Grünes Licht

Unter Anderem übe ich in der Therapie, schmerzhafte Emotionen zu … hmhmhmen … anstatt zu dissoziieren.

Anfangen mag ich der Einfachheit halber damit, was Dissoziation (an dieses Thema habe ich mich hier schon einmal herangepirscht) eigentlich ist:
Dissoziation fängt zum Beispiel da an, wo die Worte meines Gegenübers mir zum einen Ohr rein und zum anderen gleich wieder raus gehen. Wo ich einen Text lese, den Inhalt aber nicht aufnehme.
„Danke, wir nehmen nichts!“-Momente des eigenen Gehirnes sozusagen.
Die kennen wir alle und sie sind eigentlich nichts Schlimmes: Eine Art Filter, der uns vor zu vielen Informationen schützt.

Am eindrücklichsten erinnere ich solche Momente aus der Schule:
Ich war entsetzlich schlecht in Mathe und Chemie. Dennoch schien mir jeder Beginn eines neuen Kapitels, besser noch: eines neuen Schulhalbjahres eine Chance zu sein!
Jedes mal auf’s Neue war ich gänzlich erfüllt von gutem Willen, habe meine komplette Aufmerksamkeit auf Lehrkörper und Tafel gerichtet, bereit, alles und jedes zu notieren …
… um eine unbekannte Anzahl von Minuten später festzustellen, dass ich augenscheinlich irgendwo ganz anders gewesen war. Beim Unterricht ganz sicher nicht! Und auch sonst nirgends – jedenfalls nicht, dass ich mich erinnern könnte.
Aber nein: Ich möchte damit nicht sagen, dass der Mathematik-Unterricht in der Mittelstufe des Gymnasiums mich traumatisiert hat („gemacht“ hat diese Erfahrung schon etwas mit mir, keine Frage … aber das ist ein ganz anderes Kapitel)!
Ich bin mir lediglich sicher, dass viele Menschen sich in diesem Beispiel wiedererkennen: Die Erkenntnis, definitiv anwesend gewesen zu sein, bei völligem Fehlen einer Erinnerung daran, was tatsächlich passiert ist …
So in etwa fühlt sich Dissoziation an. Für den Alltagsgebrauch sozusagen …

Bei Menschen, die Traumata tragen, ist all das sehr viel stärker ausgeprägt: Dissoziation kann Erinnerungen, aber auch damit verknüpfte Emotionen „fernhalten“.
So kommt es zum Beispiel, dass Menschen sich zwar an einen schweren Unfall erinnern, nicht jedoch an die Todesangst, die sie in diesem Moment verspürt haben.

Dissoziation kommt nicht nur in Form von Konzentrationsschwierigkeiten, Absencen, „Schusseligkeit“ oder Gedächtnislücken daher, sondern manifestiert sich auch im Körper.
Wie sich das anfühlt?
Stellt Euch vor, Ihr seid mit einer anderen Person unterwegs, und diese legt plötzlich ein Verhalten an den Tag, das Euch enorm peinlich ist. Dann tretet Ihr vielleicht einen Schritt zur Seite, um zu dokumentieren „damit habe ich nichts zu tun, die kenne ich nicht!“.
Wenn Ihr beides seid: Diese peinliche Person und Ihr selbst gleichzeitig, dann steht Ihr neben Euch!
So fühlt sich das für mich oft an: Ich mache einen Schritt / rücke auf meinem Stuhl ein Stück zur Seite, aber mein Körper kommt nicht mit.
Wenn es sehr heftig ist, fühlt es sich an, als würdet Ihr Auto fahren und auf der Autobahn plötzlich von einer heftigen Windbö erfasst werden. Oder als würde Euch jemand vom Stuhl zu schubsen versuchen.
Bis Euch das klar wird, glaubt Ihr vielleicht, Ihr hättet einfach Kreislaufprobleme, oder irgendwas Neurologisches.

Fun Fact: Bei mir führt das hin und wieder dazu, dass ich buchstäblich über meine eigenen Füße falle. Das passiert zum Beispiel immer dann, wenn ein Teil von mir ganz dringend zur Psychotherapie möchte, ein anderer das aber für eine unheimlich blöde Idee hält. Dann laufe ich mit dem linken Fuß geradeaus, während der rechte überholt und schnibbelt, um zurück nach Hause zu gehen.
Der Rest ist Slapstick

Dissoziation schafft Distanz.

Das Gegenteil von Dissoziation ist Assoziation, Verbundenheit, „in Verbindung gehen“.
Das eingangs erwähnte „Hmhmhm“!
Beim „Hmhmhm“ ist häufig die Rede davon, eine Emotion, einen Zustand zu halten – also nicht aushalten im Sinne von Ertragen, sondern halten wie „Halt geben“. Den Halt nicht verlieren.
Das habe ich auch sehr abstrakt gefunden bis es mir gelungen ist, ein inneres Bild dafür zu kreieren.

Und womöglich ist genau das der Punkt: Dass wir lernen müssen, innere Bilder zu finden!
Thich Nath Hanh* vergleicht unser Geistbewusstsein (aktive Bewusstheit, aktives Gewahrsein, oder schlicht Bewusstsein) mit einem Wohnzimmer; unser Speicher- oder auch Unterbewusstsein dagegen mit einem Keller, in welchem unsere vergangenen Erfahrungen, Regungen und Emotionen wie Samen gelagert sind. Entsprechende Umstände vorausgesetzt, können diese Samen aufsteigen und sich in unserem Wohnzimmer manifestieren. Tom Holmes** übernimmt dieses Bild in seinem Buch über die systemische Arbeit mit Persönlichkeitsanteilen.
Ich für mein Teil denke bei „Wohnzimmer“ an Wohnzimmer: Sitzgarnitur (wieso um alles in der Welt eigentlich „ …-garnitur“?), Schrankwand, Teppich, Zimmer-Araukarie …
Stopp! So kann ich nicht arbeiten …“!

