Versuch’s doch mal mit Yoga!

Dieser Text ist einer lieben Freundin gewidmet, der Yoga schon so oft empfohlen wurde, dass sich ihr Nackenfell bereits bei „Yo …“ zu sträuben beginnt.

„Versuch’s doch mal mit Yoga!“ kommt gleich nach „Ausdauersport ist gut gegen Depressionen!“ und „sorg mal ein bisschen für dich, sei nett zu dir selbst: wie wäre es mit einem schönen, duftenden Schaumbad?“ …
Ausdauersport, vulgo „Joggen“ – das habe ich bestimmt mal erzählt – ist bei mir schon daran gescheitert, dass ich beim Anziehen der Socken in ein Dimensionstor geraten bin: Eine halbe Stunde nach dem Entschluss, mich anzuziehen, war Socke Nummer eins immer noch nicht am Fuß. Das Schicksal von Socke Nummer zwei liegt bis heute im Dunklen …

Aber die Nummer mit dem Schaumbad hab ich ausprobiert!
Das volle Programm: Brühheißes Wasser, reichlich duftender Schaum, Kerzen auf dem Wannenrand, eine Handvoll auf Vorrat gedrehter Zigaretten (da hab ich noch geraucht), ein heiterer Roman (Bridget Jones – damals bin ich wirklich vor nichts zurückgeschreckt) und – aber echt nur ganz ausnahmsweise! – ein Fingerbreit Whisky (Sekt war aus).
Hat’s nicht gebracht.

In die Sonne, oder eben in die Badewanne gehen, Sport treiben etc. ist natürlich auch für solche Menschen gut, die zu Depressionen und Ängsten neigen. Mit der Betonung auf neigen: Während einer Depression kann es schon eine erhebliche sportliche Herausforderung sein, das Bett zu verlassen, sich anzuziehen und sich einigermaßen regelmäßig zu waschen. Und tatsächlich gibt es Formen der Depression, bei denen all das nicht hilft. Wirklich nicht. Überhaupt gar kein Bisschen. Trotzdem ständig dazu aufgefordert zu werden, womöglich mit vorwurfsvollem Unterton („wenn du das nicht machen willst, bist du ja schon irgendwie selbst schuld …“) macht es nicht besser.


Warum ich dennoch Yoga praktiziere

Vor einigen Jahren habe ich begonnen, mich mit dem Thema „Achtsamkeit“ bzw. „MBCT – Mindfulness Based Cognitive Therapy (achtsamkeitsbasierte Verhaltenstherapie) zu befassen, wozu ein allmorgendlicher Bodyscan gehörte.

Rückblickend denke ich, zumindest für den Bodyscan war es noch zu früh: Ich habe die lebhafte Reaktion meines Körpers auf meine Versuche, seiner gewahr zu sein, zwar zur Kenntnis genommen, konnte aber nichts damit anfangen.
Zur Unterstützung der Übungen wurde Yoga empfohlen, genau gesagt: bestimmte Yoga Übungen.

Als kurz darauf im Dorf ein Yoga-Kurs angeboten wurde, hab ich nicht lange gefackelt.
Nicht, weil ich das unbedingt gewollt hätte. Ich fand, das sei Kismet: Der maximal unwahrscheinliche Umstand, dass irgendwo im Nirgendwo just dann ein Yogakurs angeboten wurde, als ich darüber nachdachte, einen zu besuchen. Sowas verpflichtet …
Und das Universum war mit mir: Wie der Zufall es wollte – aber das ist mir erst sehr viel später klargeworden – wurden dort genau die Übungen unterrichtet, die ich brauchte.
Heute weiß ich, dass es sich bei dem, was ich gelernt habe und immer noch lerne, um traditionelles und sehr kleinschrittig aufgebautes Hatha-Yoga handelt, damals war mir das – ehrlich gesagt – vollkommen schnuppe, da hatte ich ganz andere Sorgen.

