Grünes Licht

Unter Anderem übe ich in der Therapie, schmerzhafte Emotionen zu … hmhmhmen … anstatt zu dissoziieren.

Anfangen mag ich der Einfachheit halber damit, was Dissoziation (an dieses Thema habe ich mich hier schon einmal herangepirscht) eigentlich ist:
Dissoziation fängt zum Beispiel da an, wo die Worte meines Gegenübers mir zum einen Ohr rein und zum anderen gleich wieder raus gehen. Wo ich einen Text lese, den Inhalt aber nicht aufnehme.
„Danke, wir nehmen nichts!“-Momente des eigenen Gehirnes sozusagen.
Die kennen wir alle und sie sind eigentlich nichts Schlimmes: Eine Art Filter, der uns vor zu vielen Informationen schützt.

Am eindrücklichsten erinnere ich solche Momente aus der Schule:
Ich war entsetzlich schlecht in Mathe und Chemie. Dennoch schien mir jeder Beginn eines neuen Kapitels, besser noch: eines neuen Schulhalbjahres eine Chance zu sein!
Jedes mal auf’s Neue war ich gänzlich erfüllt von gutem Willen, habe meine komplette Aufmerksamkeit auf Lehrkörper und Tafel gerichtet, bereit, alles und jedes zu notieren …
… um eine unbekannte Anzahl von Minuten später festzustellen, dass ich augenscheinlich irgendwo ganz anders gewesen war. Beim Unterricht ganz sicher nicht! Und auch sonst nirgends – jedenfalls nicht, dass ich mich erinnern könnte.
Aber nein: Ich möchte damit nicht sagen, dass der Mathematik-Unterricht in der Mittelstufe des Gymnasiums mich traumatisiert hat („gemacht“ hat diese Erfahrung schon etwas mit mir, keine Frage … aber das ist ein ganz anderes Kapitel)!
Ich bin mir lediglich sicher, dass viele Menschen sich in diesem Beispiel wiedererkennen: Die Erkenntnis, definitiv anwesend gewesen zu sein, bei völligem Fehlen einer Erinnerung daran, was tatsächlich passiert ist …
So in etwa fühlt sich Dissoziation an. Für den Alltagsgebrauch sozusagen …

Bei Menschen, die Traumata tragen, ist all das sehr viel stärker ausgeprägt: Dissoziation kann Erinnerungen, aber auch damit verknüpfte Emotionen „fernhalten“.
So kommt es zum Beispiel, dass Menschen sich zwar an einen schweren Unfall erinnern, nicht jedoch an die Todesangst, die sie in diesem Moment verspürt haben.

Dissoziation kommt nicht nur in Form von Konzentrationsschwierigkeiten, Absencen, „Schusseligkeit“ oder Gedächtnislücken daher, sondern manifestiert sich auch im Körper.
Wie sich das anfühlt?
Stellt Euch vor, Ihr seid mit einer anderen Person unterwegs, und diese legt plötzlich ein Verhalten an den Tag, das Euch enorm peinlich ist. Dann tretet Ihr vielleicht einen Schritt zur Seite, um zu dokumentieren „damit habe ich nichts zu tun, die kenne ich nicht!“.
Wenn Ihr beides seid: Diese peinliche Person und Ihr selbst gleichzeitig, dann steht Ihr neben Euch!
So fühlt sich das für mich oft an: Ich mache einen Schritt / rücke auf meinem Stuhl ein Stück zur Seite, aber mein Körper kommt nicht mit.
Wenn es sehr heftig ist, fühlt es sich an, als würdet Ihr Auto fahren und auf der Autobahn plötzlich von einer heftigen Windbö erfasst werden. Oder als würde Euch jemand vom Stuhl zu schubsen versuchen.
Bis Euch das klar wird, glaubt Ihr vielleicht, Ihr hättet einfach Kreislaufprobleme, oder irgendwas Neurologisches.

Fun Fact: Bei mir führt das hin und wieder dazu, dass ich buchstäblich über meine eigenen Füße falle. Das passiert zum Beispiel immer dann, wenn ein Teil von mir ganz dringend zur Psychotherapie möchte, ein anderer das aber für eine unheimlich blöde Idee hält. Dann laufe ich mit dem linken Fuß geradeaus, während der rechte überholt und schnibbelt, um zurück nach Hause zu gehen.
Der Rest ist Slapstick

Dissoziation schafft Distanz.

Das Gegenteil von Dissoziation ist Assoziation, Verbundenheit, „in Verbindung gehen“.
Das eingangs erwähnte „Hmhmhm“!
Beim „Hmhmhm“ ist häufig die Rede davon, eine Emotion, einen Zustand zu halten – also nicht aushalten im Sinne von Ertragen, sondern halten wie „Halt geben“. Den Halt nicht verlieren.
Das habe ich auch sehr abstrakt gefunden bis es mir gelungen ist, ein inneres Bild dafür zu kreieren.

Und womöglich ist genau das der Punkt: Dass wir lernen müssen, innere Bilder zu finden!
Thich Nath Hanh* vergleicht unser Geistbewusstsein (aktive Bewusstheit, aktives Gewahrsein, oder schlicht Bewusstsein) mit einem Wohnzimmer; unser Speicher- oder auch Unterbewusstsein dagegen mit einem Keller, in welchem unsere vergangenen Erfahrungen, Regungen und Emotionen wie Samen gelagert sind. Entsprechende Umstände vorausgesetzt, können diese Samen aufsteigen und sich in unserem Wohnzimmer manifestieren. Tom Holmes** übernimmt dieses Bild in seinem Buch über die systemische Arbeit mit Persönlichkeitsanteilen.
Ich für mein Teil denke bei „Wohnzimmer“ an Wohnzimmer: Sitzgarnitur (wieso um alles in der Welt eigentlich „ …-garnitur“?), Schrankwand, Teppich, Zimmer-Araukarie …
Stopp! So kann ich nicht arbeiten …“!

Mein „Wohnzimmer“ ist einfach eine imaginäre Höhle in meinem Brust- und Bauchraum, eine Art überdimensionale Gebärmutter, weich und geschützt. Den nötigen Platz schaffe ich, indem ich mich sitzend entspannt mit dem Rücken anlehne während meine Füße fest auf dem Boden stehen und die Hände auf den Oberschenkeln ruhen. Ich lehne mich sozusagen in mein Selbst zurück, stehe stabil und geerdet und gebe Raum.
Diesen Raum können Anteile, Erinnerungen oder Emotionen einnehmen. Auf diese Weise überfluten sie mich nicht, sondern ich kann sie betrachten und in Verbindung gehen.
Gut möglich, dass ich dabei zu weinen beginne. Manchmal lächele ich auch, oder neige den Kopf, weil ich jemandem zuhöre. Hin und wieder spreche ich auch mit mir.

Das muss merkwürdig klingen!
Dass es eine solche Erleichterung ist, eben nicht eine in der Form gegossene Persönlichkeit zu sein, die – zugegeben – ordentlich Probleme mit sich selber hat, sondern ein Konglomerat aus mir selbst, meinen eigenen Anteilen, solchen, die ich geerbt habe (wäre ich ein Haus, es würde in mir spuken), abgespaltenen Emotionen und vagabundierenden Erinnerungen!
Aber genau so ist das. Erst seit ich das verstanden habe, kann ich Gastgeberin in meinem eigenen Haus sein. Kann mich in meinem Selbst verorten und alles andere / alle anderen einladen, sich zu zeigen. Ohne dabei aus der Kurve zu fliegen.
Ich erinnere mich, dass ich früher hin und wieder gesagt habe „In mir ist so viel Weinen – wenn ich damit erst einmal anfange, kann ich nie wieder aufhören!“.
Deswegen habe ich mir das immer zu verkneifen versucht.
In dem Raum, den ich öffne, kann und darf geweint werden!
Und hier stellt sich in aller Regel nach erstaunlich kurzer Zeit Erleichterung ein.