Mein „Wohnzimmer“ ist einfach eine imaginäre Höhle in meinem Brust- und Bauchraum, eine Art überdimensionale Gebärmutter, weich und geschützt. Den nötigen Platz schaffe ich, indem ich mich sitzend entspannt mit dem Rücken anlehne während meine Füße fest auf dem Boden stehen und die Hände auf den Oberschenkeln ruhen. Ich lehne mich sozusagen in mein Selbst zurück, stehe stabil und geerdet und gebe Raum.
Diesen Raum können Anteile, Erinnerungen oder Emotionen einnehmen. Auf diese Weise überfluten sie mich nicht, sondern ich kann sie betrachten und in Verbindung gehen.
Gut möglich, dass ich dabei zu weinen beginne. Manchmal lächele ich auch, oder neige den Kopf, weil ich jemandem zuhöre. Hin und wieder spreche ich auch mit mir.

Das muss merkwürdig klingen!
Dass es eine solche Erleichterung ist, eben nicht eine in der Form gegossene Persönlichkeit zu sein, die – zugegeben – ordentlich Probleme mit sich selber hat, sondern ein Konglomerat aus mir selbst, meinen eigenen Anteilen, solchen, die ich geerbt habe (wäre ich ein Haus, es würde in mir spuken), abgespaltenen Emotionen und vagabundierenden Erinnerungen!
Aber genau so ist das. Erst seit ich das verstanden habe, kann ich Gastgeberin in meinem eigenen Haus sein. Kann mich in meinem Selbst verorten und alles andere / alle anderen einladen, sich zu zeigen. Ohne dabei aus der Kurve zu fliegen.
Ich erinnere mich, dass ich früher hin und wieder gesagt habe „In mir ist so viel Weinen – wenn ich damit erst einmal anfange, kann ich nie wieder aufhören!“.
Deswegen habe ich mir das immer zu verkneifen versucht.
In dem Raum, den ich öffne, kann und darf geweint werden!
Und hier stellt sich in aller Regel nach erstaunlich kurzer Zeit Erleichterung ein.

Sind die Emotionen sehr heftig, kann ich den Raum „größer ziehen“ – so, wie das in Sience Fiction Filmen zu sehen ist, wenn virtuelle Darstellungen mit einem Wischen der Hand vergrößert werden. Dann ist der Raum in mir plötzlich wesentlich größer, als ich selbst.
Das hat zu Anfang nicht immer geklappt: Manchmal habe ich auch einen Tunnelblick bekommen, zu meinen Seiten wurde es schwarz, der Tinnitus hat gekreischt wie verrückt, und wenn es richtig dicke kam, habe ich mich nur noch an der Stimme der weisen Hebamme festhalten können: „Sie sind hier bei mir! Sie sitzen im Sessel und ihre Füße stehen fest auf dem Boden! Sie sind in Sicherheit!“ …

Neulich nun habe ich eine Emotion eingeladen, von der ich wusste, dass sie vermutlich überwältigend sein würde.
Ich habe den Raum in mir so groß „gezogen“, wie es nur irgend möglich war. Er war nicht groß genug …
Und dann ist etwas ganz wundersames geschehen:
Der Raum hat sich mit einer Kindheitserinnerung gefüllt!

Ich war mit meinen Eltern und der Familie in einem Restaurant – oft ist das nicht vorgekommen, es muss eine ganz besondere Gelegenheit gewesen sein.
Der Gang zu den Toiletten verlief außerhalb des Hauses, war jedoch mit einer Wand aus gewelltem Kunststoff abgeschirmt. Transparentem, grünem Kunststoff. Wenn die Sonne schien, war dieser Gang erfüllt von hellgrünem Licht! Als Kind hat mich das vollkommen fasziniert.
Schlagartig war ich in meine Kindheit zurückversetzt: „Grünes Licht! Wow!“ …
Und irgendwo oben auch „rot“ wie von einer Sonne …

Ich erkläre mir das so:
Die Emotion, die sich hätte zeigen wollen, war zu heftig, als dass ich sie hätte halten können.
Sie hätte mich vom Stuhl gehauen.
Stattdessen hat mein Unbewusstes mir die grüne Brille aufgesetzt.
Eine andere Form der Dissoziation, wenn man so will. Eine ganz andere: Nichts daran war unangenehm oder gar beängstigend!
Noch sehe fühle ich nicht klar, aber ich habe keinen Grund, mich zu fürchten.
Ich werde lernen, diese Emotion zu halten:
Schließlich hat mein Unbewusstes mir buchstäblich „grünes Licht“ gegeben!

* Thich Nhat Hanh „Versöhnung mit dem inneren Kind“
** Tom Holmes „Reisen in die Innenwelt“

zweckentfremdet

Die Crew hat Gefallen an der Arbeit mit dem Internal Family System gefunden und beteiligt sich rege!
Allerdings nicht ganz so, wie ich mir das gedacht hatte: Viele nutzen erst einmal den sicheren Raum der Hypnose, um sich zu zeigen.

Wie das vonstatten geht?
Die Art und Weise, wie Menschen sich in eine hypnotische Trance versetzen, ist ganz individuell: Manche zählen rückwärts, andere stellen sich vor, eine Treppe hinabzusteigen … ich betrete ein Haus und gehe durch die verschiedenen Räume. In einem davon habe ich als Teenager gern meine Zeit verbracht, in einem anderen als Kind gespielt: Wer nicht an der eigentlichen Hypnose teilnehmen möchte, oder noch zu klein dafür ist, kann in einem dieser Räume bleiben und sich anderweitig beschäftigen (von einem Radio und Schreibzeug über Comics und Wasserfarben bis hin zu Playmobil-Figuren ist alles da).
Wer abgelenkt und mit Alltagsdingen beschäftigt ist, kann in der Küche bleiben – da ist immer was zu tun. Dort lege ich auch mein I-Phone ab und es gibt einen Notizblock, um Dinge zu notieren, die ich nicht vergessen möchte.
Erst dann betrete ich das Wohnzimmer und strecke mich auf dem Sofa aus.
Hier bin ich in Sicherheit – um ganz sicher zu gehen, schlüpfe ich noch unter eine magische Decke – und weitgehend frei von Ablenkung.


Jetzt beginnt die eigentliche Arbeit.
Zu Anfang habe ich sehr darauf geachtet, unangenehme Aspekte zu eliminieren: Plötzlich auftretende Schwärze und andere bedrohlich wirkende Eindrücke habe ich in einem Giftschrank (Vertiko) verwahrt, um nicht von ihnen beeinträchtigt zu werden.

