Die weise Hebamme hat mir vorgeschlagen, mit meiner inneren Familie zu arbeiten, dem Internal Familiy System.
Dieses Modell geht davon aus, dass jeder Mensch über verschiedene Persönlichkeitsanteile verfügt, die wie eine Familie zusammenleben. Klingt erst einmal abstrakt, ist aber eigentlich sehr vertraut: Kennen wir nicht alle die innere Stimme, den inneren Kritiker, den inneren Monk?
Jedes Mitglied einer solchen Familie hat eigene Fähigkeiten und Qualitäten und möchte damit zum gemeinsamen Wohl beitragen. Ungünstige Rahmenbedingungen und Traumata können jedoch dazu führen, dass einzelne Mitglieder genötigt sind, Rollen zu übernehmen, die nicht dem entsprechen, was sie eigentlich leisten könnten oder gerne würden.
Insbesondere bei traumatisierten Menschen kann dieser Effekt sehr ausgeprägt sein.
Dass das bei mir der Fall ist, weiß ich schon seit Längerem, und es war mein großer Wunsch, eine entsprechende Therapie zu machen.
Ich finde kaum die richtigen Worte dafür, dass die weise Hebamme in aller Stille die entsprechende Fortbildung absolviert hat – „ich rechne ihr das hoch an“ trifft es nicht wirklich.
Ich finde sie großartig!
Über die „große Erfahrung“ die Therapeut:innen im Umgang mit Menschen wie mir eigentlich haben sollten, verfügt sie freilich noch nicht, aber wir kennen einander gut und nicht nur ich habe Vertrauen zu ihr: Die Crew vertraut ihr ebenfalls.
Und irgendwo muss sie ja auch herkommen, die Erfahrung!
Schiss habe ich trotzdem!
Mehr lesen:
„Reisen in die Innenwelt“, Tom Holmes
Die Entwicklung des Internal Family Systems Model
IFS geht außerdem davon aus, dass es neben den Anteilen ein „Selbst“ gibt, welches über viele entscheidende Führungsqualitäten wie Perspektive, Vertrauen, Mitgefühl und Akzeptanz verfügt, auch wenn der Mensch manchmal kaum Zugang dazu hat.
Ich erinnere mich, dass wir uns bei einem Workshop der weisen Meditierenden schon einmal mit dem IFS beschäftigt haben …
Seinerzeit habe ich Symbole für meine verschiedenen Anteile gezeichnet – und auch eines für mein Selbst:
Mein Selbst ist ein Känguru!
Kängurus haben große Füße und einen starken, muskulösen Schwanz: Prima Bodenhaftung also, so ein Känguru haut so schnell nichts um!
Witzigerweise verfügt meines außerdem über etliche der Eigenschaften, die Laut IFS das Selbst kennzeichnen.
Die acht C’s nämlich:
Calmness, curiosity, clarity, compassion, confidence, creativity, courage, and connectedness
(Gelassenheit, Neugierde, Klarheit, Mitgefühl, Selbstvertrauen, Kreativität, Mut und Verbundenheit).
Mein Känguru schaut mit offenen Augen und gespitzten Öhrchen in die Welt uns es lächelt dabei!
Die roten Boxhandschuhe stehen für seine Bereitschaft, sich im Zweifel auch auseinanderzusetzen.
Und der Beutel für den Schutz, den es zu geben vermag.
Schiss
Panikattacken vor und während der Therapie-Sitzungen nehme ich mittlerweile vergleichsweise gelassen hin, aber ich erinnere mich an eine Gelegenheit, in der ich nur noch versucht habe, zu atmen, und wie durch einen Tunnel die Stimme der weisen Hebamme hörte, die mir erklärte „Sie sind hier bei mir, hier in dem kleinen, vertrauten Raum, Sie sitzen auf dem Sessel, ihre Füße stehen auf dem Boden …
Ich habe Angst, bei dem Versuch, mit meinen Anteilen Kontakt aufzunehmen, von ihren Emotionen völlig überwältigt zu werden.
Deswegen will ich versuchen, das Känguru in der Hypnose als posthypnotischen Auslöser zu etablieren:
Ich lasse mich soweit wie irgend möglich in eine entspannte Trance fallen und suggeriere mir, dass ich dieses Gefühl erleben werde, sowie ich an ein Känguru denke.
Das Känguru ist gelassen, neugierig, mitfühlend, kreativ und mutig. Es steht stabil und ist bereit, in Verbindung zu gehen.
Und es klappt!
Wenn ich während der IFS Sitzung zu meinem Selbst zurückkehren möchte, fühlt sich das an, als würde ich mich in einen Sessel plumpsen lassen!
Das Känguru steht stabil. Ich kann durchatmen und mich an die C’s erinnern.
Überhaupt ist die Sitzung sehr viel weniger gruselig, als ich befürchtet hatte!
Es wird – aus den verschiedensten Gründen – viel geweint, das schon …
Aber eines meiner drängendsten Probleme resultiert aus der Frage, ob es wohl okay ist, das Taschentuch, das ich alle paar Minuten benötige, einfach auf meinem Schoß abzulegen, oder ob ich es jedes Mal auf’s Neue in meiner Hosentasche versenken und anschließend umständlich wieder hervorholen muss. Immerhin habe ich diesmal mehrere Taschentücher dabei!
Therapeut:innen – das weiß ich aus jahrzehntelanger Erfahrung! – haben zwar immer eine Packung Kleenex bereitstehen, aber nie einen Papierkorb, um die benutzten Tücher zu entsorgen.
Bevor ich also meine Taschen mit durchweichten Papiertüchern vollstopfe, rüste ich mich lieber mit einer Handvoll Herren-Taschentücher in annähernder Tischtuch-Größe aus.
Die weise Hebamme versichert mir, dass es auch zukünftig nicht schlimmer werden wird, als bei diesem ersten Mal.
Wirklich überzeugt bin ich davon nicht: Wenig überraschend haben sich solche Anteile „zu Wort“ gemeldet, die auch sonst präsent und kooperativ sind.
Darüber, was passieren könnte, wenn sich diejenigen zeigen, die hin und wieder gut Lust hätten, das Haus in Schutt und Asche zu legen, denke ich nicht so gerne nach.
Für’s Erste jedoch hat das gut geklappt!
Ich bin fasziniert – und zutiefst dankbar – dass tatsächlich eine Synthese aus Meditation, Hypnose und Psychotherapie möglich ist!
Wirklich überraschend scheint mir das nicht zu sein, die Parallelen sind nicht von der Hand zu weisen …
Aber vielleicht braucht es dazu eine „Versuchs-Umgebung“ wie hier auf dem Land:
Fachleute jeglicher Couleur sind hier sehr weit weg, ganz egal, ob es sich um Schornstein-Feger:innen, oder Zahnärzt:innen handelt.
Wie alle anderen auch habe ich hier lernen müssen, Dinge selbst zu reparieren, kranke Tiere selbst zu behandeln, Wunden zuzukleben, weil keine Ärzt:in kommt, die sie näht.
Wenn außer mir niemand da ist, um den Job zu erledigen, dann bin ich die Beste dafür!
So mag es kommen, dass weise Hebammen und Männer mit heilenden Händen sich trauen, Menschen wie mich zu behandeln, die … sagen wir … zuweilen recht unverhoffte Reaktionen zeigen können.
Das funktioniert nicht nur … es ist auch ganz wunderbar!