Sind die Emotionen sehr heftig, kann ich den Raum „größer ziehen“ – so, wie das in Sience Fiction Filmen zu sehen ist, wenn virtuelle Darstellungen mit einem Wischen der Hand vergrößert werden. Dann ist der Raum in mir plötzlich wesentlich größer, als ich selbst.
Das hat zu Anfang nicht immer geklappt: Manchmal habe ich auch einen Tunnelblick bekommen, zu meinen Seiten wurde es schwarz, der Tinnitus hat gekreischt wie verrückt, und wenn es richtig dicke kam, habe ich mich nur noch an der Stimme der weisen Hebamme festhalten können: „Sie sind hier bei mir! Sie sitzen im Sessel und ihre Füße stehen fest auf dem Boden! Sie sind in Sicherheit!“ …

Neulich nun habe ich eine Emotion eingeladen, von der ich wusste, dass sie vermutlich überwältigend sein würde.
Ich habe den Raum in mir so groß „gezogen“, wie es nur irgend möglich war. Er war nicht groß genug …
Und dann ist etwas ganz wundersames geschehen:
Der Raum hat sich mit einer Kindheitserinnerung gefüllt!

Ich war mit meinen Eltern und der Familie in einem Restaurant – oft ist das nicht vorgekommen, es muss eine ganz besondere Gelegenheit gewesen sein.
Der Gang zu den Toiletten verlief außerhalb des Hauses, war jedoch mit einer Wand aus gewelltem Kunststoff abgeschirmt. Transparentem, grünem Kunststoff. Wenn die Sonne schien, war dieser Gang erfüllt von hellgrünem Licht! Als Kind hat mich das vollkommen fasziniert.
Schlagartig war ich in meine Kindheit zurückversetzt: „Grünes Licht! Wow!“ …
Und irgendwo oben auch „rot“ wie von einer Sonne …

Ich erkläre mir das so:
Die Emotion, die sich hätte zeigen wollen, war zu heftig, als dass ich sie hätte halten können.
Sie hätte mich vom Stuhl gehauen.
Stattdessen hat mein Unbewusstes mir die grüne Brille aufgesetzt.
Eine andere Form der Dissoziation, wenn man so will. Eine ganz andere: Nichts daran war unangenehm oder gar beängstigend!
Noch sehe fühle ich nicht klar, aber ich habe keinen Grund, mich zu fürchten.
Ich werde lernen, diese Emotion zu halten:
Schließlich hat mein Unbewusstes mir buchstäblich „grünes Licht“ gegeben!

* Thich Nhat Hanh „Versöhnung mit dem inneren Kind“
** Tom Holmes „Reisen in die Innenwelt“

zweckentfremdet

Die Crew hat Gefallen an der Arbeit mit dem Internal Family System gefunden und beteiligt sich rege!
Allerdings nicht ganz so, wie ich mir das gedacht hatte: Viele nutzen erst einmal den sicheren Raum der Hypnose, um sich zu zeigen.

Wie das vonstatten geht?
Die Art und Weise, wie Menschen sich in eine hypnotische Trance versetzen, ist ganz individuell: Manche zählen rückwärts, andere stellen sich vor, eine Treppe hinabzusteigen … ich betrete ein Haus und gehe durch die verschiedenen Räume. In einem davon habe ich als Teenager gern meine Zeit verbracht, in einem anderen als Kind gespielt: Wer nicht an der eigentlichen Hypnose teilnehmen möchte, oder noch zu klein dafür ist, kann in einem dieser Räume bleiben und sich anderweitig beschäftigen (von einem Radio und Schreibzeug über Comics und Wasserfarben bis hin zu Playmobil-Figuren ist alles da).
Wer abgelenkt und mit Alltagsdingen beschäftigt ist, kann in der Küche bleiben – da ist immer was zu tun. Dort lege ich auch mein I-Phone ab und es gibt einen Notizblock, um Dinge zu notieren, die ich nicht vergessen möchte.
Erst dann betrete ich das Wohnzimmer und strecke mich auf dem Sofa aus.
Hier bin ich in Sicherheit – um ganz sicher zu gehen, schlüpfe ich noch unter eine magische Decke – und weitgehend frei von Ablenkung.


Jetzt beginnt die eigentliche Arbeit.
Zu Anfang habe ich sehr darauf geachtet, unangenehme Aspekte zu eliminieren: Plötzlich auftretende Schwärze und andere bedrohlich wirkende Eindrücke habe ich in einem Giftschrank (Vertiko) verwahrt, um nicht von ihnen beeinträchtigt zu werden.

Dann allerdings hat die weise Hebamme eingewandt, es sei nicht Sinn einer Psychotherapie, Dinge wegzusperren.
Wo sie Recht hat …

Natürlich sind das zwei verschiedene Dinge!
Die Hypnose sollte ursprünglich ja dazu dienen, meine chronischen Schmerzen zu lindern. Andererseits erscheint es mir wenig sinnvoll, Meldungen meines Unbewussten zu ignorieren – meine Träume bespreche ich ja auch in der Psychotherapie.

Dennoch bin ich vorsichtig: Der Giftschrank ist weiterhin tabu!
Wenn es jedoch zum Beispiel vorkommt, dass sich im Kinderzimmer „etwas“ bemerkbar macht, nehme ich es mit auf’s Sofa, um es in Augenschein zu nehmen.
Das Känguru hilft mir, von dem, was ich sehe / empfinde nicht überwältigt zu werden.
Zum Teil verbergen sich unter der Schwärze im Kinderzimmerschrank schmerzliche Erinnerungen. Dann kann ich versuchen, das Kind zu trösten und andere, stärkendere Erinnerungen zu etablieren indem ich sozusagen „das Manuskript umschreibe“.
Oft bleibt es aber bei vagen Eindrücken: Schwärze, andere Farben oder Lichteffekte, Missempfindungen, Schmerzen …
Dann stelle ich Fragen: „Wer bist du?“ „kannst du sprechen?“ „was möchtest du?“ „hast du eine Emotion für mich?“, „was kann ich für dich tun?“ …
Ich muss mich anstrengen, geduldig zu sein und mir die Antworten nicht selbst zu geben.
Oft bleibt mir nur, mein Willkommen auszusprechen, Mitgefühl zu äußern und eine gemeinsame Entspannungsübung anzubieten. Das allerdings wird gerne angenommen.
Und die Frage „möchtest Du zur weisen Hebamme mitkommen?“ wird regelmäßig bejaht!

Was längst nicht bedeutet, sich dort zu zeigen, oder gar zu sprechen!
Aber Dabeisein und Zuhören scheinen sehr wichtig zu sein.
Wenn es dann soweit ist, herrscht große Aufregung! Und teils auch Uneinigkeit: Es ist mir schon mehr als einmal passiert, dass beim Aufbruch der rechte Fuß den linken überholt und geschnibbelt hat, um umzukehren und zurück zum Haus zu gehen. Ich besinne mich dann auf das bewährte Entenwatscheln, habe vor lauter Angst Durchfall und weine viel. Von Schmerzen mal gar nicht zu reden …

Klingt irre? Finde ich auch!
So knallverrückt, wie das klingt, fühle ich mich gar nicht!
Dennoch ist die Annahme, dass ich „viele“ bin bislang die logischste Erklärung, für all meine Symptome und Befindlichkeiten.
Daher bin ich geneigt, es mit Sir Arthur Conan Doyle zu halten: „Wenn man das Unmögliche ausgeschlossen hat, muss das, was übrig bleibt, die Wahrheit sein, so unwahrscheinlich sie auch klingen mag.“

interdisziplinär

Die weise Hebamme hat mir vorgeschlagen, mit meiner inneren Familie zu arbeiten, dem Internal Familiy System.
Dieses Modell geht davon aus, dass jeder Mensch über verschiedene Persönlichkeitsanteile verfügt, die wie eine Familie zusammenleben. Klingt erst einmal abstrakt, ist aber eigentlich sehr vertraut: Kennen wir nicht alle die innere Stimme, den inneren Kritiker, den inneren Monk?
Jedes Mitglied einer solchen Familie hat eigene Fähigkeiten und Qualitäten und möchte damit zum gemeinsamen Wohl beitragen. Ungünstige Rahmenbedingungen und Traumata können jedoch dazu führen, dass einzelne Mitglieder genötigt sind, Rollen zu übernehmen, die nicht dem entsprechen, was sie eigentlich leisten könnten oder gerne würden.
Insbesondere bei traumatisierten Menschen kann dieser Effekt sehr ausgeprägt sein.