Den Hof zu verlassen um ganz allein unter lauter fremden Menschen, deren Sprache ich nicht beherrschte, an ganz egal was teilzunehmen, hat mir anfangs solche Angst eingejagt, dass ich mit nichts anderem beschäftigt war. Trotzdem war es nicht einfach Erleichterung, was ich empfunden habe, wenn ich das Training wieder einmal überstanden hatte, sondern ich habe mich leicht und fröhlich gefühlt. Irgendetwas hat Yoga bewirkt, soviel war klar.
Und irgendetwas ist auch passiert, wenn ich das Training – zum Beispiel während der Schulferien, wenn der Kurs nicht stattfand – „geschlabbert“ habe. Dann bin ich regelmäßig in die Depression abgerutscht.
Gleichwohl war nicht alles eitel Sonnenschein, nicht alle Erfahrungen leicht und fröhlich: Yoga kann alte Emotionen berühren und aktivieren, die wir zwar aus unserem Bewusstsein eliminiert haben, die der Körper aber dennoch in Erinnerung behält. Die Tränenausbrüche und Panikattacken, die das Training auf diese Weise auszulösen vermag, fühlen sich höchst gegenwärtig an – ganz egal, wie alt die Erinnerungen auch sein mögen.
Bei mir war es insbesondere eine bestimmte Übung, die aus just diesem Grunde bis heute die „tränenreiche Torsion“ heißt – auch wenn sie unterdessen zu meinen liebsten Routinen zählt.

Anfangs also war Yoga ein Mittel im Kampf gegen meine Angst, später dann gegen die Depression. Als ich zunehmend unter Schmerzen zu leiden begann, habe ich die Übungen genutzt, um diese ertragen zu lernen: Selbst wenn es mir die Tränen in die Augen getrieben hat – es war immer noch möglich, zu atmen und mich zu entspannen, es gab immer noch etwas jenseits der Schmerzen.
Mittlerweile sind die Übungen fester Bestandteil meines Alltags und seit ich die passenden Medikamente bekomme, mache ich tatsächlich auch Fortschritte.

Mit den anmutigen Flows, die ich – zugegeben – hin und wieder selbst gerne bei Youtube bestaune, hat mein Tun dennoch nicht mehr gemeinsam, als dass beides auf einer Matte stattfindet.
Die Arbeit – die weise Yogini spricht tatsächlich von travail – findet in der Haupsache im Körper statt, mit viel hinein atmen, sich Millimeter für Millimeter in eine Haltung hinein entspannen, in sich hinein fühlen. Wenn die angestrebte posture dabei zunächst nur angedeutet wird, ist auch das in Ordnung und falls selbst das nicht möglich sein sollte, kann die Übung immer noch mental ausgeführt werden.
Gelegentlich ist mir schon der Verdacht gekommen, dass das der Grund ist, warum beim Training die Augen geschlossen werden: Damit ich nicht sehen muss, dass die Kniekehlen meiner gefühlt durchgestreckten Beine immer noch eine Handbreit vom Boden entfernt sind …
Andererseits schaffe ich es mittlerweile, Positionen zu halten, aus denen ich anfangs wie ein nasser Sack herausgeplumpst bin.

Als ich nun erfahre, dass Hatha-Yoga insbesondere in der Trauma-Therapie empfohlen wird, bitte ich die weise Yogini, mich bei meinen Bemühungen diesbezüglich zu unterstützen.
Außerdem hat mich dann doch ein gewisser Ehrgeiz gepackt: Ich hab versucht, mir selbst ein paar weitere Asanas beizubringen und möchte, dass sie draufschaut, ob ich alles richtig mache.

Ihr Gesichtsausdruck, als ich erzähle, dass ich Youtube-Videos anschaue, um mehr über Yoga zu lernen, ist schwer zu deuten, entspannt sich aber, bilde ich mir ein, als ich versichere, die Flows wirklich nur anzugucken
Sie hört sich geduldig an, was ich an Anregungen im Internet und in meinem dicken Yoga-Buch gefunden habe und lässt mich mehr als einmal wissen „Wenn du das Prinzip verstanden hast, kannst du das so machen! Dann kannst du alles so machen, wie du möchtest!“ …
Dann fragt sie, wo genau ich eigentlich die meisten Schmerzen habe und bittet mich, ihr zwei ganz unspektakuläre Übungen, die zu den absoluten Basics gehören, einmal vorzuführen.
Was es bedeutet, Wirbel für Wirbel abzurollen, habe ich schon im Schulsport gelernt – heute lerne ich, wie es ist, wenn jemand guckt, ob wirklich jeder einzelne Wirbel tut, was er soll …
Und siehe da: Das sind nicht nur die Stellen, die wehtun, sondern auch die, die ich beim Bodyscan nicht erreichen kann. Die Platte an der Stelle, wo mein Dekolletee sein sollte zum Beispiel.
Da rollt genau gar nix …