Dann allerdings hat die weise Hebamme eingewandt, es sei nicht Sinn einer Psychotherapie, Dinge wegzusperren.
Wo sie Recht hat …

Natürlich sind das zwei verschiedene Dinge!
Die Hypnose sollte ursprünglich ja dazu dienen, meine chronischen Schmerzen zu lindern. Andererseits erscheint es mir wenig sinnvoll, Meldungen meines Unbewussten zu ignorieren – meine Träume bespreche ich ja auch in der Psychotherapie.

Dennoch bin ich vorsichtig: Der Giftschrank ist weiterhin tabu!
Wenn es jedoch zum Beispiel vorkommt, dass sich im Kinderzimmer „etwas“ bemerkbar macht, nehme ich es mit auf’s Sofa, um es in Augenschein zu nehmen.
Das Känguru hilft mir, von dem, was ich sehe / empfinde nicht überwältigt zu werden.
Zum Teil verbergen sich unter der Schwärze im Kinderzimmerschrank schmerzliche Erinnerungen. Dann kann ich versuchen, das Kind zu trösten und andere, stärkendere Erinnerungen zu etablieren indem ich sozusagen „das Manuskript umschreibe“.
Oft bleibt es aber bei vagen Eindrücken: Schwärze, andere Farben oder Lichteffekte, Missempfindungen, Schmerzen …
Dann stelle ich Fragen: „Wer bist du?“ „kannst du sprechen?“ „was möchtest du?“ „hast du eine Emotion für mich?“, „was kann ich für dich tun?“ …
Ich muss mich anstrengen, geduldig zu sein und mir die Antworten nicht selbst zu geben.
Oft bleibt mir nur, mein Willkommen auszusprechen, Mitgefühl zu äußern und eine gemeinsame Entspannungsübung anzubieten. Das allerdings wird gerne angenommen.
Und die Frage „möchtest Du zur weisen Hebamme mitkommen?“ wird regelmäßig bejaht!

Was längst nicht bedeutet, sich dort zu zeigen, oder gar zu sprechen!
Aber Dabeisein und Zuhören scheinen sehr wichtig zu sein.
Wenn es dann soweit ist, herrscht große Aufregung! Und teils auch Uneinigkeit: Es ist mir schon mehr als einmal passiert, dass beim Aufbruch der rechte Fuß den linken überholt und geschnibbelt hat, um umzukehren und zurück zum Haus zu gehen. Ich besinne mich dann auf das bewährte Entenwatscheln, habe vor lauter Angst Durchfall und weine viel. Von Schmerzen mal gar nicht zu reden …

Klingt irre? Finde ich auch!
So knallverrückt, wie das klingt, fühle ich mich gar nicht!
Dennoch ist die Annahme, dass ich „viele“ bin bislang die logischste Erklärung, für all meine Symptome und Befindlichkeiten.
Daher bin ich geneigt, es mit Sir Arthur Conan Doyle zu halten: „Wenn man das Unmögliche ausgeschlossen hat, muss das, was übrig bleibt, die Wahrheit sein, so unwahrscheinlich sie auch klingen mag.“

Tauchen in fremden Gewässern

Mittlerweile gibt es schon über 100 Taucherinnen-Texte!
Zeit für einen Rückblick und ein weiteres Update.

2015 habe ich begonnen, davon zu erzählen, wie es eigentlich ist, an einer psychischen Erkrankung (damals Depression und Angststörung) zu leiden, was ich schon alles dagegen zu unternehmen ausprobiert hatte und wie ich nun versuchen wollte, nicht mehr mich selbst, sondern mein Leben so zu verändern, dass dieser Schatten von mir genommen werden möge.
Das hat – auch wenn es nicht ganz einfach war – funktioniert: Ich habe Tage, an denen ich mich deprimiert fühle, aber keine Depressionen mehr.

Stattdessen habe ich begonnen, an chronischen Schmerzen und diversen, sehr seltsamen neurologischen Symptomen zu leiden. Im Laufe eines mehrjährigen Diagnose-Marathons, während dessen ich gelernt habe, dass es die exotischen Erkrankungen, über die bei Dr. House diskutiert wird, tatsächlich gibt, ich aber keine davon habe, sondern körperlich eigentlich erfreulich gesund bin, wurde ich zunächst mit Borreliose, letztendlich aber mit Fibromyalgie diagnostiziert.
Fibro ist, platt gesagt, das, was übrig bleibt, wenn’s alles andere nicht ist.

Fibromyalgie gilt allerdings auch als typische Folge von Traumata.
Das passt: Ich bin sowohl Kriegsenkelin, als auch Verschickungskind und habe vermutlich selbst traumatische Erfahrungen gemacht, die allerdings bis jetzt einer Amnesie unterliegen.
Auf eine rein medikamentöse Behandlung mochte ich mich nicht einlassen, will sagen: Ich nehme die notwendigsten Medikamente, verzichte aber nach Möglichkeit auf solche, die erhebliche Nebenwirkungen, oder aber Suchtpotential haben. Stattdessen versuche ich es mit Psycho-, Physio- sowie Hypnosetherapie.
Medikamente vermögen die ärgsten Symptome zu lindern – ich möchte heilen!

Dabei hat sich gezeigt, dass ich dissoziative Fähigkeiten entwickelt habe.
Das ist insofern völlig normal, als Menschen, die traumatische Situationen erleiden, die unerträglichen Emotionen, die damit einhergehen, immer „abspalten“ – sie verschwinden einfach aus ihrem Bewusstsein.
Für mich bedeutet das, dass ich Erinnerungen habe, die sich völlig „neutral“ anfühlen, ich kann keinerlei Emotion damit in Verbindung bringen. Ich kann mir zwar vorstellen, wie ein Mensch in dieser Lage sich fühlen muss, aber ich selbst empfinde nichts.

So, wie es aussieht – oder sich für mich anfühlt – habe ich nicht nur Emotionen „abgespalten“, sondern auch Teile meiner Persönlichkeit.
Auch das ist eigentlich völlig normal: Wir alle haben verschiedene Persönlichkeitsanteile.
„Das innere Kind“ oder „der innere Kritiker“ zählen zu den Klassikern. Wir alle agieren im Beruf anders, als wir das als Freund:in, Partner:in, Mutter oder Vater tun würden. Und manchmal merken wir, dass es nach einem harten Arbeitstag schwierig ist, in eine der „privaten“ Rollen zu schlüpfen.
Bei traumatisierten Menschen, kann diese Aufteilung in verschiedene Anteile sehr viel ausgeprägter sein, bis hin zu dem, was früher „multiple Persönlichkeit“ genannt wurde: Eine Gruppe voneinander komplett unabhängiger Persönlichkeiten, die einen Körper bewohnen.