Dass das bei mir der Fall ist, weiß ich schon seit Längerem, und es war mein großer Wunsch, eine entsprechende Therapie zu machen.
Ich finde kaum die richtigen Worte dafür, dass die weise Hebamme in aller Stille die entsprechende Fortbildung absolviert hat – „ich rechne ihr das hoch an“ trifft es nicht wirklich.
Ich finde sie großartig!
Über die „große Erfahrung“ die Therapeut:innen im Umgang mit Menschen wie mir eigentlich haben sollten, verfügt sie freilich noch nicht, aber wir kennen einander gut und nicht nur ich habe Vertrauen zu ihr: Die Crew vertraut ihr ebenfalls.
Und irgendwo muss sie ja auch herkommen, die Erfahrung!

Schiss habe ich trotzdem!

Mehr lesen:
„Reisen in die Innenwelt“, Tom Holmes
Die Entwicklung des Internal Family Systems Model

IFS geht außerdem davon aus, dass es neben den Anteilen ein „Selbst“ gibt, welches über viele entscheidende Führungsqualitäten wie Perspektive, Vertrauen, Mitgefühl und Akzeptanz verfügt, auch wenn der Mensch manchmal kaum Zugang dazu hat.

Ich erinnere mich, dass wir uns bei einem Workshop der weisen Meditierenden schon einmal mit dem IFS beschäftigt haben …
Seinerzeit habe ich Symbole für meine verschiedenen Anteile gezeichnet – und auch eines für mein Selbst:
Mein Selbst ist ein Känguru!


Kängurus haben große Füße und einen starken, muskulösen Schwanz: Prima Bodenhaftung also, so ein Känguru haut so schnell nichts um!
Witzigerweise verfügt meines außerdem über etliche der Eigenschaften, die Laut IFS das Selbst kennzeichnen.
Die acht C’s nämlich:
Calmness, curiosity, clarity, compassion, confidence, creativity, courage, and connectedness
(Gelassenheit, Neugierde, Klarheit, Mitgefühl, Selbstvertrauen, Kreativität, Mut und Verbundenheit).

Mein Känguru schaut mit offenen Augen und gespitzten Öhrchen in die Welt uns es lächelt dabei!
Die roten Boxhandschuhe stehen für seine Bereitschaft, sich im Zweifel auch auseinanderzusetzen.
Und der Beutel für den Schutz, den es zu geben vermag.

Schiss

Panikattacken vor und während der Therapie-Sitzungen nehme ich mittlerweile vergleichsweise gelassen hin, aber ich erinnere mich an eine Gelegenheit, in der ich nur noch versucht habe, zu atmen, und wie durch einen Tunnel die Stimme der weisen Hebamme hörte, die mir erklärte „Sie sind hier bei mir, hier in dem kleinen, vertrauten Raum, Sie sitzen auf dem Sessel, ihre Füße stehen auf dem Boden …
Ich habe Angst, bei dem Versuch, mit meinen Anteilen Kontakt aufzunehmen, von ihren Emotionen völlig überwältigt zu werden.
Deswegen will ich versuchen, das Känguru in der Hypnose als posthypnotischen Auslöser zu etablieren:
Ich lasse mich soweit wie irgend möglich in eine entspannte Trance fallen und suggeriere mir, dass ich dieses Gefühl erleben werde, sowie ich an ein Känguru denke.
Das Känguru ist gelassen, neugierig, mitfühlend, kreativ und mutig. Es steht stabil und ist bereit, in Verbindung zu gehen.

Und es klappt!
Wenn ich während der IFS Sitzung zu meinem Selbst zurückkehren möchte, fühlt sich das an, als würde ich mich in einen Sessel plumpsen lassen!
Das Känguru steht stabil. Ich kann durchatmen und mich an die C’s erinnern.

Überhaupt ist die Sitzung sehr viel weniger gruselig, als ich befürchtet hatte!
Es wird – aus den verschiedensten Gründen – viel geweint, das schon …

Aber eines meiner drängendsten Probleme resultiert aus der Frage, ob es wohl okay ist, das Taschentuch, das ich alle paar Minuten benötige, einfach auf meinem Schoß abzulegen, oder ob ich es jedes Mal auf’s Neue in meiner Hosentasche versenken und anschließend umständlich wieder hervorholen muss. Immerhin habe ich diesmal mehrere Taschentücher dabei!

Therapeut:innen – das weiß ich aus jahrzehntelanger Erfahrung! – haben zwar immer eine Packung Kleenex bereitstehen, aber nie einen Papierkorb, um die benutzten Tücher zu entsorgen.
Bevor ich also meine Taschen mit durchweichten Papiertüchern vollstopfe, rüste ich mich lieber mit einer Handvoll Herren-Taschentücher in annähernder Tischtuch-Größe aus.

Die weise Hebamme versichert mir, dass es auch zukünftig nicht schlimmer werden wird, als bei diesem ersten Mal.
Wirklich überzeugt bin ich davon nicht: Wenig überraschend haben sich solche Anteile „zu Wort“ gemeldet, die auch sonst präsent und kooperativ sind.
Darüber, was passieren könnte, wenn sich diejenigen zeigen, die hin und wieder gut Lust hätten, das Haus in Schutt und Asche zu legen, denke ich nicht so gerne nach.

Für’s Erste jedoch hat das gut geklappt!
Ich bin fasziniert – und zutiefst dankbar – dass tatsächlich eine Synthese aus Meditation, Hypnose und Psychotherapie möglich ist!
Wirklich überraschend scheint mir das nicht zu sein, die Parallelen sind nicht von der Hand zu weisen …
Aber vielleicht braucht es dazu eine „Versuchs-Umgebung“ wie hier auf dem Land:
Fachleute jeglicher Couleur sind hier sehr weit weg, ganz egal, ob es sich um Schornstein-Feger:innen, oder Zahnärzt:innen handelt.
Wie alle anderen auch habe ich hier lernen müssen, Dinge selbst zu reparieren, kranke Tiere selbst zu behandeln, Wunden zuzukleben, weil keine Ärzt:in kommt, die sie näht.
Wenn außer mir niemand da ist, um den Job zu erledigen, dann bin ich die Beste dafür!

So mag es kommen, dass weise Hebammen und Männer mit heilenden Händen sich trauen, Menschen wie mich zu behandeln, die … sagen wir … zuweilen recht unverhoffte Reaktionen zeigen können.
Das funktioniert nicht nur … es ist auch ganz wunderbar!

Tauchen in fremden Gewässern

Mittlerweile gibt es schon über 100 Taucherinnen-Texte!
Zeit für einen Rückblick und ein weiteres Update.

2015 habe ich begonnen, davon zu erzählen, wie es eigentlich ist, an einer psychischen Erkrankung (damals Depression und Angststörung) zu leiden, was ich schon alles dagegen zu unternehmen ausprobiert hatte und wie ich nun versuchen wollte, nicht mehr mich selbst, sondern mein Leben so zu verändern, dass dieser Schatten von mir genommen werden möge.
Das hat – auch wenn es nicht ganz einfach war – funktioniert: Ich habe Tage, an denen ich mich deprimiert fühle, aber keine Depressionen mehr.

