche Angst eingejagt, dass ich mit nichts anderem beschäftigt war. Trotzdem war es nicht einfach Erleichterung, was ich empfunden habe, wenn ich das Training wieder einmal überstanden hatte, sondern ich habe mich leicht und fröhlich gefühlt. Irgendetwas hat Yoga bewirkt, soviel war klar.
Und irgendetwas ist auch passiert, wenn ich das Training – zum Beispiel während der Schulferien, wenn der Kurs nicht stattfand – „geschlabbert“ habe. Dann bin ich regelmäßig in die Depression abgerutscht.
Gleichwohl war nicht alles eitel Sonnenschein, nicht alle Erfahrungen leicht und fröhlich: Yoga kann alte Emotionen berühren und aktivieren, die wir zwar aus unserem Bewusstsein eliminiert haben, die der Körper aber dennoch in Erinnerung behält. Die Tränenausbrüche und Panikattacken, die das Training auf diese Weise auszulösen vermag, fühlen sich höchst gegenwärtig an – ganz egal, wie alt die Erinnerungen auch sein mögen.
Bei mir war es insbesondere eine bestimmte Übung, die aus just diesem Grunde bis heute die „tränenreiche Torsion“ heißt – auch wenn sie unterdessen zu meinen liebsten Routinen zählt.

Anfangs also war Yoga ein Mittel im Kampf gegen meine Angst, später dann gegen die Depression. Als ich zunehmend unter Schmerzen zu leiden begann, habe ich die Übungen genutzt, um diese ertragen zu lernen: Selbst wenn es mir die Tränen in die Augen getrieben hat – es war immer noch möglich, zu atmen und mich zu entspannen, es gab immer noch etwas jenseits der Schmerzen.
Mittlerweile sind die Übungen fester Bestandteil meines Alltags und seit ich die passenden Medikamente bekomme, mache ich tatsächlich auch Fortschritte.

Mit den anmutigen Flows, die ich – zugegeben – hin und wieder selbst gerne bei Youtube bestaune, hat mein Tun dennoch nicht mehr gemeinsam, als dass beides auf einer Matte stattfindet.
Die Arbeit – die weise Yogini spricht tatsächlich von travail – findet in der Haupsache im Körper statt, mit viel hinein atmen, sich Millimeter für Millimeter in eine Haltung hinein entspannen, in sich hinein fühlen. Wenn die angestrebte posture dabei zunächst nur angedeutet wird, ist auch das in Ordnung und falls selbst das nicht möglich sein sollte, kann die Übung immer noch mental ausgeführt werden.
Gelegentlich ist mir schon der Verdacht gekommen, dass das der Grund ist, warum beim Training die Augen geschlossen werden: Damit ich nicht sehen muss, dass die Kniekehlen meiner gefühlt durchgestreckten Beine immer noch eine Handbreit vom Boden entfernt sind …
Andererseits schaffe ich es mittlerweile, Positionen zu halten, aus denen ich anfangs wie ein nasser Sack herausgeplumpst bin.

Als ich nun erfahre, dass Hatha-Yoga insbesondere in der Trauma-Therapie empfohlen wird, bitte ich die weise Yogini, mich bei meinen Bemühungen diesbezüglich zu unterstützen.
Außerdem hat mich dann doch ein gewisser Ehrgeiz gepackt: Ich hab versucht, mir selbst ein paar weitere Asanas beizubringen und möchte, dass sie draufschaut, ob ich alles richtig mache.

Ihr Gesichtsausdruck, als ich erzähle, dass ich Youtube-Videos anschaue, um mehr über Yoga zu lernen, ist schwer zu deuten, entspannt sich aber, bilde ich mir ein, als ich versichere, die Flows wirklich nur anzugucken
Sie hört sich geduldig an, was ich an Anregungen im Internet und in meinem dicken Yoga-Buch gefunden habe und lässt mich mehr als einmal wissen „Wenn du das Prinzip verstanden hast, kannst du das so machen! Dann kannst du alles so machen, wie du möchtest!“ …
Dann fragt sie, wo genau ich eigentlich die meisten Schmerzen habe und bittet mich, ihr zwei ganz unspektakuläre Übungen, die zu den absoluten Basics gehören, einmal vorzuführen.
Was es bedeutet, Wirbel für Wirbel abzurollen, habe ich schon im Schulsport gelernt – heute lerne ich, wie es ist, wenn jemand guckt, ob wirklich jeder einzelne Wirbel tut, was er soll …
Und siehe da: Das sind nicht nur die Stellen, die wehtun, sondern auch die, die ich beim Bodyscan nicht erreichen kann. Die Platte an der Stelle, wo mein Dekolletee sein sollte zum Beispiel.
Da rollt genau gar nix …

Während ich mich mit vor Anstrengung zitternden Muskeln bemühe, meine Rückenwirbel durchzuzählen, lösen sich meine Ambitionen, grazile Asanas einzunehmen, dezent in Luft auf: Ich möchte, dass die weise Yogini nach und nach alles, was ich bereits zu können geglaubt habe, noch einmal genau in Augenschein nimmt.

Der Moment der Wahrheit kommt, als sie mich fragt, ob ich auch Pranayama, die Atemübungen, praktiziere.
Ähm … ja … also … theoretisch schon! Ich nehme mir täglich vor, sie regelmäßig zu üben! Also: Ab morgen …
Tatsache ist: Ich hab enorme innere Widerstände!
Was die weise Yogini nicht überrascht: Traumata manifestieren sich im Körper und können daher die Atemübungen extrem erschweren.
Aber, sagt sie: Ohne Pranayama ist es kein Yoga!
Wir einigen uns darauf, dass ich in winzig kleinen Schritten noch einmal ganz von vorn beginnen werde.
Ich komme dieser Verpflichtung nach, weil ich weiß, sie wird fragen beim nächsten Mal … aber rechte Begeisterung will sich nicht einstellen. Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass es „Übung“ heißt, weil man es üben soll – nicht weil man es gleich kann.

Außerdem, bringt sie mir schonend bei, sind auch Asanas und Pranayama lediglich ein kleiner Teil dessen, was Yoga umfasst. Ich bin fasziniert – auch und vor allem, weil sie zu leben scheint, wovon sie da erzählt – und mag mehr darüber lernen.
Ganz gleich, wie weit ich auf diesem Weg kommen mag: Ich bin sicher, ich gehe in die richtige Richtung!

Also doch „versuch’s mal mit Yoga!“?

Ich muss zugeben, dass ich an diesem Punkt wirklich an mich halten muss!
Mittlerweile nutze ich Yoga weniger, um Schmerzen ertragen zu lernen, sondern um sie zu lindern. Ich kann beginnende Depressionen einfangen, mich selbst zur Ruhe bringen und beginne, mich in meinem Körper mehr und mehr zu Hause zu fühlen.
Natürlich gönne und wünsche ich das auch anderen!

Ich glaube außerdem fest, dass, wer bereits über eine gewisse Routine verfügt, es schafft, sich zur Not vom Sofa auf die Matte plumpsen zu lassen, um da wenigstens den „toten Mann“ zu machen. Wenn’s gut läuft vielleicht auch noch ein, zwei andere Übungen, bei denen man bloß daliegt und atmet. Und ja: Schon das hilft!