Ich selbst bin – soweit ich sagen kann – grundsätzlich „zu Hause“, bekomme also mit, was vor sich geht, bin aber nicht immer Hauptakteurin. Mit Hilfe von Psychotherapie, Hypnose, Meditation und Yoga versuche ich, zu meinen Anteilen in Kontakt zu treten – ins Gespräch zu kommen sozusagen – und gemeinsam zu heilen. Dazu gehört unter anderem, meine Erinnerungen wieder mit den dazugehörigen Emotionen zu verknüpfen. Das schmerzt herzzerreißend. Und es macht Angst, weswegen ich in letzter Zeit wieder häufiger von Panikattacken heimgesucht werde.
Und nach der Psychotherapie regelmäßig mit Schmerzschüben auf der Nase liege.
Traumata finden sich nicht einfach nur im Gehirn wieder, sondern in jeder Zelle des Körpers – der Körper hat sozusagen sein ganz eigenes Gedächtnis. Nur so sind transgenerationale Traumata zu erklären und deswegen zieht jede Form der Trauma-Heilung auch den Körper in Mitleidenschaft.

Wenn es richtig gut läuft, wir in der Therapie also große Fortschritte machen, bin ich anschließend zwei bis drei Tage lang krank: Erschöpft, als hätte ich mit einem Bären gerungen, Schmerzen, als hätte ein Elefant auf mir herumgetrampelt, die Aufmerksamkeitsspanne eines Kolibris.

Egal.
Das ist es mir wert!

Buchtips zum Thema

Bessel van der Kolk „verkörperter Schrecken“
Tom Holmes „Reisen in die Innenwelt“
Thich Nhat Hanh „Versöhnung mit dem inneren Kind“
David Emerson, Elisabeth Hopper „Trauma-Yoga
Matt Ruff „Ich und die anderen

Volles Programm

Der Frühling hat es in sich!

Die weise Hebamme unterstützt mich weiter darin, meine Träume zu interpretieren (siehe: Traumfrau), und es ist nicht ungewöhnlich, dass eine solche Sitzung drei Tage dauert. Jedenfalls für mich: Am Vortag übersetze ich Träume und/oder Überlegungen dazu ins Französische und bekomme erste Angstsymptome. Am Tag X selbst bin ich vor dem Termin aufgeregt bis panisch und danach fix und fertig: Dann muss ich erst einmal ins Bett. Am Tag darauf fühle ich mich, als hätte ich eine Mischung aus Ironwoman und Everest-Besteigung hinter mir.

Die Weise Meditierende (siehe: Drei weise Frauen) bietet einen weiteren Workshop an und ich stelle fest, dass ich diesmal, obwohl der Inhalt sich nicht allzu sehr verändert hat, die Meditation ganz anders erlebe, ganz neue Erkenntnisse daraus ziehe. Überflüssig zu erwähnen, dass ich am Tag nach dem mehrstündigen Auftakt, das Bett gehütet habe …

Meine Yoga-Praxis habe ich, nach einer Phase, in welcher sie mir nicht gut getan hat, auf traumasensibles Yoga umgestellt. Damit bin ich sehr zufrieden!
Obwohl ich seit über sechs Jahren mehr oder weniger stets die selben Übungen gemacht und sie immer als wohltuend und entspannend empfunden hatte, habe ich mich in der letzten Zeit gefühlt, als sei mein Körper anschließend sehr aufgeregt, als stünde ich unter Strom. Angenehm war das nicht!
Die traumasensiblen Übungen sind noch kleinteiliger als die, die ich bisher kannte, wirken wie Vorbereitungen auf das, was mir eh schon wie Yoga für Alte und Gebrechliche vorgekommen war. Und sie tun mir gut!
Die Lektüre des entsprechenden Buches allerdings hat mich an meine Grenzen gebracht – dazu ein andermal mehr.

Last not least lerne ich, mich selbst zu hypnotisieren!
Es war – und damit schließt sich sozusagen der Kreis – die weise Hebamme, die mir den Tip gegeben hat, dass die Schmerzabteilung der nächstgelegenen Universitätsklinik Hypnose anbietet.
An dieser Stelle kann ich – trotz aller Bemühungen um eine positive Weltsicht – ein gewisses Maß an Frust und Verbitterung nicht leugnen: Dass ich unter chronischen Schmerzen leide, ist durchaus keine Neuigkeit und ich hatte in besagter Klinik schon mehr als einen Termin!
Warum um alles in der Welt hat mich vorher niemand an diese Abteilung verwiesen?
Aber sei’s drum: Jetzt jedenfalls habe ich den Fuß in der Tür!

Bleibt nur noch, meine diversen Termine so zu koordinieren, dass ich mich vom letzten halbwegs erholen kann, bevor ich Angst vor dem nächsten bekomme …

Flöhe hüten

Die letzten Tage waren alles andere als einfach.
Die Ataxie nach einer entzückenden Romanfigur „Laufente Lisbeth“ zu nennen, kommt meiner Neigung, die Dinge möglichst von der heiteren Seite zu nehmen, entgegen, aber ganz so lustig, wie es klingt, ist es nicht, wenn man tatsächlich Bewegungs- und Koordinationsstörungen hat.
Ich muss höllisch aufpassen, nicht zu stürzen, hebe Tassen und Gläser vorsichtshalber mit beiden Händen zum Mund und übe mich in Gelassenheit, wenn mir der Käse zum dritten Mal vom Brot fällt.

Meine Anteile beginnen sich zu zeigen – nicht nur, wenn sie in der Meditation dazu eingeladen sind, sondern bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit.
Natürlich materialisieren die sich nicht einfach. Und ich höre auch keine Stimmen … jedenfalls nicht wirklich.
Eigentlich – vermute ich jedenfalls – wissen wir alle, wie das ist : „Ich habe auch eine sehr fürsorgliche Seite“, „ich habe eine kreative Ader“ und ähnliche Beschreibungen klingen ja – ebenso wie die „zwei Seelen, ach!“ – nicht unvertraut. Und wir erinnern uns manchmal so lebhaft an die Worte einer Lehrerin oder unseres Großvaters, dass wir sie regelrecht hören können.
Wer alt genug ist, sich noch an das „Lenor-Gewissen“ zu erinnern, weiß, mit welcher Selbstverständlichkeit dieses Bild verstanden wurde und wird.
Meine Anteile scheinen halt … sagen wir … besonders eigenständig unterwegs zu sein.

