Der Ratschlag „Schaffen Sie sich doch einen Hund an!“, muß von einem Menschen stammen, der keine Depressionen hat. Oder keinen Hund.
Die Anwesenheit eines Hundes (oder auch einer Katze) tut gut, keine Frage!
Weil sie völlig vorbehaltlos und ohne Wertung ist.
Mein Hund mag es langweilig finden, wenn ich den halben Tag im Bett liege, aber er findet es blöd. Nicht mich. Es stört ihn überhaupt nicht, wenn ich mich nicht zum Duschen aufraffen kann. Er hält es auch nicht für bedenklich, dass ich mich so einigele.
Er ist einfach da, leistet mir Gesellschaft, kuschelt mit mir und leckt mir gelegentlich über die Nase.
Soweit alles schick.
Aber er soll ja auch dafür sorgen, dass ich regelmäßig an die frische Luft komme. Bewegung habe.
Okay, wer keinen Garten hat, schafft es irgendwie bis vor die Haustür damit der Hund sich lösen kann. Oder schlufft mal um den Block. Natürlich ist der ausgedehnte Spaziergang in der Natur viel besser für Mensch und Hund, aber an schlimmen Tagen reicht es dafür einfach nicht.
An diesen Tagen läuft der Ratschlag ebenso ins Leere, wie der, zu joggen – nur, dass den kein Hund ausbaden muß.
Zu zwischenmenschlichen Kontakten soll er mir auch verhelfen.
Ganz ehrlich: Den Menschen, der mir vom Horizont aus zuruft, sein Hund wolle nur spielen, will ich überhaupt nicht kennenlernen! Mir wäre im Gegenteil sehr geholfen, wenn er und sein Hund mal fix aus meinem Leben verschwänden.
Und ich mag mich auch nicht zwingend mit jedem, in den ich aus Versehen reinrenne, über die gravierenden Fehler unterhalten, die ich seiner Meinung nach bei der Erziehung meines Hundes mache.
Mit einem souveränen, pflegeleichten Hund kommt man auch an schwierigen Tagen recht gut durch die Welt.
Und ganz manchmal werden Hunde so geboren. Bei den meisten jedoch steckt sorgfältige und liebevolle Erziehung dahinter.
Welpen sind unfaßbar niedlich, sie erobern Herzen im Sturm, sie sind aber auch selbst noch sehr bedürftig. Und das rund um die Uhr. Und kaum hat man sie nach ein paar Monaten aus dem Welpenalter raus, kommen sie auch schon in die Pubertät und treiben ihre Besitzer schier zur Verzweiflung. Die gute Nachricht: Mit 3 bis 4 Jahren ist ein Hund geistig ausgereift und kann dann tatsächlich ein allzeit verlässlicher Begleiter sein.
Wer einen „second hand“ Hund zu sich nimmt, erspart sich die ersten, turbulenten Jahre und tut gleichzeitig etwas Gutes. Selbst wenn einem bewusst ist, dass man dem Hund keine ganz optimalen Bedingungen bieten kann: Besser als im Tierheim oder gar in der Tötungsstation geht es ihm auf jeden Fall!
Und natürlich kann man sie hier finden: Hunde, die trotz ihrer Vorgeschichte souverän, unkompliziert und einfach nett sind.
Die meisten landen allerdings deswegen im Tierheim, weil ihre Vorbesitzer genau diese Eigenschaften bei ihnen vermisst haben. Und ein Hund aus einer Tötungsstation leidet unter Umständen an Traumata, gegen die die eigene Angststörung ein Niemand ist.
Wer einen Hund besitzt, der angesichts anderer Hunde senkrecht in der Leine steht, ist einem sozialen Druck ausgesetzt, der selbst bei psychisch absolut stabilen Menschen dazu führen kann, dass sie es vorziehen, ganz früh morgens oder nach Einbruch der Dunkelheit Gassi zu gehen.
Wessen Hund nicht allein bleiben kann, kommt auch nicht häufiger vor die Tür – jedenfalls nicht mehr ohne Hund.
Und immer dann, wenn der Mensch sogenanntes Problemverhalten seines Hundes ganz bestimmt nicht brauchen kann, weil es ihm gerade selber dreckig geht, werden Stimmungsübertragung und die Sensibilität des Hundes für das Gegenteil sorgen: Ein Hund, der dazu neigt, Ressourcen wie „mein Revier“ und „mein Mensch“ zu verteidigen, wird das umso heftiger tun, je schutzbedürftiger ihm sein Mensch scheint. Ein ängstlicher Hund, dessen menschlicher Bodyguard erkennbar schwächelt, ist seinen Ängsten sehr viel stärker ausgesetzt.
Die Erkenntnis, bei der Erziehung des eigenen Hundes wohl den einen oder anderen Fehler gemacht zu haben, verschont keinen Hundebesitzer, der einigermaßen ehrlich mit sich selber ist. Wenn das Selbstwertgefühl aber sowieso schon am Boden ist, tut sie umso weher.
Die Notwendigkeit, sich abzugrenzen („Nein, mein Hund möchte nicht gestreichelt werden, der darf kein Leckerchen haben und der will auch jetzt nicht spielen!“) kann eine permanente Überforderung darstellen.
Und am schlimmsten – jedenfalls für mich – ist das schlechte Gewissen wenn ich wieder einmal das Gefühl habe, meinem Hund nicht gerecht zu werden.
Schaffen Sie sich also keinen Hund an?
Was soll ich sagen?
Während ich dies schreibe, liegt der meine neben mir und pennt …
Das Leben mit Hund ist immer auch eine Chance:
Wer sollte einen Hund mit Ängsten besser verstehen, als ein Mensch, der das selbe Problem hat?
Das Leben mit einem komplizierten, unangepassten, störenden Hund ist eine Herausforderung, keine Frage, aber keine, an der man nicht auch wachsen könnte.
Wenn ich es (noch) nicht schaffe, für mich selber einzustehen, dann vielleicht für meinen Hund?
Menschen mit psychischen Erkrankungen und Hund, brauchen andere, loyale Hundemenschen.
Die auch Fehler machen, die auch manchmal an ihrem Hund verzweifeln, die sie bei Spaziergängen begleiten und die, wenn es ganz arg ist, den Hund auch mal übernehmen können.
Damit sie das Leben mit Hund auch genießen können.
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