Ich muss allerdings auch einräumen, dass ich erst einmal für geraume Zeit eine Art Eremitinnen-Dasein führen musste, bevor an „Yoga-Kurs“ überhaupt zu denken war.
Und ja: Ich hab ein Riesenglück gehabt, genau diesen Kurs bei genau dieser Lehrerin zu finden! Trotzdem musste ich mehrere Jahre daran teilnehmen, bevor ich die Wirkung so recht genießen konnte.

Jahaha, es fällt mir schwer! Es fällt mir schwer, weil ich ja helfen will!
Aber Tatsache ist, dass ich nicht nur den richtigen Yoga-Kurs gebraucht habe, nicht nur die richtige Yoga-Lehrerin, sondern auch den richtigen Moment. Den Moment, in welchem ich bereit war!

Diesen Moment kann ich jedem anderen Menschen nur wünschen!
Verordnen kann ich ihn nicht …

Psychische Phänomene verstehen mit Douglas Adams: Dissoziation

Douglas Adams (* 11. März 1952, † 11. Mai 2001) hat der Nachwelt neben etlichen wunderbaren Zitaten, wie zum Beispiel Es gibt eine Theorie, die besagt, wenn jemals irgendwer genau herausfindet, wozu das Universum da ist und warum es da ist, dann verschwindet es auf der Stelle und wird durch etwas noch Bizarreres und Unbegreiflicheres ersetzt. – Es gibt eine andere Theorie, nach der das schon passiert ist.“ mit „42“ auch die finale Antwort auf alle – ja wirklich alle! – Fragen hinterlassen.

Einer meiner persönlichen Favoriten ist, wie kürzlich erwähnt, das PAL:
„Das PAL-Feld (Problem-anderer-Leute-Feld, engl. Somebody Else’s Problem (SEP)-field) dient zur Tarnung von Raumschiffen oder Ähnlichem. Es ist viel einfacher und wirkungsvoller als ein normales Unsichtbarkeitsfeld (und kann obendrein über hundert Jahre lang mit einer einfachen Taschenlampen-Batterie betrieben werden).
Seine Funktion beruht auf der angeborenen Neigung der Leute, nicht zu sehen, was sie nicht sehen wollen, nicht erwartet haben oder nicht erklären können. Sie erklären es einfach zum Problem anderer Leute und nehmen es deshalb schlicht nicht wahr.“
(Quelle: Wikipedia)

Was das mit Aglaia und mir zu tun hat?
Traumata, habe ich gelernt (und mich sehr zu begreifen bemüht) gehen mit einem Phänomen namens Dissoziation einher. Dissoziation ist das Gegenteil von Assoziation. Assoziation verknüpft Dinge miteinander, Dissoziation trennt sie. In traumatischen Situationen werden Emotionen, die das Individuum zu überwältigen drohen, abgespalten, um das Überleben zu gewährleisten. Die betreffenden Emotionen verschwinden zwar nicht, werden aber nicht mehr wahrgenommen, sind nicht mehr erreichbar.
So weit, so klar.

Nur ging es mir mit meinen Erkenntnissen zur Dissoziation genau wie mit denen aus dem Mathematik-Nachhilfeunterricht in der Oberstufe: Soeben erklärt, erschien noch alles logisch und einen Moment später … PUFF! … weg …
Ganz ähnlich verhielt es sich mit der Lektüre bezüglich schwarzer Pädagogik (mehr dazu hier) – es war, als würde mein Gehirn höflich, aber entschieden „nein, danke!“ sagen …

„Danke, wir sterben nicht!“ – das ist jetzt, sofern ich mich recht erinnere, nicht aus „Hitchhiker’s guide to galaxy“, sondern aus „Kentucky fried movie“ oder von Monty Python …
Aber danke: Ich dissoziiere nicht!
Und wenn es noch so naheliegend ist, wenn noch so viele Indizien dafür sprechen: Ich fühl das nicht! Für mein Empfinden empfinde ich vollkommen normal.

Andererseits weiß ich das schon seit vielen Jahren: Lange bevor von Depression auch nur die Rede war, habe ich in einer sehr belastenden Situation festgestellt „In mir ist so viel Weinen – wenn ich damit einmal anfange, kann ich nie wieder aufhören.“.
Und trotz all meiner Bemühungen hat dieses ganze Weinen sich einen Weg gesucht, mich immer wieder unverhofft von der Seite angesprungen (Heulsuse). Irgendwann hab ich sogar dann zu weinen begonnen, wenn ich eigentlich gelacht hab.

Dann sind da diese Kindheitserinnerungen, die neuerdings ganz plötzlich hochpoppen.
Nichts, was tatsächlich gänzlich neu wäre … ich kenn die alle.
Aber zum ersten Mal fällt mir auf, dass keine Emotion damit verbunden ist. Ich sehe dieses Kind und denke mir „Oje, dieses Kind muss völlig überfordert gewesen sein! Bestimmt hat es Angst gehabt, hat sich alleingelassen gefühlt! Vielleicht war es auch wütend …“
Fühlen kann ich nichts davon – vermutlich würde ich angesichts eines fremden Kindes in ähnlicher Situation mehr (Mit)gefühl aufbringen …

Ich habe keine Ahnung, wann genau ich „per Anhalter durch die Galaxis“ zum ersten Mal gelesen habe – es dürfte eher 40 als 30 Jahre her sein. Seitdem begleiten mich vogonische Dichtkunst, Raumschiffe, die am Himmel hängen, wie Ziegelsteine es nicht tun, sowie pangalaktische Donnergurgler.
Das mag der Grund sein, warum ein PAL-Feld, unter welchem die Emotionen meiner Kindheit vor mir verborgen liegen, für mich (be)greifbarer ist, als ein psychologisches Phänomen und sei es noch so gut dokumentiert.

Und das ist okay so.

Montagsmodell IV: Nix Neues. Oder?

„Warum schreibst du darüber, als wäre es etwas ganz Neues für dich? Du bist doch schon seit Jahren chronisch krank …“
Hätte ich meinen Text zu Papier gebracht, wäre das jetzt der Moment, mit einer Hand die Blätter zusammenzuknüllen … Stimmt! Warum eigentlich?
Seit fast 20 Jahren lebe ich mit einer rezidivierenden (sprich: chronischen) Depression, da sollte man annehmen, ich sei (sofern das überhaupt möglich ist) daran gewöhnt. Und tatsächlich habe ich im ersten Moment selber gedacht, das, was ich jetzt erlebe, sei einfach eine Variante dessen, was ich bereits kenne und ich könne es problemlos in die Ablage „chronische Erkrankungen – Komma – akzeptierte“ verräumen. „Kenn‘ ich!“, hab ich gedacht und damit nichts anderes getan, als all die Menschen, die hin und wieder traurig und niedergeschlagen sind und deswegen glauben, sich gut vorstellen zu können, wie es ist, an Depressionen zu leiden.
Meine Vorstellung vom Leben mit einer chronischen Erkrankung des Körpers war dann auch ungefähr so realistisch, als würde ich über das Sterben nachdenken und dabei Winnetou, Mr. Spock und Dr. Schiwago vor Augen haben.
Zum Beispiel hatte ich ganz selbstverständlich angenommen, dass am Anfang eine Diagnose steht (und mich selbst mit der Feststellung, dass ich mich irgendwann einmal mit Borreliose infiziert habe, fälschlicherweise bereits am Ziel gewähnt). Dass es Menschen gibt, die eine ganze Odyssee hinter sich bringen müssen, bis es soweit ist, hatte ich zwar schon gehört, aber das war etwas, das anderen passiert. Für mich selbst habe ich das nie in Betracht gezogen. Diagnose also und dann Behandlung.
An der Stelle muss ich einräumen, dass ich, was meine psychische Erkrankung betraf, zu den Glückskindern gezählt habe, denen man mit einem milden Antidepressivum wieder auf die Beine helfen konnte. Und ich hatte eine Therapeutin, die mir über Jahre hinweg geholfen hat, mit meiner Erkrankung, wenn sie schon nicht zu überwinden war, doch wenigstens zurechtzukommen.
Eigentlich hätte ich jetzt sehr gerne meine Therapeutin zurück, damit sie mir hilft, damit klarzukommen, dass es bislang keine abschließende Diagnose gibt. Und deswegen auch nur „Versuche“, was die Behandlung betrifft.
Gleich darauf schäme ich mich, weil es ja Menschen gibt, bei denen jahrelang niemand weiß, was sie leiden macht. Und ich heul schon nach ein paar Monaten rum …