Nachdem ich bereits verstanden habe, dass, wenn „produktiv“ und „kreativ“ sich verabredet haben, die Ärmel hochzukrempeln und gemeinsam ein Chaos in der Küche zu veranstalten, jemand, dem genau das nicht geheuer ist, sich nicht anders zu helfen weiß, als meinen Blutdruck in die Höhe zu jagen, bemühe ich mich, Ausgleich zu schaffen.
Wir nehmen mal eines der fünf Projekte in Angriff, wir machen das ganz in Ruhe und wir hören dabei einen Krimi (etwas vorgelesen bekommen mögen alle, Krimis die meisten und „das Kind in mir will achtsam morden“ passt einfach wie die Faust auf’s Auge). Das funktioniert.

Aber es ist auch wahnsinnig anstrengend!
Ich kann schließlich nicht jedes Mal, wenn jemandem – Entschuldigung! – ein Pups quer sitzt, eine halbe Stunde lang meditieren, ich muss das irgendwie on the fly koordiniert kriegen.
Und es sind ja nicht nur diese drei: Nach dem Motto „Wehe wenn sie losgelassen“ machen sich potentielle Anteile, Erinnerungen und Glaubenssätze in einem kunterbunten Durcheinander bemerkbar. Zuweilen ist es, als wären die Teile mehrerer Puzzles in eine Schachtel geraten.
Kein Wunder eigentlich, dass in solchen Momenten die (Fein)motorik leidet – das stockt und ruckelt dann wie bei einem Fuhrwerk, in dem jedes Pferd in eine andere Richtung losrennen will.

Immerhin: Es geht voran!
Mit dem Stichwort „Glaubenssatz“ ging es mir sehr ähnlich, wie mit „Dissoziation“ auch: Die Botschaft hörte ich wohl, allein sie kam nicht an … Da musste erst der erwähnte Krimi kommen, der die Information quasi nebenbei einsickern ließ:
Glaubenssätze entwickeln wir in der frühen Kindheit, wenn wir noch ganz und gar abhängig von unseren Eltern sind. Sie erklären uns entweder, warum unsere Bedürfnisse nicht erfüllt wurden („ich bin schlecht, ich habe das nicht verdient“), oder aber, was wir tun müssen, um vor den Augen unserer Eltern zu bestehen.
Da wir diese Sätze tief verinnerlicht haben, handeln wir danach, ohne uns dessen bewusst zu sein.

Neulich hab ich beim Anblick der Wasserflasche auf dem Küchentisch bemerkt, wie durstig ich bin, gleichzeitig aber gesehen, dass die Spülmaschine zu Ende gelaufen war. Und wie selbstverständlich wollte ich diese erst einmal ausräumen, bevor ich etwas trinke.
„Was zur Hölle? Ich hab Durst! Was macht es schon, wenn ich zuerst etwas trinke?“

Ab diesem Moment habe ich angefangen, darauf zu achten, wie ich mit meinen eigenen Bedürfnissen umgehe. Und tatsächlich: Bevor ich mir eines erfülle, erledige ich stets erst irgend etwas anderes.
Kurz darauf hab ich die Worte dann auch klar und deutlich hören können: „Nicht immer alles sofort!“.
Wieder in einer Situation, in der ich Durst hatte. Diesmal allerdings angesichts einer gut gekühlten Flasche köstlichen Wasserkefirs.
Der musste – zugegeben – sehr vorsichtig geöffnet werden, ergo „Nicht immer alles sofort – du kannst Wasser trinken, wenn du jetzt Durst hast!“.
Ich war so empört, dass ich laut geantwortet habe: „Lass das doch mal! Wenn ich verdammt nochmal jetzt Wasserkefir trinken will, dann darf ich das auch!“.

Gesagt, getan.
Okay … die Flasche zu öffnen, war ein riskantes Unterfangen und ist schiefgegangen – gegen Wasserkefir ist selbst gut geschüttelter Champagner ein Niemand. Was sich nicht in der Küche verteilt hat, war dann aber wirklich lecker!
Explosiver noch war die Reaktion meines Körpers: Ich hatte das Gefühl darin regelrecht umhergeschleudert zu werden. Konfrontationskurs scheint als Taktik nur semi-geeignet zu sein …

Also hab ich zu überlegen begonnen, wann dieser Satz hilfreich für mich ist.
Er macht es mir leicht, zwischen den Mahlzeiten nicht zu naschen – darum mag der eine oder die andere mich durchaus beneiden.
Er bewahrt mich vor Spontankäufen: Bei teuren Wünschen kriege ich es mitunter fertig, über Jahre abzuwarten, ob ich etwas wirklich haben möchte. Manche Begehrlichkeit gerät darüber sicher in Vergessenheit, aber mit den Dingen, die ich letztlich tatsächlich kaufe, bin ich dann meist auch hochzufrieden.
Hier habe ich sozusagen Verhandlungsspielraum: Grundbedürfnisse werden zukünftig unverzüglich erfüllt, bei kostspieligen Wünschen soll und darf der Satz geschätzter Ratgeber bleiben.

Was ich gegen das innerliche Zittern, das Gefühl des umhergeschleudert Werdens tun kann, lehrt mich die weise Meditierende: Körperübungen wie Schütteln oder Klopfen geben mir das Gefühl zurück, in meine Haut hineinzupassen.

Dann allerdings, als ich gerade zu hoffen beginne, mit meinen Bemühungen auf einem richtig guten Weg zu sein, meldet sich ein Teil von mir zu Wort, den ich zwar nur zu gut kenne, aber so wenig leiden kann, dass ich ihn beim Einrichten meines Gasthauses sogar dann noch ignoriert habe, als er höchstpersönlich erschienen ist. Soviel zum Thema „ich mag meine Anteile willkommen heißen“ …

Es ist der Teil, der mich undiszipliniert und faul findet. Schon immer fand. Der den ganzen Quatsch mit Depression und Angststörung nie geglaubt hat. Der sich ganz sicher ist, dass ich mir meine Schmerzen lediglich einbilde, die neurologischen Erscheinungen simuliere. Und jetzt auch noch Persönlichkeitsanteile: Is klar!
Dieser Teil findet mich nicht undiszipliniert und faul, er weiß das! Und brüllt mit diesem Wissen alles nieder, bis ich keinen klaren Gedanken mehr fassen kann.