Stattdessen habe ich begonnen, an chronischen Schmerzen und diversen, sehr seltsamen neurologischen Symptomen zu leiden. Im Laufe eines mehrjährigen Diagnose-Marathons, während dessen ich gelernt habe, dass es die exotischen Erkrankungen, über die bei Dr. House diskutiert wird, tatsächlich gibt, ich aber keine davon habe, sondern körperlich eigentlich erfreulich gesund bin, wurde ich zunächst mit Borreliose, letztendlich aber mit Fibromyalgie diagnostiziert.
Fibro ist, platt gesagt, das, was übrig bleibt, wenn’s alles andere nicht ist.

Fibromyalgie gilt allerdings auch als typische Folge von Traumata.
Das passt: Ich bin sowohl Kriegsenkelin, als auch Verschickungskind und habe vermutlich selbst traumatische Erfahrungen gemacht, die allerdings bis jetzt einer Amnesie unterliegen.
Auf eine rein medikamentöse Behandlung mochte ich mich nicht einlassen, will sagen: Ich nehme die notwendigsten Medikamente, verzichte aber nach Möglichkeit auf solche, die erhebliche Nebenwirkungen, oder aber Suchtpotential haben. Stattdessen versuche ich es mit Psycho-, Physio- sowie Hypnosetherapie.
Medikamente vermögen die ärgsten Symptome zu lindern – ich möchte heilen!

Dabei hat sich gezeigt, dass ich dissoziative Fähigkeiten entwickelt habe.
Das ist insofern völlig normal, als Menschen, die traumatische Situationen erleiden, die unerträglichen Emotionen, die damit einhergehen, immer „abspalten“ – sie verschwinden einfach aus ihrem Bewusstsein.
Für mich bedeutet das, dass ich Erinnerungen habe, die sich völlig „neutral“ anfühlen, ich kann keinerlei Emotion damit in Verbindung bringen. Ich kann mir zwar vorstellen, wie ein Mensch in dieser Lage sich fühlen muss, aber ich selbst empfinde nichts.

So, wie es aussieht – oder sich für mich anfühlt – habe ich nicht nur Emotionen „abgespalten“, sondern auch Teile meiner Persönlichkeit.
Auch das ist eigentlich völlig normal: Wir alle haben verschiedene Persönlichkeitsanteile.
„Das innere Kind“ oder „der innere Kritiker“ zählen zu den Klassikern. Wir alle agieren im Beruf anders, als wir das als Freund:in, Partner:in, Mutter oder Vater tun würden. Und manchmal merken wir, dass es nach einem harten Arbeitstag schwierig ist, in eine der „privaten“ Rollen zu schlüpfen.
Bei traumatisierten Menschen, kann diese Aufteilung in verschiedene Anteile sehr viel ausgeprägter sein, bis hin zu dem, was früher „multiple Persönlichkeit“ genannt wurde: Eine Gruppe voneinander komplett unabhängiger Persönlichkeiten, die einen Körper bewohnen.

Ich selbst bin – soweit ich sagen kann – grundsätzlich „zu Hause“, bekomme also mit, was vor sich geht, bin aber nicht immer Hauptakteurin. Mit Hilfe von Psychotherapie, Hypnose, Meditation und Yoga versuche ich, zu meinen Anteilen in Kontakt zu treten – ins Gespräch zu kommen sozusagen – und gemeinsam zu heilen. Dazu gehört unter anderem, meine Erinnerungen wieder mit den dazugehörigen Emotionen zu verknüpfen. Das schmerzt herzzerreißend. Und es macht Angst, weswegen ich in letzter Zeit wieder häufiger von Panikattacken heimgesucht werde.
Und nach der Psychotherapie regelmäßig mit Schmerzschüben auf der Nase liege.
Traumata finden sich nicht einfach nur im Gehirn wieder, sondern in jeder Zelle des Körpers – der Körper hat sozusagen sein ganz eigenes Gedächtnis. Nur so sind transgenerationale Traumata zu erklären und deswegen zieht jede Form der Trauma-Heilung auch den Körper in Mitleidenschaft.

Wenn es richtig gut läuft, wir in der Therapie also große Fortschritte machen, bin ich anschließend zwei bis drei Tage lang krank: Erschöpft, als hätte ich mit einem Bären gerungen, Schmerzen, als hätte ein Elefant auf mir herumgetrampelt, die Aufmerksamkeitsspanne eines Kolibris.

Egal.
Das ist es mir wert!

Buchtips zum Thema

Bessel van der Kolk „verkörperter Schrecken“
Tom Holmes „Reisen in die Innenwelt“
Thich Nhat Hanh „Versöhnung mit dem inneren Kind“
David Emerson, Elisabeth Hopper „Trauma-Yoga
Matt Ruff „Ich und die anderen

traumhaft

Jeden Morgen bzw. jeden Tag – sowie es mir halt gelungen ist, das Bett zu verlassen – trotte ich zu meinem Rechner, notiere, wie es mir geht, vermerke Schmerzen auf einer Skala von 1 bis 10 und schreibe auf, was ich geträumt habe. Das mach ich schon seit Jahren so.
Manchmal sind es nur Stichworte – für Träume, an die ich mich detailliert erinnere, gibt es ein eigenes Dokument.

Über Jahre haben an den meisten Tagen Stichworte gereicht, weil meine Träume sich kaum verändert haben, jetzt werden die Beschreibungen lang und immer länger.
Zum Einen ist das natürlich Übungssache: Noch im Halbschlaf lasse ich den Traum der letzten Nacht Revue passieren und merke mir die wichtigsten Stichpunkte. Die Details fallen mir beim Aufschreiben von selbst wieder ein. Ich bin verblüfft, wie viele Motive regelmäßig wiederkehren!
Zum Anderen reagiert mein Traumgeschehen ganz offensichtlich auf die Therapie: Als endlich jemand zuhört, werden bestimmte Themen nicht mehr stereotyp wiederholt, sondern mehr und mehr aufgedröselt.

Wie um alles in der Welt erklär ich das?
Vielleicht ist das am ehesten wie bei einem Menschen, der zunächst nur „Hallo? Hallo!“ ruft, und dann vielleicht „ich brauche Hilfe!“. Wenn darauf niemand adäquat reagiert, bleibt es dabei: „Hallo?“
„Hilfe!“
Wenn nun aber jemand die Sprache versteht und die richtigen Fragen stellt – zum Beispiel „was genau ist ihr Problem?“, „wo befinden sie sich?“, „wie kann ich ihnen helfen?“, dann werden auch die Antworten ausführlicher.

Die Erkenntnisse aus den Gesprächen mit der weisen Hebamme, fließen in zukünftige Träume ein, die „Drehbücher“ verändern sich. Fragen, die wir im Gespräch nicht zu lösen vermögen, werden in folgenden Träumen aufgegriffen.
Das ist, als würde sie via Flaschenpost mit meinem Unbewussten kommunizieren.

Hin und wieder bekommen wir dabei Besuch. Nicht nur von Aglaia, sondern auch von den anderen – dann kann es passieren, dass ich unbewusst auf meinem Sessel zur Seite rücke, um Platz zu machen. Sie sagen nichts, aber sie hören sehr aufmerksam zu!


Neulich hat sich ein Kind nach vorn gewagt und war beim anschließenden Einkauf im Supermarkt immer noch da. Nein, ich habe weder die Spielzeugabteilung gestürmt, noch die mit den Süßwaren! Aber es gab eine unübersehbare Faszination für Glitter, welche ich normalerweise nicht teile …
Im Nachhinein bedaure ich, dass ich dennoch versucht habe, mich wie eine disziplinierte Erwachsene zu verhalten. Es wäre Zeit genug gewesen, dem Kind seinen Spaß zu lassen!