IMG_14069-webDarüber, dass Depressionen wenigstens nicht weh tun, hab ich ja schon mehr als einmal herumgeblödelt – jetzt stelle ich fest, wie zermürbend anhaltende Schmerzen wirken, auch wenn sie gar nicht einmal besonders heftig sind. Ich finde keinen Weg, für mich zu sorgen.
In ganz schlimmen depressiven Phasen, habe ich mit Müh und Not den Weg vom Bett bis zum Sofa geschafft. Da lag ich dann und habe ferngesehen. Ich wusste sehr genau, wann auf welchem Sender welche Zoosendung läuft, Lücken ließen sich zur Not mit „Unsere kleine Farm“ überbrücken, dann gab es Vorabendserien und in der Nacht Pathologenkrimis. Die halbe Zeit habe ich sowieso gedöst, oder bin in einem „Zeitloch“ versunken: Man sitzt oder liegt einfach da, denkt und tut nichts und plötzlich ist der Tag vorbei. Depression ist dumpf. Man kann zwar nichts tun, leidet darunter aber nicht allzu sehr, weil man sowieso nichts tun will. Es fällt einem gar nicht erst etwas ein, was man wollen könnte.
Gegen Ängste lassen sich Strategien finden: Vor dem Kino warten zum Beispiel, während jemand anders die Karten besorgt. Sich einen Platz gleich am Gang freihalten lassen, damit man wieder nach draußen kann, falls man es doch nicht aushält. Und dann reingehen, wenn das Gedränge vorbei ist. Und wenn trotzdem alles zuviel ist, lässt man es halt! Das ist dann doof. Enttäuschend. Frustrierend. Aber die Angst ist weg.
Jetzt hilft kein Rückzug, kein Vermeiden. Wenn ich mich im Bett verkrieche und mir die Decke über den Kopf ziehe, tut es trotzdem weh. Der Tag vergeht in normaler Geschwindigkeit. Und ich will ja was! Ich hab Ideen, was ich tun möchte und dann kann ich nicht.

Was sehr vertraut ist, die Lage aber keineswegs verbessert, ist die Angst, nicht ernst genommen zu werden. Mich selbst doch wieder zu fragen, ob es wohl sein könne, dass ich mich anstelle.

Neulich hab ich es tatsächlich noch einmal getan. Als ich zum Yoga wollte, von dem ich ja weiß, dass es zu den wenigen Dingen gehört, die helfen, und feststellen musste, dass ich den Weg vom Haus zum Auto nicht schaffe. Erst hab ich vor Verzweiflung Rotz und Wasser geheult, dann bin ich auf die Suche nach Trost gegangen. Es gibt zwar keinen Fernseher mehr, vor dem ich liegen könnte, aber in der Mediathek findet man Zoosendungen …

Das Yoga Projekt V

Wagnis Workshop

Wer sich erinnert, mit welchen Ängsten und Nöten ich vor knapp zwei Jahren zu meiner ersten Yogastunde aufgebrochen bin, kann vielleicht ermessen, was für ein Abenteuer ein ganzes Yoga-Seminar war.
Fünf Tage lang, jeweils vier Stunden, in französischer Sprache.

Okay, es fand an vertrautem Ort und mit der vertrauten Trainerin statt, aber natürlich mit sehr viel mehr TeilnehmerInnen als der normale Kurs. Ich kann nicht gut mit vielen Menschen in einem Raum sein. Das fällt mir manchmal schon mit solchen Menschen schwer, die ich kenne, und hier war klar, dass die meisten mir fremd sein würden. Sein und wohl auch bleiben: Mein Französisch ist mittlerweile zwar gut genug, um Nathalies Anweisungen zu folgen (bzw. nachzufragen, wenn ich nicht mehr folgen kann), aber für die Sorte Smalltalk, die hier von Nöten wäre, um rasch ein paar Worte von Yogamatte zu Yogamatte zu wechseln, reicht es nicht ansatzweise. Zumal ich dazu auch in meiner Muttersprache nicht recht in der Lage bin – Smalltalk ist mir ein Greuel.

Vier Stunden sind verdammt lang. An schlechten Tagen fällt es mir ja schon schwer, die normale Kursdauer von 90 Minuten durchzuhalten.

Und dann fängt das auch noch um neun Uhr morgens an! Da bin ich normalerweise noch schwer mit der Frage beschäftigt, ob es wohl möglich sei, mich im Bett aufzusetzen! Last not least: Wenn ich etwas Anstrengendes oder Aufregendes erlebt habe, muss ich, auch wenn es etwas Schönes war, damit rechnen, am nächsten Tag auf der Nase zu liegen. Wie ich fünf Tage am Stück durchhalten soll, ist mir ein Rätsel. Und nein: Ich habe keine Ahnung, welcher Teufel mich geritten hat, mich dafür anzumelden!

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Am ersten Tag bin ich so frühzeitig da, dass ich sicher sein kann, meine Matte am gewohnten Platz auszurollen. Das kann man albern finden, aber mir gibt es Sicherheit: Hier kann ich Nathalie gut sehen und hören, bin aber nicht so dichtauf, dass es aufdringlich wirken könnte. Ich bin relativ nah an der Tür und vor allen Dingen habe ich eine Wand im Rücken! Die halbe Stunde bis zum Kursbeginn wird anschließend allerdings lang und immer länger: Immer mehr Leute kommen in den Raum, begrüßen einander, gehen umher, suchen sich einen Platz … Das ist alles viel zu viel! Ich lege mich mit geschlossenen Augen auf meine Matte und gebe mir alle Mühe, meine Umgebung auszublenden.