Bei meinem nächsten Gespräch mit der weisen Hebamme breche ich in Tränen aus, kaum dass ich „Bonjour“ gesagt habe.
Ich bemühe mich, hervorzuwürgen, was mir widerfahren ist. Es ist mühselig und frustrierend, das nicht in meiner Muttersprache tun zu können – stattdessen wechseln wir ständig zwischen Französisch und Englisch, je nachdem, wo wir uns gerade beide des Vokabulars sicher sind – aber es verschafft mir auch ein wenig Distanz, so dass es mir leichter fällt, mich zu beruhigen.
Auch der Umstand, dass sie mir ganz und gar unaufgeregt und entspannt zuhört, tut mir gut.

Dafür, dass ich in der Meditation Dinge sehe, meint sie, seien zwei Gründe denkbar: Es könne sich um Erinnerungen aus meiner Familiengeschichte handeln, oder aber – ähnlich wie in Träumen – um Botschaften meines Unterbewusstseins.
Bezüglich der Stimme, die mir erklärt, undiszipliniert und faul zu sein, schlägt sie vor, diese nicht als Teil meiner selbst zu sehen, sondern als Teil meiner Erkrankung, eine Energie, die – einstmals überlebensnotwendig – aus der Vergangenheit bis in meine Gegenwart hinein gewirkt hat, und nun ihre eigene Daseinsberechtigung, ihr eigenes Überleben gefährdet sieht. Und deswegen mit aller Gewalt um sich schlägt.

Auch dieser Teil ist zu jemandes Schutz entstanden, denke ich mir, wenn auch nicht zu meinem: Scheint, ich habe ihn geerbt …
Und ich bin mir durchaus nicht sicher, ob dieses Erbe mir ausschließlich zum Nachteil gereicht: Es könnte ja durchaus dieser Anteil sein, der mich in Krisensituationen völlig gelassen bleiben lässt, der mich befähigt, durchzuziehen, was ich einmal angefangen habe. Der Teil von mir, den andere „mutig“ finden, wenn ich nur tue, was mir unvermeidbar scheint.

Ich sollte ihm danken, finde ich.
Ich erweitere mein Gasthaus um eine Veranda, auf welcher eine alte Dame auf einem Schaukelstuhl sitzend und Erbsen pulend die Abendsonne genießen kann – yup! Rita Mae Brown lässt grüßen! „Jacke wie Hose“ um genau zu sein …
Vielleicht kann dieser Teil von mir sich nach und nach mit der Idee anfreunden, in den Ruhestand zu gehen. Im Fall der Fälle kann er ja immer noch die Ritterrüstung aus dem Schrank holen.

Die Taucherin will den Freischwimmer machen

Ich erinnere mich, dass meine langjährige Therapeutin in Deutschland mir einmal gesagt hat, irgendetwas in mir sauge meine Energie ab, aber sie könne mir beim besten Willen nicht sagen, was das sei.
Und ich selbst habe ja oft genug herumgeblödelt, ich sei so ein optimistischer und positiver Mensch, ich würde überhaupt nicht kapieren, warum ausgerechnet ich Depressionen habe.

Es ist tröstlich, jetzt mit „Trauma“ eine Erklärung zu haben. Ein schwacher Trost andererseits … es wird ja nichts besser davon. Aber die Frage, was um alles in der Welt eigentlich mit mir nicht stimmt, stellt sich jetzt immerhin anders.
Eine neue Fragestellung, leider, mit der ich ins Leere renne.

Ich zähle mich zu den sogenannten KriegsenkelInnen – meine Eltern haben einen Weltkrieg miterlebt, meine Großeltern zwei. Kriegstraumata, das weiß man heute, werden auf vielen verschiedenen Wegen an die nachfolgenden Generationen weitergegeben. Wer hierüber mehr erfahren möchte, dem empfehle ich „Kriegsenkel“ von Sabine Bode.
Ich fand das Buch interessant, habe hier und da Parallelen zu meinem eigenen Leben erkannt, mich aber nicht wirklich wiedergefunden … bis zu dem Kapitel, das mir kurzerhand den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Das mir meine Erinnerungen plötzlich in einem vollkommen anderen Licht zeigte.

Ich bin außerdem ein „Verschickungskind“, eines der Kinder, denen in den 60er und 70er Jahren mehrwöchige Kuraufenthalte zur Stärkung und Förderung ihrer Gesundheit verordnet wurden.
Das Ausmaß der Demütigungen und Misshandlungen, denen die Verschickungskinder in diesen Kurheimen ausgesetzt waren, wird erst jetzt allmählich aufgedeckt (mehr Informationen dazu hier, hier und hier).
Ich selbst habe so gut wie keine Erinnerungen daran – ich war noch zu klein.

In solchen Fällen wird dazu geraten, Angehörige zu fragen, die damals bereits erwachsen waren, die sich erinnern können: Was geschehen ist, was sie beobachtet, vielleicht auch nur gemutmaßt haben …
Aber solche Menschen gibt es in meinem Falle nicht. Da ist niemand, den ich fragen könnte.

Kein Wunder also, dass Gesprächs- und Verhaltenstherapien mir nur begrenzt haben helfen können: Wie hätte ich über Dinge sprechen sollen, von denen ich entweder nicht wusste, dass sie bedeutsam sein könnten (siehe Dissoziation), oder an die ich mich gar nicht erst erinnere?

Ein Online-Kurs, über den ich mehr oder weniger zufällig stolpere (es gibt Momente, da mag ich nicht an Zufälle glauben – aber dazu ein andermal mehr), scheint mir hier eine gute Lösung zu sein, verspricht er doch, Erkenntnisse und Techniken zu vermitteln, die es möglich machen, mit Trauma zu leben, ohne dieses konkret zu thematisieren.

