Small world

IMG_17836-q-webManchmal, wenn ich von meinem Leben auf dem Hof erzähle, habe ich Sorge, missverstanden zu werden.
Von solchen Menschen, die gerne lesen möchten, daß „es“ geht. Dass man sich einfach nur zusammenreißen muss.
Stimmt ja auch: Wenn die Schafe in meinem in liebevoller Kleinarbeit angelegten Blumenbeet stehen, dann reiße ich mich zusammen!
Und wenn das Hundekind Hilfe benötigt, kann ich mein Krankenlager tatsächlich in ganz erstaunlicher Geschwindigkeit verlassen.
Wer Antriebslosigkeit für ein Symptom der Depression hält, hat mich noch nicht in Pantoffeln und ohne Brille über den Hof flitzen sehen …
Geht doch!
Klar geht das.
Aber es geht tatsächlich nur so: Wenn es nottut, mobilisiere ich die letzten Reserven.
Dabei muss ich allerdings keinerlei Kapazitäten für etwaige Gesellschaftsfähigkeit vergeuden – wenn ich barfuß und im Nachthemd losmarschiere, ist das im Zweifel auch recht.
Und wenn ich mich bei einer solchen Aktion so sehr verausgabe, daß ich für den Rest des Tages in einen Status mentaler Beschäftigung (ich denke intensiv darüber nach, was ich alles erledigen könnte) verfalle, dann ist das so.

Ich freue mich, wenn wir Gäste haben. Es ist schön, mal andere Gesichter zu sehen, sich über andere Dinge zu unterhalten. Es stresst mich auch nicht, für viele Leute zu kochen – im Gegenteil, mir macht das Spaß. Aber ich kann nicht wie gewohnt meine Kreise ziehen. Ich beteilige mich am Gespräch (oder bemühe mich jedenfalls), versuche, möglichst „normal“ zu wirken und reiße mich zusammen, wenn was ist, weil ich weder Lust noch die Kraft habe, mich ständig zu erklären. Und weil es doof ist, beim Essen in Tränen auszubrechen … da kann man noch so selbstbewußt zu seiner wackligen Psyche stehen.
„Besuch“ bringt mich ganz schnell an meine Grenzen. Und dann empfinde ich jeden Schritt auf mich zu als unerträgliche Grenzüberschreitung. Gegen die ich mich nicht verwahren kann, weil meine Kapazitäten ja sowieso und so weiter …
„Gäste haben“ kostet mich Kraft, die dann anderswo fehlt und es kann mir passieren, daß ich anschließend komplett auf der Nase liege.
Ich nehme das gerne in Kauf. Wie gesagt: Ich habe gerne Gäste!
Wer in seiner Freizeit Marathon läuft, nimmt ja auch in Kauf, daß er am nächsten Tag arg müde ist (jedenfalls stelle ich mir das so vor). Bei mir liegt die Marathon Marke halt eher bei der Sprintdistanz …

Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wieviel ich tatsächlich arbeite.
Ich kümmere mich.
Ich bereite Essen zu. Ich denke mir Rezepte aus, experimentiere herum und gebe mir alle Mühe, aus dem. was der Hof gerade bietet, das Beste und Leckerste zu machen.
Das mag so aussehen, als würde ich stundenlang einfach leise singend in der Küche stehen. Und vielleicht ist es ja auch so. Objektiv gesehen.
Ich versorge Tiere. Ich suche verloren gegangene Schafe und verarzte verletzte Hunde.
Das mag so aussehen, als würde ich stundenlang leise vor mich hin plappernd einen Hund kraulen …
Die Messlatte für mein Tun hängt denkbar niedrig.

Ja, es stimmt, ich muss mich einfach nur aufraffen, mich lediglich zusammenreißen, aber was die Höhe der Latte betrifft, ist jeder Limbo-Tänzer ein Niemand gegen mich!
Ja, ich fasse jeden Tag auf’s Neue den Mut, der Welt ins Auge zu sehen. Ich erhebe mich aus meinem Bett und trete ihr entgegen.
Ich musste nur die Welt auf Erbsengröße schrumpfen lassen und schon war alles gut.