Das Training selbst klappt prima. Jedenfalls bis zu dem Moment, als wir uns zu Paaren zusammentun sollen: Ich liege genau in der Mitte der Reihe mit der ungeraden TeilnehmerInnenzahl und „bleibe übrig“. Vielleicht war ich auch einfach zu defensiv. Jedenfalls liegt es nicht daran, dass niemand mit mir üben will – daran bemühe ich mich, ganz fest zu denken. Außerdem bleibe ich nicht allein: Nathalies Co-Trainerin gesellt sich zu mir und ich soll in Fetus-Haltung gegen ihre Hände atmen. Kein Problem – diese Art körperlicher Nähe bin ich vom Tanzen gewohnt und sie macht mir nichts aus. Allerdings haben wir so ein bisschen später angefangen als die anderen und während ich mit der Stirn auf dem Boden auf den Knien liege und jemand hinter mir hockt, die Hände auf meinem Rücken, entsteht im Raum plötzlich Unruhe, Bewegung, Gespräche werden begonnen. Und ich kauere auf dem Boden. Ich seh nicht, was um mich herum, ja, über mir passiert! Das ist zu viel! Ich fahre hoch, schnappe nach Luft, die Tränen kommen. Immerhin gelingt es mir, meiner bestürzten Trainingspartnerin – auf Französisch! – zu sagen, dass ich eine Panikattacke habe. Sie reagiert gelassen und kurz darauf üben wir auch schon weiter. Später wird Nathalie erklären, dass es ganz normal ist, wenn beim Yoga Emotionen „hochkommen“: Trauer, Wut, Heiterkeit, Angst. Das hilft mir, meine Reaktion weniger peinlich zu finden.
Im Großen und Ganzen bin ich zufrieden mit meinem ersten Tag. Und verschlafe den kompletten Nachmittag.

Ein Teil der Übungen wird täglich wiederholt: Die Demi-Pont zum Beispiel, bei der ich mich fast umbringe, weil mir schlicht die Kraft fehlt. Alle anderen, Senioren und Übergewichtige inklusive, so kommt es mir jedenfalls vor, halten die ganz problemlos. Nur ich renne auf den letzten Reserven, um, nachdem ich gerade erst den Rücken durchgebogen habe, wenigstens Wirbel für Wirbel wieder abzurollen und nicht einfach wie ein nasser Sack auf meine Matte zu klatschen.
Und ausgerechnet diejenige Torsion, die mir, als ich sie vor einiger Zeit zum ersten Mal versucht habe, zu einer Panikattacke verholfen hat … Das wiederholt sich glücklicherweise nicht, aber ein paar Tränchen fließen schon. Ich beschließe, sie fürderhin die „tränenreiche Torsion“ zu nennen.
Als für eine weitere Übung erneut Paare gebildet werden sollen, gelingt mir dieses Kunststück. Und dann gleich noch eines: es handelt sich um eine isolierte Bewegung des Brustkorbes, die durchaus tricky, nach zehn Jahren orientalischen Tanzes aber echt kein Problem ist. Ich bin total stolz auf mich!
Ich fühle mich wohl. Muss nicht mehr alles um mich herum ausblenden, sondern kann die Atmosphäre wahrnehmen: Sie ist entspannt und freundlich.

Am dritten Tag bin ich soweit „angekommen“, dass ich mich in der Pause ins Foyer wage.
Bisher habe ich das vermieden: Es ist zu eng, zu laut und ich habe Angst, dass jemand in bester Absicht ein Gespräch mit mir zu beginnen versucht.
Es wird Tee gereicht. Ich vermute, dass er gratis ist, aber mir ist nicht klar, ob man sich einfach welchen nehmen darf, oder darum bitten muss. Mit ein bisschen Nachdenken reicht mein Französisch, um die entsprechende Frage zu formulieren, aber es würde sehr gestelzt klingen, fürchte ich, und das ist mir unangenehm. Außerdem laufe ich in solchen Momenten immer Gefahr, dass es mir zwar gelingt, eine Frage zu stellen, ich die Antwort aber nicht verstehe.
Und prompt passiert es! Eine Frau mit einem Becher Tee in der Hand schaut mich an und fragt etwas.
Pardon?“
Sie wiederholt die Frage. Ich verstehe kein Wort.
Nachdem ich zwei Stunden lang französischen Anleitungen gefolgt bin, kann ich mich kaum noch konzentrieren. Und: Wenn man weiß, worüber gesprochen wird, kann man Gesprächen in einer Fremdsprache relativ gut folgen. Wenn man aber erst einmal herausfinden muss, was überhaupt das Thema ist, verliert man ratzfatz den Anschluss …
Sie scheint ihren Becher zu heben und vor meinem inneren Auge sehe ich mich erfreut danach greifen, während sie mich lediglich gefragt hat, ob ich wisse, wie spät es ist. Wie peinlich wäre das? Ich bin völlig überfordert.
Tu?“ … Pause … „Vouloir?“ … Pause … „Thé?“
Ob ich Tee möchte! „Du wollen Tee?“ um genau zu sein. Ich lache los. Und komme mir weit weniger blöd vor, als ich befürchtet hätte.
Es wird mir noch häufiger passieren, dass ich im ersten Anlauf nicht verstehe, was jemand zu mir sagt, aber alle sind sehr geduldig, sprechen langsam und deutlich, wiederholen das Gesagte und werden dabei – ganz anders, als man es zum Beispiel den Deutschen nachsagt – auch nicht lauter.
Ich fange an, mich nicht mehr nur als Beobachterin eines netten Seminares zu fühlen, sondern tatsächlich als Teilnehmerin.
Körperlich beginnt die Teilnahme, mir ein wenig schwer zu fallen: Ich habe Schmerzen und bin deutlich steifer als zu Beginn. Meine Laune lasse ich mir davon allerdings nicht vermiesen.

Einen Tag später werden die Schmerzen heftig. Nicht, weil ich Muskelkater hätte, oder die Übungen übertreiben würde … es tut einfach ständig irgendwo etwas weh. Als ich bei der Kerze, die ich bislang immer als sehr angenehm empfunden habe, einen solchen Druck auf dem Brustbein verspüre, dass ich kaum noch atmen kann, bekomme ich einen denkwürdigen Rat: „Dann atme in den Rücken!“. Und tatsächlich: Da ist Platz!
In der Pause breche ich dennoch vollends ein, mir wird schwindelig und ich fühle mich außerordentlich unwohl. Abbrechen möchte ich trotzdem nicht. In der zweiten Hälfte liegt der Schwerpunkt auf Atemübungen – die macht man im Sitzen, dabei werd ich schon nicht umkippen.
Und tatsächlich halte ich – wenn auch mit vielen Pausen – bis zum Ende durch.
Das mag klingen, als würde ich mir zu viel zumuten und vielleicht ist das auch tatsächlich so. Aber Tatsache ist, dass ich immer Schmerzen habe. Auch dann, wenn ich nur versuche, mich mit der linken Hand am rechten Oberarm zu kratzen. Oder flach im Bett liege. Mir wird auch dann schwindelig, wenn ich auf einem Stuhl sitze und mir eigentlich gerade ein Brot schmieren will.
Beim Yoga zu üben, nicht trotz dieser Beschwerden weiterzumachen, sondern mit ihnen; zu erfahren, dass ich atmen und mich entspannen kann und nichts Schlimmes passiert, auch wenn der Schmerz da ist, scheint mir durchaus vernünftig zu sein.