Während ich mich mit vor Anstrengung zitternden Muskeln bemühe, meine Rückenwirbel durchzuzählen, lösen sich meine Ambitionen, grazile Asanas einzunehmen, dezent in Luft auf: Ich möchte, dass die weise Yogini nach und nach alles, was ich bereits zu können geglaubt habe, noch einmal genau in Augenschein nimmt.

Der Moment der Wahrheit kommt, als sie mich fragt, ob ich auch Pranayama, die Atemübungen, praktiziere.
Ähm … ja … also … theoretisch schon! Ich nehme mir täglich vor, sie regelmäßig zu üben! Also: Ab morgen …
Tatsache ist: Ich hab enorme innere Widerstände!
Was die weise Yogini nicht überrascht: Traumata manifestieren sich im Körper und können daher die Atemübungen extrem erschweren.
Aber, sagt sie: Ohne Pranayama ist es kein Yoga!
Wir einigen uns darauf, dass ich in winzig kleinen Schritten noch einmal ganz von vorn beginnen werde.
Ich komme dieser Verpflichtung nach, weil ich weiß, sie wird fragen beim nächsten Mal … aber rechte Begeisterung will sich nicht einstellen. Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass es „Übung“ heißt, weil man es üben soll – nicht weil man es gleich kann.

Außerdem, bringt sie mir schonend bei, sind auch Asanas und Pranayama lediglich ein kleiner Teil dessen, was Yoga umfasst. Ich bin fasziniert – auch und vor allem, weil sie zu leben scheint, wovon sie da erzählt – und mag mehr darüber lernen.
Ganz gleich, wie weit ich auf diesem Weg kommen mag: Ich bin sicher, ich gehe in die richtige Richtung!

Also doch „versuch’s mal mit Yoga!“?

Ich muss zugeben, dass ich an diesem Punkt wirklich an mich halten muss!
Mittlerweile nutze ich Yoga weniger, um Schmerzen ertragen zu lernen, sondern um sie zu lindern. Ich kann beginnende Depressionen einfangen, mich selbst zur Ruhe bringen und beginne, mich in meinem Körper mehr und mehr zu Hause zu fühlen.
Natürlich gönne und wünsche ich das auch anderen!

Ich glaube außerdem fest, dass, wer bereits über eine gewisse Routine verfügt, es schafft, sich zur Not vom Sofa auf die Matte plumpsen zu lassen, um da wenigstens den „toten Mann“ zu machen. Wenn’s gut läuft vielleicht auch noch ein, zwei andere Übungen, bei denen man bloß daliegt und atmet. Und ja: Schon das hilft!

Ich muss allerdings auch einräumen, dass ich erst einmal für geraume Zeit eine Art Eremitinnen-Dasein führen musste, bevor an „Yoga-Kurs“ überhaupt zu denken war.
Und ja: Ich hab ein Riesenglück gehabt, genau diesen Kurs bei genau dieser Lehrerin zu finden! Trotzdem musste ich mehrere Jahre daran teilnehmen, bevor ich die Wirkung so recht genießen konnte.

Jahaha, es fällt mir schwer! Es fällt mir schwer, weil ich ja helfen will!
Aber Tatsache ist, dass ich nicht nur den richtigen Yoga-Kurs gebraucht habe, nicht nur die richtige Yoga-Lehrerin, sondern auch den richtigen Moment. Den Moment, in welchem ich bereit war!

Diesen Moment kann ich jedem anderen Menschen nur wünschen!
Verordnen kann ich ihn nicht …

Veröffentlicht von

dieschattentaucherin

Schreibwütige Depressive auf ihrem Weg ins Sonnenlicht

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