Ich will das nicht noch kleiner reden, als es sowieso schon ist.
Schließlich habe ich es über Jahrzehnte trotz aller Bemühungen nicht geschafft, mich der Welt anzupassen.
Nun habe ich das Glück, mir eine Welt maßschneidern zu können, in der ich leidlich normal funktionieren kann.
Wer nun also einem depressiven Menschen „Erhebe Dich!“, „Nimm Dir ein Beispiel, raffe Dich auf!“ zurufen möchte, der biete bitteschön auch die entsprechende erbsgroße Welt an. Alles andere ist unfair.

warum?

Ob ich wohl eines schönen Tages damit werde aufhören können, mir über das „warum“ den Kopf zu zerbrechen?
Ich habe Tiefs, wenn ich überfordert bin und nicht schnell genug einen Ausweg finde. Oder wenn meine Grenzen längerfristig (also geringfügig länger als ganz kurzfristig) übertreten werden.
Das ist nicht schön und ich sollte bitte! dringend! endlich mal! einen Weg finden, besser auf mich acht zu geben.
Ich habe Tiefs, wenn etwas Trauriges passiert ist. Wenn ich einen Wutanfall hatte. Oder nach einem Streit.
Alles nicht schön. Aber immerhin erklärlich.

IMG_10784-q-webBleiben die Tage, an denen ich morgens wach(?) werde und mir nicht erklären kann, was ich verbrochen habe, dass ich mich so fühle …
In einem meiner Vorleben eine größere Stadt angezündet und auf der Leier dazu gespielt?
Nicht, daß ich wüßte … und nein, ich glaube nicht an Reinkarnation …
Ja, es liegt womöglich in der Familie. Und ja, ich bin Kind eines Kriegs(traumatisierten)kindes, auch da kann man irgendwann sicherlich mal ein Äugelein drauf werfen.
Hin und wieder riskiere ich tatsächlich einen Blick …

Aber für’s Erste wüßte ich manchmal einfach gern „warum?“!
Also: „warum“ heute?
Jahreszeiten sind ja durchaus verdächtig, Depressionen auszulösen oder zu verstärken … also habe ich geguckt, ob auch das Wetter eine Rolle spielt.
Nun ja, ich bin bei Sonnenschein tendenziell besser drauf als bei Starkregen, vermute aber, dass ich dabei schlicht dem Bevölkerungsdurchschnitt entspreche …
Ich hab nach meinem Zyklus geguckt und nach den Mondphasen …
Nickes …

Warum mir das wichtig ist?
Weil ich mir Berechenbarkeit wünsche! Vorhersehbarkeit!
Ich hab mir mit dem Hammer auf den Daumen gehauen: Er ist blau und tut weh. Ich hab zu viel getrunken: Ich hab Kopfweh und mir ist schlecht. Es ist Vollmond: Ich kann nicht schlafen. Der Feuermann tanzt über die Felder …
Aber nicht dieses wach(?) werden und mich fragen, was ich jetzt wieder verbrochen habe.
Und Endlichkeit: Blaue Flecken heilen, Kater lassen nach, der Mond nimmt ab und Dürre vergeht. Danach ist Ruhe. Erst einmal.

Vielleicht ist das genau der Gefallen, den ich mir noch tun muss: einfach akzeptieren, dass diese Tage kommen. Einfach so, ohne Grund. Dass der nächste Tag wieder besser ist. Oder der übernächste. Oder einer in der Woche drauf. Und das dann ein paar gute Tage kommen. Mal mehr, mal weniger.

Aber eigentlich finde ich, daß ich in den letzten 10, 15 Jahren genug akzeptiert, genug losgelassen habe!
Ich habe mir alle erdenkliche Mühe gegeben und allmählich fände ich es einfach fair, wenn ich diese Drecksdepressionen endlich los wäre!