Aber mit 5 Tagen habe ich mich ganz offensichtlich übernommen.
Am letzten Tag weine ich bei der tränenreichen Torsion vor Schmerzen und das, obwohl ich sie nur ansatzweise ausführe. Ich beschließe, mich noch vorsichtiger zu bewegen, als ich das sowieso schon tue. Bei der anschließenden Vorwärtsbeuge im Sitzen, bei der meine Mattennachbarin bäuchlings und augenscheinlich völlig entspannt auf ihren ausgestreckten Beinen liegt, halte ich sofort inne, als mir der Schmerz in den Rücken schießt. Und muss feststellen, dass ich immer noch aufrecht sitze. Ich habe nicht einmal angefangen! Mir schießen die Tränen in die Augen, aber diesmal nicht, weil es wehtut.

Ich gehe nach draußen und heule Rotz und Wasser.
Es ist so unfassbar ungerecht! Ich war so stolz, dass ich mich trotz aller Hürden zu diesem Seminar getraut habe. Es hat mich eine Menge Mut und Überwindung gekostet, aber ich habe es hingekriegt. Nein, ich habe es nicht nur hingekriegt, es hat Spaß gemacht! Und jetzt macht mein Körper mir einen Strich durch die Rechnung! Als ob ich es, verdammt nochmal, nicht auch so schon schwer genug hätte!
Und in diesem Moment wird mir klar, dass ich einen Fehler gemacht habe.
Ich hatte sehr viel Zeit, zu der Erkenntnis zu gelangen, dass meine Depressionen nicht heilbar sind. Und hab dann noch mehr Zeit gebraucht, diesen Umstand auch zu akzeptieren – soweit mir das halt möglich war. Ich lebe mit meiner Erkrankung und das gar nicht mal so schlecht.
Okay, das mit der Makula-Degeneration war jetzt nicht sooo eine gute Nachricht, aber bislang komme ich ganz gut damit zurecht.
„Was soll sein?“, hab ich mir also gedacht, als mit der Borreliose noch eine weitere Erkrankung hinzukam, „Wenn ich sowieso schon dabei bin, nehm‘ ich die in einem Aufwasch mit an!“.
Es war eine ungeheure Erleichterung, eine Diagnose zu haben, aber nachdem es derzeit nicht so aussieht, als sei mit einer kurz- oder auch nur mittelfristigen Linderung der Symptome zu rechnen, muss ich mich mit ganz neuen Beeinträchtigungen arrangieren.
Und dafür sollte und darf ich mir Zeit nehmen. Dazusitzen und zu heulen gehört da durchaus dazu. Das ist okay.

Drinnen kommt Unruhe auf. Vermutlich beginnt die Pause und auf keinen Fall möchte ich weinend vor der Tür angetroffen werden. Nicht einmal auf Deutsch könnte ich in zwei, drei Sätzen erklären, was mit mir los ist – auf Französisch: keine Chance. Besser, ich mogele mich unauffällig in den Raum zurück! Dort jedoch werden soeben wieder Paare gebildet und ich ergreife umgehend die Flucht. Jetzt bloß kein Kontakt zu anderen Menschen! Draußen allerdings packt mich die Wut: Das ist ü!ber!haupt! nicht! einzusehen! Das ist nur Yoga! Ich gehe da jetzt rein, setze mich auf meine Matte, atme und gucke zu!

Kaum habe ich den Raum betreten, spricht meine Mattennachbarin, die ich bisher als äußerst reserviert erlebt habe, mich sehr freundlich an: Gerne könne ich mich ihr und ihrer Trainingspartnerin anschließen! Ich versuche, zu erklären, dass es ganz okay für mich sei, einfach eine Pause zu machen. Aber, nee, gar kein Problem, ich könne ja erst einmal zugucken und dann entscheiden, ob ich es auch versuchen will. Ich wär schon froh, wenn ich die „sitzen – atmen – nicht gleich wieder losheulen – Kombi“ hinkriegen würde, aber diese Zugewandtheit macht mich ganz wehrlos. Ich will nicht rumzicken. Und gucken kann ich ja mal …

Sie leitet die Übung sehr kundig an (später erfahre ich, dass sie selbst Trainerin ist) und ihre Partnerin, die sich augenscheinlich auch nicht völlig problemlos bewegen kann, nimmt die Sache souverän und mit Humor. Ich stimme in ihr Lachen ein. Okay … das traue ich mich auch.
Und die Macht des Yoga ist mit mir: Das kann ich auch! Es ziept ein bisschen, aber es tut nicht weh!

Meine Mattennachbarin kann unmöglich ermessen, was für einen riesigen Gefallen sie mir da getan hat: Sie hat mich in das Seminar zurückgeholt. Dafür bin ich ihr aufrichtig dankbar.
Ich bin aber auch hochzufrieden mit mir selbst.

* Und ich lasse diesen Satz jetzt stehen, auch wenn es schwerfällt! *

Weil ich mal losgelassen habe. Aufgegeben. Hemmungslos geweint. Mir verziehen, dass ich meinen Ansprüchen an mich selbst nicht gerecht werde.
Natürlich auch, weil ich mich getraut habe, anschließend weiterzumachen. Hilfe anzunehmen.

In der Pause muss ich wieder einmal nachfragen, als ich angesprochen werde.
Ob ich einen Keks möchte.
Möchte ich! Den hab ich mir verdient!

Montagsmodell III: „Z“ wie Zauberwort

Das ist ein ganz seltsamer Moment, wenn man plötzlich in den Stand eines Menschen erhoben wird, der an einer „richtigen“ Erkrankung leidet.
Gerade eben hat man noch zu denjenigen gehört, die regelmäßig ihrem Arzt mit unerklärlichen Symptomen auf die Nerven gehen und die auf die Frage „Wie geht’s dir so?“ entweder lügen, oder sich auf längere Gespräche des Inhaltes, ob sie denn dieses schon in Betracht gezogen und jenes schon probiert hätten, gefasst machen müssen.
„Was sagt denn dein Arzt?“
„Der meint, das sei psychosomatisch.“
„Ja … nee … der muss doch … da musst du doch …!“
Gar nix muss der. Ich kann meinen Arzt nicht zwingen, sich für mich in eine Ein-Mann-Forschungsstation zu verwandeln. Zumal ich meine Symptome selber ziemlich merkwürdig finde – ich kann ja nicht einmal lokalisieren, wo ich nun eigentlich Schmerzen habe.
Und dass ein Arzt angesichts eines Menschen, für den es eine Diagnose klipp und klar gibt, nämlich die, dass er psychisch krank ist, irgendwie auf den Gedanken verfällt, dessen Beschwerden könnten daher rühren, kann man ihm auch nicht wirklich vorwerfen.
Und ich muss auch nix. Ich mag auch nicht mehr. Schon wenn ich mir selber zuhöre, wie ich das Sammelsurium meiner Symptome zu schildern versuche, komme ich mir blöd vor – vor einem Arzt tu ich mir das nur an, wenn es gar nicht mehr auszuhalten ist.
Und dann sag ich „Also ich habe seit Monaten solche Schmerzen, dass ich mich kaum noch bewegen kann.“ und frage mich, ob er sich fragt, warum ich – wenn es doch angeblich so schlimm ist – monatelang gezögert habe, ihn aufzusuchen …

Und von jetzt auf gleich gibt es ein Zauberwort, das alles erklärt. Plötzlich passen die Puzzleteilchen zusammen. Keine Rede mehr von Angst oder Depression, ich hab eine richtig handfeste Erkrankung von der Sorte, die man am Blutbild ablesen kann.
Ich würde nicht soweit gehen wollen, von Triumph zu sprechen, aber so ein kleines „Ich hab’s euch doch gesagt!“-Gefühl meldet sich schon. Und eine sehr sehr große Erleichterung.