Näher werde ich einer Traumatherapie in der nächsten Zeit nicht kommen: Das Leben im Süden hat viele Vorteile, aber eine hohe Dichte psychotherapeutischer Angebote gehört nicht dazu.
Und wie gesagt: Eine Gesprächstherapie findet ihre natürliche Grenze dort, wo es nichts zu sagen gibt.

Nach den … sagen wir … bemerkenswerten Erfahrungen mit dem letzten (allerdings vorgeblich kostenlosen) Online-Angebot, schaue ich mir den Kurs gründlich an: Die Bedingungen scheinen mir seriös, der Preis angemessen und in diesem Falle gefällt mir auch die Dozentin: Sie erinnert mich sowohl an meine Therapeutin, als auch an meine Yoga-Lehrerin. Beste Voraussetzungen!

Und tatsächlich finde ich an den ersten Lektionen nichts auszusetzen, sie sind informativ und durchaus hilfreich.
So hatte ich mir das vorgestellt: Ich arbeite diese Lektionen durch und am Ende komme ich – ganz flauschig! – mit mir, meiner Familien- und Vorgeschichte, mit all dem Unaussprechlichen, Undenkbaren, der ganzen psychischen Sonderausstattung, einfach besser klar.
Mit der Betonung auf einfach.

Stattdessen schaltet sich mein Gehirn ein.
„Wir machen Traumatherapie? Da simmer dabei! Dat is pri-hi-ma!“*
* Ich kann nicht leugnen, in Sichtweite des Kölner Doms aufgewachsen zu sein …
Und wenn der Kurs noch so sorgsam darauf angelegt ist, nicht zu triggern, mein Gehirn fördert unermüdlich Erinnerungen zu Tage, richtet Scheinwerfer aus, um diese ganz neu zu beleuchten, und kreiert nächtens symbolträchtige Träume.

Zunehmend habe ich den Eindruck, mit der Entscheidung, dieses Thema endlich in Angriff zu nehmen, hab ich es Goethes Zauberlehrling gleichgetan: Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los!
Sehr im Gegensatz zu den rennenden Besen, die der Zauberlehrling nicht mehr zu stoppen vermag, kann ich meine Online-Lektionen allerdings dosieren, das Tempo rausnehmen.

Was sagt eine Schnecke, die auf dem Rücken einer Schildkröte sitzt?
„Huiiiiiiiiiii!“ …

Mir wird klar, dass ich Hilfe benötigen werde … im richtigen Leben!

Und so wende ich mich an die „weisen Frauen“: Die Hebamme eines der Nachbardörfer, die außerdem Psychotherapeutin ist (das gefällt mir sehr: Sie hilft – so oder so – Menschen auf die Welt!) und meine Yoga-Lehrerin. Diese beiden, so hoffe ich, werden mich darin unterstützen, die Wogen, welche mein Selbstversuch in seelischer und körperlicher Hinsicht auslöst, wieder zu glätten.

Das indische Sofa

Nein, ich habe während meiner Therapie nie auf der Couch gelegen.
Es stand eine im Raum, aber wir haben einander immer in Sesseln gegenüber gesessen.
Bei dem Sofa ging es um meinen beständigen Kampf gegen meine Erkrankung.
Denn gekämpft habe ich!

Seltsam … man hört nie, jemand habe gegen die Masern angekämpft. Oder gegen seinen Herzinfarkt. Die hat man einfach. Die übersteht man, oder auch nicht. Von Kampf ist nur bei Krebs die Rede, als sei es ein persönlicher Verdienst, diesen zu überleben. Und eine Niederlage, es nicht zu tun.

Und bei Depressionen. Ich jedenfalls fand, dass dagegen angekämpft gehört!
Man hat mich vielleicht nicht so kämpfen sehen, wenn ich mal wieder stundenlang bewegungslos dasaß, aber ich habe mich bemüht, wahnsinnig bemüht, in Bewegung zu kommen.
Und ich bin wieder und wieder mit zusammengebissenen Zähnen gegen meine Ängste angerannt.

Wenn ich Situationen noch irgendwie aushalten konnte, ohne völlig zusammenzubrechen, dann hab ich das durchgezogen. Und wenn ich doch zusammengeklappt bin, dann war das eben so.
Jadochja, das hat meinen Aktionsradius vergleichsweise groß gehalten. Aber der Preis war auch entsprechend hoch.

Da ist sie dann regelrecht grob geworden,  die kleine Inderin.
„Wenn es Ihnen so schlecht geht, dann legen Sie sich verdammt noch mal hin und seien Sie krank!“. Ich bin mir sicher, sie hat tatsächlich „verdammt“ gesagt …
Und, dass ich so lange liegen bleiben möge, bis ich Lust hätte, wieder aufzustehen.

Ganz ehrlich, ich fand ihren Rat unseriös. Gefährlich.
Wäre ich zu diesem Zeitpunkt nicht schon einige Zeit ihre Patientin gewesen, ich hätte ihn ganz sicher nicht befolgt.

IMG_12508-q-webSo jedoch habe ich das Experiment gewagt:
Ich bin morgens (okay, eher mittags) vom Bett bis zum Sofa geschlufft und hab den Fernseher angemacht. Zu meiner Ehrenrettung: Talkshows bei RTL habe ich immer gemieden! Aber ich habe sehr genau gewusst, wann auf welchem Sender welche uralte Serie wiederholt wurde und bin auch vor „unsere kleine Farm“ nicht zurückgeschreckt.

Irgendwann in der Nacht (wenn ich mit Star Trek und den Wiederholungen der Pathologenkrimis durch war) hab ich den Rückweg ins Bett angetreten.
Dieses Programm hat sich gar nicht mal so sehr von meinem vorherigen Tagesablauf unterschieden …
In erster Linie hab ich einfach aufgehört, mir vorzunehmen, mich jetzt mal zusammenzureißen.
Ich hab aufgehört, mich zu bemühen.

Wundersamerweise begann ich nach ca. einer Woche, mich zu langweilen. Und kleinere Aktivitäten in Erwägung zu ziehen, weil ich Lust dazu hatte.
Und so ist es mir tatsächlich gelungen, mich ganz unbeschadet wieder von meinem Lotterbett zu erheben.