Einige Tage später, beim Besuch eines Museums zur Geschichte der Cévennen, habe ich die Chance genutzt: Hugenotten? Camisarden? Gepfiffen!
Wir sind dann schon mal zu den ausgestopften Tieren vorgelaufen, haben zutiefst bedauert, niemandem erzählen zu können, dass wir eine Ginsterkatze mal „in echt!“ gesehen haben (die anderen haben sich tatsächlich immer noch mit den historischen Dokumenten beschäftigt), mit offenem Mund das aufgezäumte Maultier bestaunt (und uns mit Mühe daran erinnert, dass wir da nicht „Ei machen“ dürfen), sind dem Zwitschern der Vögel und dem „Mäh!“ der Schafe hinterhergetollt, mussten fast weinen beim Anblick der stachelbewehrten Halsbänder für die Herdenschutzhunde und haben fein aufgepasst, dass wir weder die Exponate anfassen, noch uns die Nase an den Glasscheiben stoßen. Ich hab es genossen!

Normalerweise bin ich nach einem solchen Ausmaß an Reizen fix und fertig, diesmal hätte ich anschließend sehr gerne noch ein großes Eis gehabt. Und habe keins gekriegt, weil die Erwachsenen Kaffee trinken wollten und Kaffee und Eis übertrieben fanden.
An meinem Umgang mit den Kindern muss ich noch arbeiten …

Volare

Ein Ort in meinem Körper, an dem mich mich meistens wohlfühle, ist meine Schädeldecke. Schmerzen empfinde ich hier nur dann, wenn ich wieder einmal die Höhe eines cévenolen Kellereinganges falsch eingeschätzt habe: Dann allerdings schmerzt es enorm! Und eine Beule bildet sich auch.
Ansonsten fühle ich meinen Scheitel. Es ist kühl, angenehm und prickelt ein bisschen.

Der Mann im weißen Kittel möchte wissen, wie genau diese Stelle sich anfühlt.
Nun … rund und flach … wir reden schließlich von meiner Schädeldecke.
Hart … weich … was weiß denn ich?
Aber wenn er schon unbedingt wissen will, welche Farbe dieser Ort hat, dann ist das Ding grün!

Ich bin genervt. Die Führung durch die Hypnose stört mich mehr, als sie hilft: Schon bevor ich mit Hypnose angefangen habe, habe ich einen fächerförmigen Bodyscan vom Kopf beginnend geübt – er dagegen scheucht mich von den Füßen zum Kopf hin. Und er redet mir zu viel. Wie um alles in der Welt soll ich mich dabei konzentrieren?

Den „Wohlfühlort“ oben auf dem Kopf zu verorten, ist praktisch: Von da aus kann ich das Gefühl einfach „am Körper herab fließen lassen“. Wasser allerdings fließt zu schnell, besser sind zähflüssige Dinge wie Honig oder Sirup.
Da passt nun aber die Farbe nicht: Schließlich hab ich mich ja auf „grün“ festgelegt …
Als ich ein Kind war, gab es „Slime“: Einen giftgrünen, ekligen Glibber, dessen einziger Nutzen darin bestand, giftgrün und eklig zu sein, und zu tun, was Glibber so zu tun pflegt – der Schwerkraft folgend herumzuglibbern.
Ich kippe mir also beherzt einen Becher „Slime“ über den Kopf. Autosuggestion ist alles: Was da an mir herabrinnt, ist kühl. erinnert an Meerwasser und prickelt angenehm auf der Haut!
Das klappt recht gut bis der Mann im weißen Kittel die Anweisung gibt, einer meiner Arme – rechts oder links – möge leichter werden.

Dabei ist der Schleim gerade mal an meinen Schultern angekommen!

Nun gut … eigentlich ist meine linke Körperhälfte diejenige, die gut „ansprechbar“ ist.
Ich „steuere“ also meinen linken Arm an und frage nach „Leichtigkeit“. Die Antwort – in ihrer höflichsten Übersetzung – lautet „Geh weg!“ …
So wird das nichts. Ich disponiere um und ersetze herunter rinnenden Schleim durch aufsteigendes Wasser.
Das funktioniert!
Ich stelle mir vor, wie der Wasserspiegel steigt,meine Arme allmählich anhebt und schließlich meinen ganzen Körper trägt. Ich schwimme unheimlich gern und natürlich kann ich mit dem „toten Mann“ etwas anfangen!

Er seinerseits blättert in seinen Unterlagen. Ist dem langweilig???
Ich versuche, meine Gesichtszüge unter Kontrolle zu behalten, ruhig zu atmen und die Erfahrung unter „Hypnose unter erschwerten Bedingungen“ zu verbuchen.

Als ich gerade Wellenbewegungen „zuschalte“ und beginne, mich so richtig wohlzufühlen, bringt der Mann im weißen Kittel die Paraglider ins Rennen …
Die habe ich selbst als Symbol für „Leichtigkeit“ ausgewählt.
Allerdings liege ich gerade auf dem Rücken … das tun Paraglider nicht.
Ich wälze also das Bild meiner selbst mit der gebotenen Vorsicht herum und gleite nunmehr durch die Luft. Das klappt insofern ziemlich gut, als ich den Aussichtspunkt, von dem aus die Paraglider in der Realität starten, sehr gut kenne. Der Blick nach unten ist mir vertraut, auch wenn ich nie selbst geflogen bin.

Jetzt ist er um den Schreibtisch herum gegangen und tippt auf seiner Tastatur. Was denkt der sich eigentlich??? Gut, dass ich die Augen geschlossen habe – so sieht man nicht, wenn ich sie rolle.
Erstaunlich, dass ich trotz meiner Erbitterung immer noch schwebe!

Aber es ist doof, ein Gleitschirm zu sein! Auch wenn er grün ist …
Ich lade Aglaia ein, mitzufliegen.
Ihr Symbol ist der Rabe. Ganz sicher vermag das Schwarz ihrer Federn in Grün zu changieren!
Sie breitet ihre Schwingen aus und ich kann den Luftzug darunter spüren.
Ich kreise über dem Gipfel, dann steuere ich solche an, die schneebedeckt sind. Ich genieße die eisige Kälte!
Dann jedoch lasse ich mich zu Tal tragen, falte meine Schwingen.
Als der Mann im weißen Kittel mich ins „Hier und Jetzt“ zurückführt, bin ich längst dort angekommen.
Besser ist das: Mitten im Flug meine Füße auf dem Boden zu spüren, hätte mich vermutlich in Schwierigkeiten gebracht.

Erst auf dem Heimweg wird mir klar, dass ich diesmal keine Angst bekommen habe. Nicht einmal dann, als ich so tief in Trance war, dass ich meine Arme sanft davon abhalten musste, sich tatsächlich auszubreiten: Durch das Geraschel und Getippsel wusste ich die ganze Zeit, wo der Mann im Raum! ist und was er gerade tut.

Sonnenfinsternis

Bei unserer nächsten Begegnung führt der Mann im weißen Kittel mich erneut in meinen safe room und leitet dort einen Bodyscan an. Ich selbst nehme mir gewöhnlich mehr Zeit dafür, aber ich habe geübt: Mittlerweile produziere ich vermutlich schon Alphawellen, sowie ich mich aus der tatsächlichen Welt verabschiede.

Nun soll ich in mich hinein fühlen: Wo in meinem Körper fühle ich mich besonders wohl?
Das geht dich einen Sch****dreck an!“
Hoppla! Gut, dass ich das nicht laut gesagt habe …

Ich einige mich mit mir darauf, dass er von der Sonne in meinem Bauch, die ich während der Meditation dort verortet habe, wissen darf.
Ja, ich weiß, welche Form sie hat.
Und ja, auch, welche Farbe!
Als ich sie berühren soll, muss ich kurz nachdenken: Sonnen sind sehr sehr heiß!
Aber es ist meine Sonne – ich werde mich nicht verbrennen.

Alles weitere erinnert sehr an die Anleitungen der weisen Meditierenden: Ich lasse das Licht meiner Sonne den ganzen Körper durchströmen.
In einem sicheren Raum funktioniert das ungleich besser: Mein Körper entspannt sich, während er sich gleichzeitig aufrichtet. Ich beginne zu lächeln.