IMG_15126-webIn meinem Fall lautet das Zauberwort „Borreliose“.
Es ist eine alte Infektion, die nicht behandelt wurde, weil ich sie gar nicht bemerkt hatte. Ich habe bei Zeckenbissen immer sorgsam auf eventuelle Rötungen und anschließende fiebrige Infekte geachtet – dass diese zwar auf eine Infektion hinweisen, ihr Fehlen jedoch nicht garantiert, dass keine stattgefunden hat, habe ich nicht gewusst.
Und bislang gibt es in Südfrankreich so gut wie keine Fälle von Borreliose, deswegen hat auch sonst lange niemand daran gedacht.
Ob sie sich heilen lässt oder einen chronischen Verlauf nehmen wird, kann niemand sagen. Aber so oder so kann man sie behandeln!

Und – und das erscheint mir momentan noch viel gewichtiger – ich werde mich nie wieder fragen müssen, ob ich mich nicht vielleicht doch nur anstelle. Ob ich nicht doch einfach undiszipliniert und faul bin. Mir Schmerzen einbilde, um mich vor dem Leben zu drücken.
Nie! Wieder!

Jetzt erst wird mir klar, wie sehr diese Ungewissheit mich belastet hat: Noch bevor die Behandlung überhaupt begonnen hat, finde ich die Schmerzen sehr viel besser auszuhalten und das, obwohl ich die Schmerzmittel drastisch reduziert habe. Ich schaffe es, morgens aufzustehen – ein Unterfangen, das ich gerade dabei war, aufzugeben: Die ganze Kämpferei schien mir allmählich sinnlos.

Seltsam, nicht wahr? Dass man sich über eine – let’s face it! – ziemlich unangenehme und langwierige Erkrankung so freuen kann. Gut möglich, dass ich das im Laufe der Zeit auch wieder anders sehen werde. Für den Moment sehe ich einen Weg, der sich plötzlich vor mir öffnet. Und bin einfach froh darüber.

Hilft Hanf?

„Hundemenschen …“, denke ich, als ich beginne, mich mit dem Thema CBD-Öl zu beschäftigen. Gehört hatte ich schon davon, aber den Ausschlag hat ein Post in einem Hundeforum gegeben, wo eine Halterin begeistert schreibt, sie habe es am Silvesterabend erfolgreich gegen die Angst ihres Hundes eingesetzt. Sie selbst nehme es auch, um die Symptome ihrer multiplen Sklerose zu lindern. Das erwähnt sie nur am Rande. Aber ist das nicht klasse? Es hilft Hunden!
Hundemenschen halt …

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Cannabidiol gehört zu den Wirkstoffen der Cannabispflanze (sogenannte Cannabinoide), erzeugt jedoch keinen Rausch – dafür ist Tetrahydrocannabinol (kurz: THC) zuständig, welches in CBD-Öl jedoch nur in Spuren enthalten ist. Beide docken an Rezeptoren im menschlichen Körper an, die sich unter anderem im zentralen Nervensystem, im Nervensystem des Darmes und im Immunsystem befinden, und haben so zum Beispiel Einfluss auf das Schmerzempfinden, aber auch auf Depressionen und Ängste.
Mein Ehrgeiz, wirklich zu verstehen, wie das Endocannabinoidsystem (also die Gruppe von Rezeptoren, die nicht nur auf körpereigene Botenstoffe wie zum Beispiel Serotonin, sondern eben auch auf die Cannabinoide reagiert) funktioniert, verpufft – muss ich gestehen – relativ schnell: Ich finde eine ganze Reihe eher hilfloser Erklärungen von Laien für Laien (manche sind ganz offensichtlich automatisch ins Deutsche übersetzt) und ein paar wenige von Fachleuten, die mir zwar seriös erscheinen, für die ich aber meinerseits ein paar Nachhilfestunden bräuchte. Ich beschließe, es damit gut sein zu lassen, dass die Wirkung von Cannabidiol nicht bestritten wird, und es einfach einmal auszuprobieren.

Das Angebot an CBD-Ölen erscheint mir recht unübersichtlich. Es gibt zwar Websites, die Qualitätsvergleiche versprechen, aber wie der Zufall es will, vertreiben sie ihren Testsieger auch gleich selbst. Honi soit qui mal y pense …
Schließlich entscheide ich mich für ein Öl mit Bio-Zertifikat.

Die Bandbreite der Dosierungsempfehlungen entspricht in etwa der Menge der Anbieter: Das Öl soll tropfenweise eingenommen werden – wie oft und wie viel, ob bei Bedarf, kurweise oder dauerhaft, muss jeder für sich selbst herausfinden. Fest steht nur die Tageshöchstdosis. Die allerdings – je nach Anbieter – bei gleichem CBD-Gehalt zwischen 5 und 30 Tropfen pro Tag schwanken kann.
In meinem Fall sind es 5 Tropfen täglich.
Nur interessehalber erkundige ich mich, was eigentlich bei einer Überdosierung passiert: In diesem Fall kann Cannabidiol müde und benommen machen, ohne dass sich dabei die erhoffte Wirkung, wie zum Beispiel Schmerzlinderung, weiter vergrößern ließe.

Auch bei korrekter Einnahme kann es zu Nebenwirkungen kommen.
Mundtrockenheit zum Beispiel … und erst in dem Moment, als ich das lese, fällt mir auf, dass ich wieder begonnen habe, immer und überall eine Wasserflasche dabei zu haben, ganz wie zu den Zeiten, als ich Serotonin-Wiederaufnahmehemmer genommen habe. Das Gefühl war so vertraut, dass ich es tatsächlich nicht bemerkt habe.
Cannabidiol kann außerdem die Wirkunsweise anderer Medikamente beeinflussen, weswegen man gegebenenfalls ärztlichen Rat einholen sollte, wenn man es benutzen möchte.

Das Öl soll sublingual verabreicht, sprich: unter die Zunge getropft werden, was mich vor gewisse Schwierigkeiten stellt: Ich muss den Weg vom Bett bis zum Spiegel schaffen, die Brille anziehen und das Licht anmachen. Treffen würde ich auch so, aber Tropfen zählen kann ich ohne Brille nicht. Und das, wo mein Hauptproblem morgens darin besteht, mich überhaupt zu bewegen …
Alternativ kann man das Öl auch vom Handrücken lecken, wobei man gleich die Erfahrung macht, dass die Geschmacksknospen tatsächlich auf der Zunge sitzen und nicht darunter.
Es schmeckt, wie es in meiner Jugend bei Parties roch … Gar nicht mal unangenehm, finde ich, aber das Öl brennt im Mund. Unter der Zunge macht sich das weit weniger bemerkbar.