Eine ganze Woche habe ich seitdem nie wieder gebraucht.
Aber wenn ich das Gefühl habe, dass es mir richtig schlecht geht, dass jetzt wirklich alles zu viel ist, dann schreibe ich mir selber eine Entschuldigung und stelle jegliche Bemühung ein. Dann bleib ich im Bett!
Mittlerweile (wenn ich Glück habe) ist „ich bleib heute im Bett!“ um 10 Uhr ausgestanden. An schlechten Tagen erst mittags. Aber es funktioniert tatsächlich, ohne dass ich kämpfe. Weil ich nicht kämpfe.

Außer vielleicht gegen die wohlmeinenden Menschen um mich herum, die nicht müde werden, mich aus meinem Bett holen zu wollen, weil das doch nicht gut sein kann …

Die kleine Inderin

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Bei meiner Suche nach therapeutischer Unterstützung habe ich großes Glück gehabt.
Nach relativ wenigen Anläufen bin ich bei einer Frau gelandet, deren Gesamteindruck – Aussehen, Kleidung, Attitüde – mir freundlich, sanft und warm erschien.

Ich hab sie nie danach gefragt, aber auf mich hat sie den Eindruck gemacht, als müsse sie indische Vorfahren haben, weswegen ich mir irgendwann angewöhnt habe, sie solchen Menschen gegenüber, die wussten, von wem ich spreche, als „die kleine Inderin“ zu bezeichnen. Das scheint mir bis heute sehr viel angemessener, als von „Frau Sowienoch“ oder „meiner Therapeutin“ zu sprechen.

Sie war warm und freundlich! Wenn sie es jedoch für notwendig hielt, wusste sie die Dinge auch ganz unsanft auf den Punkt zu bringen: Knochentrocken, schonungslos und überaus treffend.
Ich erinnere mich an ein Gespräch, in dessen Verlauf ich ihr erklärt habe, ich wolle mit meiner Erkrankung niemandem lästig fallen. Auch meinen Freunden und meiner Familie nicht.
An dieser Stelle hat sie mich ganz freundlich und verständnisvoll angeschaut und mit ihrer sanften Stimme gesagt: „Dann bringen Sie sich am besten um!“ …
Ich hab geschluckt. Schwer geschluckt. Bevor ich dann doch losgelacht habe …

Keine noch so wortreiche und liebevolle Erläuterung der Tatsache, dass ich gar keine andere Wahl habe, als mich der Welt so zuzumuten, wie ich nun mal bin, hätte jemals so eindrucksvoll und nachhaltig sein können!
Ich habe diesen explizit freundlichen und verständnisvollen, tatsächlich aber eher verschmitzten Blick noch häufiger gesehen …
Und mir noch etliche sehr trockene Kommentare angehört.
Für mich hat das gepasst.

Je nachdem, welches Thema wir gerade „auf dem Zettel“ hatten, bin ich unter großen Ängsten zu meinen Terminen gereist (das ist ähnlich, wie beim Zahnarzt: Man fürchtet zwar, dass es wehtun wird, aber man weiß auch, dass man da jetzt durch muß). Manchmal hatte ich vorher überlegt, worüber ich gerne sprechen würde und habe dann doch etwas ganz anderes erzählt. Manchmal habe ich auch einfach nur losgeweint. Es war immer in Ordnung wie es war.

Ich habe während meiner Therapie viele Dinge für mich klären können und einiges über mich gelernt, aber ich glaube, einer der wichtigsten Punkte war tatsächlich der, dass es eine Anlaufstelle für mich gab, die – ganz egal, was gerade los war – für einen Moment Ruhe und Klarheit brachte.
Mein Leben war nach 50 Minuten Gespräch natürlich nie besser als davor, aber ich konnte es für diesen Moment gefasster betrachten. Manchmal sogar mit einem Lachen.

Vom Suchen und Finden von Hilfe

Man muss kein fettes psychisches Problem haben, um therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen.

IMG_11693-q-webPsychotherapeuten können Hilfestellung bei schwierigen Lebensentscheidungen bieten, Menschen bei der Aufarbeitung schmerzhafter Erinnerungen unterstützen, ihnen helfen, sich selber besser zu verstehen, liebevoll und achtsam mit sich umzugehen. Für mein Empfinden ist die Hemmschwelle, sich helfen zu lassen, viel viel höher, als es für die meisten von uns förderlich ist.

Man benötigt allerdings ein fettes psychisches Problem, um das nötige Durchhaltevermögen für die meist monatelange Wartezeit auf einen Termin zu entwickeln.

Es ist verrückt: Dass Therapeut/Therapeutin und Methode zum erkrankten Menschen passen müssen, ist meines Wissens unumstritten. Dass beide es auch „miteinander können“ müssen, kann sich jeder Depp an den Fingern einer Hand abzählen. Trotzdem kann man im „richtigen Leben“ froh sein, wenn man nach einigen Monaten einen Termin bei irgendeinem Therapeuten bekommt. Daraus muss dann natürlich nicht zwingend etwas werden. Der Therapeut entscheidet, ob sein Gegenüber seiner Meinung nach therapiewillig und -fähig ist. Und ob es „passt“.

So kann es einem psychisch kranken Menschen, der nach Hilfe sucht, tatsächlich passieren, dass nicht einmal sein potentieller Therapeut Lust hat, sich mit ihm und seinen Problemen zu befassen!
Objektiv mag sich das anders darstellen: Ganz bestimmt kann ein Therapeut einschätzen, ob er einem Patienten helfen können wird, oder eher nicht. Und natürlich handelt er nur verantwortlich, wenn er diesen zu einem Fachkollegen schickt.

Nur, dass das „Schicken zum Fachkollegen“ ein Zurückschubsen in die Warteschleife ist: Telefoniere Dich weiter durch die Liste und warte weitere x Monate, bis Du einen neuen Termin hast.

Und mehr als das: Einem psychisch kranken Menschen, der den Mut gefunden hat, sich helfen lassen zu wollen, zu signalisieren „Du bist nicht einmal dafür gut genug“ (und genau so kommt die Nachricht an!) schubst diesen womöglich an einen Punkt zurück, von welchem aus er gar keine Hilfe mehr suchen mag.

Diejenigen unter uns, die akut suizidgefährdet sind, können sich selbstverständlich jederzeit an die psychosomatische Ambulanz wenden. Aber muss ich mich denn, verdammt noch mal, gleich ernsthaft umbringen wollen, um zeitnah Hilfe zu bekommen?