Bist du irre? Der Typ sitzt direkt neben dir und du bist völlig weggetreten!“
Laut teile ich mit, dass ich Angst bekomme.
Der Versuch, mich in meinen sicheren Raum zurückzuführen scheitert: Ich bin angespannt wie eine Bogensehne und bitte, die Hypnose zu beenden.
So viel self care immerhin ist mir möglich.

Der Mann im weißen Kittel erklärt mir, dass er da ist, um meine Sicherheit während der Hypnose zu gewährleisten.
Ich meinerseits versuche zu erklären, dass ich das im Kopf völlig klar habe, dass aber jemand durchaus anderer Meinung ist.
Keine Ahnung, ob er das nachvollziehen kann …
Auf mich wirkt er eher, als nehme er das persönlich.

Egal. Normalerweise übe ich ja allein.
Und zunächst klappt das sehr gut! Dann jedoch beginnt die Sonne in meinem Bauch sich zu verändern. Sie wird schwarz und es gelingt mir nicht, sie wieder leuchten zu lassen.
Zunächst fühle ich mich an eine Sonnenfinsternis erinnert und ich versuche, zumindest den Strahlenkranz leuchten zu lassen. Später allerdings kommt meine Sonne mir eher wie ein schwarzes Loch vor. Beides scheinen mir mächtige Symbole zu sein.

Ein schwarzes Loch saugt alle Energie in sich hinein … und Energie ist genau das, was mir fehlt!
Ob ich sie wohl entfesseln kann?
Ich beschließe, offen zu sein, zu experimentieren … kann ich anstelle von Licht auch Kraft durch meinen Körper strömen lassen?
Ich kann! Aber das Ergebnis ist nicht angenehm. Ich fühle mich unwohl und habe einige Mühe, in meinen safe room und von da aus in die Wirklichkeit zurückzufinden.

Ich bitte eine liebe Freundin um ihren Rat. Wir kennen einander aus meiner ersten Therapie – also sozusagen schon ewig – sie ist heute Psychologin und setzt ebenfalls Hypnose ein.

Sie rät mir, meinen sicheren Raum noch weiter abzusichern. Das hatte ich intuitiv schon recht gut gelöst, die Details aber „geschlabbert“ als mit der Suche nach einem „Wohlfühl-Bereich“ und dessen Ausdehnung eine weitere Aufgabe hinzukam.

Die Details eines solchen sicheren Raumes faszinieren mich sehr.
Die ursprüngliche Anleitung lautete „was ist rechts von mir, was geradeaus und was links?“, „was kann ich hören, was riechen?“.
Da mein sicherer Raum tatsächlich existiert und mir sehr vertraut ist, kann ich ihn ganz detailliert vor meinem inneren Auge erstehen lassen, aber nicht jedes Detail ist gleich wichtig und es kommen – so wie im Falle des zartgelben Kissens – auch solche hinzu, die eine wichtige Rolle spielen, ohne tatsächlich existent zu sein. Andere – wie ein Kruzifix in der Zimmerecke – sind zwar da, haben aber eine ungute Wirkung, weswegen ich sie lieber nicht anschaue.
Bunte Perlen in der Nähe des Fensters, die das Sonnenlicht einfangen, kann ich nutzen, um Licht in die Dunkelheit zu bringen, eine Patchwork-Decke hilft mir, meinen Körper zu fühlen. Von anderen Details weiß ich noch nicht, wie sie mir helfen können.

Klingt wie eine Mischung aus „Monkey island“ und „Der Herr der Ringe“.
Scheint aber zu funktionieren.

Trauma-Yoga

… ist eine Yoga-Praxis, die auf die Bedürfnisse traumatisierter Menschen abgestimmt wurde.
Das interessiert mich natürlich! Ich habe mich über Jahre außerordentlich wohlgefühlt mit meinen Übungen, hatte immer den Eindruck sie tun mir gut … bis sie mir plötzlich nicht mehr gut taten.
Die weise Yogini hat mir geraten, zu pausieren und stattdessen zu gehen – was ich auch tue.
Aber lieber noch möchte in meine Yoga-Praxis in einer Form wieder aufnehmen, die zu meiner derzeitigen Verfassung passt.

Obwohl es eigentlich nur die Übungen sind, die mich interessieren, schaffe ich es nicht, die Einleitung zu überspringen. Dabei weiß ich längst, wie Traumata sich auf den Körper auswirken und dass Yoga dabei hilft, diese zu bewältigen! Schließlich bin ich auf Trauma-Yoga überhaupt nur gekommen, weil ich „Verkörperter Schrecken“* gelesen habe!
Und so erfahre ich tatsächlich nicht viel Neues, aber ich werde ganz zappelig vor Widerwillen, muss immer wieder Pausen machen, weil mir das Atmen schwerfällt.
Irgendwann wird die Stimme laut und deutlich:
„Das ist etwas wirklich Schlimmes! Das hast du nicht! DU stellst Dich nur an!“

(„Verkörperter Schrecken“ habe ich – wie alles, was triggern könnte – auf dem Klo gelesen, also regelmäßig, aber immer nur sehr kurze Passagen. „Trauma-Yoga“ auf dem Sofa, weil ich begierig war, mit den Übungen anzufangen.)

Ich quäle mich weiter und erfahre, dass „normale“ Yoga-Kurse traumatisierte Menschen häufig komplett überfordern, weil schon die Anweisung, etwas zu tun, zu viel sein kann, unterstützend gemeinte Berührungen unerträglich sind und sie – sofern sie überhaupt so weit kommen – bei eher dynamischen Formen wie Vinyasa-Yoga „einfach“ dissoziieren.
„Prima“ denke ich mir „da war ich in meinem Hatha Yoga Kurs unter der einfühlsamen Leitung der weisen Yogini ja schon richtig gut aufgehoben!“
War ich auch! Abgesehen von der Klitzekleinigkeit, dass ich all die Jahre lang nicht bemerkt habe, welche Teile meiner Muskulatur sich dabei niemals auch nur andeutungsweise entspannt haben.
Ich wusste nicht einmal, dass die angespannt waren. Schlimmer noch: Ich muss andere Menschen fragen, wie das bei ihnen eigentlich ist, weil ich keine Ahnung habe, wie sich bestimmte Muskelpartien normalerweise anfühlen.
Es ist die weise Hebamme, die mich auf den Gedanken bringt, dass ich bei meinem bisherigen Training möglicherweise nicht immer dabei war.
Na toll.

Endlich zu den Übungen vorgedrungen, bin ich … erschüttert, tief enttäuscht.
Ich hatte mir großartige Erkenntnisse erhofft, aber was mir hier geboten wird, ist … minimalistisch.
Im Vergleich dazu ist das bisherige Hatha Yoga für Senior:innen Hochleistungssport!
Das ist kein Yoga! Das ist Pillepalle!“
Nun … ja.

Zunächst suche ich mein Heil darin, meine gewohnten Übungen um ein paar traumasensible Gimmicks zu erweitern, aber dann rufe ich mir in Erinnerung, dass ich bisher vermutlich dissoziiert habe und mir keinen Gefallen tue, wenn ich so weitermache.
Ich beschließe, einen Monat lang wirklich nur die Übungen aus dem Buch zu absolvieren.
Schadt ja nicht. Und dann guck ich, ob’s was genutzt hat.
Das fällt schwerer, als gedacht! Immer wieder habe ich die Idee, welche kleine Übung ich noch einbauen könnte. Oder ich könnte einmal pro Woche richtiges Yoga machen!
Dabei ist der Monat noch nicht einmal zur Hälfte vorbei …

Gleichzeitig empfinde ich die pillepalle Übungen als durchaus anstrengend – vermutlich, weil ich erst jetzt wirklich erforsche, was sie bewirken.
Ich lausche dem Knirschen, das entsteht, wenn ich meinen vornüber gebeugten Kopf vorsichtig hin und her rolle. Meine Schulterkreise holpern und rütteln auf eine Art und Weise, dass ich mich zu fragen beginne, ob es sich dabei wirklich um Kugelgelenke handeln kann. Am liebsten mag ich die Übung, bei der ich mich – mit gebeugten Knien wohlgemerkt! – einfach vornüber beuge: Die gehört für mich seit Jahren zur Trainingsroutine, aber jetzt erst geben meine Muskeln nach und ich bin völlig überrascht, wie anders sich das anfühlt.
Je weniger ich versuche, eine Übung „korrekt“ auszuführen, desto mehr kann ich mein Augenmerk darauf richten, was im „Rest“ meines Körpers passiert: Da entspannen sich plötzlich Muskeln, von denen ich nicht einmal wusste, dass ich sie habe!