Was mich tatsächlich ärgert, ist die fippsige Pipette, mit der das Ölfläschchen verschlossen ist. Wenn man dieses nämlich gemäß der Anweisung vor Gebrauch kräftig schüttelt, quackt das Öl oben aus der Pipette heraus. Abgesehen davon, dass ich nur ungern mit ölverschmierten Gerätschaften hantiere und es auf der Zunge brennt, wenn man das Öl gleich von der Flasche leckt, finde ich das Ganze dafür einfach zu kostspielig.
Ein Fläschchen mit 10 Millilitern kostet knapp 30 Euro, was, finde ich, gar nicht mal sooo teuer ist: Laut Hersteller sind das 200 Tropfen, man kommt also – wenn man es täglich und in der Maximaldosierung von 5 Tropfen einnimmt – 40 Tage lang damit aus. Aber eben nur, wenn es nicht an der Flasche runter kleckert …

Nun robbe ich mich an meine individuelle Dosierung heran …
Da ich vor allem morgens Schmerzen habe, beginne ich mit einem Tropfen am Morgen. Zunächst habe ich den Eindruck, dass das Öl doch „knallt“: Ich habe immer noch Schmerzen, aber sie stören mich nicht mehr so. Und ich bin auffallend guter Dinge.
Nach zwei Tagen lassen die Schmerzen merklich nach. „Placebo-Effekt“ unke ich herum und schelte mich gleich darauf selber: Hätte ich ein Schmerzmittel vom Arzt bekommen, würde ich hierüber überhaupt nicht nachdenken! Is’n Schmerzmittel – wirkt – fertig!
Weil ich trotzdem mit Schmerzen aufwache, nehme ich auch am Abend einen Tropfen in der Hoffnung, dass der bis zum Morgen „vorhält“. Das funktioniert nun nicht ganz wie erhofft, aber ich schlafe besser. Allerdings verschlafe ich, sofern ich das Öl unmittelbar vor dem Schlafengehen nehme. Das ist zwar sehr viel angenehmer, als wie sonst bleiern herumzuliegen und mich nicht bewegen zu können, weil ich nämlich tatsächlich fest schlafe, aber schöner fände ich noch, ich hätte mehr vom Vormittag. Nehme ich es gleich nach dem Abendessen, führt es leider nicht dazu, dass ich mal zu einer vernünftigen Zeit den Weg ins Bett finden würde, aber ich bin ruhiger und habe weniger Angst vor der Nacht. Das macht es mit der Zeit vermutlich auch leichter, zu Bett zu gehen.

Und dann kommt doch wieder ein Tag, an dem ich mit richtig schlimmen Schmerzen aufwache und mich nicht ohne Hilfe im Bett aufsetzen kann. Es ist deprimierend: Ich hatte so sehr gehofft, es werde mir nun besser gehen!
Später fällt mir wieder ein, dass auch Mittel wie Aspirin nicht gegen jeden Schmerz helfen. Manchmal benötigt man halt entweder ein anderes Medikament, oder man muss die Zähne zusammenbeißen – das bedeutet nicht, dass man sich die bisherige Wirkung nur eingebildet hätte.

Mittlerweile halte ich es so, dass ich an Tagen mit heftigen Schmerzen morgens bis zu 4 Tropfen Öl nehme und dann noch einen Moment liegen bleibe. Danach sind die Beschwerden in aller Regel auszuhalten.

Meine Stimmung ist – toi! toi! toi! – durchgängig besser. Das könnte zwar auch an der Jahreszeit liegen, aber ich finde es schon auffällig. Curcuma habe ich während dieser Testphase übrigens weggelassen, um (so weit das möglich ist) zu sehen, ob es wirklich das CBD-Öl ist, das eine Veränderung bewirkt.

Hin und wieder hatte ich den Eindruck, dass das Öl auch positiven Einfluss auf meine „Leichenfinger“ hat – ich leide am Raynaud-Syndrom, welches dazu führt, dass sich durch Kälteeinwirkung die Blutgefäße in meinen Fingern (wenn’s arg kalt ist auch in den Zehen) verkrampfen, wobei die Finger von den Spitzen her weiß werden und absterben. Das ist in aller Regel ungefährlich und läßt nach einger Zeit von selbst wieder nach. Aber es fühlt sich ziemlich blöd an und natürlich kann man mit „Leichenfingern“ nichts greifen …
In letzter Zeit nun werden meine Hände eher rot und bei großer Kälte blau – halt so, wie sich das gehört. Aber auch das kann natürlich an der Jahreszeit liegen.

Sicher allerdings bin ich mir beim Reizdarmsyndrom: Da haben die Symptome definitiv nachgelassen.

Insgesamt bin ich zufrieden: Nicht schmerzfrei zwar, aber meine Lebensqualität hat sich merklich verbessert.
Und nachdem das geklärt ist, kann ich im Bedarfsfall auch die Hunde damit behandeln.

Das Yoga Projekt III

Mein erster Yogakurs ist zu Ende und rückblickend staune ich, dass ich mich das tatsächlich getraut habe: Einfach mal darauf zu vertrauen, dass ich schon klarkommen, schon irgendwie begreifen werde, was ich tun soll, auch wenn ich die Anleitung nicht verstehe.
Das hat lustigerweise auch damit zu tun, dass ich jetzt sehr viel mehr verstehe. Mir wird ganz allmählich klar, was ich anfangs alles nicht mitbekommen habe.

Was mir nach wie vor schwer fällt, ist, Dinge für mich zu übersetzen und sie mir gleichzeitig zu merken: Wenn ich verstanden habe, dass ich die Knie anziehen und wieder locker lassen und dabei jeweils ein- und ausatmen soll, dann habe ich garantiert hinterher nicht parat, wann was ist …
Andererseits beginne ich, einzelne Wörter im Redefluß zu identifizieren und plötzlich wird aus „kaschtorassiek“ „cage thoracique“ (Brustkorb). Ganz einfach macht es einem die französische Sprache allerdings nicht: „oh de fess“ zum Beispiel ist der obere Teil des Gesäßes – „oh dü doh“ jedoch nicht der obere Rücken, sondern die Knochen desselben …
Unbekannte Wörter versuche ich mir zu merken, um sie später nachzuschlagen und auch hier ringe ich regelmäßig mit den Tücken der Aussprache: Dass Nathalie immer wieder über Engel (ange) spricht, vermag ich mir nicht vorzustellen … und tatsächlich meint sie hanche (Hüfte).
Englisch spricht sie nur noch selten mit mir: Wenn ich etwas nicht mitbekommen habe, wiederholt sie es einfach noch einmal langsam, das klappt auch.

Bei einer Gelegenheit allerdings bin ich mir ganz sicher, dass sie unmöglich gemeint haben kann, was ich gerade verstanden habe. Ich soll jetzt auch noch die Hand hoch … ??? Ich soll! Und plumpse bei dem Versuch kichernd aus der posture

***

Als Victor im Sterben liegt, habe ich Sorge, sofort in Tränen auszubrechen, wenn ich mich entspanne. Stattdessen weine ich schon, bevor ich auch nur einen Fuß in die Halle gesetzt habe.
Ich erzähle Nathalie, warum ich so traurig bin und sie erklärt mir, ich würde während der Übungen durch die Energie und die Liebe mit ihm verbunden sein. Überflüssig zu sagen, dass ich daraufhin vollends die Fassung verliere.
Ich liege rücklings auf der Matte, schenke mir die Atemübungen und versuche einfach nur, nicht allzu laut zu schluchzen, während mir die Tränen in die Haare laufen. Im Laufe des Trainings beruhige ich mich dann allmählich, und am Ende verkneife ich mir das Weinen nicht mehr, sondern empfinde Gelassenheit. Dass wir die „Bienenatmung“, deren Summen Stress reduzieren soll, heute ganz besonders gründlich üben, mag Zufall sein, ich traue Nathalie jedoch durchaus zu, dass sie mich zu stabilisieren versucht.

Victor stirbt wenige Minuten nach meiner Heimkehr und ich kann in seinen letzten Momenten bei ihm sein. Ich würde sehr gerne glauben, dass es diese Verbundenheit gab und sie den Abschied auch für ihn leichter gemacht hat.

***

img_16215-q-webAnlässlich des Journée Mondiale du Yoga sollen sich die TeilnehmerInnen aller Kurse zu einem gemeinsamen Training in St Étienne treffen. Anschließend wird dann zusammen gegessen.
Innerlich winke ich sofort ab: Ich sehe zu viele Menschen in einem Raum. In einem unvertrauten Raum in einem Dorf, von dem ich nur eine ganz vage Vorstellung habe, wo es zu finden ist. Und dann auch noch zusammen essen! Und sich unterhalten womöglich …
Nee, besten Dank!
Und dann lass ich mich doch von Nathalie breitschlagen: Ich könne mich ja in die Nähe der Tür legen, meint sie, und jederzeit gehen, wenn es mir zuviel werde. Und natürlich müsse ich nicht am Essen teilnehmen. Wenn ich mich nicht unterhalten wolle, sei das gar kein Problem – Yogis würden akzeptieren, wenn jemand schweigen wolle …

Lustigerweise gilt am Tag X meine größte Sorge meiner Yogamatte. Wer eine eigene besitzt, ist gebeten, diese mitzubringen … Was gar kein Problem wäre, hätte ich mir nicht ein extradickes, überbreites Luxusteil geleistet, auf dem man auch bequem mal eine Nacht schlafen könnte. Peinlich, peinlich … Ich kann nur hoffen, dass das olle Badelaken, das ich benutze, weil ich keine Decke habe, für das ortsübliche Understatement sorgt … Zwischendurch überlege ich, ob ich die alte Isomatte ausgraben soll, die noch in irgendeiner staubigen Ecke liegt. Aber diese kleine Extravaganz nur heimlich auszuleben, wäre irgendwie noch peinlicher …

Getragen von einer Welle des Wagemutes fahre ich ohne Navi los: Da ich nur einmal rechts abbiegen und anschließend mehr oder weniger geradeaus fahren muss, sollte es ohne gehen! Okay, eine einzige Weggabelung gibt es, an dieser soll ich mich Richtung Serres halten.
Links geht es nach Serres, rechts nach Le Serre … Jetzt bloß nicht zu viel nachdenken, Serres war das Stichwort!
An den nächsten Gabelungen, die aus welchem Grund auch immer nicht in meiner Wegbeschreibung auftauchen, halte ich mich an das, was mir mehr wie eine Straße auszusehen scheint … ein Sträßchen eher, einspurig und nur nachlässig asphaltiert, das in Serpentinen die cevenolen Hügel durchquert.
Die angepeilte Fahrzeit ist unterdessen überschritten und ich befinde mich mitten in der Wildnis. Okay, da ich die Straße nicht kenne, bin ich langsam gefahren. Und so richtig verfahren kann man sich hier nicht – dazu gibt es schlicht nicht genug Straßen. Aber wenn ich zurückfahren muss, werde ich zu spät kommen! Dann platze ich entweder mitten ins Training, oder ich muss bis zum Essen warten. Und wenn ich einfach wieder fahre, was wird dann aus dem Salat, den ich vorbereitet habe?
Ich bekomme Magenschmerzen.

Als ich die Betonbrücke sehe, die mir als weiterer Orientierungspunkt genannt worden ist, geht (Hurra, eine Betonbrücke!) sozusagen die Sonne auf. Der Ortseingang von St Étienne! Jetzt muss ich nur noch die Mairie finden, neben dieser liegt la grande salle polyvalente. „Am Ende des Ortes rechts von der Durchgangsstraße“ sollte jetzt keine große Herausforderung mehr sein, aber richtig beruhigt bin ich erst, als ich auf dem Parkplatz stehe. Nein: Als neben mir zwei Gestalten mit Yogamatten aus ihrem Auto steigen! Unauffällig hefte ich mich an ihre Fersen …

In der Halle angekommen, zögere ich zu lange, mir einen Platz zu suchen und lande schließlich in größtmöglicher Entfernung zur Tür. Nathalie allerdings kann ich von hier aus gut sehen und hören, das macht die Sache leichter. Die Übungen sind unkompliziert, die Stimmung entspannt und gegen Ende bin ich wider Erwarten völlig gelöst. Vorher hatte ich noch herumgeflachst, es mache nichts, wenn es kein oder nur wenig vegetarisches Essen gebe, ich würde vor lauter Stress sowieso nichts hinunterbringen – jetzt merke ich, dass ich einen Bärenhunger habe.

Um nicht dumm herumzustehen, helfe ich, die Tische für das gemeinsame Essen aufzubauen. Meine Befürchtung, ich könne angesprochen werden, erfüllt sich natürlich, aber obwohl sich keine wirklichen Gespräche entwickeln, empfinde ich die Situation nicht als unangenehm. Für meine pomfortionöse Yogamatte interessiert sich kein Mensch, aber meine Zehenschuhe lösen allgemeine Heiterkeit aus. Das kenne ich schon und habe so immerhin die nötigen Vokabeln für zwei, drei Sätze parat. Es ist okay. Dass ich mir fremd vorkomme und keinen Zugang zum allgemeinen Smalltalk finde, ist nicht neu für mich. Hier bin ich tatsächlich fremd und kann mich nicht am Gespräch beteiligen, weil meine Sprachkenntnisse das nicht hergeben, dennoch empfinde ich die Menschen als zugewandt und freundlich. Verstehen würde ich schon eine Menge, nur das Sprechen falle noch schwer, soviel kann ich erklären. Und so höre ich eben zu.
Und esse. Essen ist ein sensibles Thema für mich: Sobald ich Stress habe oder unglücklich bin, bringe ich nichts mehr hinunter. Wenn ich mich früher genötigt sah, auf mein Gewicht zu achten, galt das immer meinem Untergewicht …
Jetzt habe ich mich einmal quer durch das Buffet schnabuliert und – eigentlich schon pappsatt – ein angebotenes Stück Pfirsichtarte angenommen. Es abzulehnen und dann die Charlotte zu probieren, wäre unhöflich gewesen … Mit etwas gutem Willen geht beides. Und hej: Es lohnt sich!

Auf dem Heimweg habe ich dann auch meine helle Freude an dem einspurigen Sträßchen: Mit höchst verwegenen 50 km/h jage ich den Caddy durch die Dämmerung und fühle mich großartig.

Ich bin ungeheuer froh, dass ich mich das getraut habe!

Der 5tägige Workshop im Juli, der das Ganze womöglich noch getoppt hätte, ist seit Januar ausgebucht …

Also freue ich mich auf den nächsten Kurs im September. Und ich freu mich wirklich!