Zum Teil hätte ich mir eine detailliertere Beschreibung der Übungen gewünscht; andererseits könnte ich mir vorstellen, dass Menschen, für die Yoga ein Wagnis ist, das sie erst einmal in Angriff nehmen müssen, von wortreichen Anleitungen eher abgeschreckt werden.
Außerdem – und das ist den Autor:innen außerordentlich wichtig – geht es nicht darum, die Übungen korrekt auszuführen, sondern Menschen zu ermutigen, mit ihnen zu experimentieren.
Für völlig Ungeübte allerdings wäre wenigstens ein Tip schön, wie sie aus der Rückenlage in die Sitzhaltung kommen, ohne sich weh zu tun.

Hin und wieder dauert es mich, dass das Bisschen mühsam aufgebauter Muskelkraft und Gelenkigkeit nun vermutlich wieder schwinden wird, aber als der Monat endlich überstanden ist und ich wieder richtig Yoga machen könnte, merke ich, dass ich beim Pillepalle bleiben mag.
Mehr noch: Ich mache mittlerweile Pausen zwischen den einzelnen Übungen und manchmal sogar zwischen einzelnen Übungsschritten: Weil ich zum Beispiel gemerkt habe, dass meine Schultermuskulatur zwischendurch zu „zappeln“ beginnt. Jetzt warte ich, bis das vorbei ist – früher wäre es mir gar nicht erst aufgefallen.
Klar: Wenn mich der Hafer sticht, mache ich all die schönen Übungen, die ich in den letzten Jahren erlernt habe! Aber ansonsten mag ich erst einmal in meinem Körper ankommen.

Der dritte und letzte Teil des Buches richtet sich an Therapeut:innen und Yoga-Lehrer:innen. Ich lese auch den: Weil es mir schwer fällt, Bücher beiseite zu legen, ohne sie zu Ende gelesen zu haben, aber auch, weil ich mir weitere hilfreiche Informationen erhoffe.
Und tatsächlich werde ich nicht enttäuscht.
Die Vorstellung, meine eigene Therapeutin, meine eigene Yoga-Lehrerin zu sein, hilft mir, zu tun, was mir ansonsten oft schwer fällt: Für mich zu sorgen.
Eine unangenehme oder schmerzhafte Übung einfach mal abzubrechen; nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, dass mir kalt oder zu warm wird, sondern etwas daran zu ändern – und zwar sofort und nicht erst, wenn ich eine Übungssequenz komplett absolviert habe. Pausen zu machen!

Für mich sind das keine Selbstverständlichkeiten.
Genau genommen war für mich nichts von dem, was ich bei der Lektüre von Trauma-Yoga für mich entdeckt habe, eine Selbstverständlichkeit.
Ich würde mir sehr wünschen, dass das Buch für andere Betroffene ebenso hilfreich ist!

* „Verkörperter Schrecken“, Bessel van der Kolk, ISBN 978-3-944476-13-1

Mein Freund der Baum

Als die weise Meditierende bei unserem vorerst letzten Treffen zur gemeinsamen Achtsamkeitspraxis ein Experiment vorschlägt, spüre ich, dass einige Angst bekommen, lasse mich aber darauf ein, weil ich andererseits auch neugierig bin und nichts verpassen möchte.
Aglaia ist sofort bei mir – sie wirkt alarmiert.

Aber es beginnt ganz harmlos: Wir sind eingeladen, uns einen Baum vorzustellen. Es kann ein Baum sein, den wir kennen, oder einer, den wir in unserer Phantasie erstehen lassen. Ich muss spontan an die große Steineiche denken, den schönsten Baum des Hofes. Andererseits sind dort die Hunde begraben … ob das eine gute Idee ist? Birken mag ich auch! Vielleicht lieber eine Birke?

Das Bild der Steineiche schiebt sich immer wieder in den Vordergrund. Nun denn … immerhin kann ich diesen Baum deutlich vor mir sehen.

Es ist eine kontemplative Übung, eine Betrachtung.
Wir beginnen damit, die Wurzeln des Baumes zu betrachten, die ihm Halt und Sicherheit geben, aus denen er seine Kraft zieht, und stellen uns die Frage, was unsere eigenen Wurzeln sind.
Unsere Familie vielleicht, oder die Kultur, in der wir aufgewachsen sind.
Über meine familiären Wurzeln möchte ich lieber nicht nachdenken, so viel ist sicher!
Kultur? Seit ich im Ausland lebe, weiß ich, dass ich sehr viel deutscher bin, als ich immer dachte – aber grad ist das auch keine Hilfe.
Steineichen wurzeln tief, denn der Boden, in welchem sie gedeihen, ist karg und trocken. Sonderlich nährend kommt mir das jetzt auch nicht vor.
Mir wird bewusst, dass Traumata den Betroffenen all das nehmen: Das Gefühl, verwurzelt zu sein und Halt zu finden. In Sicherheit zu sein. Kein Wunder, dass ich mit dem Bild nicht klarkomme!
Die Erkenntnis tut weh und Aglaia macht sich bemerkbar: Dunkelheit breitet sich aus und ich bekomme Schmerzen. Ich versichere ihr, dass ich vorsichtig sein werde.
Wenn ich keine Wurzeln habe, dann will ich mich jetzt und hier in diesem Boden verwurzeln, mich mit dem Stück Land verbinden, auf welchem ich im Laufe der letzten Jahre Halt und Sicherheit gefunden habe!

Der Stamm steht für unsere Fähigkeiten, unsere Ressourcen.
Schreiben! Schreiben, gar keine Frage, ist eine meiner wichtigsten Ressourcen! Kreativität überhaupt. Und ich habe Humor. Der hilft – auch wenn er zur Not schwarz ist.
Nun hat so eine alte Steineiche einen ziemlich mächtigen Stamm … vielleicht hätte ich mir lieber einen Schößling ausdenken sollen.

Die Äste sind unsere Visionen und Wünsche.
Die Blätter Menschen, die uns etwas bedeuten, oder bedeutet haben. Die wir, oder die uns geliebt haben.
Und die Früchte Geschenke, die wir erhalten oder gemacht haben.
Ach herrje … was das betrifft hätte ich ein Gewächs vom Format einer Wünschelrute gerade so eben bewältigt.
Dieser prachtvollen Baumkrone mit den silbrig schimmernden Blättern, die im Wind rauschen, aus der es Unmengen von Eicheln regnet, werde ich nicht im Ansatz gerecht.
Mein selbstgewähltes Eremitinnendasein kommt mir plötzlich verarmt und traurig vor.

Die Schmerzen werden immer heftiger und ich erwäge, die Übung abzubrechen.
Andererseits weiß ich aus der Yoga-Praxis, dass solche Abbrüche sehr irritierend wirken können – es ist sinnvoll, sich sowohl für den Ein- als auch für den Ausstieg Zeit zu nehmen.
Also beschließe ich, der Baum zu sein!
Meine Füße sind fest in diesem kargen Boden verwurzelt, meine Wurzeln erstrecken sich durch das ganze Gelände! Mein Stamm ist stark, meine Arme sind erhoben und meine Hände berühren den Himmel! Die Hunde schlafen zu meinen Füßen und ich umspanne den Hof und alle, die ihn bewohnen!

Dieser Kraftakt erschöpft mich ganz und gar und ich warte verzweifelt auf das Ende der Meditation.
Es kommt in Form der Metta-Sätze.
„Echt jetzt? Das AUCH noch?“
Das klingt nach „T“ und ihren despektierlichen Bemerkungen, aber ausnahmsweise verstehe ich sie. Ich kann nicht mehr!
Wir einigen uns darauf, mit halbem Ohr zuzuhören und uns einfach dem Ende der Veranstaltung entgegentreiben zu lassen.

Ich bin zutiefst dankbar für diese Erfahrung: Für die Erfahrung, dass es in der Achtsamkeitspraxis möglich ist, schmerzhafte und verstörende Empfindungen wahrzunehmen und anschließend weiterzugehen.
Wie erschöpft ich bin, merke ich, als ich kurz darauf versuche, eine Treppe hochzusteigen: Mir zittern die Knie.

Turbulenzen

Ich habe damit gerechnet, eines Tages während der Physiotherapie die Fassung zu verlieren, aber als es dann passiert, bin ich dennoch überrascht.
Es gibt da eine Blockade auf Höhe meines Zwerchfelles, die mich daran hindert, frei zu atmen.
Ich glaube, dass der Mann mit den heilenden Händen das schon seit langer Zeit weiß, aber jetzt sieht er offenbar den Moment gekommen, diese zu lösen.
Und es hätte vielleicht auch funktioniert, wenn ich ihn einfach nur hätte machen lassen müssen: Ich kann allen, die das ängstigt, beruhigend zureden und wenn es ganz arg wird, selbst einen Schritt beiseite treten.
Aber ich soll gegen seine Hände einatmen, die auf Brustbein und Bauch liegen, beim Ausatmen ihrem Druck folgen! Ich soll konzentriert dabei sein. Das kann ich nicht!

Die Tränen laufen, ich beginne, nach Luft zu schnappen.
Ich weiß, dass er mir zu helfen versucht, aber das GEHT NICHT!
Ich versuche, mich zu fügen. Ich vertraue ihm, er weiß, was er tut.
Und frage mich im nächsten Moment, was ich hier eigentlich tue: Ich will das nicht!
Ich verfluche meine mangelnden Französischkenntnisse.
Immerhin gelingt es mir, mitzuteilen, dass mir lieber wäre, wenn er sich mit meinen Schultern beschäftigt.

Das tut er und er bleibt freundlich, gelassen und liebevoll. Aber er erklärt mir auch, dass es wichtig ist, diese Blockade zu lösen, und wir es weiter versuchen sollten. Damit hat er sicher Recht.
Dass die weise Yogini jahrelang vergeblich versucht hat, mir die Atemübungen des Pranayama schmackhaft zu machen, die Körper und Geist zusammenführen sollen, kann er ja nicht wissen. Nicht, dass ich mich nicht bemüht hätte, aber es war und blieb eine einzige Quälerei.
Vielleicht funktioniert es so herum – über die Einwirkung auf den Körper – besser, aber ich weiß nicht, wovor ich mehr Angst haben soll: Vor seinen Bemühungen, oder vor deren Gelingen …

Bei der Achtsamkeitspraxis leitet die weise Meditierende eine Mettā -Meditation an, bei der es um gute Wünsche für sich selbst, aber auch für andere geht.
Die mag ich sehr, deshalb lade ich zu Beginn alle ein, mir dabei Gesellschaft zu leisten.

Aglaia (Aglaia, Achtsamkeit mit Hindern … Aglaia) ist sofort da: links von mir wird es schwarz und ich spüre ihr Gewicht auf meiner Schulter. Ich bin mir nicht sicher, ob sie die Achtsamkeitsübungen mag, oder gekommen ist, um aufzupassen. Vielleicht auch beides.
Zunächst sprechen wir die guten Wünsche für uns selbst aus „Möge ich glücklich und zufrieden sein“ zum Beispiel. Die Vorstellung, glücklich und zufrieden sein zu dürfen, bringt jemanden völlig aus der Fassung: Ich beginne zu weinen. Eine Weile lasse ich einfach die Tränen laufen, dann macht Aglaia sich bemerkbar und obwohl ich bequem liege beginnt mein Nacken zu schmerzen. Links … natürlich …
Das ist, soweit ich sagen kann, eine ihrer Aufgaben: Wenn es zu beängstigend, zu schmerzlich wird, bekämpft sie Feuer mit Feuer und sorgt für körperliche Schmerzen, die mich wirkungsvoll ins Hier und Jetzt zurückholen. Wenn ich genug gesehen habe, ist sie es, die „das Licht ausmacht“.
Aglaia ist eine Beschützerin. Darüber hinaus weiß ich nicht viel über sie.

Die guten Wünsche für einen nahestehenden Menschen richte ich an eine liebe Freundin, der ich von Herzen wünsche, dass sie leicht und unbeschwert durchs Leben gehen, gesund sein möge.

Als nächstes bin ich eingeladen, meine Gedanken auf einen Menschen zu richten, der gerade eine schwere Zeit durchlebt. Als ich das versuche, meldet sich eine leise, aber penetrant sarkastische Stimme, die all das für großen Blödsinn hält. Das klingt nach T.
„T.“ steht zwar für „Täter:innen-Introjekt“, aber tatsächlich bin ich mir nicht sicher, wer oder was sie ist. Sie ist eine Stimme, die ich manchmal laut hören kann. T. steht für Härte gegen sich selbst, findet die Rücksichtnahme auf eigene Bedürfnisse schlicht albern und ist generell der Ansicht, dass ich mich „einfach nur anstelle“. Einmal habe ich in einer Meditation jemanden gesehen, der T. gewesen sein könnte, oder jedenfalls die selben Ansichten vertrat: Alles Blödsinn!
Ich versuche, meinen Blickwinkel zu ändern: Auch T. möchte glücklich und zufrieden sein, sich geborgen fühlen, leicht und unbeschwert durchs Leben gehen, gesund sein!
Das verblüfft sie so sehr, dass sie schweigt.

Zum Ende der Achtsamkeitspraxis suche ich einen Ort auf, an dem ich mich sicher fühle, mich erholen kann. Den safe room aus der Hypnose möchte ich nicht nutzen, also stelle ich mir die Terrasse vor, auf der ich bei gutem Wetter Yoga mache. Ruckzuck liegt der Kater laut schnurrend neben meiner rechten Schulter. Der Hund lässt sich zu meiner Linken nieder. Es ist Major, unser Herdenschutzhund. Oskar, mein verstorbener Seelenhund, findet seinen Platz an meinem rechten Bein. Er schläft tief und fest. Seine Präsenz ist so weiß, wie Aglaias schwarz ist.

Wir sind eingeladen, uns an eine schwierige (nicht zu schwierige) Situation zu erinnern, um sie (und uns selbst) gelassen und ohne Wertung zu betrachten. Dann fragen wir uns, was wir in diesem Moment gebraucht, was wir uns gewünscht hätten.

Ich denke an meine Panikattacke bei der Physiotherapie, komme dann aber nicht recht weiter. Was hätte ich gebraucht? Was hätte geholfen?

Und sehe eine Frau. Sie nähert sich von links, hat in etwa mein Alter, gehört aber einer anderen Generation an: Ihre Haare sind ordentlich gelegt. Kräftig sieht sie aus,resolut, zupackend. Und sie streckt jemandem die Zunge heraus! Die freche Frau trägt eine orchideenfarbene, metallisch funkelnde Steppjacke. Ihr folgen weitere Frauen, die ähnlich gekleidet sind: Es wirkt, als würde sie eine Demonstration anführen.

„Genug gesehen!“ findet Aglaia und breitet eine schwarze Schwinge aus.

Aber ich kann das Funkeln weiterhin sehen: Es legt sich wie eine Decke über mich.